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2019-07-12

Gedichte von Oskar Wöhrle: Der Traum (1)



Der Traum

Die Nacht ist hart, die Nacht ist kalt.
Ich steh als Posten vorem Wald.

Da kommt ein Mann; sein Schritt ist schwer.
Ich ruf ihn an: Wohin? Woher?

Er spricht: „Ich bin Herr Jesus Christ,
Der einst am Kreuz gestorben ist.

Der Geist hieß mich ins Weite gehn,
Hieß mich der Menschen Werk besehn.

Doch als ich kam ins freie Feld,
Da war viel Kriegszeug aufgestellt.

Da lag der Toten bleiche Schaar
Wie Opferlilien vorm Altar.

Und tausend, tausend riefen mich
Mit Kummerworten bitterlich.

Und tausend schrien: Du großer Gott,
Mein Liebstes in der Welt ist tot!

Da dacht ich jener schweren Nacht,
Da ich mich selbst Gott dargebracht.

Soll denn die krasse Todespein,
Mein Schmerz umsonst erlitten sein?

Ist das die Liebe, die ich gab,
Dass Menschen schlachten Menschen ab?

Das war sein letztes liebes Wort,
Da schwand der Traum, der Mann war fort.

Fern fallen Schüsse durch die Nacht.
Ich schrecke auf; ich bin erwacht.

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