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2019-08-18

Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 1. Akt 3. Szene





                     
Dritter Auftritt

                      
Die Vorigen. Tasso.

TASSO mit einem Buche in Pergament geheftet.
  Ich komme langsam dir ein Werk zu bringen,
  Und zaudre noch es dir zu überreichen.
  Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet,
  Wenn es auch gleich geendigt scheinen möchte.
  Allein, war ich besorgt es unvollkommen
  Dir hinzugeben, so bezwingt mich nun
  Die neue Sorge: Möcht ich doch nicht gern
  Zu ängstlich, möcht ich nicht undankbar scheinen.
  Und wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich!
  Daß Freunde seiner schonend sich erfreuen:
  So kann ich auch nur sagen: Nimm es hin!
                       
Er übergibt den Band.

ALFONS. 
  Du überraschest mich mit deiner Gabe
  Und machst mir diesen schönen Tag zum Fest.
  So halt ich's endlich denn in meinen Händen,
  Und nenn es in gewissem Sinne mein!
  Lang wünscht ich schon, du möchtest dich entschließen
  Und endlich sagen: Hier! es ist genug.

TASSO. 
   Wenn ihr zufrieden seid, so ist's vollkommen;
   Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.
   Betrachtet ich den Fleiß den ich verwendet,
   Sah ich die Züge meiner Feder an,
   So konnt ich sagen: dieses Werk ist mein.
   Doch seh ich näher an, was dieser Dichtung
   Den innren Wert und ihre Würde gibt,
   Erkenn ich wohl, ich hab es nur von euch.
   Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe
   Aus reicher Willkür freundlich mir geschenkt,
   So hatte mich das eigensinnge Glück
   Mit grimmiger Gewalt von sich gestoßen;
   Und zog die schöne Welt den Blick des Knaben
   Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an,
   So trübte bald den jugendlichen Sinn
   Der teuren Eltern unverdiente Not.
   Eröffnete die Lippe sich zu singen,
   So floß ein traurig Lied von ihr herab,
   Und ich begleitete mit leisen Tönen
   Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual.
   Du warst allein der aus dem engen Leben
   Zu einer schönen Freiheit mich erhob;
   Der jede Sorge mir vom Haupte nahm,
   Mir Freiheit gab, daß meine Seele sich
   Zu mutigem Gesang entfalten konnte;
   Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält,
   Euch dank ich ihn, denn e u c h  gehört es zu.

ALFONS. 
   Zum zweitenmal verdienst du jedes Lob
   Und ehrst bescheiden dich und uns zugleich.

TASSO. 
   O könnt ich sagen wie ich lebhaft fühle
   Daß ich von e u c h  nur habe was ich bringe!
   Der tatenlose Jüngling nahm er wohl
   Die Dichtung aus sich selbst? Die kluge Leitung
   Des raschen Krieges hat er die ersonnen?
   Die Kunst der Waffen, die ein jeder Held
   An dem beschiednen Tage kräftig zeigt,
   Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Mut
   Und wie sich List und Wachsamkeit bekämpft,
   Hast du mir nicht, o kluger tapfrer Fürst,
   Das alles eingeflößt als wärest du
   Mein Genius, der eine Freude fände
   Sein hohes, unerreichbar hohes Wesen
   Durch einen Sterblichen zu offenbaren?

PRINZESSIN. 
   Genieße nun des Werks das uns erfreut!

ALFONS. 
   Erfreue dich des Beifalls jedes Guten.

LEONORE. 
   Des allgemeinen Ruhms erfreue dich.

TASSO. 
   Mir ist an diesem Augenblick genug.
   An euch nur dacht ich wenn ich sann und schrieb,
   Euch zu gefallen war mein höchster Wunsch,
   Euch zu ergötzen war mein letzter Zweck.
   Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht
   Verdient nicht daß die Welt von ihm erfahre.
   Hier ist mein Vaterland, hier ist der Kreis
   In dem sich meine Seele gern verweilt.
   Hier horch ich auf, hier acht ich jeden Wink.
   Hier spricht Erfahrung, Wissenschaft, Geschmack,
   Ja, Welt und Nachwelt seh ich vor mir stehn.
   Die Menge macht den Künstler irr und scheu:
   Nur wer e u c h  ähnlich ist, versteht und fühlt,
   Nur der allein soll richten und belohnen!

ALFONS. 
   Und stellen wir denn Welt und Nachwelt vor,
   So ziemt es nicht nur müßig zu empfangen.
   Das schöne Zeichen, das den Dichter ehrt,
   Das selbst der Held, der seiner stets bedarf,
   Ihm ohne Neid ums Haupt gewunden sieht,
   Erblick ich hier auf deines Ahnherrn Stirne.
                   
Auf die Herme Virgils deutend.

   Hat es der Zufall, hat's ein Genius
   Geflochten und gebracht? Es zeigt sich hier
   Uns nicht umsonst. Virgilen hör ich sagen:
   Was ehret ihr die Toten? Hatten die
   Doch ihren Lohn und Freude da sie lebten;
   Und wenn ihr uns bewundert und verehrt,
   So gebt auch den Lebendigen ihr Teil.
   Mein Marmorbild ist schon bekränzt genug,
   Der grüne Zweig gehört dem Leben an.
  
Alfons winkt seiner Schwester, sie nimmt den Kranz von der Büste
Virgils und nähert sich Tasso. Er tritt zurück.

LEONORE. 
   Du weigerst dich? Sieh welche Hand den Kranz,
   Den schönen unverwelklichen, dir bietet!

TASSO. 
   O laßt mich zögern, seh ich doch nicht ein
   Wie ich nach dieser Stunde leben soll.

ALFONS. 
   In dem Genuß des herrlichen Besitzes,
   Der dich im ersten Augenblick erschreckt.

PRINZESSIN 

indem sie den Kranz in die Höhe hält. 

   Du gönnest mir die seltne Freude, Tasso,
   Dir ohne Wort zu sagen wie ich denke.

TASSO. 
   Die schöne Last aus deinen teuren Händen
   Empfang ich knieend auf mein schwaches Haupt.
       
Er kniet nieder, die Prinzessin setzt ihm den Kranz auf.

LEONORE

   Es lebe der zum erstenmal Bekränzte!
   Wie zieret den bescheidnen Mann der Kranz!
                           
Tasso steht auf.

ALFONS. 
   Es ist ein Vorbild nur von jener Krone,
   Die auf dem Kapitol dich zieren soll.

PRINZESSIN. 
   Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen,
   Mit leiser Lippe lohnt die Freundschaft hier.

TASSO. 
   O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,
   Nehmt ihn hinweg! Er sengt mir meine Locken!
   Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß
   Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft
   Des Denkens aus der Stirne. Fieberhitze
   Bewegt mein Blut. Verzeiht! Es ist zu viel!

LEONORE. 
   Es schützet dieser Zweig vielmehr das Haupt
   Des Manns, der in den heißen Regionen
   Des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die Stirne.

TASSO. 
   Ich bin nicht wert die Kühlung zu empfinden,
   Die nur um Heldenstirnen wehen soll.
   O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt
   Ihn zwischen Wolken, daß er hoch und höher
   Und unerreichbar schwebe! daß mein Leben
   Nach diesem Ziel ein ewig Wandeln sei!

ALFONS. 
   Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen Wert
   Der holden Güter dieses Lebens schätzen;
   Wer früh genießt, entbehrt in seinem Leben
   Mit Willen nicht was er einmal besaß;
   Und wer besitzt, der, muß gerüstet sein.

TASSO. 
   Und wer sich rüsten will, muß eine Kraft
   Im Busen fühlen die ihm nie versagt.
   Ach! sie versagt mir eben jetzt! Im Glück
   Verläßt sie mich, die angeborne Kraft,
   Die standhaft mich dem Unglück, stolz dem Unrecht
   Begegnen lehrte. Hat die Freude mir,
   Hat das Entzücken dieses Augenblicks
   Das Mark in meinen Gliedern aufgelöst?
   Es sinken meine Knie! Noch einmal
   Siehst du, o Fürstin, mich gebeugt vor dir!
   Erhöre meine Bitte; nimm ihn weg!
   Daß wie aus einem schönen Traum erwacht
   Ich ein erquicktes neues Leben fühle.

PRINZESSIN. 
   Wenn du bescheiden ruhig das Talent,
   Das dir die Götter gaben, tragen kannst,
   So lern auch diese Zweige tragen, die
   Das Schönste sind was wir dir geben können.
   Wem einmal, würdig, sie das Haupt berührt,
   Dem schweben sie auf ewig um die Stirne.

TASSO.
   So laßt mich denn beschämt von hinnen gehn!
   Laßt mich mein Glück im tiefen Hain verbergen,
   Wie ich sonst meine Schmerzen dort verbarg.
   Dort will ich einsam wandeln, dort erinnert
   Kein Auge mich ans unverdiente Glück.
   Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen
   In seinem reinen Spiegel einen Mann,
   Der wunderbar bekränzt im Widerschein
   Des Himmels zwischen Bäumen, zwischen Felsen
   Nachdenkend ruht: so scheint es mir, ich sehe
   Elysium auf dieser Zauberfläche
   Gebildet. Still bedenk ich mich und frage,
   Wer mag der Abgeschiedne sein? Der Jüngling
   Aus der vergangnen Zeit? So schön bekränzt?
   Wer sagt mir seinen Namen? Sein Verdienst?
   Ich warte lang und denke: käme doch
   Ein andrer und noch einer, sich zu ihm
   In freundlichem Gespräche zu gesellen!
   O säh ich die Heroen, die Poeten
   Der alten Zeit um diesen Quell versammelt!
   O säh ich hier sie immer unzertrennlich,
   Wie sie im Leben fest verbunden waren!
   So bindet der Magnet durch seine Kraft
   Das Eisen mit dem Eisen fest zusammen,
   Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet.
   Homer vergaß sich selbst, sein ganzes Leben
   War der Betrachtung zweier Männer heilig,
   Und Alexander in Elysium
   Eilt den Achill und den Homer zu suchen.
   O daß ich gegenwärtig wäre, sie
   Die größten Seelen nun vereint zu sehen!

LEONORE. 
   Erwach! Erwache! Laß uns nicht empfinden
   Daß du das Gegenwärtge ganz verkennst.

TASSO. 
   Es ist die Gegenwart die mich erhöht,
   Abwesend schein ich nur, ich bin entzückt.

PRINZESSIN. 
   Ich freue mich, wenn du mit Geistern redest,
   Daß du so menschlich sprichst und hör es gern.
      
Ein Page tritt zu dem Fürsten und richtet leise etwas aus.

ALFONS. 
   Er ist gekommen! recht zur guten Stunde.
   Antonio! Bring ihn her Da kommt er schon!
                                                                  



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