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2019-08-19

Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 5. Akt 2. Szene

Torquato Tasso

                    
                     
Zweiter Auftritt
                     
Alfons. Tasso.


TASSO mit Zurückhaltung. 
   Die Gnade, die du mir so oft bewiesen,
   Erscheinet heute mir in vollem Licht.
   Du hast verziehen, was in deiner Nähe
   Ich unbedacht und frevelhaft beging,
   Du hast den Widersacher mir versöhnt,
   Du willst erlauben daß ich eine Zeit
   Von deiner Seite mich entferne, willst
   Mir deine Gunst großmütig vorbehalten.
   Ich scheide nun mit völligem Vertraun
   Und hoffe still, mich soll die kleine Frist
   Von allem heilen was mich jetzt beklemmt.
   Es soll mein Geist aufs neue sich erheben,
   Und auf dem Wege, den ich froh und kühn,
   Durch deinen Blick ermuntert, erst betrat,
   Sich deiner Gunst aufs neue würdig machen.

ALFONS. 
   Ich wünsche dir zu deiner Reise Glück
   Und hoffe, daß du froh und ganz geheilt
   Uns wieder kommen wirst. Du bringst uns dann
   Den doppelten Gewinst für jede Stunde
   Die du uns nun entziehst, vergnügt zurück.
   Ich gebe Briefe dir an meine Leute,
   An Freunde dir nach Rom, und wünsche sehr
   Daß du dich zu den Meinen überall
   Zutraulich halten mögest, wie ich dich
   Als m e i n , obgleich entfernt, gewiß betrachte.

TASSO. 
   Du überhäufst, o Fürst, mit Gnade den
   Der sich unwürdig fühlt, und selbst zu danken
   In diesem Augenblicke nicht vermag.
   Anstatt des Danks eröffn ich eine Bitte!
   Am meisten liegt mir mein Gedicht am Herzen.
   Ich habe viel getan und keine Mühe
   Und keinen Fleiß gespart, allein es bleibt
   Zu viel mir noch zurück. Ich möchte dort
   Wo noch der Geist der großen Männer schwebt
   Und wirksam schwebt, dort möcht ich in die Schule
   Aufs neue mich begeben; würdiger
   Erfreute deines Beifalls sich mein Lied,
   O gib die Blätter mir zurück, die ich
   Jetzt nur beschämt in deinen Händen weiß.

ALFONS. 
   Du wirst mir nicht an diesem Tage nehmen
   Was du mir kaum an diesem Tag gebracht.
   Laß zwischen dich und zwischen dein Gedicht
   Mich als Vermittler treten; hüte dich
   Durch strengen Fleiß die liebliche Natur
   Zu kränken, die in deinen Reimen lebt,
   Und höre nicht auf Rat von allen Seiten!
   Die tausendfältigen Gedanken vieler
   Verschiedner Menschen, die im Leben sich
   Und in der Meinung widersprechen, faßt
   Der Dichter klug in eins, und scheut sich nicht
   Gar manchem zu mißfallen, daß er manchem
   Um desto mehr gefallen möge. Doch
   Ich sage nicht, daß du nicht hie und da
   Bescheiden deine Feile brauchen solltest;
   Verspreche dir zugleich, in kurzer Zeit
   Erhältst du abgeschrieben dein Gedicht.
   Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen,
   Damit ich seiner erst mit meinen Schwestern
   Mich recht erfreuen möge. Bringst du es
   Vollkommner dann zurück, wir werden uns
   Des höheren Genusses freun, und dich
   Bei mancher Stelle nur als Freunde warnen.

TASSO. 
   Ich wiederhole nur beschämt die Bitte:
   Laß mich die Abschrift eilig haben, ganz
   Ruht mein Gemüt auf diesem Werke nun.
   Nun muß es werden was es werden kann.

ALFONS. 
   Ich billige den Trieb der dich beseelt!
   Doch, guter Tasso, wenn es möglich wäre,
   So solltest du erst eine kurze Zeit
   Der freien Welt genießen, dich zerstreuen,
   Dein Blut durch eine Kur verbessern. Dir
   Gewährte dann die schöne Harmonie
   Der hergestellten Sinne was du nun
   Im trüben Eifer nur vergebens suchst.

TASSO. 
   Mein Fürst, so scheint es; doch, ich bin gesund
   Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann,
   Und so macht wieder mich der Fleiß gesund.
   Du hast mich lang gesehn, mir ist nicht wohl
   In freier Üppigkeit. Mir läßt die Ruh
   Am mindsten Ruhe. Dies Gemüt ist nicht
   Von der Natur bestimmt, ich fühl es leider,
   Auf weichem Element der Tage froh
   Ins weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen.

ALFONS. 
   Dich führet alles was du sinnst und treibst
   Tief in dich selbst. Es liegt um uns herum
   Gar mancher Abgrund den das Schicksal grub;
   Doch hier in unserm Herzen ist der tiefste,
   Und reizend ist es sich hinabzustürzen.
   Ich bitte dich, entreiße dich dir selbst!
   Der Mensch gewinnt was der Poet verliert.

TASSO. 
   Ich halte diesen Drang vergebens auf
   Der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt.
   Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll,
   So ist das Leben mir kein Leben mehr.
   Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen,
   Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt.
   Das köstliche Geweb entwickelt er
   Aus seinem Innersten und läßt nicht ab
   Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.
   O geb ein guter Gott uns auch dereinst
   Das Schicksal des beneidenswerten Wurms,
   Im neuen Sonnental die Flügel rasch
   Und freudig zu entfalten. 

ALFONS. 
   Höre mich!
   Du gibst so vielen doppelten Genuß
   Des Lebens, lern, ich bitte dich,
   Den Wert des Lebens kennen, das du noch
   Und zehnfach reich besitzest. Lebe wohl!
   Je eher du zu uns zurücke kehrst,
   Je schöner wirst du uns willkommen sein.
                                                                    



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