> Gedichte und Zitate für alle: Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1795-2 ( 27)

2019-09-30

Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1795-2 ( 27)


1795






1795, Ende Juni.
Mit Karl Ludwig von Woltmann


Dieser [Goethe] empfing ihn mit jener sonnenhellen Milde und Fülle, womit die Götter ihren Liebling. als der auszeichnenden Eigenthümlichkeit, begabt zu haben scheinen. Ihr Gespräch kam auf das wahrhaftige Leben von Individuen, so in poetischer als historischer Darstellung, und zum ersten Mal sprach Woltmann darüber aus ganz freier Brust und so, daß ihm dieses tiefste Geheimniß aller darstellenden Kunst durch das Gespräch lichter wurde.

1795, Juli. 
Mit Friederike Sophie Christiane Brun
und deren Kindern


Die letzte Zeit meines Aufenthalts in Karlsbad ward mir höchst lehrreich und zuletzt lieb durch meine Bekanntschaft mit Goethen. Wir sahen uns täglich erst mit Neugier, dann mit Interesse, dann schieden wir von einander mit Wohlwollen. Mir erschien er als eins der seltensten Exemplare der Menschheit, in voller Kraft eines unbeugsamen Willens und hohen Geistes; ihm war es vielleicht neu, ein Weib zu sehen, die ruhig und ungeblendet ihn beobachtete. So blieben wir eine Weile einander gegenüber, aber dann öffnete er sich mir mit edler Offenheit, fühlend, daß ich sein besseres Selbst suchte – und ich entdeckte in ihm einen Schatz der Wahrheit, Billigkeit und häuslichen1 Güte, die verbunden mit dem, was der Schöpfer des ›Tasso‹ und der ›Iphigenie‹ und des ›Egmont‹ zu geben vermag, mir ihn unvergeßlich machen. Lassen Sie [Ch. H. Pfaff] mich immer stolz darauf sein, mich mit Goethe auf diesem Wege gefunden zu haben und denken Sie auf mein Wortgut von Goethen, dem Menschen, man sage, was man wolle .... Die Kinder sind brav. Goethe war in beide vernarrt, zumal in Lotte; »die jungen Dinger sind gar liebe Narren!« sagte er, und sie hingen an ihm wie Trauben. Lotte lehrte er richtig lesen, Karl unterrichtete er über Mineralogie. Seit fünfzehn Jahren ist Naturgeschichte, zumal Mineralogie und Physik, Goethes ausschließendes Studium. Alle seine neueren Schriften sind lange fertig im Pulte gewesen.


1795, Juli. 
Mit Marianne von Eybenberg 


Adieu, guter Goethe! (Den Geheimen Rath habe ich mir sehr gern von Ihnen wegraisonniren lassen.)




1795, 11. (?) August. 
Mit David Veit 

a.

Er [Goethe] redete mich auf dem Balle von selbst sehr freundschaftlich an, fragte in der Geschwindigkeit nach den Örtern, die ich passirt hätte; ich nannte Teplitz und Sie [Rahel Levin] und sagte ihm, wiewohl ganz flüchtig, daß ich Sie schon sehr lange kennte und Ihretwegen nach Teplitz gereist wäre. Nicht um zu urtheilen, sondern um unwillkürlich mit seinen Empfindungen auszubrechen, sagte er: »Sie haben sehr recht gethan. O! die Levin hat sehr viel gedacht, hat Empfindungen und Verstand; es ist was Seltenes, das muß ich sagen – wo find't man das? Wir haben auch so vertraut zusammen gelebt, wir waren beständig zusammen. Ja, das ist gewiß! Nun, wenn Sie sie lange nicht gesehen hatten, ja freilich!« u.s.w. Und dabei lauter freundliche Gesichter, und beständig entourirt, im Geschrei sagte er mir das immer weiter. Wir gingen auseinander ..... Während des dicksten Tanzes war Goethe eine Zeitlang frei ..... Ich ging zu ihm hin und redete ihn mit den Worten an: »Sie wer den wohl noch einige Zeit hier [in Jena] bleiben, Herr Geheimerath?« G. »Länger, als ich dachte – o, setzen Sie sich! – So lange es hübsch ist. Ich habe so viele Freunde hier, man macht so hübsche Bekanntschaften, und so weiß ich nicht, wann ich abgehe; aber dann komme ich wieder nach Jena und arbeite.« Darauf kamen wir in ein Gespräch über seine anatomischen Arbeiten, von denen er sagte, er hätte sie schon zehnmal zum Druck fertig gehabt und ebenso oft unterdrückt; es wäre unendlich schwer auszuführen. »Wir befinden uns in einem Chaos von Kenntnissen und keiner ordnet es; die Masse liegt da und man schüttet zu, aber ich möchte es machen, daß man wie mit Einem Griff hineingriffe und alles klar würde. Es ist nun nicht mein Fach; ich treibe es aus Begierde, aus Leidenschaft; ich will gerne zeigen, daß alles auch hier einfach ist, wie in den Pflanzen, daß aus Knochen alles deducirt werden kann, aber noch sehe ich das Ende nicht; vor jedem neuen Buch erschrecke ich; denn es ist den Versuchen nicht zu trauen. Achten muß man darauf, und in einem Menschenleben macht man nicht alle nach. Es ist überhaupt mein Grundsatz, den umgekehrten Weg einzuschlagen. Man hat bisher so viel Hypothesen in der Naturlehre gemacht: das ist falsch; denn für meine Meinung finde ich immer Gründe in dem Unendlichen der Natur. Die Kräfte sind so mannigfaltig, daß ich immer einige derselben unter Einen Gesichtspunkt bringen kann, wenn er auch unrichtig ist; hier muß man viel Versuche machen, um nicht zu irren. In der Naturgeschichte hingegen hat man immer classificirt und neben einander gestellt ohne zu raisonniren; hier kann man Hypothesen wagen; denn die Fehler sind leicht zu finden: jeder Knochen, jede Pflanze, die mir in die Hände fällt, widerlegt mich.«

Über diese Materie haben wir noch lange gesprochen und nun kommt Ihr Triumph, meine liebe Rahel! eine Sache, die Sie kaum glauben werden, die ich so unglücklich bin, Ihnen schreiben zu müssen. Hören Sie! Ich sprach mit ihm über den »Literarischen Sansculottismus« (»Horen«, fünftes Stück) und sagte ihm geradezu: »Herr Geheimerath, Sie werden es vielleicht für Arroganz, für Unbescheidenheit halten, aber es ist wirklich keins von beiden; ich muß Ihnen sagen, daß mir Ihr ›Literarischer Sansculottismus‹ eine große Freude war. Wenn man selbst jung ist, so kann man nichts lieber hören, als wenn ein Mann wie Sie mit einer solchen Deutlichkeit an seine Jugend denkt und so warm sich für die jetzigen größeren Fortschritte interessirt,« u.s.w. Goethe. »Unbescheidenheit? warum? Es ist mir sehr lieb, daß Sie mir das sagen, sehr lieb. Sagen Sie, warum soll man dabei still sein? Ich habe dem ganzen Gang so mit zugesehen; ich, und wenn ich auch nicht gewirkt habe, so glaube ich doch, daß ich nicht ohne Wirkung gewesen bin, und nun kommt einer und sagt: es ist nichts, und wir haben nichts! Daß ich so immer den Gang mit weiter mache und mich daran vergnüge, das muß ich ja thun; das, was mir entgegenwächst, entgegen kommt, was aufsproßt, – anderer Leute Kinder oder meine, hier einerlei, – das ist ja das Leben. Was erinnert mich sonst, daß ich bin und wie ich bin? Ich sehe ja, daß man weiter kommt, und man will mich überreden, daß man zurückgehe?« u.s.w. Wir haben über eine Stunde miteinander gesprochen, ich nicht weniger als er. Diese Hauptsachen habe ich Ihnen schreiben können. Was sonst noch passirt ist, ist größtentheils unbedeutend und soll der Inhalt künftiger Briefe sein.

b.
Den zweiten Tag nach unserer Ankunft war Ball, und Goethe kam mir entgegen mit den Worten: »Nun, wie geht's Ihnen denn, lieber Herr Veit? Sie haben Sich hieher gemacht: sehr recht! Wo kommen Sie denn jetzt her?« u.s.w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte und ihm sagte, daß ich in Teplitz acht Tage gewesen und hingereist wäre, um Sie [Rahel L.] zu sprechen, »Ja, da haben Sie wohl recht gethan,« versetzte er, »wenn Sie sie in langer Zeit nicht gesehen hatten; freilich! Ja, es ist ein Mädchen von außerordentlichem Verstand, die immer denkt, und von Empfindungen – wo findet man das? Es ist etwas Seltenes. O! wir waren auch beständig zusammen, wir haben sehr freundschaftlich und vertraulich miteinander gelebt.« Zu Horn, der sich ihm von selbst präsentirte, hat er gesagt, Sie hätten stärkere Empfindungen, als er je beobachtet hätte, und dabei die Kraft, sie in jedem Augenblick zu unterdrücken, und noch mehr. (Ich war nicht zugegen.) .....

Während des Tanzes saß er einmal allein. Ich ging zu ihm hin und habe über viel Sachen mit ihm gesprochen; mit mehr Wärme und zugleich mit mehr Achtung für mich habe ich ihn noch nicht mit mir sprechen hören. Ich fragte ihn nach seinen anatomischen Plänen und seinen Arbeiten überhaupt. Was er mir hierüber gesagt hat und was besonders neu war, läßt sich in kurzem darauf zurückführen: »Man sollte in der Naturgeschichte mehr raisonniren; denn das Raisonnement kann sehr viel helfen und nie schaden, da jeder Naturkörper, jede Pflanze, jeder Knochen mich widerlegt, wenn ich gefehlt habe, und in der Naturlehre mehr Versuche machen, da man nicht leicht eine Hypothese aufstellen kann, für die sich nicht Erscheinungen finden bei der Unendlichkeit der Natur und den unzuberechnenden Modificationen der Kräfte.« Aber nun die Hauptsache! Nachdem wir ein Langes und Breites darüber und über die vielen unzuverlässigen Bücher gesprochen hatten, sagte ich ihm, daß mir sein »Literarischer Sansculottismus« ein erstaunliches Vergnügen gemacht hätte, und er möchte es nicht für Unbescheidenheit nehmen, daß ich es ihm sagte. »Wenn man selbst jung ist, Herr Geheimerath, so muß es einen wohl freuen, wenn man sieht, daß ein Mann wie Sie sich der Jugend und der jetzigen Zeit so sehr annimmt.« »Warum für Unbescheidenheit? Mir ist das sehr lieb. Ja, warum soll ich mich überreden lassen, daß wir zurückgehen, wenn wir offenbar vorwärts kommen? Und warum sollt' ich mich nicht um alles bekümmern? Das was heranwächst, was mir entgegensproßt, – anderer Leute Kinder oder meine, hier einerlei – das ist ja das Leben Nicht wahr, das ist das Leben?« So sprachen wir noch lange und gingen durch Zufall auseinander. Er hat mich seitdem oft angeredet, und wenn auch nur von albernem Zeug, Ortentfernungen, Reisen, doch immer einige Worte mit mir gesprochen.


1795, zweite Hälfte August (?). 
Mit David Veit


Auf einem.. Balle, wo Polinnen tanzten, sagte ich ihm einmal, gegen die Polen wären wir Deutsche doch nur eine Art Holländer, und wie die Menschen mit Grazie tanzten! »Kein Wunder!« versetzte Goethe, »die Grazie ist ihnen eingeboren.«


1795, Sommer (?). 
Mit Wilhelm von Humboldt


Sie [Schiller und Buchhändler Michaelis] passen einmal nicht zusammen, und so etwas muß sich ja, wie Goethe sagt, scheiden.

1795, Sommer (?). 
Mit Johann Gottlieb Fichte


Goethe gesprochen. Er war die Artigkeit, die Freude mich zu sehen, die Freundschaft selbst; er bezeugte mir ungemeine Achtung. Wir sprachen Philosophie, von Geschäften kein Wort. »Er hoffe, wenn wir einander in der Nähe blieben aus diesen, den philosophischen Dingen noch sehr viel mit mir zu sprechen« sagte er etliche Male, ohne daß ich es zu bemerken schien.


1795, zwischen 6. und 9. November. 
Mit Friedrich Schiller

Goethe ist seit dem 5. hier und bleibt diese Tage noch hier, um meinen Geburtstag mit zu begehen. Wir sitzen von Abend um 5 Uhr bis Nachts 12, auch 1 Uhr beisammen und schwatzen. Über Baukunst, die er jetzt als Vorbereitung auf seine italienische Reise treibt, hat er manches Interessante gesagt, was ich mir habe zueignen können. Sie [Humboldt] kennen seine solide Manier, immer von dem Object das Gesetz zu empfangen und aus der Natur der Sache heraus ihre Regeln abzuleiten. So versucht er es auch hier, und aus den drei ursprünglichen Begriffen – der Base, der Säule (Wand, Mauer und dergleichen) und dem Dach, nimmt er alle Bestimmungen her, die hier vorkommen. Die Absurditäten in der Baukunst sind ihm nichts als Widersprüche mit diesen ursprünglichen Bestimmungen der Theile. Von der schönen Architektur nimmt er an, daß sie nur Idee sei, mit der jedes einzelne Architekturwerk mehr oder weniger streite. Der schöne Architekt arbeitet wie der Dichter für den Ideal-Menschen, der in keinem bestimmten, folglich auch keinem bedürftigen Zustand sich befindet, also sind alle architektonische Werke nur Annäherung zu diesem Zwecke, und in der Wirklichkeit läßt sich höchstens nur bei öffentlichen Gebäuden etwas Ähnliches erreichen, weil hier auch jede einschränkende Determination wegfällt und von den besondern Bedürfnissen der einzelnen abstrahirt wird. Sie können wohl denken, daß ich ihn bei dieser Idee, die so sehr mit unseren [Schiller-Humboldtischen] Begriffen zusammenstimmt, festgehalten und weiter damit zu kommen gesucht habe. Ich glaube, man kann den Zweck der Baukunst als schöner Kunst objectiv ganz füglich so angeben, daß Sie in jedem besonderen Gebäude den Gattungsbegriff des Gebäudes überhaupt gegen den Ortbegriff zu behaupten sucht, wodurch sie dann subjectiv den Menschen aus einem beschränkten Zustand zu einem unbeschränkten (der doch wieder durchaus auf Gesetze gegründet ist) führt und ihn folglich ästhetisch rührt.

Goethe verlangt von einem schönen Gebäude, daß es nicht bloß auf das Auge berechnet sei, sondern auch einem Menschen, der mit verbundenen Augen hindurchgeführt würde, noch empfindbar sein und ihm gefallen müsse.

Daß von seiner Optik und seinen naturhistorischen Sachen auch viel die Rede sei, können Sie leicht denken. Da er letztere gerne vor seiner italienischen Reise (die er im August 1796 anzutreten wünscht) von der Hand schlagen möchte, so habe ich ihm gerathen, sie in einzelnen Aufsätzen in seiner darstellenden Manier zu den »Horen« zu geben. Ohnehin ist sonst nicht viel von ihm für das folgende Jahr zu hoffen. Wir haben dieser Tage auch viel über griechische Literatur und Kunst gesprochen.
– – –
Ihren Brief an Hellfeld [wegen Überlassung von Humboldt's Wohnung an Goethe] habe ich noch nicht abgegeben. Goethe will sich erst noch besinnen; denn er hat einen neuen Bedienten, der ihn noch nicht recht zu besorgen weiß, und trennt sich deswegen nicht gern vom Schloß, wo ihn Trapizius, der Schloßvoigt bedient. Die Ilgen, die er neulich sah, gefiel ihm sehr wohl, wie es schien, und ich merkte wohl, daß er nachher mehr Lust zu Ihrem Logis hatte; wie er aber hörte, daß sie in Ihren Namen und in Ihre Tugend verliebt sei, so wurde vom Logis nicht mehr gesprochen.


1795, November. 
Mit Christoph Martin Wieland 


Da hat sich neuerlich ein gewisser Herr Richter in Hof hervorgethan; ..... der Mensch ist mehr als Herder und Schiller. Er hat eine Allübersicht wie Shakespeare. Goethe urtheilt von ihm: man müsse sich mit diesem Menschen inachtnehmen und ihn weder zu viel, noch zu wenig loben – ein sehr alltäglicher Orakelspruch.

1795, Ende November. 
Mit Charlotte von Stein


Als sie [die Stein] neulich Goethe gesagt, sie sei auf das Ende seiner Personen in »Wilhelm Meister« neugierig, habe er erwiedert: im Leben brauche man nicht consequent zu sein, aber freilich in einem Roman verlange man es.
1795 (?). 
Über Karl Lappe

Auch die Kleinigkeiten dieser Lieferung [des »Musenalmanachs für das Jahr 1796«] haben meinen [Humoldt's] vollkommenen Beifall. Die beiden an Fichte haben uns viel zu lachen gegeben. Ob er sich wohl erkennen wird?

Herr Lappe wird sich doch durch dies und das erste Stück wieder einigermaßen bei Goethe rechtfertigen, der, wie Sie [Schiller] sich noch erinnern, sich sehr über ihn lustig machte.


1795 (?). 

Mit Joseph Schreyvogel


Er [Schreyvogel] rief mir [Grillparzer] schon von weitem zu: »Wie steht's mit der Ahnfrau?« Ich aber antwortete ihm ganz trübselig: »Es geht nicht.« .... [Da] erwiderte Schreyvogel: »Dieselbe Antwort habe ich einst Goethe gegeben, als er mich zur literarischen Thätigkeit aufmunterte; Goethe aber meinte: ›Man muß nur in die Hand blasen, dann geht's schon.‹«


1795 (?). 
Über Immanuel Kants Philosophie


Herder rüstete sich um eben jene Zeit zum Kampfe gegen die Kantische Philosophie ..... Während dessen hatte Goethe zufolge seiner gewohnten objectiven Ansicht der Dinge und seiner größeren, eben hieraus entspringenden Ruhe sein besonderes Interesse daran, vornehmlich in Beziehung auf Naturwissenschaft und Kunst, und erklärte: »Wir sehen diese Philosophie als ein Phänomen an, dem man auch seine Zeit lassen muß, weil alles seine Zeit hat.«

Mit Christoph Martin Wieland

Da schloß sich Goethe enger an Schiller, Herder an Wieland an ..... Kein Wunder, wenn unter solchen Verhältnissen jetzt auch zwischen Wieland und Goethe eine Spannung entstand, die aber der letztere bald hob, da er durch einen schönen Zug Wielanden innigst erfreute. Eben um jene Zeit war nämlich dieser mit Ausfeilung seines »Oberon« beschäftigt. Da nun Goethe urtheilte, daß Wieland bei der neuesten Ausgabe seiner Werke sich der Feile bisweilen ein wenig über die Gebühr bedient habe, so kam er zu ihm und bat, daß nicht auch dem »Oberon« also geschehen möchte. Er erbot sich, seine Bemerkungen und Ansichten Wielanden mitzutheilen und zu diesem Behufe den »Oberon« gemeinschaftlich mit ihm zu lesen. Endlich kommen beide darin überein, daß Wieland seine Umänderungen jedesmal Goethe mittheilen solle, und daß sie dann darüber sich berathen wollten. So geschah es denn auch, und Wieland befolgte Goethes Rath an mehreren Stellen unbedingt, nur an Einer wollte er nicht nachgeben. »Nachher,« sagte er, »habe ich wohl gesehen, daß Goethe auch da recht hatte, und eigentlich in allen Stücken; allein ich wollte doch auch einmal recht haben.«


1795 (?). 
Über Caroline Paulus


Goethe, der Paulus [in Jena] oft besuchte, manchmal zum Abendessen bei ihm war, pflegte von der jungen Frau unseres Gottesgelehrten zu sagen: »Die Natur kann wieder eine Weile operiren, bis sie ein so neckisches Wesen zum zweitenmale zusammenbringt.«


1795 (?). 
Mit Carl August Böttiger

a.

»Beim erneuten Studium Homers empfinde ich [Goethe] erst ganz, welches unnennbare Unheil der jüdische Praß uns zugefügt hat. Hätten wir die Sodomitoreien und ägyptisch-babylonischen Grillen nie kennen lernen, und wäre Homer unsere Bibel geblieben, welch' eine ganz andere Gestalt würde die Menschheit dadurch gewonnen haben!«

b. 

Physiologische Bemerkung. Gewisse Configurationen im menschlichen Körperbau tragen noch die letzte Spur der veredelten Thierheit zum prototypon der organischen Schöpfung, zum Menschen, sehr deutlich an sich, z.B. das os coccygis den Rest des thierischen Schwanzes, die Milz und das Überzwerg-Schleudern der Hände, wenn man geht. (Nachahmung des vierfüßigen übereck schreitenden Thieres). »Ich« – sagte Goethe – »lasse meine beiden Hände schleudern, wenn ich über's Feld allein gehe; denn so geh' ich naturgemäßer.« Nie geht er mit einem Stock – daher auch diese Spur der Thierheit in der feinen Welt für unanständig gehalten wird. Zu was nützen die papillae an der Brust des Mannes? Schon Sterne in seinem »Koran« findet dies unerklärlich. Man muß annehmen, es sei gleichsam ein allgemeiner Typus in der Natur für die menschliche Organisation. Hier sind beim Manne wenigstens noch die Spuren der Brüste, die sich beim homo lar nur auf zwei herauf vermindert haben. Die Natur hat gewisse Generalformen, die sich auch da abdrücken, wo sie kein unmittelbares Bedürfniß erfüllen; z.B. bei allen unsern Rohrgewächsen liegt am untern Schilfblatt ein Auge, das sich nie entwickelt.


1795 (?). 
Mit Carl Ludwig von Knebel u.a.


Einen.. Abend demonstrirte der Freund in heftigster Weise seine Ansichten über Verschiedenes dem stillhorchenden Goethe vor, und als er keine Gegenrede erhielt und betroffen darüber vor Goethe stehen blieb, erwiederte dieser ganz behaglich: »Ach, sag doch noch mehr so was Dummes!«

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