> Gedichte und Zitate für alle: Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris- 2. Akt 2. Szene

2019-08-10

Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris- 2. Akt 2. Szene

                                  
           
             
Zweiter Akt

Zweite Szene


                                   Iphigenie. Pylades.

IPHIGENIE.
   Woher du seist und kommst, o Fremdling, sprich!
   Mir scheint es, daß ich eher einem Griechen
   Als einem Skythen dich vergleichen soll.

                              
Sie nimmt ihm die Ketten ab.

   Gefährlich ist die Freiheit, die ich gebe;
   Die Götter wenden ab, was euch bedroht!

PYLADES.
   O süße Stimme! Vielwillkommner Ton
   Der Muttersprach' in einem fremden Lande!
   Des väterlichen Hafens blaue Berge
   Seh' ich, Gefangner, neu willkommen wieder
   Vor meinen Augen. Laß dir diese Freude
   Versichern, daß auch ich ein Grieche bin!
   Vergessen hab' ich einen Augenblick,
   Wie sehr ich dein bedarf, und meinen Geist
   Der herrlichen Erscheinung zugewendet.
   O sage, wenn dir ein Verhängnis nicht
   Die Lippe schließt, aus welchem unsrer Stämme
   Du deine göttergleiche Herkunft zählst.

IPHIGENIE.
   Die Priesterin, von ihrer Göttin selbst
   Gewählet und geheiligt, spricht mit dir.
   Das laß dir gnügen; sage, wer du seist,
   Und welch unselig waltendes Geschick
   Mit dem Gefährten dich hierher gebracht.

PYLADES.
   Leicht kann ich dir erzählen, welch ein Übel
   Mit lastender Gesellschaft uns verfolgt.
   O könntest du der Hoffnung frohen Blick
   Uns auch so leicht, du Göttliche, gewähren!
   Aus Kreta sind wir, Söhne des Adrasts:
   Ich bin der jüngste, Cephalus genannt,
   Und er Laodamas, der älteste
   Des Hauses. Zwischen uns stand rauh und wild
   in mittlerer und trennte schon im Spiel
   Der ersten Jugend Einigkeit und Lust.
   Gelassen folgten wir der Mutter Worten,
   Solang' des Vaters Kraft vor Troja stritt;
   Doch als er beutereich zurücke kam
   Und kurz darauf verschied, da trennte bald
   Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister.
   Ich neigte mich zum Ältsten. Er erschlug
   Den Bruder. Um der Blutschuld willen treibt
   Die Furie gewaltig ihn umher.
   Doch diesem wilden Ufer sendet uns
   Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu.
   Im Tempel seiner Schwester hieß er uns
   Der Hilfe segensvolle Hand erwarten.
   Gefangen sind wir und hierher gebracht
   Und dir als Opfer dargestellt. Du weißt's.

IPHIGENIE.
   Fiel Troja? Teurer Mann, versichr' es mir.

PYLADES.
   Es liegt. O sichre du uns Rettung zu!
   Beschleunige die Hilfe, die ein Gott
   Versprach. Erbarme meines Bruders dich.
   O sag' ihm bald ein gutes holdes Wort;
   Doch schone seiner, wenn du mit ihm sprichst,
   Das bitt' ich eifrig: denn es wird gar leicht
   Durch Freud' und Schmerz und durch Erinnerung
   Sein Innerstes ergriffen und zerrüttet.
   Ein fieberhafter Wahnsinn fällt ihn an,
   Und seine schöne freie Seele wird
   Den Furien zum Raube hingegeben.

IPHIGENIE.
   So groß dein Unglück ist, beschwör' ich dich:
   Vergiß es, bis du mir genug getan.

PYLADES.
   Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre
   Dem ganzen Heer der Griechen widerstand,
   Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf.
   Doch manche Gräber unsrer Besten heißen
   Uns an das Ufer der Barbaren denken.
   Achill liegt dort mit seinem schönen Freunde.

IPHIGENIE.
   So seid ihr Götterbilder auch zu Staub!

PYLADES.
   Auch Palamedes, Ajax Telamons,
   Sie sahn des Vaterlandes Tag nicht wieder.

IPHIGENIE.
   Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht
   Mit den Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch!
   Ich werd' ihn sehn. O hoffe, liebes Herz!

PYLADES.
   Doch selig sind die Tausende, die starben
   Den bittersüßen Tod von Feindes Hand!
   Denn wüste Schrecken und ein traurig Ende
   Hat den Rückkehrenden statt des Triumphs
   Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet.
   Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch?
   So weit sie reicht, trägt sie den Ruf umher
   Von unerhörten Taten, die geschahn.
   So ist der Jammer, der Mycenens Hallen
   Mit immer wiederholten Seufzern füllt,
   Dir ein Geheimnis? Klytämnestra hat
   Mit Hilf' Ägisthens den Gemahl berückt,
   Am Tage seiner Rückkehr ihn ermordet!
   Ja, du verehrest dieses Königs Haus!
   Ich seh' es, deine Brust bekämpft vergebens
   Das unerwartet ungeheure Wort.
   Bist du die Tochter eines Freundes? bist
   Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?
   Verbirg es nicht und rechne mir's nicht zu,
   Daß ich der erste diese Greuel melde.

IPHIGENIE.
   Sag' an, wie ward die schwere Tat vollbracht?

PYLADES.
   Am Tage seiner Ankunft, da der König,
   Vom Bad erquickt und ruhig, sein Gewand
   Aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg,
   Warf die Verderbliche ein faltenreich
   Und künstlich sich verwirrendes Gewebe
   Ihm auf die Schultern, um das edle Haupt;
   Und da er wie von einem Netze sich
   Vergebens zu entwickeln strebte, schlug
   Ägisth ihn, der Verräter, und verhüllt
   Ging zu den Toten dieser große Fürst.

IPHIGENIE.
   Und welchen Lohn erhielt der Mitverschworne?

PYLADES.
   Ein Reich und Bette, das er schon besaß.

IPHIGENIE.
   So trieb zur Schandtat eine böse Lust?

PYLADES.
   Und einer alten Rache tief Gefühl.

IPHIGENIE.
   Und wie beleidigte der König sie?

PYLADES.
   Mit schwerer Tat, die, wenn Entschuldigung
   Des Mordes wäre, sie entschuldigte.
   Nach Aulis lockt' er sie und brachte dort,
   Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt
   Mit ungestümen Winden widersetzte,
   Die ältste Tochter, Iphigenien,
   Vor den Altar Dianens, und sie fiel,
   Ein blutig Opfer, für der Griechen Heil.
   Dies, sagt man, hat ihr einen Widerwillen
   So tief ins Herz geprägt, daß sie dem Werben
   Ägisthens sich ergab und den Gemahl
   Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang.

IPHIGENIE sich verhüllend.
   Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn.

PYLADES allein.
   Von dem Geschick des Königshauses scheint
   Sie tief gerührt. Wer sie auch immer sei,
   So hat sie selbst den König wohl gekannt
   Und ist, zu unserm Glück, aus hohem Hause
   Hierher verkauft. Nur stille, liebes Herz,
   Und laß dem Stern der Hoffnung, der uns blinkt,
   Mit frohem Mut uns klug entgegen steuern.


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