Fünftes Buch
Das Gemisch von Verdruß und Dankbarkeit verdarb ihm den ganzen Rest des Tages, bis ihm gegen Abend Melina eröffnete, der Graf habe von einem Vorspiele gesprochen, das, wenn der Prinz käme, zum erstenmal gleich mit aufgeführt werden könnte. Es sollten darinne die Eigenschaften dieses großen Helden und Menschenfreundes personifizieret werden. Diese Tugenden sollten miteinander auftreten, sein Lob verkündigen und zuletzt seine Büste mit Blumen und Lorbeerkränzen umwinden, wobei sein verzogner Name mit dem Fürstenhute durchscheinend glänzen sollte. Der Graf habe ihm aufgegeben, für die Versifikation und übrige Einrichtung dieses Stückes zu sorgen, und er hoffe, daß ihm Wilhelm, dem es etwas Leichtes sei, hierin gerne beistehen werde. "Wie!" rief dieser mit einiger Ärgerlichkeit, "sind wir hier in der Wachsleinwandfabrik, wo wir Porträte, verzogene Namen und allegorische Figuren brauchen, um einen Fürsten zu ehren, der nach meiner Meinung ein ganz anderes Lob verdient? Wie kann es einem vernünftigen Manne schmeicheln, sich in effigie aufgestellt und seinen Namen auf ölgetränktem Papiere schimmern zu sehen! Ich fürchte sehr, die Allegorien würden, besonders bei unsrer Garderobe, zu manchen Zweideutigkeiten und Späßen Anlaß geben. Wollen Sie es machen lassen, so kann ich nichts dawider haben, nur bitte ich, daß ich damit verschont bleibe."
Melina entschuldigte sich, es sei nur die ohngefähre Angabe des Herrn Grafen, der ihnen übrigens ganz überlasse, wie sie das Stück arrangieren wollten. "Herzlich gerne", versetzte Wilhelm, "trage ich etwas zum Vergnügen dieser vortrefflichen Herrschaft bei, und meine Muse hat noch kein so angenehmes Geschäfte gehabt, als zum Lob eines Fürsten, der so viel Verehrung verdient, auch nur stammelnd sich hören zu lassen. Ich will der Sache nachdenken, vielleicht gelingt es mir, unsere kleine Truppe so zu stellen, daß wir doch wenigstens einigen Effekt machen." Von diesem Augenblicke an sann Wilhelm eifrig dem Auftrage nach. Ehe er einschlief, hatte er alles schon ziemlich geordnet, und den andern Morgen bei früher Zeit war der Plan fertig, die Szenen entworfen, ja schon einige der vornehmsten Stellen und Gesänge in Verse und zu Papiere gebracht.
Wilhelm eilte, den Sekretär wegen gewisser Umstände zu sprechen, und legte ihm seinen Plan vor. Diesem gefiel er sehr wohl, doch bezeigte er seine Verwunderung, indem der Graf gestern abend von einem ganz andern Stücke gesprochen, welches er bestellt und welches, wie er glaubte, in Verse gebracht werden würde. "Es ist mir nicht wahrscheinlich", versetzte Wilhelm, "daß es die Absicht des Herrn Grafen gewesen sei, gerade das Stück, so wie er es Melinaen angegeben, fertigen zu lassen; wenn ich mich nicht irre, so wollte er bloß einen Fingerzeig geben, auf weichem Wege wir zu gehen hätten. Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Künstler an, was er wünscht, und überläßt ihm alsdann die Sorge, das Werk hervorzubringen." – "Mitnichten", versetzte der Sekretär, "der Herr Graf verläßt sich drauf, daß das Stück so und nicht anders, wie er es angegeben, aufgeführt werde. Das Ihrige hat freilich eine entfernte Ähnlichkeit damit, und wenn wir es durchsetzen und ihn von seiner ersten Idee abbringen wollen, so müssen wir es durch die Damen machen, besonders versteht die Baroneß sich meisterlich darauf, und es wird die Frage sein, ob ihr der Plan gefällt, daß sie sich der Sache annimmt, so wird es gewiß gehen." – "Wir brauchen ohnedies die Hülfe der Damen", sagte Wilhelm, "denn es möchte unser Personale und unsere Garderobe zu der Ausführung nicht hinreichen. Ich habe auf einige hübsche Kinder gerechnet, die im Hause hin und wider laufen und dem Kammerdiener und Haushofmeister zugehören." Darauf ersuchte er den Sekretär, die Damen mit seinem Plane bekannt zu machen. Dieser kam bald zurücke und brachte die Nachricht, sie wollten ihn selbst sprechen. Heute abend, wenn die Herren sich zum Spiele setzten, das ohnedies wegen der Ankunft eines gewissen Generales ernsthafter werden würde als gewöhnlich, wollten sie sich unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit in ihr Zimmer zurückziehen, er sollte durch die geheime Treppe eingeführt werden, und er könne alsdann seine Sache auf das beste vortragen. Diese Art von Geheimnis gebe der Angelegenheit nunmehr einen doppelten Reiz, und die Baronesse besonders freue sich recht wie ein Kind auf diesen Rendezvous und darauf, daß etwas heimlich und geschickt gegen den Willen des Grafen unternommen werden sollte.
Gegen Abend um die bestimmte Zeit ward Wilhelm abgeholt und mit Vorsicht hinaufgeführt. Die Art, mit der ihm die Baronesse in einem kleinen Kabinette entgegenkam, erinnerte ihn einen Augenblick voriger glücklicher Zeiten. Sie brachte ihn in das Zimmer der Gräfin, und nun ging es an ein Fragen, an ein Untersuchen. Er legte seinen Plan mit der möglichsten Wärme und Lebhaftigkeit vor, so daß die Damen dafür ganz eingenommen wurden, und unsere Leser werden erlauben, daß wir sie auch in der Kürze damit bekannt machen.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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