> Gedichte und Zitate für alle: Hermann Türck: Goethe und sein Faust - 6. Kapitel Seite 2

2019-10-24

Hermann Türck: Goethe und sein Faust - 6. Kapitel Seite 2





Der große, herrliche Geist, der ihm erschienen ist, ist natürlich der Erdgeist; dieser sagt aber selber von sich, daß er der Gottheit lebendiges Kleid wirke; im Erdgeist spricht sich also das Wirken Gottes auf Erden, in der Geschichte der Menschheit, aus. Der Erdgeist ist also nur eine Art der Erscheinungsform Gottes; und wenn Faust ihn anruft mit den Worten: „Großer, herrlicher Geist, der du mein Herz kennst und meine Seele, warum mußtest du mich an den Schandgesellen schmieden," so ist damit deutlich gesagt, daß Faust trotz seiner Böses anrichtenden Leidenschaftlichkeit sich im tiefsten Grunde des Herzens und der Seele zum Guten, zum Aufbauenden, zu Gott, zum höchsten Ideal hingezogen fühlt und bei dem in Mephistopheles symbolisierten Bösen und Zerstörenden nur Ekel und Widerwillen empfindet. Die Worte verraten auch deutlich, wie sehr Faust sich dessen bewußt ist, daß der Teufel mit der Zulassung, mit der Erlaubnis Gottes sein zerstörendes Werk verrichtet, wie wir es später im vollendeten Faustgedicht im Prolog im Himmel tatsächlich ausgeführt sehen. In den Worten: ,,Warum mußtest du mich an den Schandgesellen schmieden?" ist im Grunde schon der Inhalt des Prologs im Himmel angedeutet, wo Gott der Herr mit Beziehung auf seinen Knecht den Doktor Faust zum Teufel sagt:

„Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab."

Es ist immer dieselbe Zwiespältigkeit in der Seele des Menschen, die der Gottesknecht in der „Nachfolge Christi" des Thomas von Kempen mit den Worten ausdrückt: ,,Mit dem Gemüt will ich
über alle Dinge sein, aber mit dem Fleisch werd ich bezwungen,daß ich unter allen Dingen sein muß." 

Es war nicht etwa nur die dichterische Begabung, die dem jungen Herzog Karl August die Person Goethes so lieb und wert machte, sondern auch die anderen tüchtig menschlichen Eigenschaften, die ein Genie wie Goethe befähigten, auf allen möglichen, auch praktischen Gebieten des Lebens aufbauend, ordnend, schöpferisch zu wirken. Gleich bei dem ersten Zusammentreffen mit Karl August im Dezember 1774 in Frankfurt lenkte sich das Gespräch auf Dinge, bei denen Goethe zu zeigen vermochte, welch teilnahmsvolles Verständnis er für die Hebung der Zustände des Volkes habe. Und wie hat Goethe, namentlich in dem ersten Jahrzehnt in Weimar, 1776 bis 1786, auf allen erdenklichen Gebieten für die Verbesserung der Zustände des Hofes wie des Volkes gearbeitet. Sein dichterisches Schaffen trat in diesem ersten Jahrzehnt in Weimar infolgedessen stark zurück, so daß Wieland von unserem Dichter sagt, es sei, als ob sein Genius ihn verlassen habe. Von einer Weiterarbeit an dem tiefsten und innerlichsten Werke, am ,,Faust", konnte unter diesen Umständen keine Rede sein. Und doch waren diese ersten zehn Dienstjahre Goethes in Weimar nicht verloren, auch nicht für die spätere Weiterarbeit am Faustgedicht, weil Goethe durch seine mannigfaltige Wirksamkeit doch sehr an Reife und Erfahrung gewann, die dann auch seinem Hauptwerk zugute gekommen sind. 

Zunächst bildete sich nach dem Eintreffen Goethes in Weimar gegen den Günstling des Herzogs eine Partei. Man sah in ihm geradezu das böse Prinzip, die Schuld von allem, was man an dem Herzog auszusetzen fand, der von Anfang an rücksichtslos seinem Willen und seinen Neigungen folgte; und als nun gar Goethe den Herzog dazu bestimmte, Herder als General-Superintendenten nach Weimar zu berufen, schwoll die Flut der zahlreichen Gegner des fremden Günstlings noch höher an. Die Geistlichkeit widersetzte sich der Berufung Herders mit aller Macht. Interessant ist es, zu erfahren, daß sich auch der Oberstallmeister von Stein und seine Gattin auf der Seite der Mißvergnügten und Gegner Goethes befanden. Auch Frau von Stein erkannte nicht die große Bedeutung und Klugheit Goethes und sah nicht ein, daß dieser nicht gleich mit Gewalt den jungen, seinem eigenen Kopf und seinen eigenen Launen folgenden Herzog zügeln konnte und erst dessen vollstes Vertrauen gewinnen mußte, ehe er es wagen durfte, seinem fürstlichen Freunde offen die Meinung zu sagen und ihn zu besonnener Ruhe zu mahnen. Die vielen Gegner aber vermochten dem jungen Genie beim Herzog nicht zu schaden. Dieser wollte vielmehr schon im Februar 1776 Goethe als Geheimen Assistenzrat in das Geheim-Konsil, die höchste Verwaltung des Herzogtums, bringen, mußte die Sache aber wegen des Widerstandes des sehr maßgebenden Geheimrats Fritsch zunächst liegen lassen. Im April 1776 erfreute der Herzog seinen Freund Goethe durch das Geschenk eines für ihn angekauften und instand gesetzten Gartens an der Ilm und des darin befindlichen kleinen Hauses mit hohem Schindeldach, nebst einfacher, sauberer aber vollständiger Einrichtung. Goethe richtete sich einen einfachen Haushalt ein; er nahm eine Köchin, die alte Dorothee, und neben seinem aus Frankfurt mitgebrachten Diener Philipp Seidel noch einen Diener aus Erfurt. Am 20. April bat der Herzog den Geheimrat Fritsch von neuem, die erste Stelle im Geheim-Konseil zu behalten, den letzten Platz im Konseil aber wolle er Goethe mit dem Titel eines Geheimen Legationsrates geben. Erst die Verwendung der Herzogin-Mutter Anna Amalia brachte es fertig, daß Fritsch seinen Widerstand gegen Goethe aufgab. Im Mai 1776 ließ dann der Herzog Goethes Eltern um die Erlaubnis bitten, ihren Sohn ,,mit Beibehaltung seiner gänzlichen Freiheit, der Freiheit Urlaub zu nehmen, die Dienste ganz zu verlassen, wenn er wolle, unter dem Titel eines Geheimen Legationsrates mit einem Gehalte von 1200 Talern in sein Ministerium zu ziehen." Im Mai bezog Goethe dann auch sein Gartenhaus. Im Juni erhielt er das Anstellungsdekret; und mit solchem Eifer widmete er sich den so. verschiedenartigen Geschäften des Konseils, daß er sich sogar die Achtung des rauhen, harten und starren Fritsch gewann, der ihn anfangs für einen gewissenlosen Verführer des Herzogs gehalten hatte. Goethe nahm sich des seit vielen Jahren verkommenen Ilmenauer Bergwerkes an. Auch zur Baukommission ward Goethe gezogen. So leitete er 1776 die Wiederherstellung des Pfarrhauses für Herder. 1777 hatte er für die neue Dienstwohnung des Oberstallmeisters von Stein zu sorgen. Von den Geschäften des Konseils beschäftigten ihn besonders die Steuersachen. Zu Beginn des Jahres 1778 wurde die von ihm vorgeschlagene Anlage des Parkes im sogenannten Stern begonnen. Im Oktober desselben Jahres übernahm er die Sorge für das Theater und machte Risse zum Umbau des Redoutensaals zu einem herzoglichen Schauspielhause. Sehr stark nahm ihn der geplante Neubau des abgebrannten herzoglichen Schlosses in Anspruch. Im Januar 1779 wurde ihm die Kriegskommission übertragen. Da diese ihn zu Reisen durch das Land nötigte, übernahm er auch die gleichfalls vernachlässigte Wegebaukommission. Wegen der für Weimar so bedeutenden Landesuniversität Jena nahm Karl August seinen Rat oft in Anspruch. Im Mai 1779 wird unter Goethes Leitung der Umbau des Redoutensaales zu einem Theater in Angriff genommen. Zu gleicher Zeit waren seine Gedanken besonders mit einem Steuererlaß lebhaft beschäftigt, ferner mit einer besseren Ausnutzung der Kammergüter und mit einer Feuer und Polizei-Ordnung. Jetzt wurde er auch zum Geheimen Rat ernannt.

Der Herzog hatte sich inzwischen vortrefflich entwickelt. Goethes Freund Merck, der sich in Weimar eine Zeitlang das Leben und Treiben mit angesehen hatte, schrieb, der Herzog, den gewissenloses Geklatsch zu einem ganz von Goethe verführten Schwächling gemacht hatte, sei ein eisenfester Charakter, einer der respektabelsten und gescheitesten Menschen. Goethes Gesellschaft habe vortrefflich auf ihn gewirkt, und wenn die Vertraulichkeit zwischen Herrn und Diener weit gehe, so finde man dieses nur darum anstößig, weil Goethe kein Edelmann sei. Im September 1779 traten Karl August und Goethe eine Reise in die Schweiz an. In Frankfurt machten sie zunächst halt. Goethes Mutter jubelte hoch auf, als ihr Wolfgang so gesund und freudig bewegt ihr seinen Herzog zuführte. Dagegen hatte der Vater keine Freude an der Stellung seines Sohnes; er hatte sich dessen Schicksal ganz anders gedacht. Er war still und abgestumpft, sein Gedächtnis hatte abgenommen, und er neigte seinem Ende zu. Von Frankfurt aus ging es dann in die Schweiz. In Zürich verkehrten Karl August und Goethe viel mit Lavater, auf dessen gute Einwirkung auf den Herzog Goethe stark gerechnet hatte. Nach viermonatlicher Abwesenheit kamen dann die Reisenden im Januar 1780 wieder in Weimar an. —

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