Sechstes Buch
Viertes Kapitel
Viertes Kapitel
Nachdem der Bediente weggeritten war, erzählte Philine, die sich gleich einfand, daß ihr derselbe einen Beutel mit zwanzig Louisdor zurückgelassen, den Hauswirt auf drei bis vier Wochen reichlich bezahlt und ihr auf das ernstlichste befohlen habe, den Kranken zu warten; sie habe das um soviel lieber angenommen, als der Fremde sie für Wilhelms Frau gehalten, unter welcher Qualität sie sich nun bei ihm introduziere. Sie brachte ihm auch sogleich Tee, machte alle Anstalten einer Wärterin.
"Philine", sagte Wilhelm, "ich bin Ihnen bei diesem Unfall, der uns begegnet, schon manchen Dank schuldig worden, und ich wünschte nicht, meine Verbindlichkeiten gegen Sie vermehrt zu sehen. Ich bin unruhig, solange Sie um mich sind, denn ich weiß nichts, womit ich Ihnen die Mühe vergelten kann; geben Sie mir meine Sachen, die Sie in Ihrem Koffer gerettet haben, heraus, schließen Sie sich an die übrige Gesellschaft an, suchen Sie ein ander Quartier, nehmen Sie meinen Dank und die goldne Uhr als eine kleine Erkenntlichkeit, nur verlassen Sie mich, Ihre Gegenwart beunruhigt mich mehr, als Sie glauben."
Sie lachte ihm ins Gesicht, als er geendigt hatte. "Du bist ein Tor", sagte sie, "du wirst nicht klug werden, ich weiß besser, was dir gut ist, ich werde bleiben, ich werde mich nicht von der Stelle rühren. Auf den Dank der Männer habe ich niemals gerechnet, also auch auf deinen nicht, und wenn ich dich liebhabe, was geht’s dich an?"
Sie hatte sich bald bei dem Pfarrer und seiner Familie eingeschmeichelt, indem sie immer lustig war, jedem etwas zu schenken, jedem nach dem Sinne zu reden wußte und dabei immer tat, was sie wollte.
Wilhelm befand sich nicht übel dabei, der Chirurgus, ein wackerer und geschickter Mann, brachte ihn bald auf den Weg der Besserung, und es würde uns von dieser Seite für ihn wenig zu tun übrigbleiben, wenn nicht von andern neue Bekümmernisse aufstiegen und neue Sorgen drohten.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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