Das ist ein anderer Ton dem Teufel gegenüber als im Volksbuch, wo Faust, wenn Luzifer in schrecklicher Gestalt erscheint, zitternd jeden Widerstand aufgibt und auf jeden Versuch, sich von ihm frei zu machen, verzichtet. Goethes Faust nennt den Teufel ein verworfenes Wesen und begegnet ihm auch später immer nur mit Verachtung und Widerwillen; im Volksbuch dagegen redet Faust den Luzifer, als dieser ihm, nach dem Ausdruck des Volksbuches, ganz schrecklich und leibhaftig, So grausam anzusehen erschien, daß er seine Augen vor ihm zuhielt, ganz kleinmütig und erschrocken mit den Worten an: ,,0 du gewaltiger Fürst dieser Welt, verlänger mir meine Tage. Du siehst, daß ich ein verkehrt wankelmütiges Menschenherz habe, daß ich auf andere Gedanken, welche dir zuwider sind, gefallen bin, hab' aber das Werk noch nicht erfüllet, weswegen du mir zürntest : derowegen bitte ich dich, du wollest doch zur Zeit nicht Hand an mich legen, ich kann bald anderes Sinnes werden."
Der Faust des Volksbuches in der Pfitzerschen Bearbeitung hatte nämlich durchaus eine hübsche Magd aus der Nachbarschaft heiraten wollen, trotzdem ihm der Vertrag mit dem Teufel die Ehe ein für allemal verwehrt hatte. Da sich Faust von dieser Idee nicht abbringen lassen wollte, war ihm Luzifer in eigener Person in schrecklichem Aufzuge erschienen mit der eben geschilderten Wirkung.
Welling weist in seinem mago-kabbalistischen Werke mehrfach auf Paracelsus hin, und Goethe wurde daher angeregt, jene Quelle selbst aufzusuchen, und zwar mit dem Ergebnis, daß ihm das Verhältnis des göttlichen Magiers zum Bösen immer deutlicher wurde und sich immer fester einprägte. Paracelsus von Hohenheim, der berühmte Arzt, ist ein Zeitgenosse des historischen Faust und im Jahre 1541, nicht viel später als dieser, gestorben. Paracelsus war ein durchaus origineller und genialer Mann, der neue Wege wandelte, die hergebrachte Überlieferung verwarf und immer wieder auf die Erfahrung und das Licht der Natur hinwies, das die Köpfe besser erleuchtete, als alle scholastische Gelehrtenweisheit zu tun vermöge. Ein durchaus frommer und gläubiger Mann mit einem stark mystischen Hang, suchte auch er Gott in der Natur und die Natur in -Gott zu schauen und zu erkennen, und in kernig tüchtiger Weise wollte er überall das Gute und Gesunde gefördert sehen, selbst wenn man sich dazu böser Mittel, die in das Bereich des Teufels gehörten, bedienen müßte. Zum guten Zweck muß nach Paracelsus auch der Teufel ins Joch gespannt werden. Was der Teufel uns Gutes tut, das tut er auf Gottes Geheiß, darum ist nicht dem Teufel dafür zu danken, sondern Gott. Der Teufel, der immer zerstören will, muß eben gegen seinen Willen unter der Herrschaft Gottes und des gottgläubigen Magiers Gutes schaffen.
Doch hören wir Paracelsus selber, wie er in seiner schwerfälligen und oft auch schwer verständlichen, aber immer kernigen, bilderreichen und treffenden Sprache schildert, wie es Gottes Wille sei, daß uns das Böse zum Guten diene und der Feind, das ist der Teufel, uns wohl tun müsse. So heißt es in dem Opus Paramirum: „Ein jeglich Werk, das unserer Gebrechlichkeit zu einer Aufrichtung dient, geht aus Gott. Wer gönnt denn dem Leibe seine Aufrechterhaltung denn Gott allein; der will unser langes Leben haben, daher er uns versorgt mit mancherlei Hilf und Aufrechterhaltung; und er treibt und zwingt auch die, die uns feind sind, daß sie uns müssen das Leben fristen. Denn Glück und Heil soll ausgehen von unserm Feinde und von den Händen derer, die uns hassen. Darum wenn uns ein Gutes geschieht durch unsere Feinde, so sollen wir's annehmen von Gott; denn Gott überwindet unsere Feinde, indem, daß sie uns gegen ihren Willen Gutes tun müssen." Wir erinnern uns daran, wie auch in Goethes „Faust" Gottes und der Menschen Feind Mephistopheles gestehen muß, er sei
„Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft."
Paracelsus fährt fort: „Denn die Schrift sagt, daß uns Glück und Heil kommen werde von allen den Händen, die uns nichts Gutes gönnen. So werden die Spieße derer gebrochen, die uns zu erstechen vermeinen: derselbigen Spieße sind unsere Arzenei. Von wannen uns auch Hilfe kommt, so kommt's allweg von Gott ; denn er ist der, der unserm Leibe das Leben gibt und verleiht, und ist sonst kein Gott. Wenn du in einen Graben fällst imd dir hilft ein Mörder heraus, so hast du dem Mörder nichts zu danken. Das Geheiß Gottes hatte ihn dazu getrieben. Ist dir aber nicht ebenso gut dabei geholfen, als hätte dir der Oberste der zwölf Apostel Hilfe bewiesen ? Was deinem Hause, dem Leibe, darin deine Seele ist, zu langem Leben verhilft, das hat Gott getan. Der will dich länger behalten; und ob es gleich der Teufel getan hätte, so hätte Gott dir Glück und Heil geschenkt aus den Händen deiner Feinde und aller derer, die dich hassen."
Wenn sich also Goethes Faust des Teufels bedient und dieser ihm zu allen möglichen Gütern und Köstlichkeiten dieser Welt verhelfen muß, so dankt er es ihm doch nicht und fühlt sich ihm
nicht verbunden; denn, wie Goethes Faust sagt:
„Der Teufel ist ein Egoist
Und tut nicht leicht um Gottes willen.
Was einem andern nützlich ist."
Vielmehr ist sich Faust der steten Feindschaft des Teufels klar bewußt und nimmt sich mit ihm in acht wie mit dem Feuer:
„Sprich die Bedingung deutlich aus;
Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus."
Das Feuer dient uns in der allermannigfaltigsten Weise; aber wenn wir es nicht in acht nehmen, verzehrt es uns und das Unsrige. Paracelsus sagt: ,,Das Feuer zwingt das Holz, uns das Brot zu backen, das unsern Leib zu langem Leben erhält. Und wiewohl das Feuer unser Feind ist und uns haßt und darnach begehrt, ims und alles, was ins Feuer kommt, zu verschlucken und zu verzehren, so sind wir doch die, die das Feuer in der Gewalt und unter unsern Händen haben, so daß für uns Gutes aus dem Feuer hervorgeht. Wir sollen nicht genießen die Feindschaft des Feuers, sondern daß wir's zu zwingen haben, uns Gutes zu tun. Dieses Gute sollen wir genießen und dafür
Gott danken, daß er uns vor des Feuers Gewalt bewahrt hat und daß uns der Feind die rohe Speise kochen muß nach unseres Mundes Gefallen . . . Wenn nun das Feuer ein Feind ist und Gott schickt uns das Heil von dem Feind, so wird er auch den höchsten Feind, den Teufel, dahin treiben, daß er uns Gutes tun muß gegen seinen Willen, für uns zu einem Zeichen, daß Gott sein Herr ist . . . Denn Gott ist der, ohne den der Teufel nichts kann."
Und mit Bezug auf die hohe, göttliche Magie, das was wir heute die Zauberkraft des Genies nennen, sagt Paracelsus: „Es gebührt sich, daß einem Gläubigen der Teufel gehorsam sei." Ist aber nach Paracelsus der Teufel imstande, das Blättchen umzukehren und sich aus einem gehorsamen Diener des gläubigen Magiers zu dessen Herrn aufzuwerfen, so nimmt er dies schnell genug wahr. Goethes Faust aber weiß dies und ist auf seiner Hut.
Paracelsus fährt fort: ,,Gutes und Böses muß im Laufe der Dinge zu Tage treten . . . Sowie es nun zu Tage tritt, müssen wir die zwei, das Gute und das Böse, voneinander scheiden: das Gute nehmen imd das Böse liegen lassen. Können wir dem Teufel alle seine Kirnst ablernen, so sollen wir's tun; die Kirnst gebrauchen und den Teufel liegen lassen ..." So bedient sich auch der Goethesche Faust der Kunst des Teufels und läßt den Teufel selber dabei liegen, er wird nicht seine Beute, wie der elende Zauberer Faust des Volksbuches und Puppenspiels.
Paracelsus sagt weiter: „Wozu ist der Mensch da, als daß er lernen und erfahren soll Gutes und Böses, und das Gute soll er behalten . . . Darum soll sich niemand darum bekümmern lassen, durch was für Mittel solche Dinge von uns erlangt werden, sondern das sollen wir annehmen, es komme nun durch einen bösen oder guten Geist, daß sie alles tun auf das Geheiß Gottes. Denn Gott will, daß ihm alles gehorsam sei und daß wir seine Gewalt und Macht sehen und spüren, in der Hölle sowohl als auch im Himmel, und daß wir wissen, daß sein Wille ist, daß uns, seinen Erwählten, was im Himmel und in der Hölle ist, diene."
In Goethe's „Faust" im Prolog im Himmel hören wir Gott den Herrn dem Teufel ausdrücklich die Erlaubnis geben, sich dem Knecht Gottes, dem Doktor Faust, zu nähern, um ihn zu versuchen und, wenn er fällt, ihn mit hinab zur Hölle zu führen. Gott aber weiß, daß diese Versuchung des Teufels dem Faust nur zum Besten dient, und daß das wenn auch unklare und verworrene Gottsuchen Fausts ihn vor den Fallstricken des Teufels bewahren wird ; der Herr ist des Doktor Faust sicher und nennt ihn seinen Diener, seinen „Knecht":
„Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient.
So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blut' und Frucht die künft'gen Jahre zieren."
Und auf die Behauptung des Teufels, daß es ihm doch gelingen werde, Faust zum Abfall von Gott zu bringen, erklärt dieser:
„Nun gut es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen.
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt."
So sagt auch Paracelsus von dem gläubigen Magier, dem der Teufel gehorsam sein müsse: „Was schadet ihm Versuchung? Kein wissender Mann ist jemals in Versuchung geblieben und dabei zu Grunde gegangen."
Das eifrige Studium der Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie von Arnold diente dazu, Goethe in dieser neuen Auffassung von der hohen göttlichen Magie, die sich, ohne Schaden zu nehmen, auch des Teufels zu bedienen vermag, noch mehr zu bestärken und zu befestigen. In Arnolds Kirchen- und Ketzer Historie sind lange Auszüge aus den Schriften des Paracelsus enthalten, außerdem aber ein Kapitel „Von der magia", das in der von Goethe benutzten Ausgabe vom Jahre 1729 zehn Quartseiten umfaßt. Darin wird sehr gründlich und ausführlich der Unterschied zwischen der gemeinen Zauberei und der hohen göttlichen Magie aufgezeigt und diese göttliche Magie in einer Weise geschildert, daß man deutlich ihre Übereinstimmung mit dem erkennt, was wir heutzutage Genie nennen :' das Eindringen des vorzüglich begabten Menschen in das tiefere Wesen der Dinge und die damit in Zusammenhang stehende Fähigkeit, neue Bahnen zu beschreiten und Dinge ins Werk zu setzen, die man bis dahin für unmöglich hielt und deren Ausführung dem ungebildeten Menschen wie Zauberei erscheint, während der Unterrichtete weiß, daß es sich dabei nur um eine genauere Kenntnis der Natur imd ihrer mannigfaltigen Gesetze handelt.
Arnold zitiert in seiner Kirchen- und Ketzer-Historie aus einem Buche betitelt „Magia veterum", Magie der Alten, die folgende Stelle: „Der ist und heißt ein magus, dem aus göttlicher Gnade die Essentien und Wesen nicht in leiblicher oder greiflicher Gestalt, sondern allein wesentlicher Art, doch augenscheinlich und offenbarlich dienen, zur Erkenntnis des Geschöpfs der Welt und jeder Natur, so darinnen begriffen ist, sie seien gleich sichtbar oder unsichtbar, in empfindlichen oder unempfindlichen, in vernünftigen oder unvernünftigen Dingen. Diese Beschreibung des Magiers trifft weit, begreift viel in sich, und ist allgemein, daraus nun zu schließen, daß die Magie eine Weisheit sei, welche die verborgenen Wesen, Eigenschaften der Kreaturen und ihre Naturen kennt, und sich derselben zu Nutz kann und weiß zu gebrauchen."
Also ein Magier ist der, dem aus göttlicher Gnade die Augen geöffnet sind für die tiefere Natur der Dinge. So nennt auch Mephistopheles den genialen Faust einen Geist, der in der Wesen Tiefe trachtet.
Das göttliche Genie aber, wenn es tief in das Wesen, in die Natur der Dinge eindringen soll, darf nicht von Außendingen selbst beherrscht sein, und ebenso darf das göttliche Genie an der eigenen Person nicht haften in beschränkter Eigenliebe. Die Liebe zu den Dingen dieser Welt und die Liebe zu der eigenen endlichen und beschränkten Persönlichkeit machen den Geist unfrei, versetzen die Seele in Unruhe und verhindern damit eine klare Erkenntnis und ein darauf gegründetes erfolgreiches Wirken. Der göttliche Magier muß also frei sein von den Dingen dieser Welt und frei sein von sich selber, und damit kommen wir zum wesentlichsten Inhalt der Lehre der reinen, echten Mystik, wie sie Goethe in den Predigten Taulers, in der von Luther herausgegebenen , .Deutschen Theologie", in der „Nachfolge Christi" des Thomas von Kempen, in den Schriften des Lehrers und Beichtvaters Luthers Johann von Staupitz „Von der holdseligen Liebe Gottes" und „Von unserm christlichen Glauben", sowie in den ,, Büchern vom wahren Christentum" von Johann Arnd kennen gelernt hat. Wurde doch Goethe in dem frommen Kreise der Susanne von Klettenberg bald mit diesen Schriften bekannt, deren eifriges Studium nicht minder tiefe Spuren in seinem dafür so empfänglichen Gemüt hinterließ, als es das Studium des magisch-kabbalistischen Werkes von Welling, der Schriften des Paracelsus und anderer dieser Richtung angehöriger Schriftsteller getan hatte. Während es sich aber in den zuletzt genannten Werken von Welling, Paracelsus und der Alchimisten immerhin um die Erreichung eines praktischen Resultates handelt, nämlich um die Herstellung der Universalmedizin, um die Heilung von Krankheiten und um die Umwandlung unedler Metalle in edle, haben es die mystischreligiösen Schriften eines Thomas von Kempen, Tauler, Staupitz und Arnd nur mit dem Verhalten der Seele dem höchsten Gut, Gott, der Welt und sich selber gegenüber zu tun, und doch kann auch hierbei eine ungeheuer weittragende und das Leben umwandelnde, reformierende praktische Wirkung erfolgen, wie sie tatsächlich in der großen deutschen Reformation stattgefunden hat. In dem kleinen Buch von Wilhelm von Scholz über ,,Deutsche Mystiker" ist auch, wie schon oft, auf den innigen Zusammenhang der reinen Mystik mit der Reformation hingewiesen worden. Scholz sagt darin: „Hier ist der Same für den Protestantismus ausgestreut . . . Reformatorischer Eifer beseelt überall die Mystiker . . . Wie nahe protestantischer Grundanschauung zum Beispiel der Vater der deutschen Mystik und Lehrer Taulers, Meister Eckehart, stand, mag dieser Ausspruch bezeugen : ,Wenn sich der Mensch zur wahren Innerlichkeit aufgelegt findet, so läßt er kühnlich alles Äußere fallen, wären es auch solche fromme Übungen, zu denen du dich durch Gelübde gebunden hättest, von denen weder Papst noch Bischof dich entbinden können.* Umgekehrt hat auch Luther einige Erscheinungen deutscher Mystik, besonders die weniger spekulativen praktischeren: die Predigten Taulers, das Büchlein von der deutschen Theologie, hoch gehalten und damit bekundet, daß er sich des Zusammenhanges mit diesen Geistern bewußt war." Wilhelm von Scholz nennt „die Mystik eine Vorstufe der Reformation".
Was aber befähigt den mystisch gerichteten Menschen, so tiefgreifende praktische Wirkungen auszuüben, auch wenn er nur seine Seele in das rechte Verhältnis zu Gott, zur Welt und
zu sich selber setzen will? Es ist der magische, zauberhaft wirkende Einfluß des ganz Gott ergebenen und von sich selber und der Welt befreiten Menschen, Wessen Herz nämlich noch an die Dinge dieser Welt gekettet ist, so daß er, wenn sie ihn locken, sich unbedingt ihrer bemächtigen, oder, wenn sie ihn schrecken, sie unbedingt vermeiden möchte, der wird bald von der Hoffnung auf den Besitz der verführerischen Dinge, bald von der Furcht vor drohenden Übeln bewegt und verliert dabei den klaren, unbefangenen Blick des innerlich ruhigen und im bewegten Menschen. In derselben Lage ist der, der seiner eigenen Person eine besondere Bedeutung beilegt und sie überschätzt. Gelingt ih ein Vorhaben, so wird er sich stolz in die Brust werfen und der eigenen Klugheit und Geschicklichkeit den Erfolg zuschreiben ; schlägt aber sein Unternehmen fehl, so wandelt sich auch sein Hochmut leicht ins Gegenteil um, so daß er nun seine Würde zu sehr preisgibt und dem Kleinmut und der Verzagtheit anheimfällt. Wen dagegen die Dinge dieser Welt soweit kühl lassen, daß sein Gleichmut nicht gestört wird, und wer so unbefangen über die eigene Person denkt, daß weder der Erfolg ihn übermütig, noch der Mißerfolg ihn kleinmütig macht, dessen Blick erhält jene Schärfe und durchdringende Klarheit, die den Dingen bis auf den Grund sieht, und sein Herz besitzt dabei jenen gefaßten Mut, der, wo der richtige Weg gefunden ist, vor nichts zurückweicht und sich weder durch den Erfolg zuweit führen, noch durch einen Mißerfolg irgendwie zurück schrecken läßt. Ein solcher Mensch aber vollbringt Großes, und selbst wenn er scheinbar untätig und zurückgezogen ein Leben der Ruhe und Entsagung führt, geht ein Einfluß von ihm aus, der oft viel mächtiger und bleibender ist, als der Einfluß eines mitten im Weltgetriebe stehenden, aber innerlich nicht so gefestigten Menschen.
Eine eingehendere Betrachtung der hochwichtigen und bemerkenswerten mystischen Schriften wird uns noch näher mit der Weltanschauung Goethes und der tiefen Philosophie seines unsterblichen Faustgedichts bekannt machen. Doch wollen wir diese Betrachtung auf das nächste Kapitel verschieben, in dem wir von Goethes Aufenthalt in Straßburg reden wollen, den dort hat er diese Studien und die damit zusammenhängende innere Arbeit am Faustgedicht eifrig fortgesetzt. Hier wollen wir uns nur noch kurz dem Mystiker Swedenborg zuwenden. Auch auf ihn werden wir noch ausführlicher später zurückkommen müssen, wenn wir die Jahre 1772 bis 1775 behandeln, in denen sein Einfluß auf Goethe am stärksten sich ausprägt. Fräulein von Klettenberg hatte zuerst etwas über Swedenborgs sonderbare Theologie gelesen und dann die Mutter Goethes und diesen selbst mit einem Kapitel aus einem Werke Swedenborgs bekannt gemacht. Der Spezial-Superintendent Ötinger hatte 1765 in Frankfurt eine Schrift herausgegeben, „Swedenborgs und anderer irdische und himmlische Philosophie", worin verschiedene Teile aus Swedenborgs sehr umfangreichem Werke ,,Die himmlischen Geheimnisse" übersetzt sind. Eine Abschrift eines Stückes dieser Übersetzung, betitelt: ,,Von dem Himmel und der himmlischen Freude", hat Fräulein von Klettenberg der Mutter Goethes geschenkt. In dieser Rekonvaleszentenzeit in Frankfurt ist Goethe aber auch mit einer ganz anders gearteten literarischen Erscheinung bekannt geworden, der Lebensbeschreibung des Ritters Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand, die dieser selber zu seiner Verteidigung geschrieben hat. Das Drama, das Goethe darnach gestaltete, hat zuerst seinen Namen berühmt gemacht. Die erste Niederschrift fand im Dezember 1771 statt. Wir werden davon zu sprechen noch mehrfach Gelegenheit haben. Daß Goethe sich neben dem Faust auch schon in dieser frühen Zeit, 1769, mit Götz von Berlichingen beschäftigt hat, weist Schröer in einem interessanten Aufsatz über die Entstehung des ,,Faust" in Westermanns Monatsheften 1879 nach. Schröer sagt dort: „Vom Jahre 1770 bis 1771 in Straßburg erzählt der Dichter, daß er Herder das Interesse an Götz von Berlichingen und Faust, ,die sich bei ihm eingewurzelt hatten und sich nach und nach zu poetischen Gestalten ausbilden wollten', verbarg. Mit Herder war Goethe anfangs September 1770 bekannt geworden. Es ist nun wohl kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß Goethe sich in der Erinnerung hier geirrt hätte. Auch nicht insofern, daß die Gegenstände Götz und Faust, die er vor Herder verbarg, damals erst vor ihm aufgetaucht wären, indem er sie als bei ihm eingewurzelt bezeichnet. Von Götz erinnert sich Goethes Mutter bestimmt daran, wie er dazu kam, sich dessen Biographie von Nürnberg kommen zu lassen. Das muß daher unter ihren Augen in Frankfurt der Fall gewesen sein und dann vor, nicht nach Straßburg. Damit ist nicht gesagt, daß er an das Niederschreiben der einen oder anderen dieser beiden Dichtungen schon in Straßburg gegangen wäre. — Wir wissen, wie ungern er schrieb, wie er am liebsten im Gehen produzierte, daher auch später das Diktieren sich angewöhnte. Wie lange zögerte er, an das Niederschreiben des Götz zu gehen! — So ging es denn wohl auch mit Faust. Wenn er sich damit in Gedanken auch schon im Jahre 1769 zu beschäftigen begann, ans Niederschreiben ging er erst 1773" — oder, wie man heute annimmt, 1774. Doch darüber haben wir noch später ausführlich zu reden. —
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