> Gedichte und Zitate für alle: Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 2. Akt 1. Szene

2019-08-18

Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 2. Akt 1. Szene


                     
Zweiter Aufzug
                       
 Erster Auftritt
                             
Saal.                     
Prinzessin. Tasso.

TASSO. 
  Unsicher folgen meine Schritte dir,
  O Fürstin, und Gedanken ohne Maß
  Und Ordnung regen sich in meiner Seele.
  Mir scheint die Einsamkeit zu winken, mich
  Gefällig anzulispeln: komm, ich löse
  Die neu erregten Zweifel deiner Brust.
  Doch werf ich einen Blick auf dich, vernimmt
  Mein horchend Ohr ein Wort von deiner Lippe,
  So wird ein neuer Tag um mich herum
  Und alle Bande fallen von mir los.
  Ich will dir gern gestehn, es hat der Mann,
  Der unerwartet zu uns trat, nicht sanft
  Aus einem schönen Traum mich aufgeweckt;
  Sein Wesen, seine Worte haben mich
  So wunderbar getroffen, daß ich mehr
  Als je mich doppelt fühle, mit mir selbst
  Aufs neu in streitender Verwirrung bin.

PRINZESSIN. 
   Es ist unmöglich, daß ein alter Freund,
   Der lang entfernt ein fremdes Leben führte,
   Im Augenblick da er uns wiedersieht
   Sich wieder gleich wie ehmals finden soll.
   Er ist in seinem Innern nicht verändert;
   Laß uns mit ihm nur wenig Tage leben,
   So stimmen sich die Saiten hin und wider,
   Bis glücklich eine schöne Harmonie
   Aufs neue sie verbindet. Wird er dann
   Auch näher kennen was du diese Zeit
   Geleistet hast: so stellt er dich gewiß
   Dem Dichter an die Seite, den er jetzt
   Als einen Riesen dir entgegen stellt.

TASSO. 
   Ach meine Fürstin, Ariostens Lob
   Aus seinem Munde hat mich mehr ergötzt
   Als daß es mich beleidigt hätte. Tröstlich
   Ist es für uns den Mann gerühmt zu wissen,
   Der als ein großes Muster vor uns steht.
   Wir können uns im stillen Herzen sagen:
   Erreichst du einen Teil von seinem Wert,
   Bleibt dir ein Teil auch seines Ruhms gewiß.
   Nein, was das Herz im tiefsten mir bewegte,
   Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt,
   Es waren die Gestalten jener Welt,
   Die sich lebendig, rastlos, ungeheuer
   Um e i n e n  großen, einzig klugen Mann
   Gemessen dreht und ihren Lauf vollendet,
   Den ihr der Halbgott vorzuschreiben wagt.
   Begierig horcht ich auf, vernahm mit Lust
   Die sichern Worte des erfahrnen Mannes;
   Doch ach! je mehr ich horchte, mehr und mehr
   Versank ich vor mir selbst, ich fürchtete
   Wie Echo an den Felsen zu verschwinden,
   Ein Widerhall, ein Nichts mich zu verlieren.

PRINZESSIN. 
   Und schienst noch kurz vorher so rein zu fühlen
   Wie Held und Dichter für einander leben,
   Wie Held und Dichter sich einander suchen,
   Und keiner je den andern neiden soll?
   Zwar herrlich ist die liedeswerte Tat,
   Doch schön ist's auch, der Taten stärkste Fülle
   Durch würdge Lieder auf die Nachwelt bringen.
   Begnüge dich aus einem kleinen Staate,
   Der dich beschützt, dem wilden Lauf der Welt,
   Wie von dem Ufer, ruhig zuzusehn.

TASSO. 
   Und sah ich hier mit Staunen nicht zuerst,
   Wie herrlich man den tapfern Mann belohnt?
   Als unerfahrner Knabe kam ich her,
   In einem Augenblick, da Fest auf Fest
   Ferrara zu dem Mittelpunkt der Ehre
   Zu machen schien. O! welcher Anblick war's!
   Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze
   Gewandte Tapferkeit sich zeigen sollte,
   Umschloß ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht
   So bald zum zweitenmal bescheinen wird.
   Es saßen hier gedrängt die schönsten Frauen,
   Gedrängt die ersten Männer unsrer Zeit.
   Erstaunt durchlief der Blick die edle Menge;
   Man rief: sie alle hat das Vaterland,
   Das e i n e , schmale, meerumgebne Land,
   Hierher geschickt. Zusammen bilden sie
   Das herrlichste Gericht, das über Ehre,
   Verdienst und Tugend je entschieden hat.
   Gehst du sie einzeln durch, du findest keinen,
   Der seines Nachbarn sich zu schämen brauche!
   Und dann eröffneten die Schranken sich.
   Da stampften Pferde, glänzten Helm und Schilde,
   Da drängten sich die Knappen, da erklang
   Trompetenschall, und Lanzen krachten splitternd,
   Getroffen tönten Helm und Schilde, Staub,
   Auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd
   Des Siegers Ehre, des Besiegten Schmach.
   O laß mich einen Vorhang vor das ganze,
   Mir allzu helle Schauspiel ziehen, daß
   In diesem schönen Augenblicke mir
   Mein Unwert nicht zu heftig fühlbar werde.

PRINZESSIN. 
   Wenn jener edle Kreis, wenn jene Taten
   Zu Müh und Streben damals dich entflammten,
   So konnt ich, junger Freund, zu gleicher Zeit
   Der Duldung stille Lehre dir bewähren.
   Die Feste, die du rühmst, die hundert Zungen
   Mir damals priesen und mir manches Jahr
   Nachher gepriesen haben, sah ich nicht.
   Am stillen Ort, wohin kaum unterbrochen
   Der letzte Widerhall der Freude sich
   Verlieren konnte, mußt ich manche Schmerzen
   Und manchen traurigen Gedanken leiden.
   Mit breiten Flügeln schwebte mir das Bild
   Des Todes vor den Augen, deckte mir
   Die Aussicht in die immer neue Welt.
   Nur nach und nach entfernt' es sich und ließ
   Mich, wie durch einen Flor, die bunten Farben
   Des Lebens, blaß doch angenehm, erblicken.
   Ich sah lebendge Formen wieder sanft sich regen.
   Zum erstenmal trat ich, noch unterstützt
   Von meinen Frauen, aus dem Krankenzimmer,
   Da kam Lucretia voll frohen Lebens
   Herbei und führte dich an ihrer Hand.
   Du warst der erste, der im neuen Leben
   Mir neu und unbekannt entgegen trat.
   Da hofft ich viel für dich und mich, auch hat
   Uns bis hierher die Hoffnung nicht betrogen.

TASSO. 
   Und ich, der ich betäubt von dem Gewimmel
   Des drängenden Gewühls, von so viel Glanz
   Geblendet, und von mancher Leidenschaft
   Bewegt, durch stille Gänge des Palasts
   An deiner Schwester Seite schweigend ging,
   Dann in das Zimmer trat, wo du uns bald
   Auf deine Fraun gelehnt erschienest Mir
   Welch ein Moment war dieser! O! Vergib!
   Wie den Bezauberten von Rausch und Wahn
   Der Gottheit Nähe leicht und willig heilt;
   So war auch ich von aller Phantasie,
   Von jeder Sucht, von jedem falschen Triebe
   Mit e i n e m  Blick in deinen Blick geheilt.
   Wenn unerfahren die Begierde sich
   Nach tausend Gegenständen sonst verlor,
   Trat ich beschämt zuerst in mich zurück,
   Und lernte nun das Wünschenswerte kennen.
   So sucht man in dem weiten Sand des Meers
   Vergebens eine Perle, die verborgen
   In stillen Schalen eingeschlossen ruht.

PRINZESSIN. 
   Es fingen schöne Zeiten damals an,
   Und hätt uns nicht der Herzog von Urbino
   Die Schwester weggeführt, uns wären Jahre
   Im schönen ungetrübten Glück verschwunden.
   Doch leider jetzt vermissen wir zu sehr
   Den frohen Geist, die Brust voll Mut und Leben,
   Den reichen Witz der liebenswürdgen Frau.

TASSO. 
   Ich weiß es nur zu wohl, seit jenem Tage
   Da sie von hinnen schied, vermochte dir
   Die reine Freude niemand zu ersetzen.
   Wie oft zerriß es meine Brust! Wie oft
   Klagt ich dem stillen Hain mein Leid um dich!
   Ach! rief ich aus, hat denn die Schwester nur
   Das Glück, das Recht, der Teuren viel zu sein?
   Ist denn kein Herz mehr wert, daß sie sich ihm
   Vertrauen dürfte, kein Gemüt dem ihren
   Mehr gleich gestimmt? Ist Geist und Witz verloschen?
   Und war die e i n e  Frau, so trefflich sie
   Auch war, denn alles? Fürstin! o verzeih!
   Da dacht ich manchmal an mich selbst und wünschte
   Dir etwas sein zu können. Wenig nur
   Doch etwas, nicht mit Worten, mit der Tat
   Wünscht ich's zu sein, im Leben dir zu zeigen,
   Wie sich mein Herz im stillen dir geweiht.
   Doch es gelang mir nicht, und nur zu oft
   Tat ich im Irrtum was dich schmerzen mußte,
   Beleidigte den Mann den du beschütztest,
   Verwirrte unklug was du lösen wolltest,
   Und fühlte so mich stets im Augenblick,
   Wenn ich mich nahen wollte, fern und ferner.

PRINZESSIN. 
   Ich habe, Tasso, deinen Willen nie
   Verkannt, und weiß wie du dir selbst zu schaden
   Geschäftig bist. Anstatt daß meine Schwester
   Mit jedem, wie er sei, zu leben weiß,
   So kannst du selbst nach vielen Jahren kaum
   In einen Freund dich finden.

TASSO. 
   Tadle mich!
   Doch sage mir hernach, wo ist der Mann?
   Die Frau? mit der ich wie mit dir
   Aus freiem Busen wagen darf zu reden.

PRINZESSIN. 
   Du solltest meinem Bruder dich vertraun.

TASSO. 
   Er ist mein Fürst! Doch glaube nicht, daß mir
   Der Freiheit wilder Trieb den Busen blähe.
   Der Mensch ist nicht geboren frei zu sein,
   Und für den Edeln ist kein schöner Glück,
   Als einem Fürsten, den er ehrt, zu dienen.
   Und so ist er mein Herr, und ich empfinde
   Den ganzen Umfang dieses großen Worts.
   Nun muß ich schweigen lernen wenn er spricht,
   Und tun wenn er gebietet, mögen auch
   Verstand und Herz ihm lebhaft widersprechen.

PRINZESSIN. 
   Das ist der Fall bei meinem Bruder nie.
   Und nun, da wir Antonio wieder haben,
   Ist dir ein neuer kluger Freund gewiß.

TASSO. 
   Ich hofft es ehmals, jetzt verzweifl ich fast.
   Wie lehrreich wäre mir sein Umgang, nützlich
   Sein Rat in tausend Fällen! Er besitzt,
   Ich mag wohl sagen, alles was mir fehlt.
   Doch haben alle Götter sich versammelt
   Geschenke seiner Wiege darzubringen?
   Die Grazien sind leider ausgeblieben,
   Und wem die Gaben dieser Holden fehlen,
   Der kann zwar viel besitzen, vieles geben,
   Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn.

PRINZESSIN. 
   Doch läßt sich ihm vertraun, und das ist viel.
   Du mußt von e i n e m  Mann nicht alles fordern,
   Und dieser leistet was er dir verspricht.
   Hat er sich erst für deinen Freund erklärt,
   So sorgt er selbst für dich wo du dir fehlst.
   Ihr müßt verbunden sein! Ich schmeichle mir
   Dies schöne Werk in kurzem zu vollbringen.
   Nur widerstehe nicht wie du es pflegst!
   So haben wir Lenoren lang besessen,
   Die fein und zierlich ist, mit der es leicht
   Sich leben läßt; auch dieser hast du nie,
   Wie sie es wünschte, näher treten wollen.

TASSO. 
   Ich habe dir gehorcht, sonst hätt ich mich
   Von ihr entfernt anstatt mich ihr zu nahen.
   So liebenswürdig sie erscheinen kann,
   Ich weiß nicht wie es ist, konnt ich nur selten
   Mit ihr ganz offen sein, und wenn sie auch
   Die Absicht hat, den Freunden wohlzutun,
   So fühlt man Absicht und man ist verstimmt.

PRINZESSIN. 
   Auf diesem Wege werden wir wohl nie
   Gesellschaft finden, Tasso! Dieser Pfad
   Verleitet uns durch einsames Gebüsch,
   Durch stille Täler fortzuwandern; mehr
   Und mehr verwöhnt sich das Gemüt, und strebt
   Die goldne Zeit, die ihm von außen mangelt,
   In seinem Innern wieder herzustellen,
   So wenig der Versuch gelingen will.

TASSO. 
   O welches Wort spricht meine Fürstin aus!
   Die goldne Zeit wohin ist sie geflohn?
   Nach der sich jedes Herz vergebens sehnt!
   Da auf der freien Erde Menschen sich
   Wie frohe Herden im Genuß verbreiteten;
   Da ein uralter Baum auf bunter Wiese
   Dem Hirten und der Hirtin Schatten gab,
   Und jüngeres Gebüsch die zarten Zweige
   Um sehnsuchtsvolle Liebe traulich schlang;
   Wo klar und still auf immer reinem Sande
   Der weiche Fluß die Nymphe sanft umfing;
   Wo in dem Grase die gescheuchte Schlange
   Unschädlich sich verlor, der kühne Faun
   Vom tapfern Jüngling bald bestraft entfloh;
   Wo jeder Vogel in der freien Luft
   Und jedes Tier, durch Berg und Täler schweifend
   Zum Menschen sprach: Erlaubt ist was gefällt.

PRINZESSIN. 
   Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbei:
   Allein die Guten bringen sie zurück;
   Und soll ich dir gestehen wie ich denke,
   Die goldne Zeit, womit der Dichter uns
   Zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war,
   So scheint es mir, so wenig als sie ist,
   Und war sie je, so war sie nur gewiß,
   Wie sie uns immer wieder werden kann.
   Noch treffen sich verwandte Herzen an
   Und teilen den Genuß der schönen Welt;
   Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund,
   Ein einzig Wort: Erlaubt ist was sich ziemt.

TASSO. 
   O wenn aus guten edlen Menschen nur
   Ein allgemein Gericht bestellt entschiede,
   Was sich denn ziemt! Anstatt daß jeder glaubt,
   Es sei auch schicklich was ihm nützlich ist.
   Wir sehn ja, dem Gewaltigen, dem Klugen
   Steht alles wohl, und er erlaubt sich alles.

PRINZESSIN. 
   Willst du genau erfahren was sich ziemt
   So frage nur bei edlen Frauen an.
   Denn ihnen ist am meisten dran gelegen,
   Daß alles wohl sich zieme was geschieht.
   Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer
   Das zarte leicht verletzliche Geschlecht.
   Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie,
   Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nichts.
   Und wirst du die Geschlechter beide fragen:
   Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.

TASSO. 
   Du nennest uns unbändig, roh, gefühllos?

PRINZESSIN. 
   Nicht das! Allein ihr strebt nach fernen Gütern,
   Und euer Streben muß gewaltsam sein.
   Ihr wagt es, für die Ewigkeit zu handeln,
   Wenn wir ein einzig nah beschränktes Gut
   Auf dieser Erde nur besitzen möchten,
   Und wünschen, daß es uns beständig bliebe.
   Wir sind von keinem Männerherzen sicher,
   Das noch so warm sich einmal uns ergab.
   Die Schönheit ist vergänglich, die ihr doch
   Allein zu ehren scheint. Was übrig bleibt,
   Das reizt nicht mehr, und was nicht reizt, ist tot.
   Wenn's Männer gäbe, die ein weiblich Herz
   Zu schätzen wüßten, die erkennen möchten,
   Welch einen holden Schatz von Treu und Liebe
   Der Busen einer Frau bewahren kann,
   Wenn das Gedächtnis einzig schöner Stunden
   In euren Seelen lebhaft bleiben wollte,
   Wenn euer Blick, der sonst durchdringend ist,
   Auch durch den Schleier dringen könnte, den
   Uns Alter oder Krankheit überwirft,
   Wenn der Besitz, der ruhig machen soll,
   Nach fremden Gütern euch nicht lüstern machte:
   Dann wär uns wohl ein schöner Tag erschienen,
   Wir feierten dann unsre goldne Zeit.

TASSO. 
   Du sagst mir Worte, die in meiner Brust
   Halb schon entschlafne Sorgen mächtig regen.

PRINZESSIN. 
   Was meinst du, Tasso? rede frei mit mir.

TASSO. 
   Oft hört ich schon, und diese Tage wieder
   Hab ich's gehört, ja hätt ich's nicht vernommen,
   So müßt ich's denken; edle Fürsten streben
   Nach deiner Hand! Was wir erwarten müssen,
   Das fürchten wir und möchten schier verzweifeln,
   Verlassen wirst du uns, es ist natürlich;
   Doch wie wir's tragen wollen, weiß ich nicht.

PRINZESSIN. 
   Für diesen Augenblick seid unbesorgt!
   Fast möcht ich sagen: unbesorgt für immer.
   Hier bin ich gern und gerne mag ich bleiben;
   Noch weiß ich kein Verhältnis das mich lockte;
   Und wenn ihr mich denn ja behalten wollt,
   So laßt es mir durch Eintracht sehn, und schafft
   Euch selbst ein glücklich Leben, mir durch euch.

TASSO. 
   O lehre mich das Mögliche zu tun!
   Gewidmet sind dir alle meine Tage.
   Wenn dich zu preisen, dir zu danken sich
   Mein Herz entfaltet, dann empfind ich erst
   Das reinste Glück, das Menschen fühlen können.
   Das göttlichste erfuhr ich nur in dir.
   So unterscheiden sich die Erdengötter
   Vor andern Menschen, wie das hohe Schicksal
   Vom Rat und Willen selbst der klügsten Männer
   Sich unterscheidet. Vieles lassen sie,
   Wenn wir gewaltsam Wog auf Woge sehn,
   Wie leichte Wellen unbemerkt vorüber
   Vor ihren Füßen rauschen, hören nicht
   Den Sturm, der uns umsaust und niederwirft,
   Vernehmen unser Flehen kaum, und lassen,
   Wie wir beschränkten armen Kindern tun,
   Mit Seufzern und Geschrei die Luft uns füllen.
   Du hast mich oft, o Göttliche, geduldet,
   Und wie die Sonne trocknete dein Blick
   Den Tau von meinen Augenlidern ab.

PRINZESSIN. 
   Es ist sehr billig, daß die Frauen dir
   Aufs freundlichste begegnen, es verherrlicht
   Dein Lied auf manche Weise das Geschlecht.
   Zart oder tapfer, hast du stets gewußt
   Sie liebenswert und edel vorzustellen:
   Und wenn Armide hassenswert erscheint,
   Versöhnt ihr Reiz und ihre Liebe bald.

TASSO. 
   Was auch in meinem Liede widerklingt,
   Ich bin nur e i n e r ,  e i n e r  alles schuldig!
   Es schwebt kein geistig unbestimmtes Bild
   Vor meiner Stirne, das der Seele bald
   Sich überglänzend nahte, bald entzöge.
   Mit meinen Augen hab ich es gesehn,
   Das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;
   Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben:
   Tancredens Heldenliebe zu Chlorinden,
   Erminiens stille nicht bemerkte Treue,
   Sophroniens Großheit und Olindens Not.
   Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,
   Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind.
   Und was hat mehr das Recht, Jahrhunderte
   Zu bleiben und im stillen fort zu wirken,
   Als das Geheimnis einer edlen Liebe,
   Dem holden Lied bescheiden anvertraut?

PRINZESSIN. 
   Und soll ich dir noch einen Vorzug sagen,
   Den unvermerkt sich dieses Lied erschleicht?
   Es lockt uns nach und nach, wir hören zu,
   Wir hören und wir glauben zu verstehn,
   Was wir verstehn, das können wir nicht tadeln,
   Und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt.

TASSO.
   Welch einen Himmel öffnest du vor mir,
   O Fürstin! Macht mich dieser Glanz nicht blind,
   So seh ich unverhofft ein ewig Glück
   Auf goldnen Strahlen herrlich niedersteigen.

PRINZESSIN. 
   Nicht weiter, Tasso! Viele Dinge sind's,
   Die wir mit Heftigkeit ergreifen sollen:
   Doch andre können nur durch Mäßigung
   Und durch Entbehren unser eigen werden.
   So, sagt man, sei die Tugend, sei die Liebe,
   Die ihr verwandt ist. Das bedenke wohl!
                                                                          



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