1822
1822, 8. Mai.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1822, 15. Mai
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1822, 22. Mai.
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
»Habt nur Glauben daran, so wird das Geld dazu nicht fehlen. Wie wäre Francke in Halle zu seinem Maisenhause, wie Falk hier an seinem jetzigen Gebäude gekommen ohne Glauben? Haben sie nicht aus allen Ecken dazu zusammen geklaubt?«
Bald entspann sich großer Meinungsstreit über die griechischen Angelegenheiten.
Er führte gegen mich die Sätze durch, daß der Krieg nur den Untergang der einzelnen Christen in der Türkei beschleunigen werde, daß Konstantinopel doch nicht zerstört, keinem unserer Potentaten aber ohne Gefahr, dessen Weltherrschaft dadurch zu begründen, überlassen werden könne.
Wollte man aber einen minder mächtigen Staat oder eine Republik dort gründen, so würden die größeren Mächte dort fortwährend um Steigerung ihres Einflusses sich bemühen, und eine ebenso unselige Gewaltenzersplitterung hervortreten, als z.B. jetzt zu Mainz.
Dabei erzählte er die merkwürdige Expedition des Dogen Dandolo von Venedig zu Anfang des 13. Jahrhunderts nach Konstantinopel mit französischen Rittern, die es auch wirklich eroberten.
v. Henning, der ehemalige Referendar zu Erfurt, hatte Goethen von Berlin gemeldet, daß er so eben im großen akademischen Hörsale über seine Farbenlehre zu lesen anfange, was Goethen große Freude macht, und wozu er selbst einigen Apparat mitgetheilt hat.
Auf mein Verwundern, daß Henning als Jurist sich dieser Wissenschaft jetzt widme, sagte er ganz lakonisch: »Er hat eben aus dem Studium der Gesetze nichts weiter als die Einsicht in den üblen Zustand der Menschen gewinnen können, und sich darum zur Natur gewendet.«
Des Großherzogs freundlichen Besuch diesen Morgen rühmte Goethe dankbarlichst; der Fürst habe vieles schon Geschehene hinsichtlich auf die Jenaischen Museen belobt, Konstantinopel mit französischen Rittern, die es auch wirklich eroberten.
v. Henning, der ehemalige Referendar zu Erfurt, hatte Goethen von Berlin gemeldet, daß er so eben im großen akademischen Hörsale über seine Farbenlehre zu lesen anfange, was Goethen große Freude macht, und wozu er selbst einigen Apparat mitgetheilt hat.
Auf mein Verwundern, daß Henning als Jurist sich dieser Wissenschaft jetzt widme, sagte er ganz lakonisch: »Er hat eben aus dem Studium der Gesetze nichts weiter als die Einsicht in den üblen Zustand der Menschen gewinnen können, und sich darum zur Natur gewendet.«
Des Großherzogs freundlichen Besuch diesen Morgen rühmte Goethe dankbarlichst; der Fürst habe vieles schon Geschehene hinsichtlich auf die Jenaischen Museen belobt, anderes noch erst zu Unternehmende gebilligt, manches Neue angeregt, sich durchgehends gnädig, förderlich, innerlich zufrieden erwiesen.
Wegen des gewünschten Portraits von Kolbe für die Jenaische Bibliothek sei es jetzt klüger zu pausiren; gegen ein Vorurtheil müsse man nie auf der Stelle ankämpfen; mit der Zeit werde sich Alles leichter machen. Er bat mich mit Kolben im Nebenzimmer wegen Ankaufs seines jetzt in der Arbeit begriffenen Portraits zu sprechen, was denn auch gleich geschah.
Mit Freude vernahm ich, daß er mir den neuen Band aus seinem Leben, den Feldzug von 1792 und 1793 betreffend, schenken wolle; »der Großherzog ist recht zufrieden damit«; sagte er; »es handelt sich zwar nicht geradezu um ihn, aber so oft er vorkommt, so fällt immer, wie aus einem Spiegel, ein interessantes Bild von ihm zurück.«
So hatten wir etwa bis 7 Uhr geschwatzt; Riemer war eben geschieden, als Gräfin Julie v. Egloffstein sich anmelden ließ. »Ja, wenn sie es auf Gefahr der bösen Gesellschaft, in der sie mich findet, wagen will; doch kann ich es ihr freilich nicht zumuthen,« ließ er ironisch antworten, und empfing sie mit tausend Scherzen und Neckereien. »Es geht mir schlecht« sagte Goethe, »denn ich bin weder verliebt, noch ist jemand in mich verliebt.«
1822, 22. Mai.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
Sehr geistreich war Goethe's Bemerkung bei Gelegenheit der fatalen Angelegenheit des Diaconus Thieme in Ilmenau, daß ein Fürst, der lange regiere, so vieles sich von selbst wiederherstellen sehe, daß nothwendig dadurch eine mindere Regsamkeit bei Anwendung drohender Übel entstehe.
1822, 11. Juni.
Mit Friedrich von Müller
und August von Goethe
Mit Friedrich von Müller
und August von Goethe
Die von mir aus Wettin mitgebrachten Mineralien gaben zu geognostischen Gesprächen Anlaß. »Ich habe,« sagte er, »gar keine Meinung mehr, seit die meisten Meinungen der Gelehrten so absurd in dieser Materie sind: ewige Opposition, ewiges nicht Anerkennen dessen, was mühsam erforscht ist; jede Anschauung will man sogleich tödten und in bloße Begriffe auflösen. Ach, die Menschen sind gar zu albern, niederträchtig und methodisch absurd; man muß so lange leben als ich, um sie ganz verachten zu lernen.« Roscoe hat sein neues Werk »Illustrations«1 Goethen überschickt. Lady Morgan ist ihm verhaßt. – »Die Constitutionen sind wie die Kuhpocken, sie führen über einmal grassirende Krankheiten leichter hinweg, wenn man sie zeitig einimpft.« Ich erzählte aus Aristophanes' Fröschen und tadelte seinen übertriebenen Cynismus. Goethe meinte, man müsse ihn wie den Casperle betrachten und läßlich nehmen. Meyers Abreise nach Wiesbaden gab Goethen Anlaß, großen Schmerz über wankende Gesundheit dieses alten Freundes kund zu geben. »Es ist entsetzlich für solche tüchtige, treffliche Männer besorgt sein zu müssen, und die Esperanza setzt sich nur auf den Rand der Urne.«In der letzten halben Stunde ward Goethe immer in sich gekehrter, abbrechender, er schien körperlich zu leiden, der besorgte Sohn mahnte mit Recht an den Rückzug und so schied ich um 8 1/2 Uhr ganz bedenklich und betrübt.
1 Mrs. Roscoe, Floral Illustrations.
1822, 18. Juni.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
»Seien Sie mit der Absendung nicht eilig,« sagte Goethe; »wir müssen dem Zahne noch etwas abgewinnen; verwahren Sie ihn bis zu meiner Rückkunft von Marienbad,« – was ich zusagte.
Er blätterte wohlgefällig in meinem Manuscripte über die Sitten der Egerländer, und bezeigte Freude über die colorirten Zeichnungen. Auch ersuchte er mich, für ihn Wein in Karlsbad zu besorgen, und reiste nach Marienbad ab.
1822, 30. Juni.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Ich erwiederte, daß meine Geschäfte mir dieses große Vergnügen rauben, indem ich heute wieder in Eger eintreffen müsse.
»Seien Sie mein Gast« sagte Goethe, »ich habe den Professor Zauper aus Pilsen kennen gelernt. Der Mann hat Kenntnisse, er gefällt mir sehr wohl, ich habe ihm auch Aufmunterndes gesagt.«
Ich drückte meine Bewunderung der aus der Umgegend von Marienbad gesammelten Mineralien aus.
Darauf Goethe: »Nicht wahr, mein Stadelmann hat schon viel Gutes zusammengeschleppt, die Gegend ist sehr interessant, auch ist er am Fundorte der Augiten gewesen, und wie Sie sehen, habe ich eine schöne Suite ihres Vorkommens am Wolfsberge beisammen. Es gibt viel zu ordnen und zu schreiben, das wollen wir für Eger vorbehalten, und Sie, Freund, dabei in Anspruch nehmen.«
Sowohl beim Spaziergange als bei der Tafel war Goethe sehr heiter und wir mit ihm.
1822, 24. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Goethe kam Nachmittags um 4 Uhr in Eger an. Der Bediente Stadelmann suchte mich auf und fand mich am Egerfluße mit der aus demselben zu Tage geförderten Heideneiche beschäftigt.
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Ich traf Anordnung wegen Bewachung des Eichenstammes, konnte aber der Einladung Goethes, ihn zu besuchen, erst um acht Uhr entsprechen. Der Empfang war wie gewöhnlich sehr freundlich.
»Mein Stadelmann,« sagte Goethe »hat mir Ihre heroische Unternehmung erzählt, was hat Sie dazu verleitet? was halten Sie von dieser Eiche?«
Ich erzählte Veranlassung und Hergang, und fügte bei, daß mir diese Eiche sehr problematisch bleibe; denn ich wisse nicht zu erklären, auf welche Art die muschelförmige Aushöhlung auf der Oberfläche des so harten Stammes, dann die in den feinsten Zwischenräumen befindlichen sehr dünnen eisenartigen Blättchen entstanden seien.
Goethe erwiederte: »Morgen, wenn Sie Zeit haben, wollen wir sehen, was wir dieser Heideneiche abgewinnen können.«
1822, 25. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Bei meinem Eintritte sagte Goethe: »Ich habe die wundersame Eiche besichtigt, und ich wünschte, daß sie bis zur Ankunft des Grafen Sternberg unberührt liegen bliebe; denn ich bin mit mir selbst noch nicht einig. Hier haben Sie einen an Sie gerichteten Brief vom Grafen; er will den 30. kommen.«
Graf Sternberg avisirte mich, daß auch Dr. Pohl der Brasilianer und der berühmte Chemiker Berzelius bei Goethe ihre Aufwartung machen würden. Goethe sah sehr gut aus, war hei ter, weßwegen ich sagte, Marienbad habe ihm vortrefflich angeschlagen. Er aber erwiederte:
»Ich befinde mich sehr wohl; es mag sein, daß, obschon man 2000 Fuß1 über der Meeresfläche reinere Luft einathmet, doch die fortdauernde Bewegung und die Reise mich in diesen Zustand versetzt haben. So gut ich dort die Anstalt getroffen habe, so dürfte den noch die Verordnung, welche fremden Ärzten in Badeörtern die Praxis untersagt, einen nachtheiligen Einfluß auf die böhmischen Bäder nehmen; denn der Kranke schließt sich so gern an seinen Arzt an. Dr ..... [Struve?] in... [Dresden?] hatte alle Jahre gegen 1000 Stück Dukaten von Karlsbad weggeführt, und nun kurirt er mit künstlich erzeugten Mineralwässern. Die Natur hat uns Winke gegeben, diese müsse man befolgen, und die noch abgängigen Bestandtheile bei den Mineralwässern durch Kunst ergänzen. Es wird sich auch diese Ansicht wieder ändern, eben so wie man davon zurückkommen wird, daß man die Aufschriften bei den neuen Häusern mit lateinischen oder gothischen Buchstaben schreiben läßt, z.B. ›Zum weißen Schwan‹, ›Zum goldenen Lamm‹ u.s.w.: Denn es wird bald ein Hauseigenthümer von einem Künstler sich einen schönen Schwan, wie er aus gutgemachtem Schilf hervorkommt, als Aushängeschild malen lassen, und dies wird wieder Nachahmung finden; schlecht gemalte läßt man ohnedies nicht aushängen, und gut gemalte geben den Kutschern und Fremden schon von weitem einen Anhaltepunkt. Um mein Gedächtniß zu prüfen, bin ich ganz Karlsbad auf- und abgegangen, und es freut mich alle Aushängeschilder der Reihe nach recitiren zu können.«
1 Selbstverständlich nicht Klafter.
1822, 26. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner u.a.
Mit Joseph Sebastian Grüner u.a.
Vom Ölberge ging Goethe zu Fuße nach den Thongruben hinab, weil ich ihn aufmerksam gemacht hatte, daß bloß der hier gefundene Thon zur Verfertigung der Flaschen tauge, in denen das Mineralwasser von Marienbad und Franzensbad versendet wird. Er erkundigte sich in den Thongruben über die Art der Flaschenfabrikation, und nahm von den verschiedenen Sorten Thon Stücke mit. Über die Entstehung des Thons äußerte er sich, daß derselbe wahrscheinlich von dem von den Gebirgen herabgeschwemmten verwitterten Thonschiefer herrühren dürfte, weil sich die Mächtigkeit dieses Thons nach der Lage der Berge richte, indem er am Fuße eine, aufwärts aber nur eine halbe Klafter tief liege.
Hierauf bestieg Goethe die Anhöhe, um den alten Thurm zu besichtigen, der von Weitem die Aufmerksamkeit auf sich zieht. »Die Bauart ist lobenswürdig«, sagte Goethe, »sie scheint in die Zeit der Römer oder Markomannen zu fallen; die Steine sind so gut untereinander verbunden, daß man auch auf der Nordwestseite keine Spur einer Zerstörung, oder Aushöhlung des Mergels wahrnehmen kann.«
1822, 27. Juli.
Mit Karl Huß und Joseph Sebastion Grüner
Mit Karl Huß und Joseph Sebastion Grüner
»Sie sollen hierüber gelobt werden, Herr Huß,« sagte Goethe, »wir wollen sehen, was für Sie wieder zu thun sei.«
Darauf Goethe zu mir: »Den Fundort des Mammuthszahns wünschte ich in Augenschein zu nehmen, könnten Sie mich nach Tische nach Dölitz begleiten?«
Ich bejahte die Frage mit Vergnügen, und gleich nach Tische wurde dahin gefahren. Von Dölitz aus erblickte man östlich Maria Kulm, nördlich Franzensbad, westlich den Kammerbühl, und südlich den Fundort der Heideneiche und die Stadt Eger, dann den Kranz der Gebirge, welche das Egerthal einschließen. Goethe betrachtete aufmerksam die ganze Gegend, dann fragte er mich, ob die durch das Thal getrennten Dörfer jenseits auch Kalkgruben besitzen, und ob dort ein ähnlicher Kalkstein und Mergel wie hier zu Tage gefördert werde? Ich konnte diese Frage mit dem Beisatze bejahen, daß ich auch von jenen Dörfern Kalkstein und Mergel zu Hause hätte.
»Das ist klug von Ihnen, Sie ersparen mir den Hinweg.«
Es wurden nun von Mergel und Kalkstein Exemplare eingepackt, und da die Luft rauh geworden war, auch Goethe sagte, daß sein linkes Auge sich entzünde, so wurde das Zeichen zum Abfahren gegeben. Bevor er in die Kutsche stieg, ging er zu den Schnittern, betrachtete ihre Schleifsteine, und wollte wissen, woher dieselben stammen. Die Schnitter konnten aber keine andere Antwort geben, als daß Sie die Schleifsteine auf dem Egerer Markt gekauft hätten.
Nach der Ankunft in Eger wurden die Exemplare auf die mehrerwähnte große Tafel gelegt. Zur Vergleichung brachte ich auch die von mir bei den Dörfern Dirschnitz, Oberndorf, Trebendorf gesammelten Exemplare, die ihm sehr willkommen waren.
»Ich empfehle Ihnen«, sagte Goethe, »diese Kalkbrüche öfter zu untersuchen, und dabei die Arbeiter aufmerksam zu machen, daß sie jene Kalksteine, oder den Mergel, in welchen Pflanzen- oder andere Abdrücke, Muscheln, Schnecken vorkommen sollten, für Sie auf die Seite legen möchten; denn das ist von großer Bedeutung. Wenn Sie mir nicht so kräftig versicherten, daß der Mammuthzahn hier gefunden worden sei, so würde ich diesen Fundort bezweifeln.«
Ich antwortete: Die Familie Kriegelstein, welche dieses Gut besaß, hat die Kalkgruben betrieben, und den Zahn als eine dort aufgefundene Merkwürdigkeit bewahrt. Ich würde Nachgrabungen eingeleitet haben, aber der vorige Eigenthümer war verstorben, und weder der jetzige Besitzer noch sonst jemand konnte mir Aufklärung geben; denn wie Eure Excellenz sahen, ist die Oberfläche durchaus zu Feldern zugerichtet, daher konnte ich nichts veranlassen.
»Es wäre freilich gut gewesen,« sagte Goethe, »denn Sie waren wahrscheinlich der Meinung, wo der Zahn war, könnten sich auch andere Gliedmassen finden.«
Ich übergab Goethe, wie ich schon manchmal gethan, einige in früheren Zeiten von mir verfaßte kleine Gedichte, die sich nicht alle für die Öffentlichkeit eignen, die ihn aber zum Lachen und zu dem Ausrufe brachten: »Wo haben Sie die Sachen her, das ist etwas für unseren Serenissimum.«
1822, 28. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
»Ihr Juristen«, erwiederte Goethe, »habt ein eigenes Feld, ihr hört und prüft beide Theile, ehe die Entscheidung folgt; auch in der Naturwissenschaft muß man die verschiedenen Ansichten, meist Hypothesen, gelassen anhören, prüfen, und seine Meinung bescheiden äußern. Lassen Sie hören, auf welche Art Sie den Vulkan von Ihrem Gestein wegbringen.«
Ich halte, sagte ich, diesen Granit für einen Abkömmling vom Gebirge, daher für einen jüngern. Jener auf den Bergen zerbröckelt sich, das Wasser hat ihn herabgeschwemmt, zu einer Zeit, als der feinkörnige Granit sich wagerecht lagerte, jedoch nicht zur festen Gneußmasse gebildet war. Der am Gipfel der Berge zerbröckelte hat eine braune, ochergelbe Farbe und scheint von eisenhaltigem Wasser bedeckt und geschwängert worden zu sein. Das eisenhaltige Wasser war nun bei jenem Granit, den ich den jüngeren nenne, das Verbindungsmittel, als er auf dem Gneuß erstarrte. Zum Beweise könnte ich anführen, daß man große Blöcke Granit findet, welche ochergelbe, das ganze Gestein durchziehende Ringe haben, die doch von keinem Vulkan oder feuerflüssigem Zustande herrühren können.
Darauf Goethe: »Mich freut es, daß Sie in diese Wissenschaft so kräftig eindringen und daran Vergnügen finden. Wir wollen an Ort und Stelle Ihre Ansicht näher prüfen. Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen doch ein Späßchen erzählen, welches unser Großherzog mit unserem Lenz1 sich gemacht hat. Professor Lenz in Jena feierte sein Dienstjubiläum. Der Großherzog, der wußte, daß Lenz, wie sein Lehrer Werner, ein eifriger Neptunist war, ließ eine Torte in Form eines ausgebrannten Vulkans machen und die goldene Ehrenverdienst-Medaille hineinlegen. ›Nun, lieber Lenz, werden Sie doch dem Vulkane einen günstigen Blick zuwerfen?‹ Nicht wahr, das war artig?« schloß Goethe.
1 Director des Jenaer Mineralienkabinets und Professor.
1822, 29. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Goethe war auf dem Kammerbühl gewesen, und hatte von da neue Suiten Schlacken mitgebracht, die auf die große Tafel gelegt wurden. Sie war ganz mit Steinen belegt, diese waren jedoch noch nicht geordnet. Ich begann, sie nach der Himmels gegend und nach dem Fundorte zu ordnen, und weil die Zeit nahte, zu welcher Goethe zu Mittag zu speisen pflegte, wollte ich mich empfehlen. Allein er wünschte, daß ich mit dem begonnenen Geschäfte fortfahren möchte. Auch lud er mich für den nächsten Tag zu Tisch, weil er, wie erwähnt, den Grafen Sternberg erwartete.
1822, 30. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner,
Kaspar von Sternberg,
Johann Jakob Berzelius
Mit Joseph Sebastian Grüner,
Kaspar von Sternberg,
Johann Jakob Berzelius
und Emanuel Pohl
Bei Tische machte Goethe die Herren auf meine Manuscripte aufmerksam und sagte manches zu meinem Lobe, theils vielleicht um mich noch mehr aufzumuntern, theils um den Gästen begreiflich zu machen, warum er mir seine Gunst zuwende und ein Plätzchen unter so ausgezeichneten Männern gönne. Auch erzählte er ihnen von der Heideneiche und mit welchen Anstrengungen ich sie aus dem Flusse habe heben lassen. Graf Sternberg theilte darauf mit, daß man in seinem Kohlenbergwerke auf einen aufrecht stehenden verkohlten Stamm gestoßen sei, den er erst vorsichtig rings umgraben und zu Tage fördern lassen müsse, um seine Betrachtungen über ihn anstellen zu können.
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Hierauf wurde auf den Kammerbühl gefahren, über welchen Goethe bei jeder Gelegenheit die Meinung anderer Naturforscher hören wollte, weil er über ihn mit sich nicht einig werden konnte. Nachdem Berzelius die große Öffnung auf dem Kammerbühl besichtigt hatte, äußerte er: Dieser Vulkan gleicht ganz genau jenem in der Auvergne. Als er nun auf die Regelmäßigkeit der Straten aufmerksam gemacht wurde, sprach er seine Meinung dahin aus, daß der herrschende Westwind auf sie Einfluß genommen haben möge, weil sie von Westen nach Osten gelagert wären.
Ich blickte Goethe bedenklich an, weil ich mich schon früher ausgesprochen hatte, daß nach physikalischen Gesetzen sich diese Lagerung nicht deutlich erklären lasse, weil Klumpen vom vorgeblichen Krater gegen hundert Schritte entfernt waren, die nicht so leicht durch den Westwind hatten herabgetrieben werden können. Gesetzt, es wäre geschehen, so hätten die herabgetriebenen Schlacken einen Eindruck auf die tiefer liegenden Schlacken machen, und deren feine Spitzen, die Nadeln vergleichbar sind, abstumpfen müssen. Waren sie noch in ganz oder halb flüssigem Zustande, so hatte das Lagern dieser oft über vierzig Pfund schweren Basaltklumpen eine Vertiefung auf den unteren Straten hervorgebracht, was doch bei der genausten oft wiederholten Besichtigung nicht wahrgenommen werden konnte.
Goethe hörte bloß zu ohne eine Meinung abzugeben. Später äußerte er sich gegen den Grafen Sternberg, daß, so lange der Hügel nicht von der Sohle bis zu dem vorgeblichen Krater durchfahren sei, er problematisch bleiben werde.
1822, 31. Juli.
Mit Joseph Sebastian Grüner
und dessen Söhnen
Mit Joseph Sebastian Grüner
und dessen Söhnen
Ich setzte nun meine Hypothese über die Einwanderung der Boyer in Böhmen so auseinander, wie ich sie dem Grafen Sternberg und dem Dr. Pohl vorgetragen hatte, um auch seine Meinung zu vernehmen.
Goethe sagte: »Man will aber diesen ganzen Zug der Boyer, als von Livius erdichtet, behaupten.«Ich kenne diese Behauptung, entgegnete ich. Es wird nämlich eingewendet, daß die Zeitrechnung nicht genau übereinstimme, und daß kein anderer Schriftsteller davon Erwähnung mache, folglich müsse Livius die Einwanderung erdichtet haben. Die Einwanderung nach Italien soll unter Belloves geschehen sein. Wie viele geschichtliche Begebenheiten beruhen nicht in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit auf dem Zeugnisse eines einzigen Schriftstellers? Ich sehe keinen Grund ein, warum Livius gerade diese Einwanderung erdichtet haben soll. Wenn daher Eure Excellenz nichts dawider haben, so lasse ich meinen Sigoves mit seinem Boyern hier in Eger einige Zeit verweilen und dann ungestört weiter nach Böhmen ziehen.
Darauf Goethe: »Bleiben Sie bei Ihrer Ansicht; denn sie macht Ihnen Vergnügen. Was haben wir davon, wenn Schriftsteller und Geschichtsforscher den Heldenmuth eines Scävola oder Regulus in Zweifel ziehen und für eine Fabel erklären wol len? Erzählen Sie mir doch auch, was diese Herren über die sonderbare Eiche sagten.«
Nachdem ich dem Geheiße Goethes nachgekommen war, äußerte er: »Darüber sind wir nun abermals nicht belehrt, wir müssen Zuflucht zu der von Ihnen aufgegriffenen Sage nehmen, bis wir eines Besseren belehrt werden.«
Goethe hatte eine besondere Vorliebe für meinen Sohn Ignaz, weil, wie er sagte, der Knabe ihn mit seinen großen Augen so freundlich anblicke, und weil er herzhaft auf alle Fragen Antwort gebe. Manchmal forderte Goethe ihn auf, etwas zu erzählen, z.B. sagte er einst: »Erzähle mir etwas von einer Katze.« Der Knabe war nicht verlegen, und fragte: Von was für einer Katze, von einer weißen oder schwarzen? – »Erzähle mir von einer weißen.« – Der Knabe ließ nun die Katze durch einen Teich nach einer Insel schwimmen, dort Mäuse fangen, und wieder zurückschwimmen, aber am Ufer von einem Jäger erschossen werden. »Sehen Sie, Freund« sagte Goethe, »der hilft sich wie mancher, der seinen Gegenstand nicht mehr gehörig entwickeln kann, seinen Helden umkommen läßt.«
Ich führe dies darum an, um darzuthun, daß Goethe mit Kindern kindlich sein konnte. Es war von dem mit dem Grafen Sternberg und dem Dr. Pohl eingenommenen Mittagsmahle eine Torte übrig geblieben, die schickte Goethe seinem »Natzl«1 , wie er sich ausdrückte.
1 Abkürzung für Ignaz.
1822, 1. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Als dann die Rede auf die Volksdichter kam, zählte Goethe Bäuerle unter die besseren.Auf meinen Vorschlag wurde die Reise über Falkenau nach Hartenberg für den 3. August festgesetzt.
1822, 2. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner u.a.
Mit Joseph Sebastian Grüner u.a.
Nachmittags besuchten wir den Prior im Dominikanerkloster, um die Bibliothek und das Mineralien- und Conchylienkabinet zu besehen. Goethe fand beide unbedeutend. Die Bibliothek enthielt meist Werke theologischen Inhaltes. Ich machte ihn bloß auf ein Manuscript des Priors Wilhelm aufmerksam, der zur Zeit, als Stadt und Gebiet Eger im Jahre 1565 zum protestantischen Bekenntnisse übertrat, allein im Kloster sich erhielt, den Predigten der Prädicanten beiwohnte, und Alles aufzeichnete, was sie wider den Papst und die katholische Religion predigten, dieses dem Bischofe von Regensburg anzeigte, und sich dadurch manche Verfolgung zuzog, bis endlich auf Andringen des Bischofs den Lutheranern zu Eger durch ein kaiserliches Rescript Einhalt gethan wurde. Goethe sagte: »Gegenseitige Schimpfereien waren damals im Schwange, und entzweiten die Gemüther noch mehr, und der kräftige Luther, wie Sie wissen, hatte doch bedeutende Anhaltspunkte.«
Ich sprach meine Ansicht dahin aus, daß, wenn die katholischen Regenten gleich zu Anfang kräftig eingeschritten wären und einige Mißbräuche abgestellt hätten, die Umwälzung nicht in so großem Umfange stattgefunden, der dreißigjährige Krieg Deutschland nicht so tiefe Wunden geschlagen haben würde.
»Sie können recht haben,« entgegnete Goethe, »allein ich sage Ihnen, daß die Lehre bei Ihnen besser ausgedacht ist, und mehr zum Ganzen zusammengreift als bei uns. Wir haben gute Prediger, sie werden aber wenig besucht; in jeder bedeutenden Stadt fängt man an, neue Grundsätze aufstellen zu wollen. Wenn wir nur ein Original hätten!«
1822, 3. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
und Ignaz Lößl
Mit Joseph Sebastian Grüner
und Ignaz Lößl
Meinen Vorschlag, in Falkenau zu verweilen und die Mineraliensammlung des Bergmeisters und Justitiars Lößl zu besehen, der auch über die ganze Umgegend gründlichen Aufschluß geben könne, nahm Goethe an. Ich hatte Herrn Lößl zuvor von der Ankunft des berühmten Mannes Nachricht gegeben und von ihm die Zusicherung erhalten, daß er Alles aufbieten werde, demselben den Aufenthalt angenehm zu machen.
Goethe wurde dann von diesem meinem Freunde, der wegen seiner Biederkeit und Kenntnisse in allgemeiner Achtung stand, liebe- und ehrfurchtsvoll aufgenommen, besah mit Vergnügen die reichhaltige schöne Sammlung, und erkundigte sich nach dem Vorkommen des einen oder anderen Minerals.
Es begann zu dunkeln, und damit der Abend so angenehm als möglich vergehe, veranlaßte ich Lößl, Seiner Excellenz auserlesene Früchte des Dichtervereins, dessen Mitglied er war, besonders Gedichte Firnsteins vorzulegen. Diese Gedichte hatten auf mich einen um so tieferen Eindruck gemacht, als ich wußte, daß Firnstein nicht studirt hatte, Alles aus sich selbst schöpfte, und was seinen Körperbau betrifft, von der Natur leider nur allzustiefmütterlich behandelt worden war. Goethe blätterte mehrere Hefte durch, bezeigte sein Wohlgefallen, und ersuchte, ihm Abschrift von einigen der Gedichte Firnsteins, die er bezeichnet habe, zu übermitteln.
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Goethe ersuchte Lößl, Firnstein zu rathen, daß er hauptsächlich seine Begrenzung, die ihn umgebenden Gegenstände, zur Dichtung wählen möge, weil diese dadurch an Interesse gewinne.
1822, 4. und 5. August
In Falkenau und Hartenberg
In Falkenau und Hartenberg
Auf der Fahrt nach Hartenberg stieg Goethe einige Male auf den Anhöhen aus, und besah die freundliche Gegend; auch wurden manchen Quarzklumpen die Köpfe abgeschlagen.
Sonntags den 4. August trafen wir gegen Mittag in Hartenberg ein, wo Goethe sehnsuchtsvoll erwartet und liebevollst aufgenommen wurde. Als nach Tische das Mineralienkabinet des Grafen wegen des ansehnlichen Zuwachses, den dasselbe seit der letzten Anwesenheit Goethes erhalten hatte, in Augenschein genommen wurde, beschenkte jener ihn mit einem mächtigen Bleispath, krystallisirtes Braunbleierz, für dessen Aufbewahrung ein eigenes Kästchen verfertigt worden war. Goethe war den ganzen Abend überaus heiter, und sicherte am 5. August nach dem Frühstücke dem Grafen auf dessen freundschaftliches Andringen vor der Abfahrt zu, im Sommer des nächsten Jahres wieder nach Hartenberg zu kommen. Auf der Rückfahrt von da nach Eger zeigte er sich beständig wegen Conservirung seines Bleispaths besorgt, und rühmte die vorzüglichen scientifischen Eigenschaften des Grafen.
1822, 6. August.
Mit Wenzel Johann Tomaschek
Mit Wenzel Johann Tomaschek
Goethe stand in der Mitte des Zimmers, von dichterischer Majestät umstrahlt; er entschuldigte sich und setzte schmunzelnd hinzu, daß er sich in einer lebensgefährlichen Lage, in den Händen des Bartscheerers befunden. Er war, ohne noch zu wissen, wer ich sei, überaus freundlich und widerlegte so alle Lügen, die über ihn so häufig verlauteten. Als ich mich ihm später nannte, wurde er sogar herzlich, äußerte sich über meine Auffassung seiner Gedichte in Ausdrücken, die ich hier zu wiederholen nicht wage .... Ich sah, daß Goethe nicht angezogen sei und vielleicht den Vormittag noch etwas zu thun habe, worauf ich mich mit dem Versprechen von ihm empfahl, ihn, seinem Wunsche gemäß, des Nachmittags1 auf längere Zeit zu besuchen.
Kaum konnte ich den Augenblick erwarten, der mich zu Goethe führte. Ich traf dort den Magistratsrath Grüner .... Goethe, sehr aufgeweckt und munter, bot uns Sitze an, die Worte an mich im Scherz richtend: »Lieber Tomaschek! Sie müssen sich auf das Kanapee setzen; denn Sie sind heute unser Erzbischof.« Ich protestirte gegen eine solche Würde; doch es half nichts, ich mußte folgen. Als wir eine Weile schon saßen, brachte der Kellner eine stattliche Flasche mit süßem ungarischen Wein gefüllt und einen Teller mit Preßburger Zwieback. Es entspann sich ein für mich interessantes Gespräch über die schöne Kunst, wobei Goethe über ihre Formen die herrlichsten Ansichten entwickelte, deren ich mich oft noch mit Entzücken erinnere. Im Verfolge des Gespräches kamen wir auch auf »Wilhelm Meister's Lehrjahre« zu sprechen, wobei ich mir zu bemerken erlaubte, daß ich bei der seligsten Wonne, in die mich dieser Roman, so oft ich ihn las, stets versetzte, dennoch nicht in's Reine damit gekommen sei, ob die Capitel darin dem Romane ihr Dasein verdanken, oder ob der Roman aus dessen Fragmenten entstand. Goethe schmunzelte und stellte die Frage an mich, wie ich auf die Idee gekommen? Ich rechtfertigte sie durch die lockere Haltung der Capitel untereinander, vorzüglich wies ich auf das sechste Buch hin mit der Ueberschrift »Bekenntnisse einer schönen Seele«, das mit dem übrigen in gar keiner Verbindung zu stehen scheint, worauf Goethe mir entgegnete: »Da ich Sie mit Ihrer Idee am rechten Wege finde, will ich Sie vollends zum Ziele führen. Ich hatte die Capitel oder Fragmente, wie Sie es nennen, allerdings einzeln geschrieben und sie auch einzeln nach und nach durch Zeitschriften veröffentlicht2 ; doch wer kennt nicht das Loos der Zeitschriften! Und so glaube ich nicht, daß sich jemand darüber aufhalten könnte, das früher Zerstreute nun beisammen, aneinandergereiht, als einen Roman vor sich zu sehen; ich wenigstens bedaure nicht, die Mühe darauf verwendet zu haben.«
Es kam manches noch zur Sprache, ehe der Abend verging, ja es wurde sogar mineralogisirt, wobei der Magistratsrath Grüner herhalten mußte; ich aber hörte zu und pausirte. Goethe, mein Stillleben gewahrend, machte wieder einen schnellen Übergang zur Kunst, indem er mich fragte, ob es mir nicht möglich wäre, ihm einige seiner, von mir componirten Lieder vorzutragen, hinzusetzend, daß selbst der geübteste Sänger ein Lied doch nicht so zu beleben wisse, als dessen Tondichter; auch meinte er, daß es nicht so sehr auf die Schönheit des Singorgans dabei ankomme, als vielmehr auf die jedesmalige, an gehöriger Stelle angebrachte Betonung, wodurch erst das Lied seine volle Wirkung thue. Ich schlug ihm vor, die Wohnung des Advocaten Frank, der ein gutes Fortepiano hatte, zu besuchen, und versprach, ihn selbst... dahin abzuholen.3 Goethe wurde durch meine Bereitwilligkeit so herzlich, daß ich kein Bedenken trug, ihn zu bitten, mein kleines Stammbuch, das ich deshalb mithatte, nur mit ein paar Worten zu verherrlichen, wozu er gleich zwei Blättchen sich wählte .....
Ich säumte nicht, mich... zur bestimmten Zeit bei ihm einzufinden, um ihn nach dem verabredeten Orte zu begleiten. Nach wechselseitigen Begrüßungen nahm jeder von dem kleinen Publikum seinen Platz ein; es bestand aus Frank und seinem Sohn, dann dem Rath Grüner und dem Apotheker v. Helly aus Prag .... Goethe setzte sich nächst dem Fortepiano mir gerade gegenüber; wahrscheinlich wollte er sehen, ob meine Geberdensprache mit Wort und Ton stets im Einklange stehe.
Durch die Gegenwart des Dichters begeistert, begann ich mit dem »Haidenröslein«, das ihn sehr anzusprechen schien, worauf dann die übrigen Lieder folgten, als: »Wer kauft Liebesgötter?« – »Nachgefühl«, – »Mailied«, – »An die Entfernte«, – »Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg«, – »Rastlose Liebe«, –»Frühzeitiger Frühling«, – »Trost in Thränen«, wobei er tiefe Rührung nicht bergen konnte; vielleicht gab ein trauriges, dem Dichter einst begegnetes Ereigniß zu diesem letztern Liede die Veranlassung, daß er jetzt noch so sehr sich dabei aufgeregt fühlte. Dem folgten noch: »Am Flusse«, – »Wanderers Nachtlied«, – »Schäfers Klagelied«, – »An dem See«, – »Jägers Abendlied«, – »Mignons Sehnsucht«. Die wenigen Worte – »Sie haben das Gedicht verstanden«, – die Goethe nach Anhören des letztgenannten Liedes zu mir sprach, sagten mir deutlich, daß er mit meiner Auffassung des Liedes ganz zufrieden war, indem er noch weiter bemerkte: »Ich kann nicht begreifen, wie Beethoven und Spohr das Lied gänzlich mißverstehen konnten, als sie es durchcomponirten; die in jeder Strophe auf derselben Stelle vorkommenden gleichen Unterscheidungszeichen wären, sollte ich glauben, für den Tondichter hinreichend, ihm an zuzeigen, daß ich von ihm bloß ein Lied erwarte. Mignon kann wohl ihrem Wesen nach ein Lied, aber keine Arie sin gen.« – Nun trat eine Pause ein, während Goethe einige Ölgemälde von Frank's zweitem Sohn betrachtete und sich über das Talent des jungen Malers lobend äußerte.
Nachdem Goethe sich wieder gesetzt, nahm ich zum Schlusse noch die drei ihm gewidmeten Balladen vor, nämlich: den »Erlkönig«, – »König von Thule« – und »den Fischer«. – Goethe empfahl sich allen Anwesenden und wandte sich zu mir mit den Worten: »Ihnen, lieber Tomaschek, werde ich heute erst des Nachmittags (?) danken, bis Sie sich ihr Stammbuchblättchen abholen werden.« Die Neugierde, wie der große Mann mein Blättchen bedacht, ließen mich nicht säumen, gleich nach Tisch dahin zu gehen. Ich traf ihn herumklaubend unter seinen Mineralien, die er mit Rath Grüner in der Umgegend von Eger gesammelt hatte. Goethe war diesmal noch viel freundlicher, als gewöhnlich; er nahm mich bei der Hand und dankte mir für die musikalische Ausstattung seiner Gedichte mit sehr wenigen, aber um so innigeren Worten, die ich zeitlebens im Gedächtnisse aufbewahren werde. Er nahm die zwei von ihm beschriebenen Blättchen und gab sie mir, indem er lächelnd bemerkte: »Da habe ich Ihnen etwas Diplomatisches4 zur Erinnerung an unser Zusammentreffen gemacht; es soll mich freuen, wenn Sie beim Anblicke dieser Zeilen sich dessen erinnern. Übrigens hoffe ich, daß wir uns noch im Leben wiedersehen werden.« Ich dankte für das herrliche Andenken, empfahl mich und verließ innig gerührt seine Wohnung. Nicht übergehen darf ich das Gedicht hier, das Goethe auf den zwei Blättchen für mein Stammbuch schrieb.
Das Diplomatische daran, wie er sich im Scherz ausdrückte, bestehet darin, daß, wenn man die Überschrift der Rückseite vom Gedicht im Zusammenhange lesen will, man beide Blättchen scharf nebeneinander legen muß. Dasselbe muß geschehen, ehe man zum Lesen der inneren Überschrift vom Gedicht schreitet. Die äußere Überschrift lautet:
Für innige Teilnahme
an meinen Gesängen
dankbar
zu freundlichem Erinnern
genußreicher Stunden
Eger, d. 6. August 1822
Die innere Überschrift lautet:
Liebeschmerzlicher Zwie-Gesang
unmittelbar nach dem Scheiden.
[Nun folgen die zwei ersten Strophen des Gedichts »Äolsharfen«.]
1 Wohl später an demselben Morgen; s. unten.
2 Demnach war auch von den »Wanderjahren« die Rede gewesen.
3 Tomaschek schreibt: »am folgenden Tage nach 10 Uhr Vormittags dahin abzuholen.« Diese Zeitangabe steht jedoch mit Goethes Tagebuchaufzeichnung, sowie mit Grüner's Erzählung über den Verkehr mit Goethe in Widerspruch. Einklang ist nur dadurch herzustellen, daß man den Verkehr mit Tomaschek als an Einem Tage, den 6. August, erfolgt annimmt, und nicht am folgenden Tag, sondern am Nachmittag des 6. August die musikalische Production stattfinden läßt.
4 Problematisches?
1822, 6. August.
Mit Josef Pleyer
Mit Josef Pleyer
1822, 6. August Abends.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Zu Hause sprach dann Goethe viel von musikalischen Compositionen, besonders von jenen Zelters, seines ältesten Freundes, wie er ihn nannte. Diesen sollten Sie kennen, sagte er, ich wünschte mir eine solche Laune. Ich muß Ihnen doch etwas von ihm vorlesen.
Nun las Goethe einen Brief Zelters vor, worin erzählt war, wie er einen tüchtigen Compositeur in Sachsen... [Peter Mortimer] besuchte, den er in den armseligsten Umständen traf; dann folgte eine Schilderung des Besuches Zelters in Herrnhut. Wenn auch der Brief weniger witzig, weniger mit drolligen Ein fällen versehen gewesen wäre, so hätte schon das bloße Vorlesen Goethes dafür einnehmen und einen angenehmen Eindruck hervorbringen müssen; denn er konnte sich dabei so ganz in die Stimmung seines Freundes versetzen und demgemäß die Stimme moduliren; kurz er hatte einen vortrefflichen, mir noch niemals vorgekommenen Vortrag.
Lächelnd fragte er: »Nun, was sagen Sie dazu?«
Ich antwortete, daß der Brief verdiente, in Druck zu erscheinen.»Wir wollen sehen,« sagte Goethe, »es müßte natürlich vieles cassirt werden.« Dann sprach er über Tomaschek's Verdienste und lobte dessen kunstreiche Compositionen, »doch,« fügte er hinzu, »wünschte ich ihm mehr Gemüthliches; der Eingang zum ›Erlkönig‹ will mich nicht ansprechen.«
1822, 7. August.
Mit Anton Martius u.a.
Mit Anton Martius u.a.
a.
b.
Goethe trug Martius, was er von der, damals von einigen Naturkundigen aufgestellten Behauptung halte, daß der Granit im Vogtlande geschichtet vorkomme, worauf der genannte Geistliche eine, bei Gelegenheit eines Straßenbaues in Schönberg entblößte merkwürdige Stelle nachweisen konnte, an welcher deutlich zu erkennen war, wie ein streckenweise parallel mit Gneisschichten streichender Granitgang den Gneis durchbrochen hatte, so daß zugleich einleuchtete einerseits, wie die Annahme eines geschichteten Vorkommens entstehen konnte, und andererseits, wie irrig sie war. Goethe ersuchte Martius, ihm eine genaue Beschreibung dieses lehrreichen Lagerverhältnisses nach Weimar zu schicken ....
Goethe wurde während seines Verweilens in Schönberg noch durch Ausbruch eines heftigen Gewitters entzückt. »Wie freue ich mich,« rief er aus, »den Donner über dem vogtländischen Granit zu hören!«
1822, 8. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Als ich Goethe Abends besuchte, kam er wieder auf seinen Lieblingsgegenstand, die Farbenlehre. Er erörterte die Mühe, den Kostenaufwand, welche er beharrlich auf diesen Gegenstand verwendete, und sagte ganz gelassen: Er sei allein auf der Erde, der sagen könne er habe Wahrheit. Nachdem Goethe noch Einiges hinzugefügt, sagte er: »Ich muß Ihnen doch die vortreffliche Ode Manzoni's auf den Tod Napoleon's vorlesen; ich habe versucht, so gut ich konnte, sie deutsch wieder zu geben.«
Welch' ein Lesen! Er war wie in einem verklärten Zustande, dabei ganz ergriffen, das Feuer blitzte aus seinen Augen, die richtigste Betonung eines jeden Wortes und Ausdruckes ergriffen auch mich, und wie er zu Ende war, folgte eine Pause. Wir sahen einander an, ich konnte in seinem Antlitze, und er mochte in dem meinigen Begeisterung lesen. »Sie sollen sie morgen haben,« sagte er endlich; »nicht wahr, Manzoni ist ein großer Dichter?«
Ich wünschte, versetzte ich, daß er beim Vortrage dieser Ode zugegen gewesen wäre; wenn er auch nicht deutsch verstehen möchte, würde er doch durch den begeisterten Vortrag Eurer Excellenz sich gewiß ausgezeichnet belohnt gefühlt haben.
1822, 10. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Da ich die mehrerwähnte Eiche auf starke Bretter zerscheiden ließ, welche noch auf der Sägemühle beim Mühlthore lagen, wünschte Goethe zu sehen, wie die Eiche innerlich durchaus beschaffen sei, und so wurde der im Tagebuch bemerkte Spaziergang unternommen. Goethe fand die Bretter durchaus gesund und von der bereits beschriebenen Farbe; es wurde wieder ein Stückchen mitgenommen.
1822, 11. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Goethe zog sich mit mir zurück, um aufmerksam zuzuhören. Als sie nun zu expliciren und debattiren anfingen, sah mich Goethe, der die Arme übereinander geschlagen hatte, warnend an, als ob ich aufmerken und mich durch sie belehren lassen sollte, und ging dann. »Als wir allein waren, fragte er lächelnd: Nicht wahr, jetzt haben Sie alles weg?«
Auf der Heimfahrt nach Eger sprach er abermals von den Widersachern, welche gegen seine Farbenlehre aufgetreten waren. »Die Leute,« sagte er, »wollen sich über Licht und Auge in Zergliederungen a priori einlassen, allein unser Verstand ist beschränkt, wir kennen nichts als die Wirkungen, daher habe ich Licht und Auge vorausgesetzt.«
1822, 12. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Wie ich schon erwähnte, hatte ich für Goethe Mineralien aus der Umgegend gesammelt, und es hatte mir stets besonderes Vergnügen gewährt, wenn er, mich aufmunternd, sie annahm. Als ich heute von meinen Berufsgeschäften nach Hause kam, fand ich Goethe in meinem Bilderzimmer. Nach kurzem Gespräche wurde mein Arbeitszimmer geöffnet, und Goethe zeigte auf einen mit vierzehn Schubkästen versehenen Schrank, den er zu meiner Überraschung verfertigen und während meiner Abwesenheit, weil er meine Amtsstunden kannte, hatte aufstellen lassen. »Nun weihe ich Sie in die Mineralogie ein,« sagte er lächelnd, »und von nun an werden Sie mir nicht mehr so viel zutragen.«
Er hatte mehrere Schubkästen mit Mineralien gefüllt, die ich schon kannte. Aber wie hätte ich je denken sollen, daß auch seine Voraussagung in Erfüllung gehen werde, da ich so ausgezeichnet behandelt worden und zur Dankbarkeit so sehr verpflichtet war.
1822, 13. August.
Bei Wolfgang Kaspar Fikentscher
Bei Wolfgang Kaspar Fikentscher
1822, 18. August.
Bei Wolfgang Kaspar Fikentscher
Bei Wolfgang Kaspar Fikentscher
1822, 19. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
»Nichts, Freundchen,« erwiederte er, »ich bedaure nur, daß ich mit einem solchen Manne, der so etwas schreiben konnte, einige Zeit im Mißverständnisse leben konnte. Schiller wohnte drei Häuser von mir, und wir besuchten uns nicht, weil ich, von Italien zurückkommend, vorwärts gedrungen war, und die durch Schiller veranlaßten Räubergeschichten nicht ertragen konnte. Vom Jahre 1797 bis 1805 besuchten wir uns wöchentlich zwei- bis dreimal, schrieben uns auch gegenseitig. Schiller hatte die Gabe, daß er über seine Sachen, die er in Arbeit hatte, über Plan, Eintheilung sprechen konnte, was aber mir nicht eigen war. Da er manches nicht gehörig motivirte, so gab es Dispute. Als er mir sein vortreffliches Werk, Wilhelm Tell, brachte, machte ich ihn aufmerksam, wie es komme, daß der Landvogt Geßler auf den Einfall geräth, Tell solle den Apfel von des Kna ben Kopf schießen, und bemerkte, daß das nicht gehörig motivirt sei. Schiller war hierüber etwas unwillig; allein ungefähr den dritten Tag brachte er die Scene mit dem Knaben des Tell, der behauptete, sein Vater könne mit dem Pfeile jeden Apfel vom Baume schießen. Sehen Sie, Freund, jetzt ist eine Veranlassung dazu, so macht es sich herrlich.«
»Schiller,« fuhr Goethe fort, »war in Stuttgart geboren, in der Mititär-Akademie erzogen, schrieb dort die Räuber, entsprang, wurde in Mannheim gut aufgenommen, von Württemberg requirirt, suchte Asyl im Thüringer Walde auf einem Landgute, wie Luther auf der Wartburg, heirathete, kam nach Dresden, Jena, dann nach Weimar. Er hatte ein Leiden im Unterleibe, und ich glaubte, daß er kaum noch ein Jahr leben würde. In jenem leidenden Zustande hatte er eine Apprehension gegen die Menschen. Als ich ihn während desselben besuchte, wurde angeklopft. Schiller sprang haftig auf, öffnete die Thüre und als ein junger, nicht unansehnlicher Chirurg aus Berlin fragte, ob er die große Ehre und das Vergnügen hätte, den berühmten Schiller zu sprechen, sagte dieser hastig: Ich bin Schiller, heute können Sie ihn nicht sprechen, – schob den Fremden zur Thüre hinaus und machte sie zu.«
»Es ist oft lästig«, setzte Goethe bei, »sich durch so viele Besuche die Zeit rauben zu sehen.« Darauf ging er auf Firnstein über und sagte: »Wenn Firnstein noch einige Gedichte nach meinem Rathe gemacht haben wird, so will ich ihn gerne einführen und die Einleitung zum Drucke treffen, denn er ist in körperlicher Hinsicht ein äußerst bedauerungswürdiger Mensch.«
1822, 21. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Ich zeigte mich dazu höchst bereitwillig. Während der Beschäftigung kam das Gespräch auf die richtige Benutzung der Zeit, worüber Goethe sich so ausließ:
»Man sagt immer, die Lebenszeit ist kurz, allein der Mensch kann viel leisten, wenn er sie recht zu benützen weiß. Ich habe keinen Tabak geraucht, nicht Schach gespielt, kurz nichts betrieben, was die Zeit rauben könnte. Ich habe immer die Menschen bedauert, welche nicht wissen, wie sie die Zeit zubringen oder benützen können. Für mich war es freilich gut; denn mein Sohn führte die ganze Hausordnung, er ist sehr ökonomisch. Ich muß selbst Versendungen rücklings machen, kann aber meinen Geschäften obliegen.«
1822, 22. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
und dessen Gattin
Mit Joseph Sebastian Grüner
und dessen Gattin
Goethe besah meine Mineralien und freute sich des Anwuchses. Meine Ölgemälde und Kupferstiche prüfte er sorgfältig und sagte: »Sie haben einige gute Stücke aus der altdeut schen und italienischen Schule, diese halten Sie werth, besonders aber, wie ich Ihnen schon bemerkte, Ihren florentiner Mosaikschrank,« – bei dem er wieder einige Zeit verweilte.
»Bei Betrachtung der Bilder,« fuhr Goethe dann fort, »muß man vorerst fragen, was wollte der Künstler mit diesem Bilde sagen? Man muß die Idee des Künstlers sich eigen zu machen streben, und nicht kleine in Eile hingeworfene Verzeichnisse aussuchen und hierauf sein Urtheil gründen.«
Als ich Goethe des Abends besuchte, kam das Gespräch auf Wieland. Goethe sagte: »Der Unersetzliche war in Rom und Griechenland zu Hause. Er hat sich seinen Tod selbst zugezogen. Er war bei Hof in Weimar. Da es Winter war, auch viel Schnee fiel, so ersuchte ich ihn warnend, er möchte die Nacht in Weimar zubringen, allein es half nichts, er ging in Schuhen und seidenen Strümpfen durch den Schnee nach seinem Osmannstädt, verkühlte sich und starb.«
1822, 23. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Goethe stimmte bei.
1822, 24. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
1822, 25. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Mit Joseph Sebastian Grüner
Wir stiegen zu Seeberg in der alten Veste ab .....
Goethe besichtigte die Drahtmühlen, und weil sie wegen des Sonntags nicht im Gange waren, ließ er sich die Manipulation erklären, erkundigte sich auch nach der Menge der Erzeugung und nach der Größe des Absatzes.
... Die sogenannte Schwedenschanze leitete das Gespräch auf den dreißigjährigen Krieg und auf Wallenstein.
[Grüner schloß eine Darlegung seiner geschichtlichen Forschungen mit den Worten:] Doch... ich komme wieder auf meine Lieblingsgegenstände, ohne zu bedenken, daß ich Eurer Excellenz lästig fallen könne.
Darauf Goethe: »Ihr Bestreben ist löblich, sollte aber die Lust zur Mineralogie diesem Eifer nicht einigen Abbruch thun?«
Allerdings, antwortete ich, aber bei meinen mineralogischen Excursionen genieße ich ein doppeltes Vergnügen, weil ich weiß, was an diesem oder jenem Orte sich einst Merkwürdiges zugetragen hat.
1822, 26. August.
Mittag bei Joseph Sebastian Grüner
Mittag bei Joseph Sebastian Grüner
Das Gespräch drehte sich meist um die Studien, und kam dann auch auf die jetzige deutsche Orthographie. »Laßt ihr mich mit eueren Schreibfehlern gehen,« sagte Goethe, »ich mache in jedem Brief Schreibfehler und keine Comma. Ich dictire meis tens und sehe nicht nach. Sollte ich aber alle Briefe beantworten, so müßte ich ein eigenes Comptoir noch haben.«
1822, 21. September.
Mit Friedrich Soret und Heinrich Meyer
Mit Friedrich Soret und Heinrich Meyer
Goethe ward im Laufe des Gesprächs immer freier und mittheilender. Ich blieb länger als eine Stunde, und er sagte mir beim Abschiede viel Gutes. Seine Gestalt ist noch schön zu nennen, seine Stirn und Augen sind besonders majestätisch. Er ist groß und wohlgebaut und von so rüstigem Ansehen, daß man nicht wohl begreift, wie er sich schon seit Jahren hat für zu alt erklären können, um noch in Gesellschaft und an Hof zu gehen.
1822, 24. September.
Abend bei Goethe
Abend bei Goethe
1822, Herbst.
Mit der Familie Mendelssohn-Bartholdy
Mit der Familie Mendelssohn-Bartholdy
a.
Goethe, der Vornehme, Hohe, Ministerielle, um den Würde, Ruhm, Dichterglanz, Genie und Superiorität jeder Gattung eine blendende Strahlenkrone bilden, vor dem gemeine Sterbliche erbangen, ist so gütig, mild, freundlich, ja, väterlich gegen den Knaben, daß ich (Lea Mendelssohn geb. Salomon) nur mit dem innigsten Dank und freudiger Rührung mir diese beglückenden Bilder zurückrufen kann. Stundenlang sprach er mit meinem Mann über Felix, herzlich lud er ihn ein, wieder längere Zeit bei ihm zu wohnen, mit sichtlichem Wohlgefallen ruhten seine Blicke auf ihm, und sein Ernst verwandelte sich in Heiterkeit, wenn er nach seinem Sinn phantasirt hatte. Da er gewöhnliche Musik nicht liebt, war sein Piano seit Felix' Abwesenheit unberührt geblieben, und er öffnete es ihm mit den Worten: »Komm und wecke mir all die geflügelten Geister, die lange darin geschlummert.« Und ein ander Mal: »Du bist mein David! Sollte ich krank und traurig werden, so banne die bösen Träume durch Dein Spiel; ich werde auch nie wie Saul den Speer nach Dir werfen .....« Auch gegen Fanny war er sehr gütig und herablassend; sie mußte ihm viel Bach spielen und seine von ihr componirten Lieder gefielen ihm außerordentlich, so wie ihn überhaupt erfreut, sich in Musik gesetzt zu sehen.
b.
Eines Abends erbat er [Goethe] sich von Felix eine Fuge von Bach, welche die junge Frau v. Goethe ihm bezeichnete. Felix wußte sie nicht auswendig, nur das Thema war ihm bekannt, und dies führte er nun in einem langen fugirten Satz durch. Goethe war entzückt, ging zu der Mutter, drückte ihr mit vieler Wärme die Hände und rief aus: »Es ist ein himmlischer, kostbarer Knabe! Schicken Sie ihn mir recht bald wieder, daß ich mich an ihm erquicke.«
1822, Anfang October.
Mit Hans Christian Oersted
Mit Hans Christian Oersted
1822, 3. December.
Abend bei Goethe
Abend bei Goethe
Die Studenten in Jena sind in Aufstand begriffen; man hat eine Compagnie Artillerie hingeschickt, um sie zu beruhigen. Riemer las eine Sammlung von Liedern, die man ihnen verboten und die dadurch Anlaß oder Vorwand der Revolte gegeben. Alle diese Lieder erhielten beim Vorlesen entschiedenen Beifall, besonders wegen des Talents, das darin sichtbar; Goethe selbst fand sie gut und versprach sie mir [Soret] zur ruhigen Durchsicht.
Nachdem wir daraus eine Zeit lang Kupferstiche und kostbare Bücher betrachtet hatten, machte Goethe uns die Freude, das Gedicht »Charon« zu lesen. Die klare, deutliche und energische Art mußte ich bewundern, womit Goethe das Gedicht vortrug. Nie habe ich eine so schöne Deklamation gehört. Welches Feuer! Welche Blicke! Und welche Stimme, abwechselnd donnernd und dann wieder sanft und milde! Vielleicht entwickelte er an einigen Stellen zu viele Kraft für den kleinen Raum, in dem wir uns befangen; aber doch war in seinem Vortrage nichts, was man hätte hinwegwünschen mögen.
Goethe sprach darauf über Litteratur und seine Werke, sowie über Frau von Staël und Verwandtes. Er beschäftigt sich gegenwärtig mit der Übersetzung und Zusammenstellung der Fragmente vom »Phaëthon« des Euripides. Er hat diese Arbeit bereits vor einem Jahre angefangen und in diesen Tagen wieder vorgenommen.
1822, 16. December.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1822, 17. December.
Mit Friedrich Soret
Mit Friedrich Soret
1822, December.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
Nachmittags von 4-6 Uhr war ich bei Goethe, wo ich zwei Gebrüder Hasenclever aus der Gegend von Elberfeld traf, Verwandte von Nicolovius, die als Deputirte der Rheinlande in landständischen Angelegenheiten zu Berlin gewesen waren und ganz vergnügt heimkehrten. Unterrichte wackere Männer. Unbegreiflich war mir Goethe's Kälte gegen seinen früheren, genauen Freund Lavater, den er bei seiner Anwesenheit in Zürich [1797] nicht besuchte, ja sogar ihm auf der Straße, als er ihn mit seinem »Kranichsschritt« gewahrte, sofort auswich. »Denn« – sagte er – »in der Jugend glaubt man noch an die Möglichkeit einer Ausgleichung und Vereinbarung, in alten Jahren aber sieht man diesen großen Irrthum ein und hält das Ungleichartige und Unzusagende geradezu von sich ab.«
1822 ungefähr.
Mit Ida Melos u.a.
Mit Ida Melos u.a.
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