> Gedichte und Zitate für alle: Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris- 4. Akt 3. Szene

2019-08-10

Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris- 4. Akt 3. Szene

                           
           
 Vierter Akt   
                 
Dritte Szene


IPHIGENIE allein.
   Von dieses Mannes Rede fühl' ich mir
   Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen
   Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke!
   Denn wie die Flut mit schnellen Strömen wachsend
   Die Felsen überspült, die in dem Sand
   Am Ufer liegen: so bedeckte ganz
   Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt
   In meinen Armen das Unmögliche.
   Es schien sich eine Wolke wieder sanft
   Um mich zu legen, von der Erde mich
   Emporzuheben und in jenen Schlummer
   Mich einzuwiegen, den die gute Göttin
   Um meine Schläfe legte, da ihr Arm
   Mich rettend faßte. Meinen Bruder
   Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:
   Ich horchte nur auf seines Freundes Rat
   Nur sie zu retten, drang die Seele vorwärts.
   Und wie den Klippen einer wüsten Insel
   Der Schiffer gern den Rücken wendet: so
   Lag Tauris hinter mir. Nun hat die Stimme
   Des treuen Manns mich wieder aufgeweckt,
   Daß ich auch Menschen hier verlasse, mich
   Erinnert. Doppelt wird mir der Betrug
   Verhaßt. O bleibe ruhig, meine Seele!
   Beginnst du nun zu schwanken und zu zweifeln?
   Den festen Boden deiner Einsamkeit
   Mußt du verlassen! Wieder eingeschifft,
   Ergreifen dich die Wellen schaukelnd, trüb
   Und bang verkennest du die Welt und dich.


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