Drittes Kapitel
Den andern Tag war eben alles wieder verschwunden, der mystische Schleier war aufgehoben, man ging durch diese Türe wieder frei aus einer Stube in die andre, aus der abends vorher so viel Abenteuer geleuchtet hatten. Die übrigen liefen mit ihren Spielsachen auf und ab, Wilhelm allein schlich hin und her, als wenn er eine verlorne Liebe suchte, als wenn er's fast unmöglich glaubte, daß da nur zwei Türpfosten sein sollten, wo gestern so viel Zauberei gewesen war. Er bat seine Mutter, sie möchte es ihm doch wieder spielen lassen, von der er eine harte Antwort bekam, weil sie keine Freude an dem Spaße, den die Großmutter ihren Enkeln machte, haben konnte, da dieses ihr einen Vorwurf ihrer Unmütterlichkeit zu machen schien. Es ist mir leid, daß ich es sagen muß, indes ist es wahr, daß diese Frau, die von ihrem Manne fünf Kinder hatte, zwei Söhne und drei Töchter, wovon Wilhelm der Älteste war, noch in ihren ältern Jahren eine Leidenschaft für einen abgeschmackten Menschen kriegte, die ihr Mann gewahr wurde, nicht ausstehen konnte und worüber Nachlässigkeit, Verdruß und Hader sich in den Haushalt einschlich; daß, wäre der Mann nicht ein redlicher, treuer Bürger und seine Mutter eine gutdenkende, billige Frau gewesen, schimpflicher Ehe- und Scheidungsprozeß die Familie entehrt hätte. Die armen Kinder waren am übelsten dran; denn wie sonst so ein hülfloses Geschöpf, wenn der Vater unfreundlich ist, sich zu der Mutter flüchtet, so kamen sie hier von der andern Seite doppelt übel an, denn die Mutter hatte in ihrer Unbefriedigung meistens auch üble Launen, und wenn sie die nicht hatte, so schimpfte sie doch wenigstens auf den Alten und freute sich, eine Gelegenheit zu finden, wo sie seine Härte, seine Rauhigkeit, sein übles Betragen heraussetzen konnte. Wilhelmen schmerzte das etlichemal, er verlangte nur Schutz gegen seinen Vater und Trost, wenn er ihm übel begegnet war; aber daß man ihn verkleinerte, konnte er nicht leiden, daß man seine Klagen als Zeugnisse gegen einen Mann mißdeutete, den er im Grunde des Herzens recht liebhatte. Er kriegte dadurch eine Entfremdung gegen seine Mutter und war daher recht übel dran, weil sein Vater auch ein harter Mann war; daß ihm also nichts übrigblieb, als sich in sich selbst zu verkriechen, ein Schicksal, das bei Kindern und Alten von großen Folgen ist.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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