Viertes Kapitel
Wilhelm hatte in seiner Kindlichkeit eine Zeitlang hingelebt, manchmal an jenen glücklichen Weihnachtsabend überhin gedacht, immer gerne Bilder gesehen, Feen- und Heldengeschichten gelesen, als die Großmutter, die doch auch so viel Mühe nicht umsonst wollte gehabt haben, bei dem langüberlegten Besuch einiger Nachbarskinder veranlassete, daß das Puppenspiel wieder aufgeschlagen und wieder gegeben wurde.
Hatte Wilhelm das erstemal die Freude der Überraschung und des Staunens, so hatte er zum zweiten die Wollust des Aufmerkens und Forschens. Wie das zuginge, war jetzo sein Anliegen. Daß die Puppen nicht selbst redeten, das hatte er sich das erstemal schon gesagt; daß sie sich nicht von selbst bewegten, darüber ließ er sich nicht vexieren; aber warum das alles doch so hübsch war und es doch so aussah, als wenn sie selbst redeten und sich bewegten, warum man so gerne zusah und wo die Lichter und die Leute sein möchten, das war ihm ein Rätsel, das ihn um desto mehr beunruhigte, je mehr er wünschte, zugleich unter den Bezauberten und Zauberern zu sein, zugleich seine Hände verdeckt im Spiel zu haben und als Zuschauer ebendie Freude zu genießen, die er und die übrige Kinder empfingen. Das Stück war bald zu Ende und wieder am Tanz, als er sich listig der Hülle zu nähern suchte. Kaum war der Vorhang gefallen, man war unaufmerksam, und er hörte inwendig am Klappern, daß man mit Aufräumen beschäftigt sei, so hub er den untern Teppich auf und guckte zwischen den Tischbeinen weg. Eine Magd bemerkte es haußen und zog ihn zurück, allein er hatte doch so viel gesehen, daß man Freunde und Feinde, Saul und Goliath, Mohren und Zwerge in einen Schiebkasten packte, und das war seiner halbbefriedigten Neugierde frische Nahrung. So wie in gewissen Zeiten die Kinder auf den Unterschied der Geschlechter aufmerksam werden und ihnen Blicke durch die Hüllen, die diese Geheimnisse verbergen, gar wunderbare Bewegungen in ihrer Natur hervorbringen, so war's Wilhelmen mit dieser Entdeckung; er war ruhiger und unruhiger als vorher, deuchte sich, daß er was erfahren hätte, und spürte eben daran, daß er gar nichts wisse.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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