> Gedichte und Zitate für alle: Lila-Singspiel von Johann Wolfgang v.Goethe: 2. Aufzug

2019-08-10

Lila-Singspiel von Johann Wolfgang v.Goethe: 2. Aufzug




ZWEITER AUFZUG

ROMANTISCHE GEGEND EINES PARKS.

LILA. Süßer Tod! süßer Tod! komm und leg mich ins
kühle Grab! --Sie verläßt mich nicht, die Melodie des
Todes, auch in den Augenblicken, da ich hoffnungsvoll
und ruhig bin. Was ist das, das mir oft so in der Seele
dämmert, als wenn ich nicht mehr wäre? Ich schwanke
im Schatten, habe keinen Teil mehr an der Welt. (Auf
Kopf und Herz deutend) Es ist hier so! und hier! daß
ich nicht kann, wie ich will und mag—Sagt dir denn
nicht eine Stimme in deinem Herzen: "Er ist nicht auf
ewig dir entrissen, daure nur aus! Er soll wieder dein
sein!"—Dann kommt wieder ein Schlaf über mich, eine
Ohnmacht—
Ich schwinde, verschwinde,
Empfinde und finde
Mich kaum.
Ist das Leben?
Ists Traum?
Ich sollte nicht behalten.
Was mir das Schicksal gab.
Ich dämmre! ich schwanke!
Komm, süßer Gedanke,
Tod! Bereite mein Grab!

(Sie geht nach dem Grunde,  indes tritt hervor)

DER MAGUS (der sie bisher beobachtet, Kräuter suchend).
Euch, die ihr auf wandernden Gestirnen über uns schwebt
und ihre gütigen Einflüsse auf uns herabsendet, euch
danke ich, daß ihr mir vergönnt habt, in guter Stunde
diese niedrigen Kinder der Erde in meinen Schoß zu
versammeln! Sie sollen, zu herrlichen Endzwecken bereitet,
aus meinen Händen wohltätiger und wirkender
wieder ausgehn durch die Gaben eurer Weisheit und euer
fortdauerndes Walten.
LILA (sich nähernd). Wie kommt der Alte hierher? Was
für Kräuter mag er suchen? Ists wohl ein harmloser
Mensch oder ein Kundschafter, der dich umschleicht, zu
forschen, wo man dir feindselig am leichtesten beikommen
mag? Daß man doch in dieser Welt so oft hierüber in
Zweifel schweben muß!—Entflieh ich ihm?
MAGUS (Für sich, aber lauter). Auch sie, die in diesen
einsamen Gefilden wandelt, erquickt durch eure liebreiche
Gegenwart! Erhebt ihr Herz, daß aus der Dunkelheit
sich ihre Geister aufrichten, daß sie nicht trübsinnig den
großen Endzweck versäume, dem sie heimlich sehnend
entgegenhofft!
LILA. Weh mir! Er kennt mich. Er weiß von mir.
MAGUS. Bebe nicht, gedrückte Sterbliche! Des Freundlichen
ist viel auf Erden. Der Unglückliche wird argwöhnisch,
er kennt weder die gute Seite des Menschen,
noch die günstigen Winke des Schicksals.
LILA (zu ihm tretend). Wer du auch seist, verbirg unter
dieser edlen Gestalt, verstecke hinter diesen Gesinnungen
keinen Verräter! Die Mächtigen sollten nicht lügen, und
die Gewaltigen sich nicht verstellen; aber die Götter
geben auch den Ungerechten Gewalt und gut Glück den
Heimtückischen.
MAGUS. Immer zu mißtrauen, ist ein Irrtum, wie immer
zu trauen.
LILA. Dein Wort, deine Stimme zieht mich an.
MAGUS. Willst du dich einem Wohlmeinenden vertrauen,
so sage: wie fühlst du dich?
LILA. Wohl, aber traurig; und vor dem Gedanken, daß
ich fröhlich werden könnte, fürchte ich mich wie vor dem
größten Übel.
MAGUS. Du sollst nicht fröhlich sein, nur Fröhliche machen.
LILA. Kann das ein Unglücklicher?
MAGUS. Das ist sein schönster Trost. Vermeide niemand,
der dir begegnet. Du findest leicht einen, dem du hilfst,
einen, der dir helfen kann.
LILA. Mein Gemüt neigt sich der Stille, der Öde zu.
MAGUS. Ist es wohlgetan, jeder Neigung zu folgen?
LILA. Was soll ich tun?
MAGUS. Gütige Geister umgeben dich und möchten dir
beistehn. Sie werden dir sogleich erscheinen, wenn sie
dein Herz ruft.
LILA. So nah sind sie?
MAGUS. So nah die Belehrung, so nah die Hilfe. Sie
wissen viel, denn sie sind ohne Beschäftigung; sie lehren
gut, denn sie sind ohne Leidenschaft.
LILA. Führe mich zu ihnen!
MAGUS. Sie kommen. Du wirst glauben, bekannte Gestalten
zu sehen, und du irrst nicht.
LILA. O diese gefährliche List kenne ich, wenn uns falsche
Geister mit Gestalten der Liebe locken.
MAGUS. Verbanne für ewig dieses Mißtrauen und diese
Sorgen. Nein, meine Freundin! die Geister haben keine
Gestalten; jeder sieht sie mit den Augen seiner Seele in
bekannte Formen gekleidet.
LILA. Wie wunderbar!
MAGUS, Hüte dich, sie zu berühren, denn sie zerfließen
in Luft. Die Augen trügen. Aber folge ihrem Rat. Was
du dann fassest, was du in deinen Armen hältst, das ist
wahr, das ist wirklich. Wandle deinen Pfad fort. Du
wirst die Deinigen wiederfinden, wirst den Deinigen
wiedergegeben werden.
LILA. Ich wandre! Und sollt ich zum stillen Flusse des
Todes gelangen, ruhig tret ich in den Kahn—
MAGUS. Nimm dieses Fläschchen, und wenn du Erquickung
bedarfst, salbe deine Schläfe damit. Es ist eine
Seele in diesen Tropfen, die mit der unsrigen nahe verwandt
ist, freundlich sich zu ihr gesellt und schwesterlich
ihr in den Augenblicken aufhilft, wo sie schaffen und
wirken soll und eben ermangeln will. (Lila zaudert.) Wenn
du mir mißtrauest, so wirfs ins nächste Wasser.
LILA. Ich traue und danke.
MAGUS. Verachte keine Erquickung, die Sterblichen so
nötig ist. Es herrschen die holden Feen über das Zarteste,
was der Mensch zu seinem Genuß nur sich auswählen
möchte. Sie werden dir Speise vorsetzen. Verschmähe
sie nicht.
LILA. Mir ekelt vor jeder Kost.
MAGUS. Diese wird dich reizen. Sie ist so edel als
schmackhaft, und so schmackhaft als gesund.
LILA. Einer Büßenden ziemt es nicht, sich an herrlicher
Tafel zu weiden.
MAGUS. Glaubst du, dir zu fruchten und den Göttern zu
dienen, wenn du dich dessen enthältst, was der Natur
gemäß ist? Freundin! dich hat die Erfahrung gelehrt, daß
du dich selbst nicht retten kannst. Wer Hilfe begehrt,
muß nicht auf seinem Sinne bleiben.
LILA. Deine Stimme gibt mir Mut. Kehr ich aber in
mein Herz zurück, so erschrecke ich über den ängstlichen
Ton, der darin widerhallt.
MAGUS. Ermanne dich, und es wird alles gelingen.
LILA. Was vermag ich?
MAGUS. Wenig! Doch erniedrige nicht deinen Willen
unter dein Vermögen.

Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei. (Ab)
LILA (allein). Er geht! Ungern seh ich ihn scheiden. Wie
seine Gegenwart mir schon Mut, schon Hoffnung einflößt!
Warum eilt er? Warum bleibt er nicht, daß ich an seiner
Hand meinen Wünschen entgegengehe? Nein, ich will
mich einsam nicht mehr abhärmen, ich will mich der Gesellschaft
erfreuen, die mich umgibt.—Zaudert nicht
länger, liebliche Geister! Zeigt euch mir! Erscheinet,
freundliche Gestalten!

(Chor der Feen, erst in der Ferne, dann näher. Zuletzt treten
sie auf an ihrer Spitze Almaide)

CHOR. Mit leisem Geflister,
Ihr luftgen Geschwister,
Zum grünenden Saal!
Erfüllet die Pflichten!
Der Mond erhellt die Fichten,
Und unsern Gesichten
Erscheinen die lichten,
Die Sternlein im Tal.

( Während dieses Gesangs hat ein Teil des Chors einen Tanz
begonnen, zwischen welchen Lila zuletzt hineintritt und Almaiden
anredet.)

LILA. Verzeiht einer Irrenden, wenn sie eure heiligen
Reihen stört! Ich bin zu euch gewiesen, und da ihr mir
erscheint, ist es mir ein Zeichen, daß ihr mich aufnehmen
wollt. Ich ergebe mich ganz eurem Rat, eurer Leitung.
Wäret ihr Sterbliche, ich könnte euch meine Freundinnen
heißen, euch Liebe geben und Liebe von euch hoffen.
Täuscht mein Herz nicht, das Hilfe von euch erwartet!
ALMAIDE. Sei nicht beklommen!
Sei uns willkommen!
Traurige Sterbliche,
Weide dich hier!

Wir in der Hülle
Nächtlicher Stille
Weihen
Den Reihen,
Lieben die Sterblichen;
Keine verderblichen
Götter sind wir.

(Im Grunde eröffnet sich eine schön erleuchtete Laube, worin
ein Tisch mit Speisen sich zeigt, daneben zwei Sessel stehen.)

Sei uns willkommen!
Sei nicht beklommen!
Traurige Sterbliche,
Weide dich hier!

(Lila wird von den Feen in die Laube genötigt, sie setzt sich
an den Tisch, Almaide gegen sie über. Die tanzenden Feen
bedienen beide, indes das singende Chor an den Seiten des
Theaters verteilt ist.)

CHOR. Wir in der Hülle
Nächtlicher Stille
Weihen
Den Reihen,
Lieben die Sterblichen;
Keine verderblichen
Götter sind wir.

(Lila steht auf und kommt mit Almaiden hervor)

ALMAIDE. Du bist mit wenigem gesättigt, meine Freundin.
Fast könntest du mit uns wandeln, die wir leichten
Tau von der Lippe erquickter Blumen saugen, und so uns
zu nähren gewohnt sind.
LILA. Nicht die Freiheit eines leichten Lebens sättigt
mich; der Kummer eines ängstlichen Zustandes raubt mir
die Lust zu jeder Speise.
ALMAIDE. Da du uns gesehen hast, kannst du nicht länger
elend bleiben. Der Anblick eines wahrhaft Glücklichen
macht glücklich.
LILA. Mein Geist steigt auf und sinkt wieder zurück.
ALMAIDE. Auf zur Tätigkeit, und er wird von Stufe zu
Stufe steigen, kaum rasten, zurück nie treten. Auf, meine
Freundin!
LILA. Was rätst du mir?
ALMAIDE. Vernimm! Es lebt dein Gemahl.
LILA. Ihr Götter, hab ich recht vermutet?
ALMAIDE. Allein er ist in der Gewalt eines neidischen
Dämons, der ihn mit süßen Träumen bändigt und gefangen
hält.
LILA. So ahnt ichs.
ALMAIDE. Er kann nie wieder erwachen, wenn du ihn
nicht weckst.
LILA. So ist er nicht tot? Gewiß nicht tot? Er ruht nur
auf einem weichen Lager, in keiner Gruft, ein herrlicher
Thronhimmel wölbt sich über dem Schlafenden? Leise will
ich an seine Seite treten, erst ihn ruhen sehn und mich
seiner Gegenwart erfreuen. Träumt er denn wohl von
mir?—Dann fang ich leise, leise nur an: Mein Lieber,
erwache! Erwache, mein Bester! Sei wieder mein! Richte
dich aufl Höre meine Stimme, die Stimme deiner Geliebten!—
Wird er denn auch hören, wenn ich rufe?
ALMAIDE. Er wird.
LILA. O führe mich zur Stätte, wo er sein Haupt niedergelegt
hat!—Und wenn er nicht sogleich erwachen will,
fass ich ihn an und schüttl ihn leise und warte bescheiden,
und schüttl ihn stärker und rufe wieder: Erwache!—
Nicht wahr, es ist ein tiefer Schlaf, in dem er begraben
liegt?
ALMAIDE. Ein tiefer Zauberschlaf, den deine Gegenwart
leicht zerstreuen kann.
LILA. Laß uns nicht verweilen!
ALMAIDE. Die Stätte seiner Ruhe vermögen wir nicht
sogleich zu erreichen; es liegt noch manche Gefahr, manches
Hindernis dazwischen.
LILA. O Himmel!
ALMAIDE. Dein Zaudern selbst war schuld, daß sich diese
Gefahren, diese Hindernisse nur vermehrten. Nach und
nach hat jener Dämon alle deine Verwandten, alle deine
Freunde in seine Gewalt gelockt; und wenn du säumst,
wird er auch dich überlisten, denn auf dich ist gezählt.
LILA. Wie kann ich ihm entgehen? Wie sie befreien?
Komm! Hilf mir! Komm!
ALMAIDE. Ich kann dich nicht begleiten, dir nicht helfen.
Der Mensch hilft sich selbst am besten. Er muß
wandeln, sein Glück zu suchen; er muß zugreifen, es zu
fassen; günstige Götter können leiten, segnen. Vergebens
fordert der Lässige ein unbedingtes Glück. Ja, wird es
ihm gewährt, so ists zur Strafe.
LILA. So fahret wohl! Ich gehe allein auf dunkelm
Pfade.
ALMAIDE. Verweile diese Nacht! Mit dem fröhlichen
Morgen sollst du einen glücklichen Weg antreten.
LILA. Nein, jetztl jetzt! Auf dem Pfade des Todes
gleitet mein Fuß willig hinab.
ALMAIDE. Höre mich!
LILA. Vom Grabe her säuselt die Stimme des Windes
lieblicher, als deine süße Lippe mich locken kann.
ALMAIDE (Für sich). O weh! Sie fällt zurück! Ich habe
zuviel gesagt! (Laut.) Hier in dieser Laube steht für
dich ein Ruhebette. Bediene dich sein, indessen wir unsre
stillen Weihungen vollenden. Wir wollen dich vor der
Kühle der Nacht, vor dem Tau des Morgens bewahren,
schwesterlich für dich sorgen und deine Pfade segnen.
LILA. Es ist vergebens, ich kann nicht ergreifen, was ihr
bietet. Eure Liebe, eure Güte fließt mir wie klares Wasser
durch die fassenden Hände.
ALMAIDE (für sich). Unglückliche, was ist für dich zu
hoffen? (Laut.) Du mußt bei uns verweilenl
LILA. Ich fühle die Güte,
Und kann euch nicht danken.
Verzeihet dem kranken,
Verworrenen Sinn!

Mir ists im Gemüte
Bald düster, bald heiter,
Ich sehne mich weiter.
Und weiß nicht wohin. (Ab)
ALMAIDE. Sie verliert sich in die Büsche. Sie entfernt
sich nicht weit. Auf, Schwestern, singt ihr ein Lied, daß
der Ton des Trostes um ihren Busen schalle.
ALMAIDE (mit dem Chor).
Wir helfen gerne.
Sind nimmer ferne,
Sind immer nah.
Rufen die Armen
Unser Erbarmen,
Gleich sind wir da!



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