> Gedichte und Zitate für alle: Lila Singspiel von Johann Wolfgang v.Goethe: 1. Aufzug

2019-08-10

Lila Singspiel von Johann Wolfgang v.Goethe: 1. Aufzug





ERSTER AUFZUG

SAAL.

Eine Gesellschaft junger Leute beiderlei Geschlechts in Hauskleidem,
ergötzen sich in einem Tanze; es scheint, sie wiederholen
ein bekanntes Ballett. Graf Friedrich tritt zu ihnen.

FRIEDRICH. Pfui doch, ihr Kinder! Stilll Ists erlaubt,
daß ihr so einen Lärmen macht? Die ganze Familie ist
traurig, und ihr tanzt und springt!

LUCIE. Als wenns eine Sünde wäre! Das Unglück unsrer
Schwester geht uns nah genug zu Herzen; sollte uns drum
die alte Lust nicht wieder, einmal in die Füße kommen,
da wir so gewohnt sind, immer zu tanzen? In unserm Hause
war ja nichts als Gesang, Fest und Freude, und wenn
man jung ist—
SOPHIE. O wir sind auch betrübt, wir ziehens uns nur
nicht so zu Gemüte. Und wenn es uns auch nicht ums
Herz wäre, wir sollten doch tanzen und springen, daß wir
die andern nur ein bißchen lustig machten.
FRIEDRICH. Ihr habt eure Schwester lange nicht gesehen?
LUCIE. Wir dürfen ja nicht. Man verbietet uns, in den
Teil des Parks zu kommen, wo sie sich aufhält.
SOPHIE. Sie ist mir ein einzigmal begegnet, und ich habe
mich der Tränen nicht enthalten können. Sie schien mit
sich selbst in Zweifel zu sein, ob ich auch ihre Schwester
sei. Und da sie mich lange betrachtet hatte, bald ernsthaft
und bald wieder freundlich geworden war, verließ sie
mich mit einer Art von Widerwillen, der mich ganz aus
der Fassung brachte.
FRIEDRICH. Das ist eben das Gefährlichste ihrer Krankheit.
Das Gleiche ist mir mit ihr begegnet. Seitdem ihr die
Phantasien den Kopf verrückt haben, traut sie niemanden,
hält alle ihre Freunde und Liebsten, sogar ihren Mann
für Schattenbilder und von den Geistern untergeschobene
Gestalten. Und wie will man sie von dem Wahren überzeugen,
da ihr das Wahre als Gespenst verdächtig ist?
SOPHIE. Alle Kuren haben auch nicht anschlagen
wollen.
LUCIE. Und es kommt alle Tage ein neuer Zahnbrecher,
der unsere Hoffnungen und Wünsche mißbraucht.
FRIEDRICH. Was das betrifft, da seid ohne Sorgen,
wir werden keinem mehr Gehör geben.
SOPHIE. Das ist schon gut! Heute ist doch wieder ein
neuer gekommen, und wenn ihr gleich die andern von
der vorigen Woche mit ihren Pferdearzneien fortgeschickt
habt, so wird euch doch der vielleicht mit seiner Subtilität
drankriegen. Denn witzig sieht mir der alte Fuchs
aus.
FRIEDRICH. Aha! gefällt er euch? Nicht wahr, ob ihr gleich
so ruschlig seid, daß ihr auf nichts in der Welt achtgebt,
so spürt ihr doch, daß das eine andere Art von Krebsen
ist, als die Quacksalber bisher?
LUCIE. Es ist ein Arzt, und darum hab ich schon eine
Aversion vor ihm. Gut ist er im Grunde und pfiffig dazu.
Da wir ihn um Arznei plagten, und er wohl sah, daß uns
nichts fehlte, gab er doch jeder eine Dose wohlriechender
und wohlschmeckender Schäkereien,
SOPHIE. Und mir dazu einen guten Rat. Mich hat er
besonders in Affektion genommen.
FRIEDRICH. Was für einen?
SOPHIE. Und einen guten Wunsch dazu.
LUCIE. Was wars?
SOPHIE. Ich werde beides für mich behalten.
(Sie geht zu der übrigen Gesellschaft, die sich in den Grund
des Saales zurückgezogen hat und sich nach und nach verliert.)
LUCIE (die ihr nachgeht). Sage doch!

Marianne tritt auf.

FRIEDRICH (der ihr entgegengeht). Liebste Marianne,
Sie nehmen keinen Anteil an dem Leichtsinne dieser
unbekümmerten Geschöpfe.
MARIANNE. Glauben Sie, Graf, daß mein Gemüt einen
Augenblick heiter und ohne Sorgen sein könnte? Ich
habe diese ganze Zeit her mein Klavier nicht angerührt,
keinen Ton gesungen. Wie schwer wird es mir, den heftigen
Charakter meines Bruders zu besänftigen, der das
Schicksal seiner Gattin kaum erträgt!
FRIEDRICH. Ach! daß an diese geliebte Person die
Schicksale so vieler Menschen geknüpft sind! Auch unsers,
teuerste Marianne, hängt an dem ihren. Sie wollen Ihren
Bruder nicht verlassen; Ihr Bruder kann und will Sie
nicht entbehren, solang seine Gemahlin in dem betrübten
Zustande bleibt; und ich indessen muß meine treue, heftige
Leidenschaft in mich verschließen! Ich bin recht unglücklich.
MARIANNE. Der neue Arzt gibt uns die beste Hoffnung.
Könnt er auch unser Übel heilen! Bester Graf, wie freudig
wollt ich sein!
FRIEDRICH. Gewiß, Marianne?
MARIANNE. Gewiß! Gewiß!

Doktor Verazio tritt auf.

FRIEDRICH. Teuerster Mann, was für Aussichten, was
für Hoffnungen bringen Sie uns?
VERAZIO. Es sieht nicht gut aus. Der Baron will von
keiner Kur ein Wort hören.
FRIEDRICH. Sie müssen sich nicht abweisen lassen.
VERAZIO. Wir wollen alles versuchen.
FRIEDRICH. Ach, Sie heilen gar viele Schmerzen auf
einmal.
VERAZIO. Ich habe so etwas gemerkt. Nun, wir wollen
sehen!—Hier kommt der Baron.

Baron Sternthal tritt auf.

VERAZIO. Wenn Ihnen meine Gegenwart wie meine
Kunst zuwider ist, so verzeihen Sie, daß Sie mich noch
hier finden. In wenig Zeit muß Graf Altenstein hier eintreffen,
der mich wieder zurückbringen wird, wenn er
leider sieht, daß seine Empfehlung nicht Eingang gefunden
hat.
BARON. Verzeihen Sie, und der Graf wird mir auch verzeihen.
Es ist nicht Undankbarkeit gegen seine Fürsorge,
nicht Mißtrauen in Ihre Kunst, es ist Mißtrauen in mein
Schicksal. Nach so viel fehlgeschlagnen Versuchen, die
Gesundheit ihrer Seele wiederherzustellen, muß ich glauben,
daß ich auf die Probe gestellt werden soll, wie lieb
ich sie habe. Ob ich wohl aushalte, ihr Elend zu teilen,
da ich mir so viel Glück mit ihr versprach? Ich will auch
nicht widerspenstig sein und in Geduld vom Himmel erwarten,
was mir Menschen nicht geben sollen.
VERAZIO. Ich ehre diese Gesinnungen, gnädiger Herr.
Nur find ich hart, daß Sie mir sogar die näheren Umstände
ihrer Krankheit verbergen, mir nicht erlauben wollen,
sie zu sehen, und mir dadurch den Weg abschneiden, teils
meine Erfahrungen zu erweitern, teils etwas Bestimmtes
über die Hilfe zu sagen, die man ihr leisten könnte.
SOPHIE (zu den andern). Und er möchte auch wieder mit
unserer armen Schwester Haut seine Erfahrungen erweitern.
Es ist einer wie der andere.
LUCIE. O ja, wenn sie nur was zu sezieren, klistieren,
elektrisieren haben, sind sie bei der Hand, um nur zu sehen,
was eins für ein Gesicht dazu schneidt, und zu versichern,
daß sie es wie im Spiegel vorausgesehen hätten.
BARON (der bisher mit Friedrich und Verazio gesprochen).
Sie plagen mich!
VERAZIO. Jeder, der in sich fühlt, daß er etwas Gutes
wirken kann, muß ein Plaggeist sein. Er muß nicht warten,
bis man ihn ruft; er muß nicht achten, wenn man ihm fortschickt.
Er muß sein, was Homer an den Helden preist,
er muß sein wie eine Fliege, die, verscheucht, den Menschen
immer wieder von einer andern Seite anfällt.
SOPHIE (leise). Ehrlich ist er wenigstens; er beschreibt
den Marktschreier deutlich genug.
VERAZIO. Lassen Sies nur gut sein, Fräulein; Sie fallen
mir doch noch in die Hände.
SOPHIE. Er hat Ohren wie ein Zaubrer.
VERAZIO. Denn, wie ich an Ihren Augen sehe—
SOPHIE. Kommt, wir haben hier nichts zu tun—Adieu!
ALLE. Adieu! Adieu!
SOPHIE. Er ist wohl gar ein Physiognomist? (Ab.)
FRIEDRICH. Höre doch wenigstens, Vetter!
BARON. Ja, so ist mirs schon mehr gegangen. Man läßt
sich nach und nach einnehmen, und unsere Hoffnungen
und Wünsche sind von so kindischer Natur, daß ihnen
Mögliches und Unmögliches beides von einer Art zu sein
scheint.
VERAZIO. In was für Hände Sie auch gefallen sind!
BARON. Das sagt der Folgende immer vom Vorhergehenden.
Und es ist erstaunlich, wenn unsere Einbildungskraft
einmal auf etwas heftig gespannt ist, was man stufenweise
zu tun fähig wird. Mir schauderts, wenn ich an die Kuren
denke, die man mit ihr gebraucht hat, und ich zittre, zu
was für weitern Grausamkeiten gegen sie man mich verleiten
wollte, und fast verleitet hätte. Nein, ihre Liebe
zu mir hat ihr den Verstand geraubt; die meinige soll ihr
wenigstens ein leidlich Leben erhalten.
VERAZIO. Ich nehme herzlichen Anteil an Ihrem Kummer.
Ich stelle mir das Schreckliche der Lage vor, da Sie, kaum
der Gefahr des Todes entronnen, Ihre Gattin in solchem
Elend vor sich sehen mußten.
FRIEDRICH. Da kommt mein Vater.

Graf Altenstein. Die Vorigen.

GRAF ALTENSTEIN. Vetter, guten Morgen! Guten
Morgen, Doktor! Was haben Sie Guts ausgerichtet? Hab
ich dir da nicht einen tüchtigen Mann herübergeschickt?
BARON. Es ist recht brav, daß Sie kommen. Ich danke
Ihnen für die Bekanntschaft, die Sie mir verschafft haben.
Wir sind in der kurzen Zeit recht gute Freunde worden,
nur einig sind wir noch nicht.
GRAF ALTENSTEIN. Warum? Hast du kein Vertrauen
zu meinem Doktor.'
BARON. Das beste! wie zu Ihrem guten Willen, nur—
GRAF ALTENSTEIN. Wenn du ihn hättest reden hören,
ehe gestern abend, wie er mir alles erzählte, alles erklärte —
es war mir so begreiflich, so deutlich, ich meinte, ich
wollte nun selbst kurieren, so schön hing alles zusammen.
Wenn ichs nur behalten hätte!
FRIEDRICH. Es geht Ihnen, Papa, wie mir und andern
in der Predigt—
GRAF ALTENSTEIN. Wo ist deine Frau?
BARON. An der hintern Seite des Parks hält sie sich noch
immer auf, schläft des Tags in der Hütte, die wir ihr zurechtgemacht
haben, vermeidet alle Menschen und wandelt
des Nachts in ihren Phantasien herum. Manchmal versteck
ich mich, sie zu belauschen, und ich versichere Ihnen: es
gehört viel dazu, um nicht rasend zu werden. Wenn ich
sie herumziehen sehe mit losem Haar,—im Mondschein
einen Kreis abgehen,—mit halb unsicherm Tritt schleicht
sie auf und ab, neigt sich bald vor den Sternen, kniet bald
auf den Rasen, umfaßt einen Baum, verliert sich in den
Sträuchen wie ein Geist!—Ha!—
GRAF ALTENSTEIN. Ruhig, Vetter! ruhig! Statt wild
zu sein, solltest du die Vorschläge des Doktors anhören.
VERAZIO. Lassen Sies, gnädiger Herr. Ich bin fast, seit
ich hier bin, der Meinung des Herrn Barons geworden,
daß man ganz von Kuren abgehen oder wenigstens sehr
behutsam damit sein müsse. Wie lang ists her, daß die
gnädige Frau in dem Zustande ist?
GRAF ALTENSTEIN. Laßt sehen! Auf den Dienstag
zehn Wochen. Es war just Pferdemarkt in der Stadt gewesen,
und abends, wie ich nach Hause ritt, sprach ich
hier ein. Da war der verfluchte Brief angekommen, der
die Nachricht von deinem Tode brachte. Sie lag ohnmächtig
nieder, und das ganze Haus war wie toll.—Höre, ich muß
einen Augenblick in den Stall. Wie gehts deinem Schimmel.''
BARON. Ich werde ihn weggeben müssen, lieber Onkel.
GRAF ALTENSTEIN. Schade fürs Pferd! wahrlich schade!
(Ab)
VERAZIO. Woher kam denn das falsche Gerücht? Wer
beging die entsetzliche Unvorsichtigkeit, so etwas zu
schreiben?
BARON. Da gibts solche politische alte Weiber, die weitläufige
Korrespondenzen haben und immer etwas Neues
brauchen, woher es auch komme, daß das Porto doch
nicht ganz vergeblich ausgegeben wird. In der Welt ist
im Grunde des Guten so viel als des Bösen; weil aber
niemand leicht was Gutes erdenkt, dagegen jedermann
sich einen großen Spaß macht, was Böses zu erfinden und
zu glauben, so gibts der favorablen Neuigkeiten so viel.
Und so einer—
FRIEDRICH. Nun, sein Sie nicht böse! Es war ein guter
Freund—
BARON. Den der Teufel hole! Was gings ihn an, ob ich
tot oder lebendig war? Blessiert war ich, das wußte jedermann
und meine Frau und ihr alle. Wenn er ein guter
Freund war, warum mußte er der erste sein, der meine
Wunde tödlich glaubte?
FRIEDRICH. In der Entfernung—
VERAZIO (zu Friedrich). Sie waren gegenwärtig?
FRIEDRICH. Ich hatte ihr schon einige Monate Gesellschaft
geleistet. Sie war bei Abwesenheit ihres Mannes
immer in Sorgen. Ihre Zärtlichkeit stellte sich die Gefahren
doppelt lebhaft vor. Wir taten, was wir konnten; die Mädchen
unserer beiden und der benachbarten Häuser waren immer
um sie; man ließ sie wenig allein und vermochte doch
nichts über ihren Trübsinn.
BARON. Ich hab es nie an ihr leiden können. Sie war
immer mit ihren Gedanken zu wenig an der Erde.
FRIEDRICH. Wir tanzten um sie herum, sangen,sprangen—
BARON. Und verliebtet euch untereinander, wie ich
jetzt spüre, da ich nach Hause komme.
VERAZIO. Nun, das gehört auch zur Sache.
FRIEDRICH. Wir sinds geständig. Alles schien ihre
Traurigkeit zu vermehren. Zuletzt kam die Nachricht,
Ihr wäret blessiert. Da war nun gar kein Auskommen
mehr mit ihr: den ganzen Tag gings auf und ab; bald
wollte sie reisen, bald bleiben. Mit jeder Post mußte
man einen Brief wegschaften; mit jeder Post wurde einer
erwartet, wenn man ihr gleich die Unmöglichkeit vorstellte.
Sie fing an, uns zu mißtrauen, glaubte, wir hätten
schlimmere Nachrichten, wolltens ihr verhehlen, und das
ging an einem fort.
VERAZIO. Haben Sie damals nichts an ihr verspürt?
FRIEDRICH. Wenn ich sagen soll, so glaube ich, daß
ihr Wahnsinn schon damals seinen Anfang genommen
hat; aber wer unterscheidet ihn von der tiefen Melancholie,
in der sie begraben war? Denn nach dem Schrecken,
den der unglückliche Brief machte, da sie einige Tage
wie in einem hitzigen Fieber lag, schien sie wenig verändert;
nur war fast gar nichts aus ihr zu bringen; ihre
Blicke wurden scheu und unsicher; sie schien jedermann,
den sie sah, zu fürchten oder nicht zu bemerken. Sie
verlangte Trauerkleider, und wenn wir sie mit der Ungewißheit
trösten wollten, nahm sie sichs gar nicht an,
bemächtigte sich alles, was sie an uns von schwarzem
Taffet und Bändern kriegen konnte, und behing sich
damit.
BARON. Macht mir den Kopf nicht warm mit eurer
Erzählung! Genug, so ists, Herr Doktor! Sie wollte mich
nicht wiedererkennen, sie floh mich wie ein Gespenst,
alle Hilfe war vergebens. Und ich werde mir ewig Vorwürfe
machen, daß ich sie, auch nur auf kurze Zeit, der
unmenschlichen Behandlung eines Marktschreiers überließ,
der sich bei mir anzustreichen gewußt hatte. (Er
tritt zurück.)
FRIEDRICH. Es ist wahr, sie geriet darüber in Wut,
flüchtete in den Wald und versteckte sich daselbst. Man
machte vergebens gütliche Versuche, sie herauszubringen,
und der Baron besteht darauf, er leide keine Gewalt mehr
gegen sie. Man hat ihr heimlich eine Hütte zurechte gemacht,
worin sie sich bei Tage verbirgt und wohin ihr
ein Kammermädchen, das einzige Geschöpf, dem sie
traut, wenige einfache Speisen heimlich schaffen darf.
So leben wir in trauriger Hoffnung einen Tag nach dem
andern hin. Unsere Familie, die in einem ewigen freudigen
Leben von Tanz, Gesang, Festen und Ergötzungen
schwebte, streicht aneinander weg wie Gespenster, und
es wäre kein Wunder, wenn man selbst den Verstand
verlöre.
VERAZIO. Aus allem, was Sie mir sagen, kann ich noch
Hoffnung schöpfen.

Graf Altenstein kommt und tritt mit dem Baron zu ihnen.

GRAF ALTENSTEIN. Hören Sie, Doktorl Man erzählt
mir unten wunderbare Sachen; was sagen Sie dazu? Lila
hat ihrem Kammermädchen, der einzigen, zu der ihr
Vertrauen auch bei ihrem Wahnsinn geblieben ist, unter
dem Siegel der größten Verschwiegenheit versichert, daß
sie wohl wisse, woran sie sei: es sei ihr offenbaret worden,
ihr Sternthal sei nicht tot, sondern werde nur von feindseligen
Geistern gefangen gehalten, die auch ihr nach der
Freiheit strebten, deswegen sie unerkannt und heimlich
herumwandern müsse, bis sie Gelegenheit und Mittel
fände, ihn zu befreien.
BARON. Desto schlimmer! Sie hat Netten noch eine
weitläufige Geschichte von Zauberern, Feen, Ogern und
Dämonen erzählt, und was sie alles auszustehen habe,
bis sie mich wiedererlangen könne.
VERAZIO. Ist die Nette weit?
GRAF ALTENSTEIN. Sie ist hier im Hause.
VERAZIO. Dies bestätigt in mir einen Gedanken, den
ich schon lang in mir herumwerfe. Wollen Sie einen
Vorschlag anhören?—
BARON. Anhören wohl.
VERAZIO. Es ist hier nicht von Kuren noch von Quacksalbereien
die Rede. Wenn wir Phantasie durch Phantasie
kurieren könnten, so hätten wir ein Meisterstück gemacht.
BARON. Wodurch wir sie aus dem Wahnsinn in Raserei
werfen könnten.
GRAF ALTENSTEIN. So laß ihn doch ausreden.
VERAZIO. Sind nicht Musik, Tanz und Vergnügen das
Element, worin Ihre Familie bisher gelebt hat? Glauben
Sie denn, daß die tote Stille, in der Sie versunken sind,
Ihnen und der Kranken Vorteil bringe? Zerstreuung ist
wie eine goldne Wolke, die den Menschen, war es auch
nur auf kurze Zeit, seinem Elend entrückt; und Sie alle,
wenn Sie die gewohnten Freuden wieder genießen, werden
sein wie Menschen, die in einer vaterländischen Luft
sich von Mühseligkeit und Krankheit auf einmal wieder
erholen.
BARON. Und wir sollten eine Weile Torheiten treiben,
indessen die elend ist, um derentwillen wir uns sonst nur
zu vergnügen schienen?
VERAZIO. Eben von diesem Vorwurf will ich Sie befreien.
Lassen Sie uns der gnädigen Frau die Geschichte
ihrer Phantasien spielen. Sie sollen die Feen, Ogern und
Dämonen vorstellen. Ich will mich ihr als ein weiser
Mann zu nähern suchen und ihre Umstände ausforschen.
Aus dem, was Sie mir erzählen, zeigt sich, daß sich ihr
Zustand von selbst verbessert habe: sie hält Sie nicht
mehr für tot; die Hoffnung lebt in ihr, Sie wiederzusehen;
sie glaubt selbst, daß sie ihren Gemahl durch Geduld
und Standhaftigkeit wiedererwerben könne. Wenn
auch nur Musik und Tanz um sie herum sie aus der dunkeln
Traurigkeit rissen, in die sie versenkt ist, wenn das
unvermutete Erscheinen abenteuerlicher Gestalten sie auch
nur in ihren Hoffnungen und Phantasien bestärkte, das
es gewiß tun wird, so hätten wir schon genug gewonnen.
Allein ich gehe einem weit hohem Endzweck entgegen.
Ich will nichts versprechen, nichts hoffen lassen--
GRAF ALTENSTEIN. Der Einfall ist vortrefflich, ist so
natürlich, daß ich nicht weiß, warum wir nicht selbst
darauf gefallen sind. Sie glauben also, Doktor, daß wir,
wenn wir der Phantasie unserer Nichte schmeicheln,
etwas über sie vermögen werden?
VERAZIO. Zuletzt wird Phantasie und Wirklichkeit zusammentreffen.
Wenn sie ihren Gemahl in ihren Armen
hält, den sie sich selbst wieder errungen, wird sie wohl
glauben müssen, daß er wieder da ist.
GRAF ALTENSTEIN. Von Ogern erzählt sie, die ihr
nach der Freiheit streben? Ich will den Oger machen;
etwas Wildes ist so immer meine Sache; und Feen, schöne
Feen haben wir ja genug im Hause. Kommen Sie, das
müssen wir gescheit anfangen!
VERAZIO. Schaffen Sie nur die nötigen Sachen herbei,
für das übrige lassen Sie mich sorgen.
BARON. Ich weiß nicht—laßt uns erst überlegen.
GRAF ALTENSTEIN. Überleg dus, und wir wollen indes
Anstalten machen. Kommen Sie, Doktor, lassen Sie
uns zu Netten gehen. Friedrich, reite hinüber und schaffe
die Masken zusammen! In unsern beiden Häusern müssen
sich so viele alte und neue finden, daß man das ganze
Kabinett der Feen damit furnieren könnte. Alles, was
Hände, Füße und Kehlen hat, berufe herbei! Suche Musik
aus, und laß probieren, wie es in der Eile gehn will.
FRIEDRICH. Da wird ein schönes Impromptu zusammengehext
werden!
GRAF ALTENSTEIN. Item, es geht!
VERAZIO. Kommen Sie, wir wollen der Sache weiter
nachdenken; Sie sollen nicht übereilt werden.
FRIEDRICH. Und an willigen Füßen und Kehlen solls
gewiß nicht ermangeln.

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