1796
1796, Frühjahr (?).
Über Ifflands Schauspiele
Über Ifflands Schauspiele
2) Er setzt überall Natur und Cultur in einen falschen Contrast. Cultur ist ihm immer die Quelle aller moralischen Verdor benheit; wenn seine Menschen gut werden sollen, so kehren sie in den Naturstand zurück: der Hagestolze geht auf seine Güter und heirathet ein Bauernmädchen u.s.w. Dies ist ein ganz falscher Gesichtspunkt, aus welchem er alle Cultur verunglimpft, da vielmehr das Geschäft eines Schauspieldichters in unserm Zeitalter sein sollte, zu zeigen, wie die Cultur von Auswüchsen gereinigt, veredelt und liebenswürdig gemacht werden könne. Die Idyllenscenen aus Arkadien, die in Iffland's Stücken so wohlgefallen, sind eine süße, aber darum nur um so gefährlichere Schwärmerei. Freilich sieht er auch in M[annheim] die Grundsuppe der sogenannten Cultur in ihrer hassenswürdigsten Abscheulichkeit. Losgerissen von diesen herzlosen Modepuppen, würde er auch ganz andere Charaktere zeichnen und ganz neue Ansichten in seine Stücke bringen können.
1796, zwischen 29. April und 16. Mai.
Mit Karl Friedrich Graf von Geßler
und Dora Stock
Mit Karl Friedrich Graf von Geßler
und Dora Stock
1796, 16. Mai.
Bei Schillers
Bei Schillers
1796, 17. Juni.
Mittag bei Goethe
Mittag bei Goethe
Gleichwohl kam ich [J. P. F. Richter] mit Scheu zu Goethe. Die K[alb] und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen, auf der Erde. Die K. sagte: er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich; jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse; er habe etwas Steifes, reichsstädtisch Stolzes – bloß Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an, daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrificiren und zu incrustiren, damit ich mich ihm etwa im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könne. Die K. räth mir überall Kälte und Selbstbewußtsein an. Ich ging ohne Wärme, bloß aus Neugierde. Sein Haus frappirt: es ist das einzige Weimars im italienischen Geschmack, mit solchen Treppen – ein Pantheon voll Bilder und Statuen; eine Kühle der Angst presset die Brust. Endlich tritt der Gott her; kalt, einsilbig, ohne Accent. Sagt Knebel: ›Die Franzosen ziehen in Rom ein.‹ – »Hm!« sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht. Aber endlich schürete ihn nicht bloß der Champagner, sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum etc. sofort an und – man war bei Goethe. Er spricht nicht so blühend wie Herder, aber scharf, bestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns, d.h. er spielte uns1 ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, sodaß er dem enthusiastischen Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges wegen) die Hand drückte. Beim Abschiede that er es wieder und hieß mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen.
1 Sein Vorlesen ist ein tieferes Donnern, vermischt mit dem leisesten Regengelispel; es giebt nichts Ähnliches.
1796, 1. September.
Mit Charlotte von Stein
Mit Charlotte von Stein
1796, erste Hälfte Septembers.
Beim Vorlesen von »Hermann und Dorothea«
Beim Vorlesen von »Hermann und Dorothea«
1796, 15. September. (?)
Bei Ferdinand Christian Loder
Bei Ferdinand Christian Loder
Er sprach gerade in einem docirenden Tone über Raphael's Gemälde im Vatican. Den letzten Umstand hatte ich nicht bemerkt [?] und sagte: ›Es wäre viel, wenn die Franzosen sich ihrer nicht bemächtigten.‹ Mit einer wegwerfenden Miene, als hätte ich eine Dummheit gesagt, erwiederte Goethe: »Sie sind ja auf die Mauer gemalt!« – ›Doch nur auf Stuck!‹ antwortete ich, zog mich aus dem bewundernden Halbkreise zurück und habe mich Goethe nie wieder genähert. Mir hatte bei meiner Antwort dunkel vorgeschwebt, es müsse ein Mittel geben, die Stucklagen abzulösen ohne Verletzung der Gemälde, die sie verherrlichen. Welcher Art dies Mittel sein könnte, ahnte ich freilich nicht, doch wenige Monate später erzählten die Zeitungen, daß die Franzosen Wandgemälde abgesägt hätten.
1796, 2. October.
Über Gotters »Geisterinsel«
Über Gotters »Geisterinsel«
1796, December. (?)
Mit Christoph Martin Wieland
Mit Christoph Martin Wieland
Goethe (mit aufgehobenem Rockschooß am Ofen stehend und mit vorstrebender Brust sich hin und her bewegend): Da irrst Du, Herr Bruder; Thee stärkt.1
Wieland: Wieder ein Paradoxon!
G.: O, ich habe Gründe dafür genug und satt.
W.: Um nur mit meinem schwächsten Argument anzufangen –
G.: Das thue ja nicht, Herr Bruder, um's Himmelswillen nicht! Immer die stärksten voraus! Ich habe mich verzweifelt ausgerüstet.
W.: Also erstlich wirst Du nicht läugnen können, daß trotz aller Deiner Sophisterei aufgekochte Kräuter von schädlicher Natur und laues Wasser –
G.: Also der Thee schwächt, willst Du sagen?
W.: Ja, doch ich –
G.: Also, der Thee stärkt, sag' ich.
W.: Und schwächt nicht?
G.: Stärkt und schwächt.
W.: Stärkt und schwächt?
G.: Wie jedes Corroberans zu häufig genommen; man stärkt sich zu sehr.
W.: Aber das Gift darin.
G.: Es giebt kein Gift.
W.: Ein neues Paradoxon?
G.: Alles kommt auf die Dosis an. Auch Champagner kann Gift werden.
W.: Am Ende wird der Sophist noch gar behaupten, wir stürben nicht.
G.: Ei, das lassen wir so bleiben.
W. (weggehend): Das wird zu toll!
G. (ihm nachrufend): Geh nur, Alter! Sonst provocire ich auf unsre Unsterblichkeit und Du hast verloren.
1 In der Vorlage offenbar irrig: »schwächt.«
1796, December (?).
Mit Maximilian Jacobi
Mit Maximilian Jacobi
1796, 25. December.
Über »Hermann und Dorothea«
Über »Hermann und Dorothea«
1796, 30. December (?)
Mit Christian Felix Weiße
Mit Christian Felix Weiße
Vor kurzem war der Geheime Rath Goethe mit dem Herzog von Weimar hier [in Leipzig], und wir sprachen ein Langes und Breites davon.
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