> Gedichte und Zitate für alle: LILA-Singspiel von Johann Wolfgang v.Goethe: 3. Aufzug

2019-08-10

LILA-Singspiel von Johann Wolfgang v.Goethe: 3. Aufzug




DRITTER AUFZUG

RAUHER WALD, IM GRUNDE EINE HÖHLE.

Almaide. Magus.

MAGUS. Göttliche Fee! Was du mir erzählst, verwundert
mich nicht. Beruhige dich! Diese Rückfälle müssen uns
nicht erschrecken. Jede Natur, die sich aus einem gesunkenen
Zustande erheben will, muß oft wieder nachlassen,
um sich von der neuen, ungewohnten Anstrengung
zu erholen. Ich fürchte mich vor niemand mehr, als vor
einem Toren, der einen Anlauf nimmt, klug zu werden.
Wir müssen nicht verzagen, wir haben mehr solche Szenen
zu erwarten. Genug, daß sie einige Speise zu sich
genommen, daß sie den Gedanken gefaßt hat, an ihr liege es,
die Ihrigen zu retten. Wir haben uns nur zu hüten, daß wir
sie nicht zu geschwinde geheilt glauben, daß wir den Gemahl
ihr nicht eher zeigen, bis sie fähig ist, seine Gegenwart zu
ertragen. Laß uns eilen! ihr Platz machen! Sie kommt
hieher, wo neue Erscheinungen auf sie warten. (Beide ab)
LILA (mit dem Fläschchen in der Hand). Ich habe dir
unrecht getan, edler Alter! Ohne deinen Balsam würde
mir es schwer geworden sein, diesen düstern, rauhen
Weg zu wandeln. Die freundlichen Gottheiten sind geschieden.
Mich hält die Nacht in ihren Tiefen. Die Sterne
sind geschwunden. Ein rauher, ahndungsvoller Wind
schwebt um mich her.
CHOR DER GEFANGNEN (von innen). Wer rettet!
LILA. Es bangt und wehklagt aus den Höhlen!
CHOR (von innen). Weh! Weh!
LILA. Entgegen, schwaches Herz! Du bist so elend und
fürchtest noch?
CHOR (von innen). Erbarmen!
Was hilft uns Armen
Des Lebens holder Tag!
LILA. Es ruft dir! Dir! um Hilfe! Die armen Verlaßnen!
Ach!—Ja, es sind die Deinen. Ihr Götter! Hier sind sie
verschlossen! Hier gefangen! Ich halte mich nicht, es koste,
was es wolle. Ich muß sie sehn, sie trösten, und, wenn
es möglich ist, sie retten.

(Gefangne treten auf in Ketten, beklagen ihr Schicksal in
einem traurigen Tanze; da sie zuletzt Lila erblicken, staunen
sie und raten ihr pantomimisch, sich zu entfernen.)

LILA. Ihr werdet mich nicht bewegen, euch zu verlassen.
Vielleicht bin ich bestimmt, euch zu befreien und glücklich
zu machen. Der Himmel führt oft Unglückliche zusammen,
daß beider Elend gehoben werde.

Friedrich tritt auf.

FRIEDRICH. Wer ist die Verwegene, die sich dem Aufenthalt
der Angst und der Trauer nähern darf? Himmel, meine
Nichte! Lila, bist dus?
LILA. Friedrich! Darf ich mir trauen?
FRIEDRICH. Ja, ich bins!
LILA. Du bist es! (Sie faßt ihn an) Seid Zeugen, meine
Hände, daß ich ihn wiederhabe!—Und in diesem Zustande--
FRIEDRICH. Soll ich dirs sagen? Soll ich deine Trauer
vermehren? Ich bin, wir sind in diesem Zustande—durch
deine Schuld.
LILA. Durch meine?
FRIEDRICH. Erinnerst du dich? Es ist kurze Zeit, als
ich dir nicht weit von dieser Stelle begegnete.
LILA. Deinen Schatten glaubte ich zu sehen, nicht dich.
FRIEDRICH. Ebendas war mein Unglück! Ich reichte
dir die Hand, ich reichte dir sie flehend. Du eiltest nur
schneller vorüber. Ach, es war eben der Augenblick, da
mich der Dämon durch seinen grausamen Oger verfolgen
ließ. Hättest du mir deine Hand gereicht, er hätte keine
Gewalt über mich gehabt, wir wären frei und hätten zur
Freiheit deines Gemahls zusammen wirken können.
LILA. Weh mir!
FRIEDRICH. Siehst du hier diese? Du kennst sie alle.
Den frohen Karl, den schelmischen Heinrich, den treuen
Franz, den dienstfertigen Ludwig, diese guten Nachbarn
hier, du erkennst sie alle. Küßt ihr die Hand! Freut euch
ihrer Gegenwart!

(Einige der Gefangenen treten zu ihr, geben pantomimisch
ihre Freude zu erkennen und küssen ihr die Hände.)

LILA. Ihr seids! Ihr seid mir alle willkommen!—In Ketten
find ich euch wieder! Gute Freunde! Hab ich euch
doch wieder! Sind wir doch wenigstens zusammen! Wie
lang ists, daß wir uns nicht gesehen haben? Wie kann
ich euch retten? (Sie sieht sie voll Verwunderung an, schweigt
und sieht sie immer starrer und starrer an. Endlich wendet
sie sieh ängstlich hinweg.) Wehe mir! Ich kann nicht
bleiben, ich muß euch verlassen.
FRIEDRICH. Wie? Warum? Statt mit uns zu ratschlagen,
wie wir dem gemeinsamen Übel entgegengehen können,
willst du fliehn?
LILA. Ach, es ist nicht Feigheit, aber ein unbeschreiblich
Gefühl. Eure Gegenwart ängstigt mich, eure Liebe!
Nicht die Furcht vor dem Ungeheuer. Stünde er da, ihr
solltet sehn, daß Lila nicht zittert. Eure Liebe, die ich
mir nicht zueignen kann, treibt mich von hinnen! Eure
Stimme, euer Mitleiden mehr als eure Not.—Was kann
ich sagen?—Laßt mich—Laßt mich!
FRIEDRICH. Bleib und erwirb den Frieden,
Bleibe! du wirst uns befreien;
Freundliche Götter verleihen
Den schönsten Augenblick.
LILA. Ach, mir ist nicht beschieden,
Der Erde mich zu freuen;
Feindliche Götter streuen
Mir Elend auf mein Glück!
FRIEDRICH. Laß dich die Liebe laben!
LILA. Ach, sie ist mir entflohn!
FRIEDRICH. Mit allen Himmelsgaben
Sollst du ihn wiederhaben,
ist er so nahe schon.
LILA. Ach, alle Himmelsgaben
Sollt ich im Traum nur haben?
Wandre zum Grabe schon!

(Lila geht ab, Friedrich und die übrigen sehen ihr verlegen
nach.)

MAGUS. Folgt ihr nicht! Haltet sie nicht auf. Ich habe
euch und sie wohl beobachtet. Ich zweifle nicht an einem
günstigen Ausgange. Ich werde ihr folgen, ihr Mut einsprechen,
sie hierher zurückbringen. Es ist die Zeit, da
der Oger von der Jagd zurückkehrt. Da sie der Liebe
wenig Gehör gibt, laßt uns sehen, ob Gewalt und Unrecht
sie nicht aus dem Traume wecken. (Magus ab.)

(Der Oger kommt von der Jagd zurück und freut sich seiner
Beute. Er läßt sich von den Gefangenen bedienen, sie formieren
einen Tanz; der Oger tritt in die Höhle.)

LILA. (welche eine Zeitlang von der Seite zugesehen, tritt
hervor). Nun erst erkenn ich mich wieder, da mein Herz
an diesen fürchterlichen Platz sehnsuchtsvoll herfliegt.
Ja, ich wills, ich kanns, ich bins ihnen schuldig. Meine
Freunde!
FRIEDRICH. Was bringst du uns, Geliebte?
LILA. Mich selbst. Es ist nur ein Mittel, euch zu retten —daß ich euer Schicksal teile.
FRIEDRICH. Wie?
LILA. Mir ist offenbart worden: ich muß dem Oger trotzen,
ihn auffordern, ihn reizen; und da ich keine Waffen habe,
ihn zu bekämpfen, ihn zu überwinden, sollen mir die Ketten
willkommen sein, die mich an eure Gesellschaft
schließen.
FRIEDRICH. Du wagst viel.
LILA. Seid ruhig, denn ich bin der Eimer, den das Schicksal
in den Brunnen wirft, um euch herauszuziehen.

Der Oger tritt auf, erblickt Lila.

LILA. Ungeheuer, tritt näher! Meine Stimme ist die
Stimme der Götter! Gib diese los, oder erwarte die Rache
der Immergütigen!

(Unter dem Ritornell zu folgender Arie zeigt der Oger seine
Verachtung ihrer Schwachheit; er gebietet den Seinigen, Ketten
herbeizubringen, welche ihr angelegt werden.)

LILA. Ich biete dir Trutz!
Gib her deine Ketten!
Die Götter erretten.
Gewähren mir Schutz.

Ich soll vor dir erzittern.
Mir regt sich alles Blut,
Und in den Ungewittern
Erzeigt sich erst der Mut. (Der Oger geht ab)
FRIEDRICH. Jetzt, da du dich so männlich bezeigst, kann
ich dir erst ein Geheimnis entdecken, das vorher meine
Lippe nicht überschreiten durfte. Ja, du konntest allein
durch diese Tat uns alle retten. Halte dich fest an unsre
Gesellschaft.
LILA. Ists gewiß?
FRIEDRICH. Ganz gewiß. Der Dämon hat seine Feinde
mächtiger gemacht, er hat dich zum Siege gefesselt; er
wird sich einen Brand ins Haus tragen, der sein ganzes
Reich verzehren soll.
LILA. Sage weiter. Ich sehe nur Männer hierl Wo sind
meine Schwestern, unsre Nichten, wo die Freundinnen?
FRIEDRICH. Auf das seltsamste gefangen. Sie sind genötigt,
ihr Tagewerk am Rocken zu vollenden, wie wir
den Garten zu besorgen und im Palaste zu dienen. Du
wirst sie sehen.
LILA. Ich brenne vor Begierde.
FRIEDRICH. Doch laß uns ohne Beistand der Geister
nicht eilen; sie kommen, wir bedürfen ihres Rats.

Almaide. Chor der Feen treten auf.

ALMAIDE. Teure Schwester, find ich dich wieder!
LILA. In Freud und Schmerzen. Gefangen hier mit diesen
Geliebten. Ihre Gegenwart tröstet mich über alles und
belebt meine Hoffnung.
ALMAIDE. Laß dich nicht wieder durch unzeitige Trauer,
durch Bangigkeit und Sorgen zurückziehn. Gehe vorwärts,
und du erlangst deine Wünsche.
LILA. Laßt mich bald ans Ziel meiner Hoffnungen gelangen.
ALMAIDE. Schreite zu! Niemand kann es dir entrücken.
Nur vernimm unsern Rat.
LILA. Wie gern vernehm ich, wie gern befolg ich ihn!
ALMAIDE. Sobald du in dem Garten angelangt bist, so
eile an den nächsten Brunnen, dein Gesicht und deine
Hände zu waschen: sogleich werden diese Ketten von
deinen Armen fallen. Eile sodann in die Laube, die mit
Rosenbüschen umschattet ist. Dort wirst du ein neues
Gewand finden; bekleide dich damit, wirf deine Trauer
ab und schmücke dich, wie es einer Siegerin ziemt. Lege
den gestickten Schleier ums Haupt; dieser schützt dich
vor aller Gewalt des Dämons. So viel können wir tun;
das übrige ist dein Werk.
LILA. Belehrt mich weiter, was werd ich finden?
ALMAIDE. Diese Freunde werden dir alles erklären. Dein
Geist wird dich leiten, in jedem Augenblick das Rechte
zu wirken. Nur froh! Nur bald! Wir sagen: dein Gemahl,
dein Geliebter ist nah.
LILA. Sterne! Sterne!
Er ist nicht ferne!
Liebe Geister, kann es geschehn,
Laßt mich die Stätte des Liebsten sehn.
Götter, die ihr nicht betöret.
Höret:
Hier im Walde
Balde
Gebt mir den Geliebten frei.
Ja, ich fühl beglückte Triebe!
Liebe
Löst die Zauberei.
FRIEDRICH und ALMAIDE mit dem CHOR DER FEEN
und GEFANGENEN.
Gerne! Gerne!
Er ist nicht ferne!
Nur geduldig, es soll geschehn!
Du sollst die Stätte des Liebsten sehn.
Wir, die wir das Schicksal hören.
Schwören:
Hier im Walde
Balde
Machst du den Geliebten frei!
Sei nicht bange, sei nicht trübe!
Liebe
Löst die Zauberei.

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