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2019-08-18

Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 1. Akt 1. Szene



    
                     
Erster Aufzug
                       
Erster Auftritt

Gartenplatz, mit Hermen der epischen Dichter geziert. Vorn an der  Szene zur Rechten Virgil, zur Linken Ariost. Prinzessin. Leonore.

PRINZESSIN. 
  Du siehst mich lächelnd an, Eleonore,
  Und siehst dich selber an und lächelst wieder.
  Was hast du? Laß es eine Freundin wissen!
  Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt.

LEONORE. 
  Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen seh ich
  Uns beide hier so ländlich ausgeschmückt.
  Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen
  Und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt.
  Wir winden Kränze. Dieser, bunt von Blumen,
  Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand,
  Du hast mit höherm Sinn und größrem Herzen
  Den zarten schlanken Lorbeer dir gewählt.

PRINZESSIN. 
  Die Zweige, die ich in Gedanken flocht,
  Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden,
  Ich setze sie Virgilen dankbar auf.

Sie kränzt die Herme Virgils.

LEONORE. 
  So drück ich meinen vollen frohen Kranz
  Dem Meister Ludwig auf die hohe Stirne

Sie kränzt Ariostens Herme.

  Er, dessen Scherze nie verblühen, habe
  Gleich von dem neuen Frühling seinen Teil.

PRINZESSIN. 
  Mein Bruder ist gefällig, daß er uns
  In diesen Tagen schon aufs Land gebracht,
  Wir können unser sein und stundenlang
  Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.
  Ich liebe Belriguardo, denn ich habe
  Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,
  Und dieses neue Grün und diese Sonne
  Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.

LEONORE. 
  Ja es umgibt uns eine neue Welt!
  Der Schatten dieser immergrünen Bäume
  Wird schon erfreulich. Schon erquickt uns wieder
  Das Rauschen dieser Brunnen, schwankend wiegen
  Im Morgenwinde sich die jungen Zweige.
  Die Blumen von den Beeten schauen uns
  Mit ihren Kinderaugen freundlich an.
  Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus
  Schon der Zitronen und Orangen ab,
  Der blaue Himmel ruhet über uns
  Und an dem Horizonte löst der Schnee
  Der fernen Berge sich in leisen Duft.

PRINZESSIN. 
   Es wäre mir der Frühling sehr willkommen
   Wenn er nicht meine Freundin mir entführte.

LEONORE. 
   Erinnre mich in diesen holden Stunden,
   O Fürstin, nicht wie bald ich scheiden soll.

PRINZESSIN. 
   Was du verlassen magst, das findest du
   In jener großen Stadt gedoppelt wieder.

LEONORE. 
   Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich
   Zu dem Gemahl der mich so lang entbehrt.
   Ich bring ihm seinen Sohn, der dieses Jahr
   So schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet,
   Und teile seine väterliche Freude.
   Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert
   Von allen seinen aufgehäuften Schätzen
   Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.
   Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,
   Ferrara ward durch seine Fürsten groß.

PRINZESSIN. 
   Mehr durch die guten Menschen, die sich hier
   Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.

LEONORE. 
   Sehr leicht zerstreut der Zufall was er sammelt
   Ein edler Mensch zieht edle Menschen an
   Und weiß sie fest zu halten, wie ihr tut.
   Um deinen Bruder und um dich verbinden
   Gemüter sich, die eurer würdig sind,
   Und ihr seid eurer großen Väter wert.
   Hier zündete sich froh das schöne Licht
   Der Wissenschaft, des freien Denkens an,
   Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung
   Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind
   Der Name Herkules von Este schon,
   Schon Hyppolit von Este voll ins Ohr.
   Ferrara ward mit Rom und mit Florenz
   Von meinem Vater viel gepriesen! Oft
   Hab ich mich hingesehnt; nun bin ich da.
   Hier ward Petrarch bewirtet, hier gepflegt,
   Und Ariost fand seine Muster hier.
   Italien nennt keinen großen Namen,
   Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt.
   Und es ist vorteilhaft den Genius
   Bewirten: gibst du ihm ein Gastgeschenk,
   So läßt er dir ein schöneres zurück.
   Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
   Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
   Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.

PRINZESSIN. 
   Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du.
   Gar oft beneid ich dich um dieses Glück.

LEONORE. 
   Das du, wie wenig andre, still und rein
   Genießest. Drängt mich doch das volle Herz
   Sogleich zu sagen was ich lebhaft fühle,
   Du fühlst es besser, fühlst es tief und schweigst.
   Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks,
   Der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei
   Schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr:
   Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack,
   Dein Urteil grad, stets ist dein Anteil groß
   Am Großen, das du wie dich selbst erkennst.

PRINZESSIN. 
   Du solltest dieser höchsten Schmeichelei
   Nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen.

LEONORE. 
   Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein
   Den ganzen Umfang deines Werts erkennen.
   Und laß mich der Gelegenheit, dem Glück
   Auch seinen Teil an deiner Bildung geben,
   Du hast sie doch, und bist's am Ende doch,
   Und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt
   Vor allen großen Frauen eurer Zeit.

PRINZESSIN. 
   Mich kann das, Leonore, wenig rühren,
   Wenn ich bedenke wie man wenig ist,
   Und was man ist, das blieb man andern schuldig.
   Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten,
   Was uns die Vorwelt ließ, dank ich der Mutter;
   Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn
   Ihr keine beider Töchter jemals gleich;
   Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen,
   So hat Lucretia gewiß das Recht.
   Auch kann ich dir versichern hab ich nie
   Als Rang und als Besitz betrachtet, was
   Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.
   Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,
   Daß ich verstehen kann wie sie es meinen.
   Es sei ein Urteil über einen Mann
   Der alten Zeit und seiner Taten Wert;
   Es sei von einer Wissenschaft die Rede,
   Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,
   Dem Menschen nutzt indem sie ihn erhebt;
   Wohin sich das Gespräch der Edlen lenkt,
   Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.
   Ich höre gern dem Streit der Klugen zu,
   Wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust
   So freundlich und so fürchterlich bewegen,
   Mit Grazie die Rednerlippe spielt;
   Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms,
   Des ausgebreiteten Besitzes Stoff
   Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit,
   Von einem klugen Manne zart entwickelt,
   Statt uns zu hintergehen uns belehrt.

LEONORE. 
   Und dann nach dieser ernsten Unterhaltung
   Ruht unser Ohr und unser innrer Sinn
   Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus,
   Der uns die letzten lieblichsten Gefühle
   Mit holden Tönen in die Seele flößt.
   Dein hoher Geist umfaßt ein weites Reich,
   Ich halte mich am liebsten auf der Insel
   Der Poesie in Lorbeerhainen auf.

PRINZESSIN. 
   In diesem schönen Lande, hat man mir
   Versichern wollen, wächst vor andern Bäumen
   Die Myrte gern. Und wenn der Musen gleich
   Gar viele sind, so sucht man unter ihnen
   Sich seltner eine Freundin und Gespielin,
   Als man dem Dichter gern begegnen mag,
   Der uns zu meiden, ja zu fliehen scheint,
   Etwas zu suchen scheint das wir nicht kennen,
   Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt.
   Da wär es denn ganz artig, wenn er uns
   Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt
   Uns für den Schatz erkennte, den er lang
   Vergebens in der weiten Welt gesucht.

LEONORE. 
   Ich muß mir deinen Scherz gefallen lassen,
   Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief.
   Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst
   Und ich bin gegen Tasso nur gerecht.
   Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum;
   Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
   Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,
   Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:
   Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,
   Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
   Oft adelt er was uns gemein erschien,
   Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.
   In diesem eignen Zauberkreise wandelt
   Der wunderbare Mann und zieht uns an
   Mit ihm zu wandeln, teil an ihm zu nehmen:
   Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern;
   Er scheint uns anzusehn, und Geister mögen
   An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

PRINZESSIN. 
   Du hast den Dichter fein und zart geschildert
   Der in den Reichen süßer Träume schwebt.
   Allein mir scheint auch ihn das Wirkliche
   Gewaltsam anzuziehn und fest zu halten.
   Die schönen Lieder, die an unsern Bäumen
   Wir hin und wieder angeheftet finden,
   Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hesperien
   Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle
   Für holde Früchte einer wahren Liebe?

LEONORE. 
   Ich freue mich der schönen Blätter auch.
   Mit mannigfaltgem Geist verherrlicht er
   Ein einzig Bild in allen seinen Reimen.
   Bald hebt er es in lichter Glorie
   Zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend
   Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;
   Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach
   Und jede Blume windet er zum Kranz.
   Entfernt sich die Verehrte, heiligt er
   Den Pfad, den leis ihr schöner Fuß betrat.
   Versteckt im Busche gleich der Nachtigall
   Füllt er aus einem liebekranken Busen
   Mit seiner Klagen Wohllaut Hain und Luft:
   Sein reizend Leid, die selge Schwermut lockt
   Ein jedes Ohr und jedes Herz muß nach

PRINZESSIN. 
   Und wenn er seinen Gegenstand benennt
   So gibt er ihm den Namen Leonore.

LEONORE. 
   Es ist dein Name wie es meiner ist.
   Ich nähm es übel wenn's ein andrer wäre.
   Mich freut es daß er sein Gefühl für dich
   In diesem Doppelsinn verbergen kann.
   Ich bin zufrieden daß er meiner auch
   Bei dieses Namens holdem Klang gedenkt.
   Hier ist die Frage nicht von einer Liebe,
   Die sich des Gegenstands bemeistern will,
   Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig
   Den Anblick jedem andern wehren möchte.
   Wenn er in seliger Betrachtung sich
   Mit deinem Wert beschäftigt, mag er auch
   An meinem leichtern Wesen sich erfreun.
   Uns liebt er nicht, verzeih daß ich es sage!
   Aus allen Sphären trägt er was er liebt
   Auf einen Namen nieder den wir führen,
   Und sein Gefühl teilt er uns mit; wir scheinen
   Den Mann zu lieben, und wir lieben nur
   Mit ihm das Höchste was wir lieben können.

PRINZESSIN. 
   Du hast dich sehr in diese Wissenschaft
   Vertieft, Eleonore, sagst mir Dinge,
   Die mir beinahe nur das Ohr berühren
   Und in die Seele kaum noch übergehn.

LEONORE. 
   Du? Schülerin des Plato! nicht begreifen?
   Was dir ein Neuling vorzuschwatzen wagt.
   Es müßte sein daß ich zu sehr mich irrte,
   Doch irr ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl.
   Die Liebe zeigt in dieser holden Schule
   Sich nicht, wie sonst, als ein verwöhntes Kind:
   Es ist der Jüngling der mit Psychen sich
   Vermählte, der im Rat der Götter Sitz
   Und Stimme hat. Er tobt nicht frevelhaft
   Von einer Brust zur andern hin und her;
   Er heftet sich an Schönheit und Gestalt
   Nicht gleich mit süßem Irrtum fest, und büßet
   Nicht schnellen Rausch mit Ekel und Verdruß.

PRINZESSIN. 
   Da kommt mein Bruder, laß uns nicht verraten
   Wohin sich wieder das Gespräch gelenkt.
   Wir würden seinen Scherz zu tragen haben,
   Wie unsre Kleidung seinen Spott erfuhr.
                                                            



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