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2019-08-18

Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 2. Akt 4. Szene


                    

                         
Vierter Auftritt
                 
 Alfons. Die Vorigen.

ALFONS. 
   In welchem Streit treff ich euch unerwartet?

ANTONIO. 
   Du findest mich, o Fürst, gelassen stehn
   Vor einem, den die Wut ergriffen hat.

TASSO. 
   Ich bete dich als eine Gottheit an,
   Daß du mit einem Blick mich warnend bändigst.

ALFONS. 
   Erzähl, Antonio, Tasso, sag mir an,
   Wie hat der Zwist sich in mein Haus gedrungen?
   Wie hat er euch ergriffen, von der Bahn
   Der Sitten, der Gesetze kluge Männer
   Im Taumel weggerissen? Ich erstaune.

TASSO. 
   Du kennst uns beide nicht, ich glaub es wohl.
   Hier dieser Mann, berühmt als klug und sittlich,
   Hat roh und hämisch wie ein unerzogner,
   Unedler Mensch sich gegen mich betragen.
   Zutraulich naht ich ihm, er stieß mich weg;
   Beharrlich liebend drang ich mich zu ihm,
   Und bitter immer bittrer ruht' er nicht,
   Bis er den reinsten Tropfen Bluts in mir
   Zu Galle wandelte. Verzeih! Du hast mich hier
   Als einen Wütenden getroffen. Dieser
   Hat alle Schuld, wenn ich mich schuldig machte.
   Er hat die Glut gewaltsam angefacht,
   Die mich ergriff und mich und ihn verletzte.

ANTONIO. 
   Ihn riß der hohe Dichterschwung hinweg!
   Du hast, o Fürst, zuerst mich angeredet,
   Hast mich gefragt: es sei mir nun erlaubt,
  Nach diesem raschen Redner auch zu sprechen.

TASSO. 
   O ja, erzähl, erzähl von Wort zu Wort,
   Und kannst du jede Silbe, jede Miene
   Vor diesen Richter stellen, wag es nur!
   Beleidige dich selbst zum zweiten Male
   Und zeuge wider dich! dagegen will
   Ich keinen Hauch und keinen Pulsschlag leugnen.

ANTONIO. 
   Wenn du noch mehr zu reden hast, so sprich:
   Wo nicht, so schweig und unterbrich mich nicht.
   Ob ich, mein Fürst, ob dieser heiße Kopf
   Den Streit zuerst begonnen? wer es sei,
   Der unrecht hat? ist eine weite Frage,
   Die wohl zuvörderst noch auf sich beruht.

TASSO. 
   Wie das? Mich dünkt, das ist die erste Frage,
   Wer von uns beiden recht und unrecht hat.

ANTONIO. 
   Nicht ganz, wie sich's der unbegrenzte Sinn
   Gedenken mag. 

ALFONS.    Antonio!

ANTONIO. 
   Gnädigster,
   Ich ehre deinen Wink, doch laß ihn schweigen;
   Hab ich gesprochen, mag er weiter reden:
   Du wirst entscheiden. Also sag ich nur:
   Ich kann mit ihm nicht rechten, kann ihn weder
   Verklagen, noch mich selbst verteidgen, noch
   Ihm jetzt genug zu tun mich anerbieten.
   Denn wie er steht, ist er kein freier Mann.
   Es waltet über ihm ein schwer Gesetz,
   Das deine Gnade höchstens lindern wird.
   Er hat mir hier gedroht, hat mich gefordert;
   Vor dir verbarg er kaum das nackte Schwert.
   Und tratst du, Herr, nicht zwischen uns herein,
   So stünde jetzt auch ich als pflichtvergessen,
   Mitschuldig und beschämt vor deinem Blick.

ALFONS zu Tasso. 
   Du hast nicht wohl getan. 

TASSO. 
   Mich spricht, o Herr
   Mein eigen Herz, gewiß auch deines frei.
   Ja, es ist wahr, ich drohte, forderte,
   Ich zog. Allein, wie tückisch seine Zunge
   Mit wohlgewählten Worten mich verletzt,
   Wie scharf und schnell sein Zahn das feine Gift
   Mir in das Blut geflößt, wie er das Fieber
   Nur mehr und mehr erhitzt du denkst es nicht!
   Gelassen, kalt, hat er mich ausgehalten,
   Aufs höchste mich getrieben. O! du kennst,
   Du kennst ihn nicht und wirst ihn niemals kennen!
   Ich trug ihm warm die schönste Freundschaft an;
   Er warf mir meine Gaben vor die Füße,
   Und hätte meine Seele nicht geglüht,
   So war sie deiner Gnade, deines Dienstes
   Auf ewig unwert. Hab ich des Gesetzes
   Und dieses Orts vergessen, so verzeih.
   Auf keinem Boden darf ich niedrig sein,
   Erniedrigung auf keinem Boden dulden.
   Wenn dieses Herz, es sei auch wo es will,
   Dir fehlt und sich, dann strafe, dann verstoße
   Und laß mich nie dein Auge wieder sehn.

ANTONIO. 
   Wie leicht der Jüngling schwere Lasten trägt
   Und Fehler wie den Staub vom Kleide schüttelt!
   Es wäre zu verwundern, wenn die Zauberkraft
   Der Dichtung nicht bekannter wäre, die
   Mit dem Ohnmöglichen so gern ihr Spiel
   Zu treiben liebt. Ob du auch so, mein Fürst,
   Ob alle deine Diener diese Tat
   So unbedeutend halten, zweifl ich fast.
   Die Majestät verbreitet ihren Schutz
   Auf jeden, der sich ihr wie einer Gottheit
   Und ihrer unverletzten Wohnung naht.
   Wie an dem Fuße des Altars, bezähmt
   Sich auf der Schwelle jede Leidenschaft.
   Da blinkt kein Schwert, da fällt kein drohend Wort,
   Da fordert selbst Beleidgung keine Rache.
   Es bleibt das weite Feld ein offner Raum
   Für Grimm und Unversöhnlichkeit genug.
   Dort wird kein Feiger drohn, kein Mann wird fliehn.
   Hier diese Mauern haben deine Väter
   Auf Sicherheit gegründet, ihrer Würde
   Ein Heiligtum befestigt, diese Ruhe
   Mit schweren Strafen ernst und klug erhalten;
   Verbannung, Kerker, Tod ergriff den Schuldigen.
   Da war kein Ansehn der Person, es hielt
   Die Milde nicht den Arm des Rechts zurück;
   Und selbst der Frevler fühlte sich geschreckt.
   Nun sehen wir nach langem schönem Frieden
   In das Gebiet der Sitten rohe Wut
   Im Taumel wiederkehren. Herr, entscheide,
   Bestrafe! denn wer kann in seiner Pflicht
   Beschränkten Grenzen wandeln, schützet ihn
   Nicht das Gesetz und seines Fürsten Kraft?

ALFONS. 
   Mehr als ihr beide sagt und sagen könnt,
   Läßt unparteiisch das Gemüt mich hören.
   Ihr hättet schöner eure Pflicht getan,
   Wenn ich dies Urteil nicht zu sprechen hätte.
   Denn hier sind Recht und Unrecht nah verwandt.
   Wenn dich Antonio beleidigt hat,
   So hat er dir auf irgend eine Weise
   Genugzutun, wie du es fordern wirst.
   Mir wär es lieb, ihr wähltet mich zum Austrag.
   Indessen, dein Vergehen macht, o Tasso,
   Dich zum Gefangnen. Wie ich dir vergebe:
   So lindr ich das Gesetz um deinetwillen.
   Verlaß uns, Tasso! bleib auf deinem Zimmer,
   Von dir und mit dir selbst allein bewacht.

TASSO. 
   Ist dies, o Fürst, dein richterlicher Spruch?

ANTONIO. 
   Erkennest du des Vaters Milde nicht?

TASSO zu Antonio. 
   Mit dir hab ich vorerst nichts mehr zu reden.
                              
Zu Alfons.

   O Fürst, es übergibt dein ernstes Wort
   Mich Freien der Gefangenschaft. Es sei!
   Du hältst es Recht. Dein heilig Wort verehrend,
   Heiß ich mein innres Herz im tiefsten schweigen.
   Es ist mir neu, so neu, daß ich fast dich
   Und mich und diesen schönen Ort nicht kenne.
   Doch diesen kenn ich wohl Gehorchen will ich,
   Ob ich gleich hier noch manches sagen könnte,
   Und sagen sollte. Mir verstummt die Lippe.
   War's ein Verbrechen? Wenigstens es scheint,
   Ich bin als ein Verbrecher angesehn.
   Und, was mein Herz auch sagt, ich bin gefangen.

ALFONS. 
   Du nimmst es höher, Tasso, als ich selbst.

TASSO. 
   Mir bleibt es unbegreiflich wie es ist;
   Zwar unbegreiflich nicht, ich bin kein Kind;
   Ich meine fast, ich müßt es denken können.
   Auf einmal winkt mich eine Klarheit an,
   Doch augenblicklich schließt sich's wieder zu,
   Ich höre nur mein Urteil, beuge mich.
   Das sind zu viel vergebne Worte schon!
   Gewöhne dich von nun an zu gehorchen,
   Ohnmächtger! du vergaßest wo du standst;
   Der Götter Saal schien dir auf gleicher Erde,
   Nun überwältigt dich der jähe Fall.
   Gehorche gern, denn es geziemt dem Manne
   Auch willig das Beschwerliche zu tun.
   Hier nimm den Degen erst, den du mir gabst,
   Als ich dem Kardinal nach Frankreich folgte,
   Ich führt ihn nicht mit Ruhm, doch nicht mit Schande,
   Auch heute nicht. Der hoffnungsvollen Gabe
   Entäußr ich mich mit tiefgerührtem Herzen.

ALFONS. 
   Wie ich zu dir gesinnt bin fühlst du nicht.

TASSO. 
   Gehorchen ist mein Los und nicht zu denken!
   Und leider eines herrlichern Geschenks
   Verleugnung fordert das Geschick von mir.
   Die Krone kleidet den Gefangnen nicht:
   Ich nehme selbst von meinem Haupt die Zierde,
   Die für die Ewigkeit gegönnt mir schien.
   Zu früh war mir das schönste Glück verliehen,
   Und wird, als hätt ich sein mich überhoben,
   Mir nur zu bald geraubt.
   Du nimmst dir selbst, was keiner nehmen konnte
   Und was kein Gott zum zweiten Male gibt.
   Wir Menschen werden wunderbar geprüft;
   Wir könnten's nicht ertragen, hätt uns nicht
   Den holden Leichtsinn die Natur verliehn.
   Mit unschätzbaren Gütern lehret uns
   Verschwenderisch die Not gelassen spielen:
   Wir öffnen willig unsre Hände, daß
   Unwiederbringlich uns ein Gut entschlüpfe.
   Mit diesem Kuß vereint sich eine Träne
   Und weiht dich der Vergänglichkeit! es ist
   Erlaubt das holde Zeichen unsrer Schwäche.
   Wer weinte nicht, wenn das Unsterbliche
   Vor der Zerstörung selbst nicht sicher ist?
   Geselle dich zu diesem Degen, der
   Dich leider nicht erwarb, um ihn geschlungen
   Ruhe, wie auf dem Sarg der Tapfern, auf
   Dem Grabe meines Glücks und meiner Hoffnung!
   Hier leg ich beide willig dir zu Füßen;
   Denn wer ist wohl gewaffnet, wenn du zürnst?
   Und wer geschmückt, o Herr, den du verkennst?
   Gefangen geh ich, warte des Gerichts.


Auf des Fürsten Wink hebt ein Page den Degen mit dem Kranze auf                      
und trägt ihn weg. 
                                                         



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