> Gedichte und Zitate für alle: Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 1. Akt 2. Szene

2019-08-18

Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso - 1. Akt 2. Szene



 


                     
 Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Alfons.

ALFONS. 
   Ich suche Tasso, den ich nirgends finde,
   Und treff ihn hier sogar bei euch nicht an.
   Könnt ihr von ihm mir keine Nachricht geben?

PRINZESSIN.
   Ich sah ihn gestern wenig, heute nicht.

ALFONS. 
   Es ist ein alter Fehler, daß er mehr
   Die Einsamkeit als die Gesellschaft sucht.
   Verzeih ich ihm, wenn er den bunten Schwarm
   Der Menschen flieht, und lieber frei im Stillen
   Mit seinem Geist sich unterhalten mag,
   So kann ich doch nicht loben daß er selbst
   Den Kreis vermeidet den die Freunde schließen.

LEONORE. 
   Irr ich mich nicht, so wirst du bald, o Fürst
   Den Tadel in ein frohes Lob verwandeln.
   Ich sah ihn heut von fern; er hielt ein Buch
   Und eine Tafel, schrieb und ging und schrieb.
   Ein flüchtig Wort das er mir gestern sagte
   Schien mir sein Werk vollendet anzukünden.
   Er sorgt nur kleine Züge zu verbessern,
   Um deiner Huld, die ihm so viel gewährt,
   Ein würdig Opfer endlich darzubringen.

ALFONS. 
   Er soll willkommen sein w e n n  er es bringt
   Und losgesprochen sein auf lange Zeit.
   So sehr ich teil an seiner Arbeit nehme,
   So sehr in manchem Sinn das große Werk
   Mich freut und freuen muß, so sehr vermehrt
   Sich auch zuletzt die Ungeduld in mir.
   Er kann nicht enden, kann nicht fertig werden,
   Er ändert stets, ruckt langsam weiter vor,
   Steht wieder still, er hintergeht die Hoffnung;
   Unwillig sieht man den Genuß entfernt
   In späte Zeit, den man so nah geglaubt.

PRINZESSIN. 
   Ich lobe die Bescheidenheit, die Sorge,
   Womit er Schritt vor Schritt zum Ziele geht.
   Nur durch die Gunst der Musen schließen sich
   So viele Reime fest in eins zusammen;
   Und seine Seele hegt nur diesen Trieb,
   Es soll sich sein Gedicht zum Ganzen ründen.
   Er will nicht Märchen über Märchen häufen,
   Die reizend unterhalten und zuletzt
   Wie lose Worte nur verklingend täuschen.
   Laß ihn, mein Bruder! denn es ist die Zeit
   Von einem guten Werke nicht das Maß;
   Und wenn die Nachwelt mit genießen soll,
   So muß des Künstlers Mitwelt sich vergessen.

ALFONS. 
   Laß uns zusammen, liebe Schwester, wirken,
   Wie wir zu beider Vorteil oft getan!
   Wenn ich zu eifrig bin, so lindre du:
   Und bist du zu gelind, so will ich treiben.
   Wir sehen dann auf einmal ihn vielleicht
   Am Ziel, wo wir ihn lang gewünscht zu sehn.
   Dann soll das Vaterland, es soll die Welt
   Erstaunen, welch ein Werk vollendet worden.
   Ich nehme meinen Teil des Ruhms davon,
   Und er wird in das Leben eingeführt.
   Ein edler Mensch kann einem engen Kreise
   Nicht seine Bildung danken. Vaterland
   Und Welt muß auf ihn wirken. Ruhm und Tadel
   Muß er ertragen lernen. Sich und andre
   Wird er gezwungen recht zu kennen. Ihn
   Wiegt nicht die Einsamkeit mehr schmeichelnd ein.
   Es will der Feind es darf der Freund nicht schonen:
   Dann übt der Jüngling streitend seine Kräfte,
   Fühlt was er ist und fühlt sich bald ein Mann.

LEONORE. 
   So wirst du, Herr, für ihn noch alles tun,
   Wie du bisher für ihn schon viel getan.
   Es bildet ein Talent sich in der Stille,
   Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.
   O daß er sein Gemüt wie seine Kunst.
   An deinen Lehren bilde! daß er nicht
   Die Menschen länger meide, daß sein Argwohn
   Sich nicht zuletzt in Furcht und Haß verwandle!

ALFONS. 
   Die Menschen fürchtet nur wer sie nicht kennt,
   Und wer sie meidet wird sie bald verkennen.
   Das ist sein Fall, und so wird nach und nach
   Ein frei Gemüt verworren und gefesselt.
   So ist er oft um meine Gunst besorgt
   Weit mehr als es ihm ziemte; gegen viele
   Hegt er ein Mißtraun, die, ich weiß es sicher,
   Nicht seine Feinde sind. Begegnet ja
   Daß sich ein Brief verirrt, daß ein Bedienter
   Aus seinem Dienst in einen andern geht,
   Daß ein Papier aus seinen Händen kommt,
   Gleich sieht er Absicht, sieht Verräterei
   Und Tücke die sein Schicksal untergräbt.

PRINZESSIN. 
   Laß uns, geliebter Bruder, nicht vergessen
   Daß von sich selbst der Mensch nicht scheiden kann
   Und wenn ein Freund, der mit uns wandeln sollte,
   Sich einen Fuß beschädigte, wir würden
   Doch lieber langsam gehn und unsre Hand
   Ihm gern und willig leihen? 

ALFONS. 
   Besser wär's,
   Wenn wir ihn heilen könnten, lieber gleich
   Auf treuen Rat des Arztes eine Kur
   Versuchten, dann mit dem Geheilten froh
   Den neuen Weg des frischen Lebens gingen.
   Doch hoff ich, meine Lieben, daß ich nie
   Die Schuld des rauhen Arztes auf mich lade.
   Ich tue was ich kann um Sicherheit
   Und Zutraun seinem Busen einzuprägen.
   Ich geb ihm oft in Gegenwart von vielen
   Entschiedne Zeichen meiner Gunst. Beklagt
   Er sich bei mir, so laß ich's untersuchen;
   Wie ich es tat, als er sein Zimmer neulich
   Erbrochen glaubte. Läßt sich nichts entdecken,
   So zeig ich ihm gelassen wie ich's sehe;
   Und da man alles üben muß, so üb ich,
   Weil er's verdient, an Tasso die Geduld;
   Und ihr, ich weiß es, steht mir willig bei.
   Ich hab euch nun aufs Land gebracht und gehe
   Heut abend nach der Stadt zurück. Ihr werdet
   Auf einen Augenblick Antonio sehen,
   Er kommt von Rom und holt mich ab. Wir haben
   Viel auszureden, abzutun. Entschlüsse
   Sind nun zu fassen, Briefe viel zu schreiben,
   Das alles nötigt mich zur Stadt zurück.

PRINZESSIN. 
   Erlaubst du uns daß wir dich hinbegleiten

ALFONS. 
   Bleibt nur in Belriguardo, geht zusammen
   Hinüber nach Consandoli! Genießt
   Der schönen Tage ganz nach freier Lust.

PRINZESSIN. 
   Du kannst nicht bei uns bleiben? die Geschäfte
   Nicht hier so gut als in der Stadt verrichten?

LEONORE. 
   Du führst uns gleich Antonio hinweg,
   Der uns von Rom so viel erzählen sollte?

ALFONS. 
   Es geht nicht an, ihr Kinder; doch ich komme
   Mit ihm so bald als möglich ist, zurück:
   Dann soll er euch erzählen und ihr sollt
   Mir ihn belohnen helfen, der so viel
   In meinem Dienst aufs neue sich bemüht.
   Und haben wir uns wieder ausgesprochen,
   So mag der Schwarm dann kommen, daß es lustig
   In unsern Gärten werde, daß auch mir,
   Wie billig, eine Schönheit in dem Kühlen
   Wenn ich sie suche gern begegnen mag.

LEONORE. 
   Wir wollen freundlich durch die Finger sehen.

ALFONS. 
   Dagegen wißt ihr daß ich schonen kann.

PRINZESSIN nach der Szene gekehrt. 
   Schon lange seh ich Tasso kommen. Langsam
   Bewegt er seine Schritte, steht bisweilen
   Auf einmal still, wie unentschlossen, geht
   Dann wieder schneller auf uns los, und weilt
   Schon wieder. 

ALFONS. 
   Stört ihn, wenn er denkt und dichtet,
   In seinen Träumen nicht, und laßt ihn wandeln.

LEONORE. 
   Nein, er hat uns gesehn, er kommt hierher.
                                                            



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