Doch steht, indem uns die Ereignisse der neuern Zeit vorschweben, eine Bemerkung hier wohl am rechten Platze, die wir auf unserm Lebenswege machen können, daß kein Gelehrter ungestraft jene große philosophische Bewegung, die durch Kant begonnen, von sich abgewiesen, sich ihr widersetzt, sie verachtet habe, außer etwa die echten Altertumsforscher, welche durch die Eigenheit ihres Studiums vor allen andern Menschen vorzüglich begünstigt zu sein scheinen. Denn indem sie sich nur mit dem Besten, was die Welt hervorgebracht hat, beschäftigen und das Geringe, ja das Schlechtere nur im Bezug auf jenes Vortreffliche betrachten, so erlangen ihre Kenntnisse eine solche Fülle, ihre Urteile eine solche Sicherheit, ihr Geschmack eine solche Konsistenz, daß sie innerhalb ihres eigenen Kreises bis zur Verwunderung, ja bis zum Erstaunen ausgebildet erscheinen. Auch Winckelmann gelang dieses Glück, wobei ihm freilich die bildende Kunst und das Leben kräftig einwirkend zu Hülfe kamen.
Poesie
So sehr Winckelmann bei Lesung der alten Schriftsteller auch auf die Dichter Rücksicht genommen, so finden wir doch, bei genauer Betrachtung seiner Studien und seines Lebensganges, keine eigentliche Neigung zur Poesie, ja man könnte eher sagen, daß hie und da eine Abneigung hervorblicke; wie denn seine Vorliebe für alte gewohnte Luthersche Kirchenlieder und sein Verlangen, ein solches unverfälschtes Gesangbuch selbst in Rom zu besitzen, wohl von einem tüchtigen, wackern Deutschen, aber nicht eben von einem Freunde der Dichtkunst zeuget. Die Poeten der Vorzeit schienen ihn früher als Dokumente der alten Sprachen und Literaturen, später als Zeugnisse für bildende Kunst interessiert zu haben. Desto wunderbarer und erfreulicher ist es, wenn er selbst als Poet auftritt, und zwar als ein tüchtiger, unverkennbarer in seinen Beschreibungen der Statuen, ja beinahe durchaus in seinen spätern Schriften. Er sieht mit den Augen, er faßt mit dem Sinn unaussprechliche Werke, und doch fühlt er den unwiderstehlichen Drang, mit Worten und Buchstaben ihnen beizukommen. Das vollendete Herrliche, die Idee, woraus diese Gestalt entsprang, das Gefühl, das in ihm beim Schauen erregt ward, soll dem Hörer, dem Leser mitgeteilt werden, und indem er nun die ganze Rüstkammer seiner Fähigkeiten mustert, sieht er sich genötigt, nach dem Kräftigsten und Würdigsten zu greifen, was ihm zu Gebote steht. Er muß Poet sein, er mag daran denken, er mag wollen oder nicht. Erlangte Einsicht So sehr Winckelmann überhaupt auf ein gewisses Ansehn vor der Welt achtete, so sehr er sich einen literarischen Ruhm wünschte, so gut er seine Werke auszustatten und sie durch einen gewissen feierlichen Stil zu erheben suchte, so war er doch keinesweges blind gegen ihre Mängel, die er vielmehr auf das schnellste bemerkte, wie sich's bei seiner fortschreitenden, immer neue Gegenstände fassenden und bearbeitenden Natur notwendig ereignen mußte.
Je mehr er nun in irgendeinem Aufsatze dogmatisch und didaktisch zu Werke gegangen war, diese oder jene Erklärung eines Monuments, diese oder jene Auslegung und Anwendung einer Stelle behauptet und festgesetzt hatte, desto auffallender war ihm der Irrtum, sobald er durch neue Data sich davon überzeugt hielt, desto schneller war er geneigt, ihn auf irgendeine Weise zu verbessern. Hatte er das Manuskript noch in der Hand, so ward es umgeschrieben; war es zum Druck abgesendet, so wurden Verbesserungen und Nachträge hinterdrein geschickt, und von allen diesen Reuschritten machte er seinen Freunden kein Geheimnis: denn auf Wahrheit, Geradheit, Derbheit und Redlichkeit stand sein ganzes Wesen gegründet. Spätere Werke Ein glücklicher Gedanke ward ihm, zwar auch nicht auf einmal, sondern nur durch die Tat selbst klar, das Unternehmen seiner »Monumenti inediti«. Man sieht wohl, daß jene Lust, neue Gegenstände bekanntzumachen, sie auf eine glückliche Weise zu erklären, die Altertumskunde in so großem Maße zu erweitern, ihn zuerst angelockt habe; dann tritt das Interesse hinzu, die von ihm in der Kunstgeschichte einmal aufgestellte Methode auch hier an Gegenständen, die er dem Leser vor Augen legt, zu prüfen, da denn zuletzt der glückliche Vorsatz sich entwickelte, in der vorausgeschickten Abhandlung das Werk über die Kunstgeschichte, das ihm schon im Rücken lag, stillschweigend zu verbessern, zu reinigen, zusammenzudrängen und vielleicht sogar teilweise aufzuheben. Im Bewußtsein früherer Mißgriffe, über die ihn der Nicht-Römer kaum zurechtweisen durfte, schrieb er ein Werk in italienischer Sprache, das auch in Rom gelten sollte. Nicht allein befleißigt er sich dabei der größten Aufmerksamkeit, sondern wählt sich auch freundschaftliche Kenner, mit denen er die Arbeit genau durchgeht, sich ihrer Einsicht, ihres Urteils auf das klügste bedient und so ein Werk zustande bringt, das als Vermächtnis auf alle Zeiten übergehen wird. Und er schreibt es nicht allein, er besorgt es, unternimmt es und leistet als ein armer Privatmann das, was einem wohlgegründeten Verleger, was akademischen Kräften Ehre machen würde. Papst Sollte man so viel von Rom sprechen, ohne des Papstes zu gedenken, der doch Winckelmannen wenigstens mittelbar manches Gute zufließen lassen! Winckelmanns Aufenthalt in Rom fiel zum größten Teil unter die Regierung Benedikt des XIV. Lambertini, der als ein heiterer, behaglicher Mann lieber regieren ließ als regierte; und so mögen auch die verschiedenen Stellen, welche Winckelmann bekleidete, ihm durch die Gunst seiner hohen Freunde mehr als durch die Einsicht des Papstes in seine Verdienste geworden sein. Doch finden wir ihn einmal auf eine bedeutende Weise in der Gegenwart des Hauptes der Kirche; ihm wird die besondre Auszeichnung, dem Papste aus den »Monumenti inediti« einige Stellen vorlesen zu dürfen, und er gelangt auch von dieser Seite zur höchsten Ehre, die einem Schriftsteller werden kann. Charakter Wenn bei sehr vielen Menschen, besonders aber bei Gelehrten, dasjenige, was sie leisten, als die Hauptsache erscheint und der Charakter sich dabei wenig äußert, so tritt im Gegenteil bei Winckelmann der Fall ein, daß alles dasjenige, was er hervorbringt, hauptsächlich deswegen merkwürdig und schätzenswert ist, weil sein Charakter sich immer dabei offenbart. Haben wir schon unter der Aufschrift vom Antiken und Heidnischen, vom Schönheits- und Freundschaftssinne einiges Allgemeine zum Anfang ausgesprochen, so wird das mehr Besondere hier gegen das Ende wohl seinen Platz verdienen. Winckelmann war durchaus eine Natur, die es redlich mit sich selbst und mit andern meinte; seine angeborne Wahrheitsliebe entfaltete sich immer mehr und mehr, je selbständiger und unabhängiger er sich fühlte, so daß er sich zuletzt die höfliche Nachsicht gegen Irrtümer, die im Leben und in der Literatur so sehr hergebracht ist, zum Verbrechen machte. Eine solche Natur konnte wohl mit Behaglichkeit in sich selbst zurückkehren, doch finden wir auch hier jene altertümliche Eigenheit, daß er sich immer mit sich selbst beschäftigte, ohne sich eigentlich zu beobachten. Er denkt nur an sich, nicht über sich, ihm liegt im Sinne, was er vorhat, er interessiert sich für sein ganzes Wesen, für den ganzen Umfang seines Wesens, und hat das Zutrauen, daß seine Freunde sich auch dafür interessieren werden. Wir finden daher in seinen Briefen vom höchsten moralischen bis zum gemeinsten physischen Bedürfnis alles erwähnt, ja er spricht es aus, daß er sich von persönlichen Kleinigkeiten lieber als von wichtigen Dingen unterhalte. Dabei bleibt er sich durchaus ein Rätsel und erstaunt manchmal über seine eigene Erscheinung, besonders in Betrachtung dessen, was er war und was er geworden ist. Doch so kann man überhaupt jeden Menschen als eine vielsilbige Scharade ansehen, wovon er selbst nur wenige Silben zusammenbuchstabiert, indessen andre leicht das ganze Wort entziffern. Auch finden wir bei ihm keine ausgesprochenen Grundsätze; sein richtiges Gefühl, sein gebildeter Geist dienen ihm im Sittlichen wie im Ästhetischen zum Leitfaden. Ihm schwebt eine Art natürlicher Religion vor, wobei jedoch Gott als Urquell des Schönen und kaum als ein auf den Menschen sonst bezügliches Wesen erscheint. Sehr schön beträgt sich Winckelmann innerhalb der Grenzen der Pflicht und Dankbarkeit. Seine Vorsorge für sich selbst ist mäßig, ja nicht durch alle Zeiten gleich. Indessen arbeitet er aufs fleißigste, sich eine Existenz aufs Alter zu sichern. Seine Mittel sind edel; er zeigt sich selbst auf dem Wege zu jedem Zweck redlich, gerade, sogar trotzig und dabei klug und beharrlich. Er arbeitet nie planmäßig, immer aus Instinkt und mit Leidenschaft. Seine Freude an jedem Gefundenen ist heftig, daher Irrtümer unvermeidlich, die er jedoch bei lebhaftem Vorschreiten ebenso geschwind zurücknimmt als einsieht. Auch hier bewährt sich durchaus jene antike Anlage, die Sicherheit des Punktes, von dem man ausgeht, die Unsicherheit des Zieles, wohin man gelangen will, sowie die Unvollständigkeit und Unvollkommenheit der Behandlung, sobald sie eine ansehnliche Breite gewinnt.
Gesellschaft
Wenn er sich, durch seine frühere Lebensart wenig vorbereitet, in der Gesellschaft anfangs nicht ganz bequem befand, so trat ein Gefühl von Würde bald an die Stelle der Erziehung und Gewohnheit, und er lernte sehr schnell sich den Umständen gemäß betragen. Die Lust am Umgang mit vornehmen, reichen und berühmten Leuten, die Freude, von ihnen geschätzt zu werden, dringt überall durch, und in Absicht auf die Leichtigkeit des Umgangs hätte er sich in keinem bessern Elemente als in dem römischen befinden können. Er bemerkt selbst, daß die dortigen, besonders geistlichen Großen, so zeremoniös sie nach außen erscheinen, doch nach innen gegen ihre Hausgenossen bequem und vertraulich leben; allein er bemerkte nicht, daß hinter dieser Vertraulichkeit sich doch das orientalische Verhältnis des Herrn zum Knechte verbirgt. Alle südlichen Nationen würden eine unendliche Langeweile finden, wenn sie gegen die Ihrigen sich in der fortdauernden wechselseitigen Spannung erhalten sollten, wie es die Nordländer gewohnt sind. Reisende haben bemerkt, daß die Sklaven sich gegen ihre türkischen Herren mit weit mehr Aisance betragen, als nordische Hofleute gegen ihre Fürsten, und bei uns Untergebene gegen ihre Vorgesetzten; allein wenn man es genau betrachtet, so sind diese Achtungsbezeigungen eigentlich zugunsten der Untergebenen eingeführt, die dadurch ihren Obern immer erinnern, was er ihnen schuldig ist. Der Südländer aber will Zeiten haben, wo er sich gehn läßt, und diese kommen seiner Umgebung zugut. Dergleichen Szenen schildert Winckelmann mit großem Behagen, sie erleichtern ihm seine übrige Abhängigkeit und nähren seinen Freiheitssinn, der mit Scheu auf jede Fessel hinsieht, die ihn allenfalls bedrohen könnte. Fremde Wenn Winckelmann durch den Umgang mit Einheimischen sehr glücklich ward, so erlebte er desto mehr Pein und Not von Fremden. Es ist wahr, nichts kann schrecklicher sein als der gewöhnliche Fremde in Rom. An jedem andern Orte kann sich der Reisende eher selbst suchen und auch etwas ihm Gemäßes finden; wer sich aber nicht nach Rom bequemt, ist den wahrhaft römisch Gesinnten ein Greuel. Man wirft den Engländern vor, daß sie ihren Teekessel überall mitführen und sogar bis auf den Ätna hinaufschleppen; aber hat nicht jede Nation ihren Teekessel, worin sie, selbst auf Reisen, ihre von Hause mitgebrachten getrockneten Kräuterbündel aufbraut? Solche nach ihrem engen Maßstab urteilende, nicht um sich her sehende, vorübereilende, anmaßliche Fremde verwünscht Winckelmann mehr als einmal, verschwört, sie nicht mehr herumzuführen, und läßt sich zuletzt doch wieder bewegen. Er scherzt über seine Neigung zum Schulmeistern, zu unterrichten, zu überzeugen, da ihm denn auch wieder in der Gegenwart durch Stand und Verdienste bedeutender Personen gar manches Gute zuwächst. Wir nennen hier nur den Fürsten von Dessau, die Erbprinzen von Mecklenburg- Strelitz und Braunschweig sowie den Baron von Riedesel, einen Mann, der sich in der Sinnesart gegen Kunst und Altertum ganz unseres Freundes würdig erzeigte. Welt Wir finden bei Winckelmann das unnachlassende Streben nach Ästimation und Konsideration; aber er wünscht sie durch etwas Reelles zu erlangen. Durchaus dringt er auf das Reale der Gegenstände, der Mittel und der Behandlung; daher hat er eine so große Feindschaft gegen den französischen Schein. So wie er in Rom Gelegenheit gefunden hatte, mit Fremden aller Nationen umzugehen, so erhielt er auch solche Konnexionen auf eine geschickte und tätige Weise. Die Ehrenbezeigungen von Akademien und gelehrten Gesellschaften waren ihm angenehm, ja er bemühte sich darum. Am meisten aber förderte ihn das im stillen mit großem Fleiß ausgearbeitete Dokument seines Verdienstes, ich meine die »Geschichte der Kunst«. Sie ward sogleich ins Französische übersetzt und er dadurch weit und breit bekannt. Das, was ein solches Werk leistet, wird vielleicht am besten in den ersten Augenblicken anerkannt, das Wirksame desselben wird empfunden, das Neue lebhaft aufgenommen, die Menschen erstaunen, wie sie auf einmal gefördert werden; dahingegen eine kältere Nachkommenschaft mit eklem Zahn an den Werken ihrer Meister und Lehrer herumkostet und Forderungen aufstellt, die ihr gar nicht eingefallen wären, hätten jene nicht so viel geleistet, von denen man nun noch mehr fordert. Und so war Winckelmann den gebildeten Nationen Europens bekannt geworden, in einem Augenblicke, da man ihm in Rom genugsam vertraute, um ihn mit der nicht unbedeutenden Stelle eines Präsidenten der Altertümer zu beehren. Unruhe Ungeachtet jener anerkannten und von ihm selbst öfters gerühmten Glückseligkeit war er doch immer von einer Unruhe gepeinigt, die, indem sie tief in seinem Charakter lag, gar mancherlei Gestalten annahm. Er hatte sich früher kümmerlich beholfen, später von der Gnade des Hofs, von der Gunst manches Wohlwollenden gelebt, wobei er sich immer auf das geringste Bedürfnis einschränkte, um nicht abhängig oder abhängiger zu werden. Indessen war er auch auf das tüchtigste bemüht, sich für die Gegenwart, für die Zukunft aus eigenen Kräften einen Unterhalt zu verschaffen, wozu ihm endlich die gelungene Ausgabe seines Kupferwerks die schönste Hoffnung gab. Allein jener ungewisse Zustand hatte ihn gewöhnt, wegen seiner Subsistenz bald hierhin, bald dorthin zu sehen, bald sich mit geringen Vorteilen im Hause eines Kardinals, in der Vaticana und sonst unterzutun, bald aber, wenn er wieder eine andre Aussicht vor sich sah, großmütig seinen Platz aufzugeben, indessen sich doch wieder nach andern Stellen umzusehen und manchen Anträgen ein Gehör zu leihen. Sodann ist einer, der in Rom wohnt, der Reiselust nach allen Weltgegenden ausgesetzt. Er sieht sich im Mittelpunkt der Alten Welt und die für den Altertumsforscher interessantesten Länder nah um sich her, Großgriechenland und Sizilien, Dalmatien, der Peloponnes, Ionien und Ägypten, alles wird den Bewohnern Roms gleichsam angeboten und erregt in einem, der wie Winckelmann mit Begierde des Schauens geboren ist, von Zeit zu Zeit ein unsägliches Verlangen, welches durch so viele Fremde noch vermehrt wird, die auf ihren Durchzügen bald vernünftig, bald zwecklos jene Länder zu bereisen Anstalt machen, bald, indem sie zurückkehren, von den Wundern der Ferne zu erzählen und aufzuzeigen nicht müde werden. So will denn unser Winckelmann auch überall hin, teils aus eigenen Kräften, teils in Gesellschaft solcher wohlhabender Reisenden, die den Wert eines unterrichteten, talentvollen Gefährten mehr oder weniger zu schätzen wissen. Noch eine Ursache dieser innern Unruhe und Unbehaglichkeit macht seinem Herzen Ehre, es ist das unwiderstehliche Verlangen nach abwesenden Freunden. Hier scheint sich die Sehnsucht des Mannes, der sonst so sehr von der Gegenwart lebte, ganz eigentlich konzentriert zu haben. Er sieht sie vor sich, er unterhält sich mit ihnen durch Briefe, er sehnt sich nach ihrer Umarmung und wünscht die früher zusammen verlebten Tage zu wiederholen. Diese besonders nach Norden gerichteten Wünsche hatte der Friede aufs neue belebt. Sich dem großen König darzustellen, der ihn schon früher eines Antrags seiner Dienste gewürdigt, war sein Stolz; den Fürsten von Dessau wiederzusehen, dessen hohe, ruhige Natur er als von Gott auf die Erde gesandt betrachtete, den Herzog von Braunschweig, dessen große Eigenschaften er zu würdigen wußte, zu verehren, den Minister von Münchhausen, der so viel für die Wissenschaften tat, persönlich zu preisen, dessen unsterbliche Schöpfung in Göttingen zu bewundern, sich mit seinen Schweizer Freunden wieder einmal lebhaft und vertraulich zu freuen, solche Lockungen tönten in seinem Herzen, in seiner Einbildungskraft wider, mit solchen Bildern hatte er sich lange beschäftigt, lange gespielt, bis er zuletzt unglücklicherweise diesem Trieb gelegentlich folgt und so in seinen Tod geht. Schon war er mit Leib und Seele dem italienischen Zustand gewidmet, jeder andere schien ihm unerträglich, und wenn ihn der frühere Hineinweg durch das bergichte und felsichte Tirol interessiert, ja entzückt hatte, so fühlte er sich auf dem Rückwege in sein Vaterland wie durch eine kimmerische Pforte hindurchgeschleppt, beängstet und mit der Unmöglichkeit, seinen Weg fortzusetzen, behaftet.
Hingang
So war er denn auf der höchsten Stufe des Glücks, das er sich nur hätte wünschen dürfen, der Welt verschwunden. Ihn erwartete sein Vaterland, ihm streckten seine Freunde die Arme entgegen, alle Äußerungen der Liebe, deren er so sehr bedurfte, alle Zeugnisse der öffentlichen Achtung, auf die er so viel Wert legte, warteten seiner Erscheinung, um ihn zu überhäufen. Und in diesem Sinne dürfen wir ihn wohl glücklich preisen, daß er von dem Gipfel des menschlichen Daseins zu den Seligen emporgestiegen, daß ein kurzer Schrecken, ein schneller Schmerz ihn von den Lebendigen hinweggenommen. Die Gebrechen des Alters, die Abnahme der Geisteskräfte hat er nicht empfunden, die Zerstreuung der Kunstschätze, die er, obgleich in einem andern Sinne, vorausgesagt, ist nicht vor seinen Augen geschehen, er hat als Mann gelebt und ist als ein vollständiger Mann von hinnen gegangen. Nun genießt er im Andenken der Nachwelt den Vorteil, als ein ewig Tüchtiger und Kräftiger zu erscheinen: denn in der Gestalt, wie der Mensch die Erde verläßt, wandelt er unter den Schatten, und so bleibt uns Achill als ewig strebender Jüngling gegenwärtig. Daß Winckelmann früh hinwegschied, kommt auch uns zugute. Von seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner Kraft und erregt in uns den lebhaftesten Drang, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort- und immer fortzusetzen.
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