Der Sammler und die Seinigen
Erster Brief
Wenn Ihr Abschied nach den zwei vergnügten, nur zu schnell verfloßnen Tagen mich eine große Lücke und Leere fühlen ließ, so hat Ihr Brief, den ich so bald erhielt, so haben die beigefügten Manuskripte mich wieder in eine behagliche Stimmung versetzt, derjenigen ähnlich, die ich in Ihrer Gegenwart empfand. Ich habe mich unsers Gesprächs wieder erinnert, ich habe mich jetzt wie damals gefreut, daß wir in so vielen Fällen als Kunstbeurteiler zusammentreffen. Diese Entdeckung ist mir doppelt schätzbar, indem ich Ihre Meinung sowie die meinige täglich prüfen kann, ich darf nur ein Fach meiner Sammlung, welches ich will, vornehmen, darf es durchgehen und mit unsern theoretischen und praktischen Aphorismen zusammenhalten. Da geht es denn oft recht gut und heiter, manchmal stoße ich an, manchmal kann ich weder mit Ihnen noch mit mir selbst einig werden. Indessen bewährt sich doch, daß man schon viel gewonnen hat, wenn man in Hauptsachen miteinander übereintrifft, wenn das Kunsturteil, das zwar wie eine Waage immer hin und wider schwankt, doch an einem tüchtigen Kloben befestigt ist und nicht, wenn ich im Gleichnis verharren darf, Waage und Waagschalen zugleich hin und wider geworfen werden.
Sie haben für die Schrift, die Sie herauszugeben gedenken, durch diese Probestücke meine Hoffnungen und meine stille Teilnahme verstärkt, und gern will ich auch auf irgendeine Weise, deren ich mich fähig fühle, zu Ihren Absichten mit beitragen. Theorie ist nie meine Sache gewesen, was Sie von meinen Erfahrungen brauchen können, steht von Herzen zu Diensten.
Und um hiervon einen Beweis zu geben, fange ich sogleich an, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich werde Ihnen nach und nach die Geschichte meiner Sammlung aufzeichnen, deren wunderliche Elemente schon manchen überrascht haben, wenn er gleich durch den Ruf schon genugsam vorbereitet zu mir kam. Auch Ihnen ist es also gegangen. Sie wunderten sich über den seltsamen Reichtum in den verschiedensten Fächern, und Ihre Verwunderung würde noch gestiegen sein, wenn Zeit und Neigung Ihnen erlaubt hätte, von allem Kenntnis zu nehmen, was ich besitze.
Von meinem Großvater brauche ich am wenigsten zu sagen, er legte den Grund zum Ganzen, und wie gut er ihn gelegt hat, bürgt mir selbst Ihre Aufmerksamkeit auf alles das, was sich von ihm herschrieb. Sie hefteten sich vorzüglich an diesen Pfeiler unsers seltsamen Familiengebäudes mit einer solchen Neigung und Liebe, daß ich Ihre Ungerechtigkeit gegen einige andere Fächer nicht unangenehm empfand und gern mit Ihnen bei jenen Werken verweilte, die auch mir wegen ihres Werts, ihres Alters und ihres Herkommens heilig sind. Freilich kommt es viel auf den Charakter, auf die Neigung eines Liebhabers an, wohin die Liebe zum Gebildeten, wohin der Sammlungsgeist, zwei Neigungen, die sich oft im Menschen finden, ihre Richtung nehmen sollen; und ebensoviel, möchte ich behaupten, hängt der Liebhaber von der Zeit ab, in die er kommt, von den Umständen, unter denen er sich befindet, von gleichzeitigen Künstlern und Kunsthändlern, von den Ländern, die er zuerst besucht, von den Nationen, mit denen er in irgendeinem Verhältnis steht. Gewiß von tausend dergleichen Zufälligkeiten hängt er ab. Was kann nicht alles zusammentreffen, um ihn solid oder flüchtig, liberal oder auf irgendeine Weise beschränkt, überschauend oder einseitig zu machen!
Dem Glücke sei es gedankt, daß mein Großvater in die beste Zeit, in die glücklichste Lage kam, um das an sich zu ziehen, was einem Privatmanne gegenwärtig fast unmöglich sein würde. Rechnungen und Briefe über den Ankauf sind noch in meinen Händen, und wie unverhältnismäßig sind die Preise gegen die jetzigen, die eine allgemeinere Liebhaberei aller Nationen so hoch gesteigert hat.
Ja, die Sammlung dieses würdigen Mannes ist für mich, für meine übrigen Besitzungen, für mein Verhältnis und mein Urteil, was die Dresdener Sammlungen für Deutschland sind: eine ewige Quelle echter Kenntnis für den Jüngling, für den Mann Stärkung des Gefühls und guter Grundsätze und für einen jeden, selbst für den flüchtigsten Beschauer, heilsam; denn das Vortreffliche wirkt auf Eingeweihte nicht allein. Ihr Ausspruch, meine Herren, daß keines dieser Werke, die sich von meinem guten Alten herschreiben, sich neben jenen königlichen Schätzen schämen dürfte, hat mich nicht stolz, er hat mich nur zufrieden gemacht, denn in der Stille hatte ich dieses Urteil schon selbst gewagt.
Ich schließe diesen Brief, ohne meinen Vorsatz erfüllt zu haben. Ich schwätzte, anstatt zu erzählen. Zeigt sich doch in beiden die gute Laune eines Alten so gern. Kaum habe ich noch Platz, Ihnen zu sagen, daß Oheim und Nichten Sie herzlich grüßen und daß Julie besonders sich öfter und lebhafter nach der lange verzögerten Dresdener Reise erkundigt, weil sie hoffen kann, unterwegs ihre neuen und so lebhaft verehrten Freunde wiederzusehen. Und fürwahr auch keiner ihrer alten Freunde soll sich herzlicher als der Oheim unterzeichnen Ihren treu verbundnen.
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