(Fabrice allein.)
FABRICE.
Sie ist dein!—Ich kann dem lieben kleinen Narren wohl die Tändelei mit dem Bruder erlauben; das wird sich so nach und nach herüber begeben, wenn wir einander näher kennenlernen, und er soll nichts dabei verlieren. Es tut mir gar wohl, wieder so zu lieben und gelegentlich wieder so geliebt zu werden! Es ist doch eine Sache, woran man nie den Geschmack verliert.—Wir wollen zusammen wohnen. Ohne das hätt' ich des guten Menschen gewissenhafte Häuslichkeit zeither schon gern ein bißchen ausgeweitet; als Schwager wird's schon gehen. Er wird sonst ganz Hypochonder mit seinen ewigen Erinnerungen, Bedenklichkeiten, Nahrungssorgen und Geheimnissen. Es wird alles hübsch! Er soll freiere Luft atmen; das Mädchen soll einen Mann haben—das nicht wenig ist; und du kriegst noch mit Ehren eine Frau—das viel ist!
(Wilhelm kommt.)
FABRICE.
Ist dein Spaziergang zu Ende?
WILHELM.
Ich ging auf den Markt und die Pfarrgasse hinauf und an der Börse zurück. Mir ist's eine wunderliche Empfindung, nachts durch die Stadt zu gehen. Wie von der Arbeit des Tages alles teils zur Ruh' ist, teils darnach eilt, und man nur noch die Emsigkeit des kleinen Gewerbes in Bewegung sieht! Ich hatte meine Freude an einer alten Käsefrau, die, mit der Brille auf der Nase, beim Stümpfchen Licht ein Stück nach dem andern auf die Waage legte und ab—und zuschnitt, bis die Käuferin ihr Gewicht hatte.
FABRICE.
Jeder bemerkt in seiner Art. Ich glaub', es sind viele die Straße gegangen, die nicht nach den Käsemüttern und ihren Brillen geguckt haben.
WILHELM.
Was man treibt, kriegt man lieb, und der Erwerb im kleinen ist mir ehrwürdig, seit ich weiß, wie sauer ein Taler wird, wenn man ihn groschenweise verdienen soll.
(Steht einige Augenblicke in sich gekehrt.)
Mir ist ganz wunderbar geworden auf dem Wege. Es sind mir so viel Sachen auf einmal und durcheinander eingefallen—und das, was mich im Tiefsten meiner Seele beschäftigt—
(Er wird nachdenkend).
FABRICE (für sich).
Es geht mir närrisch; sobald er gegenwärtig ist, untersteh' ich mich nicht recht, zu bekennen, daß ich Mariannen liebe.—Ich muß ihm doch erzählen, was vorgegangen ist.—(Laut.) Wilhelm! sag mir! du wolltest hier ausziehen? Du hast wenig Gelaß und sitzest teuer. Weißt du ein ander Quartier?
WILHELM (zerstreut).
Nein.
FABRICE.
Ich dächte, wir könnten uns beide erleichtern. Ich habe da mein väterliches Haus und bewohne nur den obern Stock, und den untern könntest du einnehmen; du verheiratest dich doch so bald nicht.—Du hast den Hof und eine kleine Niederlage für deine Spedition und gibst mir einen leidlichen Hauszins, so ist uns beiden geholfen.
WILHELM.
Du bist gar gut. Es ist mir wahrlich auch manchmal eingefallen, wenn ich zu dir kam und so viel leer stehen sah, und ich muß mich so ängstlich behelfen.—Dann sind wieder andere Sachen—Man muß es eben sein lassen, es geht doch nicht.
FABRICE.
Warum nicht?
WILHELM.
Wenn ich nun heirate?
FABRICE.
Dem wäre zu helfen. Ledig hättest du mit deiner Schwester Platz, und mit einer Frau ging's ebensowohl.
WILHELM (lächelnd).
Und meine Schwester?
FABRICE.
Die nähm' ich allenfalls zu mir.
(Wilhelm ist still.)
Und auch ohne das. Laß uns ein klug Wort reden.—Ich liebe Mariannen; gib mir sie zur Frau!
WILHELM.
Wie?
FABRICE.
Warum nicht? Gib dein Wort! Höre mich, Bruder! Ich liebe Mariannen! Ich hab's lang überlegt: sie allein, du allein, ihr könnt mich so glücklich machen, als ich auf der Welt noch sein kann. Gib mir sie! Gib mir sie!
WILHELM (verworren).
Du weißt nicht, was du willst.
FABRICE.
Ach, wie weiß ich's! Soll ich dir alles erzählen, was mir fehlt und was ich haben werde, wenn sie meine Frau und du mein Schwager werden wirst?
WILHELM
(aus Gedanken auffahrend, hastig).
Nimmermehr! nimmermehr!
FABRICE.
Was hast du?—Mir tut's weh!—Den Abscheu!—Wenn du einen Schwager haben sollst, wie sich's doch früh oder spät macht, warum mich nicht? den du so kennst, den du liebst! Wenigstens glaubt' ich—
WILHELM.
Laß mich!—ich hab' keinen Verstand.
FABRICE.
Ich muß alles sagen. Von dir allein hängt mein Schicksal ab. Ihr Herz ist mir geneigt, das mußt du gemerkt haben. Sie liebt dich mehr, als sie mich liebt; ich bin's zufrieden. Den Mann wird sie mehr als den Bruder lieben; ich werde in deine Rechte treten, du in meine, und wir werden alle vergnügt
sein. Ich habe noch keinen Knoten gesehen, der sich so menschlich schön knüpfte.
(Wilhelm stumm. )
Und was alles fest macht—Bester, gib du nur dein Wort, deine Einwilligung! sag ihr, daß dich's freut, daß dich's glücklich macht!—Ich hab' ihr Wort.
WILHELM.
Ihr Wort?
FABRICE.
Sie warf's hin, wie einen scheidenden Blick, der mehr sagte, als alles Bleiben gesagt hätte. Ihre Verlegenheit und ihre Liebe, ihr Wollen und Zittern, es war so schön!
WILHELM.
Nein! nein!
FABRICE.
Ich versteh' dich nicht. Ich fühle, du hast keinen Widerwillen gegen mich, und bist mir so entgegen? Sei's nicht! Sei ihrem Glücke, sei meinem nicht hinderlich!—Und ich denke immer, du sollst mit uns glücklich sein!—Versag meinen Wünschen dein Wort nicht! dein freundlich Wort!
(Wilhelm stumm in streitenden Qualen.)
Ich begreife dich nicht—
WILHELM.
Sie?—du willst sie haben?
FABRICE.
Was ist das?
WILHELM.
Und sie dich?
FABRICE.
Sie antwortete, wie's einem Mädchen ziemt.
WILHELM.
Geh! geh!—Marianne!—Ich ahnt' es! ich fühlt' es!
FABRICE.
Sag mir nur—
WILHELM.
Was sagen!—Das war's, was mir auf der Seele lag diesen Abend, wie eine Wetterwolke. Es zuckt, es schlägt!—Nimm sie!—Nimm sie!—Mein Einziges—mein Alles!
(Fabrice ihn stumm ansehend.)
Nimm sie!—Und daß du weißt, was du mir nimmst—
(Pause. Er rafft sich zusammen.)
Von Charlotten erzählt' ich dir, dem Engel, der meinen Händen entwich und mir sein Ebenbild, eine Tochter, hinterließ—und diese Tochter—ich habe dich belogen—sie ist nicht tot; diese Tochter ist Marianne!—Marianne ist nicht meine Schwester.
FABRICE.
Darauf war ich nicht vorbereitet.
WILHELM.
Und von dir hätt' ich das fürchten sollen!—Warum folgt' ich meinem Herzen nicht und verschloß dir mein Haus wie jedem in den ersten Tagen, da ich herkam? Dir allein vergönnt' ich einen Zutritt in dies Heiligtum, und du wußtest mich durch Güte, Freundschaft, Unterstützung, scheinbare Kälte gegen die Weiber einzuschläfern. Wie ich dem Schein nach ihr Bruder war, hielt ich dein Gefühl für sie für das wahre brüderliche, und wenn mir ja auch manchmal ein Argwohn kommen wollte, warf ich ihn weg als unedel, schrieb ihre Gutheit für dich auf Rechnung des Engelherzens, das eben alle Welt mit einem liebevollen Blick ansieht.—Und du!—Und sie!—
FABRICE.
Ich mag nichts weiter hören, und zu sagen hab' ich auch nichts. Also adieu! (Ab.)
Personen und Inhalt
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