> Gedichte und Zitate für alle: Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1788-1 (17)

2019-09-28

Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1788-1 (17)


1788-1





1788, 21. April.
Mit Freiherrn Gyldenstubbe


Ein sehr angenehmes Haus, in welchem ich [v. Unger] in Rom im Winter 1847/48 durch eine Empfehlung von Ottilie v. Goethe Zutritt fand, war das des Dänen Thygcson. Einmal wöchentlich war dort jour fixe. Eines Abends erschien dort ein sehr alter aber auffallend schöner Mann mit einer gleichfalls sehr schönen Dame von etwa 30 Jahren. Es war der schwedische Consistorialrath Baron Gyldenstubbe, und seine Enkelin, Frau v. H. Der alte Herr, welcher sehr gut deutsch sprach, war über meine Höflichkeit sehr erfreut und ebenso sehr über den jugendlichen Enthusiasmus, mit dem ich von Rom sprach. ›Ich war in Ihrem Alter‹, sagte er, ›als ich zum ersten Male in Rom war, es ist mir, als wenn ich mich selbst sprechen hörte. Ich habe damals, es ist über 60 Jahre her, Rom mit der festen Absicht verlassen, es wieder zu sehn; Sie sehen, ich habe sie ausgeführt.‹ »Das ist in Ihrem Alter ein wahres Heldenstück,« sprach einer der Zuhörer; »denn Sie sind doch gewiß 80 Jahre alt, Herr Baron.« ›Wo denken Sie hin!‹ erwiderte er, ›ich bin 93 Jahre alt.‹ »Und da unternehmen Sie noch eine solche Reise, blos um Rom wiederzusehen?« ›Nicht darum allein; ich hatte noch einen andern Grund: ich bin hierher gekommen um hier zu sterben.‹ »Und weßhalb wollten Sie das nicht in Ihrem Vaterlande?« ›Ach, das sollen Sie wissen. Bei meinem ersten Aufenthalt in Rom lernte ich Goethe kennen, und wir schlossen uns sehr eng an einander an; denn wir harmonirten wunderbar mit einander. Eines Abends stiegen wir zusammen vom Monte Testaccio herab, und lagerten uns neben die Pyramide des Cestius auf dem Kirchhofe, wo schon damals die Protestanten begraben wurden. Goethe's Abreise stand bevor; er war in höchstem Grade ergriffen, und konnte den Gedanken noch gar nicht fassen, sich von Rom trennen und nach Deutschland zurückkehren zu müssen. O, rief er, hier todt zu liegen, das wäre ja schön, unendlich schöner, als in Deutschland zu leben. Höre Wolfgang, sprach ich zu ihm, Du hast noch eine große Aufgabe zu erfüllen, darum mußt Du leben, aber was hindert Dich, hier neben der Pyramide des Cestius Deine letzte Ruhestätte zu suchen? Du hast Recht, rief er aufspringend, das will ich, aber Du mußt es auch thun! dann vereinigt auch uns beide der Tod wieder. – Schwöre mir, daß wir beide im Tode hier wieder zusammen treffen werden. Ich schwöre es Dir, sprach ich; dann schlossen wir einander lange und fest in die Arme. Am folgenden Tag reiste er ab – und ich habe ihn nicht wieder gesehen.‹


1788, 7. August. 
Mit Caroline Herder geb. Flachsland 


Goethe kam auch heute wieder und sagte mir die besten Folgen Deiner Reise vor. Unter andern sagte er auch, daß er vierzehn Tage vor der Abreise aus Rom täglich wie ein Kind geweint habe.


1788, 8. August. 
Mit Caroline Herder geb. Flachsland


Elisa [Gore] will dir das nächste Mal schreiben. Sie hat zwei Briefe aus »Werther« übersetzt ins Italienische; da wir dabei waren, kam Goethe. Sie hat ein sehr warmes Herz für ihn, und konnte nicht mehr lange bleiben. Goethe grüßt Dich tausend-tausendmal. Er empfindet Deine Abwesenheit nach mir am meisten. Durch Dein Gespräch, durch die Aufnahme seiner Gedanken und Mittheilung der Deinigen, die ihm forthelfen, hattest Du ihm viel gedient. Mit Knebel, sagt er, sei das nicht so. Auch im Politischen sieht er, daß nichts zu thun sei. Er hat sehr offen darüber gesprochen, das sich aber nicht schreiben läßt und Du alles selbst schon weißt. Sobald der Herzog fort ist, will er an den achten Band seiner Werke gehen. Will dieß Jahr noch viel arbeiten. Sein Motto ist abermals: »Wenn Du stille bist, wird Dir geholfen.«



1788, 8. August. 
Mit Caroline Herder 


Goethe grüßt Dich [Herder] tausend-tausendmal. Er empfindet Deine Abwesenheit nach mir am meisten. Durch Dein Gespräch, durch die Aufnahme seiner Gedanken und Mittheilung der Deinigen, die ihm forthelfen, hattest Du ihm viel gedient. Mit Knebel, sagt er, sei das nicht so. Auch im Politischen sieht er, daß nichts zu thun sei. Er hat sehr offen darüber gesprochen, das sich aber nicht schreiben läßt und Du alles selbst schon weißt. Sobald der Herzog fort ist, will er an den achten Band seiner Werke gehen. Will das Jahr noch viel tun. Sein Motto ist abermals: »Wenn Du stille bist, wird Dir geholfen.«

1788, 14. August. 
Mit Caroline Herder



a. 

Eben war Goethe da; er hat viel Lustiges – ich möchte sagen: Betäubendes – über seine häusliche menschliche Situation gesagt; es war aber in allem so viel Klarheit und Richtigkeit, daß das Betäuben nicht statt hat. Er hat nun alles Glück und Wohlsein auf Proportion, und das Unglück auf Disproportion reducirt. Ihm sei es jetzt gar wohl, daß er ein Haus habe, Essen und Trinken hätte und dgl. Alles was Du in Deinen 3 Bänden der [»Ideen zur] Philosophie [der Geschichte der Menschheit«] von den Tataren bis zu den Römern geschrieben hättest, käme alles darauf hinaus, daß ein Mensch ein Hauswesen besitze – und (setzte ich hinzu) mit Vernunft sich regierte.

Das ist der kurze Auszug unseres Gesprächs, das wir mit ziemlich guter Laune gehalten haben.

b. 

Goethe besucht mich fleißig; er war gestern da; ich habe Dir im Brief der Herzogin etwas vom Gespräch erzählt. Im Ganzen will es mir nicht wohl mit ihm werden. Er lebt jetzt ohne seinem Herzen Nahrung zu geben. Die Stein meint, er sei sinnlich geworden, und sie hat nicht ganz unrecht. Das Hofgehen und Hofessen hat etwas für ihn bekommen. Er will sich diesen Winter ganz an die Herzogin halten; das sei die einzige, die ihm geblieben. Mitunter sollte ich und die Imhof zu ihm zu Thee kommen. Ich sagte ja, wenn die Stein mitkäme. »Ach! mit der ist nicht viel anzufangen«, sagte er; »sie ist verstimmt, und es scheint nicht, daß etwas werden will.« Ich nahm ihre Partie so gut ich konnte; ich glaube aber nicht, daß er ihr entgegengeht.


1788, 17. August. 
Mit Caroline Herder


Goethe besucht mich meistens all andern Tag. Er war gestern Nachmittag da. Er ist beinah wie ein Chamäleon: bald bin ich ihm gut, bald nur halb. Er will sich auch nie zeigen und nimmt sich vor jeder Äußerung in acht, daraus man Schlüsse machen könnte; darum ändert er auch, glaube ich, so oft die Reden. Jetzt schreibt er sein Pflanzensystem auf und erwartet Dich künftiges Jahr mit Verlangen dazu; er will's in's Lateinische übersetzen und Du sollst es corrigiren. Dabei war nun zu hören, daß er auf einige Jahre Arbeit sich zugeschnitten hat. Er hat das erste Buch und das über's Christenthum Deiner »Ideen« gelesen und hat großes Wohlgefallen daran; im ersten Buch hättest Du dem Gewirr der Völker ein eignes Interesse dadurch gegeben, daß Du sie auf den Ursprung zurückgeführt. Dem Rom und Papst hättest Du auch Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem Du gezeigt, was sie gethan u.s.w. Deutlich kann ich's nicht so recht wiederholen; ich sagte ihm, er möchte Dir einmal ein Wort darüber schreiben.

1788, 25. August. 
Mit Caroline Herder


Den 25. wurde dem guten Adelbert [zum Geburtstag] das Tischchen gedeckt ..... Um 11 Uhr kam Knebel und bald darauf Goethe; zugleich kam auch das Packetchen Bücher aus Nürnberg, und das Jubeln der Kinder war sehr groß ..... Ich las aus dem Brief Goethe und Knebeln vor und sie hatten beide gleiche Freude mit mir; nicht genug können sie die gute Art und das reingewaschene Auge loben, mit dem Du alles siehest und so vielfach siehest. Goethe interessirt das umsomehr, da er, wie er sagte, nur Eine Sache sähe. Nun wurde der Pack aufgemacht. Goethe bekam seinen Brief oder vielmehr Gedichte. Emil maßte sich den Pack Pfefferkuchen an .... Goethe und Knebel aßen von allem mit .... Goethe war sehr gut. Ich lobte ihn, daß er zu dieser guten Stunde gekommen, da er die ganze Woche nicht dagewesen sei. »Ja,« sagte er, »ich war schon auf dem Weg nach meinem Garten und mußte umwenden; es trieb mich her, nicht die Liebe, sondern vielleicht die Verzweiflung. Ich ging soeben vom Herzog weg.« Nun war von seinem Geburtstag die Rede; ich erinnerte ihn an unsern »Gott« [von Herder], den er voriges Jahr erhalten hatte. »Da bekam ich,« sagte er lächelnd, »den Gott, um dies Jahr an keinen zu glauben.« Es müssen unangenehme Dinge durch sein Gemüth gehen.

1788, 26. oder 27. August. 
Mit Caroline Herder


Goethe war diese Woche noch zweimal da; er liest noch an Deinem vierten Theil. Die wilden Völker, Attila, Geiserich und Consorten haben ihn sehr interessirt; er hat viel davon gesprochen und wird Dir schreiben. Er meint: wenn Du wieder kommst, wirst Du dem Werk einen eignen Glanz geben, aber in der Grundidee nichts ändern können, weil alles unvergleichlich und glücklich gedacht und gestellt sei. Er war sehr heiter und gut.

1788, Ende August oder Anfang September. 
Mit Caroline Herder


[Mit Bezug auf die Reise der Baronin v. Seckendorf, um sich den nach Italien reisenden Geistlichen, Herder und Domherr Frh. v. Dalberg anzuschließen.]

Goethe ist recht billig. »Wie Herder die Sache mit der Seckendorf ansieht, so ist sie,« sagte er; »nimmt er sie gut auf, so ist sie gut.«


1788, 4.-8. September. 
Mit Caroline Herder

Goethe sagte neulich: »Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.«

Ehe ich weiter schreibe, will ich Dir auch etwas von der Kochberger Fahrt sagen. – Den 5. früh 6 Uhr fuhren wir ab: Goethe, die kleine Schardt, ich und Fritz [v. Stein]. Der schönste Himmel war's, kein Wölfchen den ganzen Tag; wir waren alle gleich heiter gestimmt. Die Schardt ward über ihre Zuneigung zu den Engländern sehr raillirt, Goethe hat ihr vornehmes und bornirtes Wesen detaillirt, ist über das Betragen des Hofs gegen sie ziemlich piquirt und hat offen und sehr vernünftig darüber geredet. Um halb 11 Uhr hatten wir den stoßigen Weg geendigt. Lotte Lengefeld kam zuerst, uns zu empfangen, dann die Frau v. Stein, die uns alle freundlich empfing, doch ihn [Goethe] ohne Herz. Das verstimmte ihn den ganzen Tag. Wir sahen Zeichnungen, die er mitgebracht. Nachmittag schlief er, und Abends las ich ihr Stellen aus Deinen Briefen vor. Das gab nun eine allgemeine Wärme und Theilnehmung. Tags vorher hatte Goethe dem Prinz August und dem Herzog über das Christenthum [aus den »Ideen«] vorgelesen, die es außerordentlich erfreut hatte. Da bekam er nun in Kochberg einen Brief hierüber, den er Dir schicken wird. Wir sprachen viel von Dir. Der andere Tag war in allem diesem gleich, nur daß Goethe einiges las, das er in den »Merkur« geben will: etwas über die Kunst, Beobachtungen über die Witterung und von der heiligen Rosalia in Palermo ..... Den Sonntag gings nach Rudolstadt in's Lengefeldische Haus, das eine herzgute Familie ist. Schiller war auch da; Goethe betrug sich gut gegen ihn und es war eine gute Stimmung. Die Gegend ist schön. Abends nach Kochberg im Mondschein. Goethe sagte das Gedicht über die Rosenkreuzer [»Die Geheimnisse«] und erzählte aus dem »Tasso«. Den andern Tag gings wieder nach Hause über Orlamünde und Jena in dem unvergleichlichen Saalthal und schönsten Wetter. Durch Schiller's Gedicht über »die Götter [Griechenlands«], das Du kennst, kam Goethe auf die Eigenschaften, die die Alten in ihren Göttern und Helden in der Kunst dargestellt haben, wie es ihm geglückt sei, den Faden des Wie hierin gefunden zu haben. Er hat hierüber mit Dir, da ich zuhörte, viel gesprochen. Er sagte endlich: wenn Ludwig XIV. noch lebte glaubte er durch seine Unterstützung die ganze Sache ausführen zu können; er hätte einen Sinn für das Große gehabt. Mit 10-12000 Rthlrn. des Jahrs könnte er's in zehn Jahren – in Rom allein, versteht sich's – ausführen. Der moralische Sinn darinnen hat mich sehr gerührt. Ihr beide geht wie zwei Genien der Menschheit zu einem Ziel. Gar schön war's, wie er sagte, daß ein einzelner Mensch nie einen Charakter in dem höchsten Ausdruck haben könne; er würde nicht leben können: er müßte vermischte Eigenschaften haben, um zu existiren. Er war in der Stunde, da er dies alles Sprach, recht in seinem Himmel und wir haben ihm endlich versprechen müssen, mit niemand davon zu reden. Du warst natürlich nicht darunter begriffen; denn Du gehörst ja ganz eigentlich und allein zu diesem Gespräch. Dich vermißt er je länger je mehr. Mit Knebel kann er über nichts reden, sagte er; Du verstehst ihn und hilfst ihm vorwärts durch Dein Studium. In Jena aßen wir den Mittag bei Knebel, der durch die hiesige Wirthschaft ziemlich verstimmt war.
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Gehe ja gleich auf's Land nach Tivoli etc., damit das schwere Rom Dich nicht so sehr drückt. Goethe sagte, wenn er wieder nach Rom käme, würde er von 12 Uhr bis 2 schlafen, die Stunden vor dem Essen. Viele thäten es so und befänden sich wohl. Einen seidnen Gürtel, der dort Morgens und Abends getragen wird, unter der Weste, kaufe ja bald und vergesse ihn besonders des Abends nicht; man trägt ihn in der Tasche mit sich, um ihn immer zu haben.


1788, 7. September. 
Mit Caroline Herder 


Über die Götter und Helden will ich Dir [Herder] doch etwas sagen, was ich damals beiläufig von Goethe gehört habe, als er von den Charakteren in den Bildsäulen sprach, als wir von Kochberg zurückfuhren. »Es ist selbst schwer einen ächten und wahren Götter- und Heldenkopf unter den alten aufzufinden. Der Künstler hat oft, wenn er diesen oder jenen ehren wollte, sein Portrait zum Gott oder Helden, oder jenes Frauenportrait zur Göttin genommen. Dazu gehört ein Studium, die ächten Ideale aufzufinden.« Vielleicht weißt Du dies schon, oder es wird Dich aufmerksam machen. Wenn Goethe begünstigt würde durch Glück, Geld und Künstler in Rom, so glaube ich gewiß, daß er jeden menschlichen Charakter vom Scheitel bis zur Fußsohle, wie er glaubt, herausbringen könnte. Dies scheint tief in seiner Seele zu liegen. Sage aber um Gotteswillen keinem etwas davon, weder Angelica noch den Malern! Wir haben ihm ein heiliges Stillschweigen angeloben müssen.


1788, 7. September. 
Mit Friedrich Schiller

Endlich kann ich Dir [Körner] von Goethe erzählen, worauf Du, wie ich weiß, sehr begierig wartest. Ich habe vergangenen Sonntag beinahe ganz in seiner Gesellschaft zugebracht, wo er uns mit der Herder, Frau von Stein und der Frau von S[chardt], der, die Du im Bade gesehen hast, besuchte. Sein erster Anblick stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so; sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, lebhaft, und man hängt mit Vergnügen an seinem Blicke. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett und schien mir älter auszusehen, als er meiner Berechnung nach wirklich sein kann. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistvoll und belebt; man hört ihn mit überaus vielem Vergnügen; und wenn er bei gutem Humor ist, welches diesmal so ziemlich der Fall war, spricht er gern und mit Interesse. – Unsere Bekanntschaft war bald gemacht und ohne den mindesten Zwang; freilich war die Gesellschaft zu groß und Alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte sein oder etwas anderes als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können. Er spricht gern und mit leidenschaftlichen Erinnerungen von Italien; aber was er mir davon erzählt hat, gab mir die treffendste und gegenwärtigste Vorstellung von diesem Lande und diesen Menschen. Vorzüglich weiß er einem anschaulich zu machen, daß die Nation mehr als jede andere europäische in gegenwärtigen Genüssen lebt, weit die Milde und Fruchtbarkeit des Himmelstriches die Bedürfnisse einfacher macht und ihre Erwerbung erleichtert. – Alle ihre Laster und Tugenden sind die natürlichen Folgen einer feurigen Sinnlichkeit. Er eifert sehr gegen die Behauptung, daß in Neapel so viele müßige Menschen seien. Das Kind von fünf Jahren soll dort schon anfangen zu erwerben; aber freilich ist es ihnen weder nöthig noch möglich, ganze Tage, wie wir thun, der Arbeit zu widmen. In Rom ist keine Debauche mit ledigen Frauenzimmern, aber desto hergebrachter mit verheiratheten. Umgekehrt ist es in Neapel. Überhaupt soll man in der Behandlung des anderen Geschlechts hier die Annäherung an den Orient sehr stark wahrnehmen. Rom, meint er, müsse sich erst durch einen längeren Aufenthalt den Ausländern empfehlen. In Italien soll sich's nicht theurer und kaum so theuer leben, als in der Schweiz. Die Unsauberkeit sei einem Fremden fast ganz unausstehlich.

Angelica Kaufmann rühmt er sehr, sowohl von Seiten ihrer Kunst, als ihres Herzens. Ihre Umstände sollen äußerst glücklich sein, aber er spricht mit Entzücken von dem edlen Gebrauch, den sie von ihrem Vermögen macht. Bei allem ihrem Wohlstande hat weder ihre Liebe zur Kunst, noch ihr Fleiß nachgelassen. Er scheint sehr in diesem Hause gelebt zu haben und die Trennung davon mit Wehmuth zu fühlen.

Ich wollte Dir noch mehreres aus seiner Erzählung mittheilen, aber es wird mir erst gelegentlich einfallen. Im Ganzen genommen ist meine in der That große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir (an Jahren weniger, als an Lebenserfahrungen und Selbstentwickelung) so weit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammenkommen werden, und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang her anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schließt sich's aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.

Dieser Tage geht er nach Gotha, kommt aber gegen Ende des Herbstes wieder zurück, um den Winter in Weimar zu bleiben. Er sagt mir, daß er Verschiedenes in den »Mercur« geben werde; ob er auf nächste Ostermesse seine Schriften endigen würde, macht er zweifelhaft. Jetzt arbeitet er an Feilung seiner Gedichte.

1788, erstes Drittel des September. 
Mit Caroline Herder


Aus Deinem Briefe aus Innsbruck war genug zu ahnen. Ich sagte nur wenige Worte an Goethe, da antwortete er: »Er wird Italien schnell, aber gut sehen; im Juni eilt er wieder zu Ihnen.« Es ist alles auf's höchste auf die Seckendorf aufgebracht und das mit Recht, aus doppelter Ursache: Euch die Reise zu verderben, sieht ein Jeder, und dann die weibliche Ehre so ganz zu beleidigen ..... In Rom kann Dalberg die Seckendorf nicht bei sich haben; das ist gegen alle Sitte, man duldet es sogar nicht. Goethe zuckt darüber die Achseln. »In Neapel,« sagt er, »ist das alles erlaubt, nur in Rom nicht.«


1788, 22. September. 
Mit Caroline Herder



a. 
Ich schreibe Dir [Herder] heute schon wieder, die Affaire des Geldes kränkt mich aber je länger je mehr. Je länger ich darüber nachdenke, je unedler und niedriger finde ich's, daß Dich Dalberg bezahlen läßt. Er hat Dir die Reise angetragen; er wußte so gut, als wir, daß Du nicht in der Verfassung bist, eine Reise nach Italien zu unternehmen, noch weniger mit ihm al Barone zu bezahlen. Unsre Gutheit spielt uns eben immer üble Streiche, und in der ersten Aufwallung und Theilnehmung an Deinem Verdruß dachte ich, ich könnte und müßte Dir Geld schaffen, wenn auch gleich zu unserm Nachtheil. Die Sache wird mir aber je länger, je wichtiger, ich habe daher gegen Dein Verbot gehandelt und in Zeiten, ehe wir etwas durch gutherzige Übereilung verderben, Goethe um Rath gefragt. Wie ihn das ganze Betragen indignirt hat, kann ich Dir nicht sagen. An dem allen ist freilich niemand, als die Seckendorf schuld; Dalberg selbst ist aber äußerst schwach, daß er Dein Anerbieten des Mitbezah lens angenommen hat. Jetzt müssen wir darauf denken, daß wir in kein größeres Labyrinth kommen ohne unsere Schuld. Das Resultat unserer Berathschlagung hierüber ist dieses. Das Geld, was ich Dir diesen Winter bis Ostern ersparen kann, müssen wir als einen Hinterhalt zu Deiner Rückreise aufheben. Du selbst mußt nun mit Dalberg mündlich und allein, nur um Gotteswillen nicht schriftlich, durch einen Brief etwa, sprechen, ihm ungefähr dies sagen: »Du hättest die Reise auf sein Anerbieten mit ihm unternommen; er wüßte sowohl wie Du, daß Du nicht mit Frau und sechs Kindern in dem Verhältniß wärest, eine solche Reise auf Deine Kosten zu thun. Du sowohl, als alle Deine Freunde hier sind in der Meinung gewesen, daß Du auf seine Kosten mitreistest. Er selbst war es gewiß nicht anderes Sinnes, da er in Augsburg alles zu bezahlen übernommen hat. Da nun die Reise durch den Beitritt der Frau von Seckendorf so hoch gekommen, so hättest Du freilich aus übergroßer Gutmüthigkeit Deinen Theil davon mit bezahlt, Du müßtest ihm aber sagen, daß Du Dich nicht darauf eingerichtet hättest, auch nicht in der Verfassung seiest, Dir von Hause Geld kommen zu lassen. Indessen, wenn es seine Meinung sei, daß Du bezahlen sollst, so müßte er Dir aus seiner Casse so viel leihen, als Du brauchst, und Du würdest ihm solches nach Deiner Heimkunft nach und nach abtragen.« Hier bitte ich Dich nun, lieber Engel! auf den Knieen, gegen undelicates Betragen nicht delicat zu handeln, sondern diesen Vorschuß als Gerechtigkeit von ihm zu verlangen, und Du wirst es auch erhalten. Goethe behauptet, Dalberg müsse einen unbedingten Creditbrief mithaben, anders hätte er die Reise nicht unternehmen können. »Sie sind eben wie Kinder,« sagte er, »die einen Spinnrocken anzünden und, wenn er dann brennt, darüber erschrecken. Ja, ich weiß es am besten, was es für Geld kostet, und obendrein ein Weib mitzuführen, ist lächerlich, kostspielig, und macht weder Spaß noch Nutzen« ..... Findest Du für nothwendig, von Dalberg zu ziehen, mehrerer Ersparniß wegen, so ist das Zimmer, das für den Kayser bestimmt war und worinnen Goethe logirt hat, noch ledig. Da könntest Du, wenn Du auch mit ihnen zu Tisch gehest, was Merkliches ersparen, und mit Bury kannst Du das alles abmachen. Goethens Freunde werden Dir dort mit Rath und That an die Hand gehen, wenn Du Zutrauen zu ihnen hast, sagt Goethe. – Die Rückreise hat Goethe 500 Rthlr. gekostet; Dich wird sie nicht um einen Pfennig weniger kosten. Die 100 Rthlr., die darüber sind, gehen für einige Liebhabereien zu kaufen drauf.
b.
Wie Goethe vom Bezahlen hörte, rief er aus: »Den Teufel auf den Kopf! Glaubt der kleine Mensch, daß er Herder'n nicht unendliche Verbindlichkeit schuldig ist, daß er die Reise mit ihm unternommen hat! Sein Verstand, seine Kenntnisse und sein Werth müssen unschätzbar für ihn sein. Nein! Ihr müsset durchaus in keine Verlegenheit durch ihn kommen. Er muß bezahlen, das ist er schuldig.«


1788, Ende September. 
Mit Caroline Herder 


Goethe hat mir die erste Abtheilung seiner Gedichte gegeben. Es sind gar schöne darunter, besonders zwei idyllenartig, die mir ganz vorzüglich gefallen. Ich habe recht Vernünftig mit ihm darüber gesprochen; er wird auch An die Christel und Käthchen1 auf meine Bitte herauslassen.

1 Die ›Christel‹ und ›Wahrer Genuß‹ überschriebenen Gedichte, die früher im ›Merkur‹ und in der ›Iris‹ erschienen waren.




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