Sechzehntes Kapitel
Ein Mädchen, das zu mehrern Liebhabern, die es unter sich gebracht hat, noch einen frischen gewinnt, gleicht der Flamme, wenn auf bald verzehrte Brände ein neu Stück Holz gelegt wird. Geschäftig schmeichelt sie dem ankommenden Liebling, leckt sich an ihm betulich hinauf, rings an ihn herum, daß er in vollem, herrlichem Glanz leuchtet; ihre Gierigkeit scheint nur an ihm hinzuspielen, aber mit jedem Zuge faßt sie tiefer und zehrt ihm das Mark bis ins Innerste aus. Bald wird er wie seine verlaßne Nebenbuhler am Grunde liegen und in angeschmauchter Trauer, in sich glühend, verglimmen.
Madame B. wußte im Anfange nicht recht, was sie mit Wilhelmen machen sollte. Die ersten Zeiten ihrer Bekanntschaft gingen unter ziemlicher Gesprächigkeit hin, bis diese sich endlich verlor und er in eine selige Stille verfiel, in der wir neben dem geliebten Gegenstande selbst aus der Langenweile eine unaussprechliche Wollust saugen. Seine Gutheit, Ergebenheit, Beschränktheit, Unschuld, Genügsamkeit, Verehrung und Herzlichkeit machten sie anfangs verlegen. Sie hatte in ihren ersten Jahren gar zu bald die kindlichen Freuden der Liebe von sich weggescheucht gesehen, sie war sich so mancher Erniedrigungen bewußt, denen sie sich in den Armen eines und des andern hatte hingeben müssen, auch gegenwärtig opferte sie sich den heimlichen Vergnügungen eines reichen und unausstehlich platten Muttersöhnchens auf, und da sie von Natur eine gute Seele war, wurd's ihr niemals recht wohl, wenn Wilhelm ihr die Hand mit treuem Herzen hielt und küßte, wenn er ihr mit dem vollen, reinen Blick jugendlicher Liebe in die Augen sah; sie konnte den Blick nicht aushalten, sie fürchtete, er möchte Erfahrenheit in den ihrigen lesen; verwirrt schlug sie die Augen nieder, und der glückliche Wilhelm glaubte Ahndung, liebliches Geständnis der Liebe zu finden, und seine Sinnen gingen durcheinander wie Saiten auf dem Psalter. Glückliche Jugend! glückliche Zeiten des ersten Liebebedürfnisses! Der Mensch ist dann wie ein Kind, das sich am Echo stundenlang ergötzt, die Unkosten des Gesprächs allein trägt und mit der Unterhaltung sehr wohl zufrieden ist, wenn der unsichtbare Gegenmann auch nur die letzten Silben seiner eignen Worte wiederholt. Mariane half sich eine Zeitlang mit dieser Art. Sie hatte geliebt, war liebefähig, und vor Wilhelmen hatte sie, wie vor einem fremden Wesen, ein Gefühl, das der Ehrfurcht glich. Sie wußte sich halb natürlich, halb theatralisch in die Stimmung zu versetzen, in der er war, ihre drollige Art half ihr vieles, und es währte nicht lange, so war sie mit ihm bekannt; sie kam sich selbst in seiner Gegenwart besser vor, sie erinnerte sich wenig glücklicher, reiner Stunden ihrer Jugend, und die ganze Liebe, mit der Wilhelm sie umfaßte, der hohe Wert, den diese gute Seele auf sie legte, ihre eigne Neigung zu ihm verwischte bald, besonders in seiner Gegenwart, alles widrige Gefühl ihrer Unwürdigkeit. Ihr andrer Liebhaber war abwesend, und sie schob das Verhältnis mit ihm im Gedächtnisse seitwärts, wie man das Andenken von irgendeiner Schuld aus dem Reiche der lebhaften Erinnerungen in das Fach der historischen Kenntnisse verscheucht.
Er sah sie nur, sooft er konnte, das für einen Liebenden zwar selten war; die Abendstunden hatte er wohl manchmal frei, er vernachlässigte seine Freunde und müßigte sich sonst was ab; aber da war sie meistens auf dem Theater beschäftigt, und länger als achte, höchstens halb neune, da gewöhnlich das Schauspiel aus war, durfte er, ohne böse Gesichter von Vater und Mutter, nicht außen bleiben. Sie wußte es denn doch zu machen; entweder er war bestellt, wenn er ihren Namen auf dem Zettel nicht sähe, oder sie ließ sich unter dem Ballett nach Hause führen, und da konnte er verweilen, bis ihn das Rasseln der Kutschen von seinem Glücke zu scheiden nötigte.
Aus dem Parterre konnte er ihren Anblick fast gar nicht mehr aushalten, es saß ihm gleich an der Kehle. Er machte sich aufs Theater, hinter die Wände. Die perspektivische Magie war weg, aber der Zauber der Liebe blieb. Stundenlang konnte er am schmierigen Lichtwagen stehn, sich den Qualm der Unschlittlampen an die Nase gehen lassen, nach ihr hinausblicken, an einem Blick von ihr erzittern und in dem Balken- und Lattengerippe sich ein Paradies fühlen. Die ausgestopfte Lämmchen, Wasserfälle von Zindel, die pappene Rosenstöcke und die einseitigen Strohhütten rührten in ihm die lieblichsten Bilder, die er je in Dichtern von Schäferwelt gelesen hatte, sogar die hagere, langmäßige, weitbrüstige Tänzerinnen waren ihm nicht immer zuwider, weil sie auf einem Brette mit seiner Einzigen stunden. Und so ist es gewiß, daß Liebe, die selbst Rosen- und Myrtenwäldchen und Mondschein erst beleben muß, auch Hobelspäne und Papierschnitzeln beleben kann. Sie ist so eine starke Würze, daß die schalsten und ekelsten Brühen davon schmackhaft werden. Solch einer Würze brauchte es freilich, um den Zustand leidlich und in der Folge angenehm zu machen, in dem er gewöhnlich die verworrne Haushaltung ihrer Stube, auch wohl gelegentlich sie selbst antraf. In einem feinen Bürgerhause erzogen, war Ordnung und Reinlichkeit das Element, worin er atmete, und seine erhöhte Einbildungskraft hatte von jeher sein Zimmer, das er als sein kleines Reich ansah, stattlich ausstaffiert. Seine Bettvorhänge waren in großen Falten mit Quasten aufgezogen, wie die Thronen gemalt werden, mit einigen Unkosten hatte er sich einen Teppich in die Mitte des Zimmers und einen feinen auf den Tisch angeschafft. Seine Bücher und Gerätschaften legte und stellte er fast mechanisch so, daß sie meist eine schöne Gruppe machten, seine Mütze hatte er wie einen Turban zurechtegelegt und die weiten Ärmel an seinem Schlafrock nach türkischem Schnitt kurz stutzen lassen, davon er zwar die Ursache angab, daß sie ihn im Schreiben hinderten, und wenn er abends ganz allein war und niemand mehr zu fürchten hatte, trug er eine Seidenschärpe um den Leib; auch sagt man, daß er wohl manchmal einen Dolch, den er sich aus einer alten Rüstkammer zugeeignet, in Gürtel gesteckt habe und die Stube mit auf und ab marschiert sei, ja er soll nie anders sein Gebet als kniend auf dem Teppich verrichtet haben. Diese fastuose Seite seines Charakters und Betragens schadete übrigens seinem guten, natürlichen Wesen sehr wenig, sogar, wer genau achthaben wollte, würde diesen Zug in vielen Kindern und jungen Leuten antreffen. Ja was sag ich! ist's doch in der Welt hergebracht, daß man sich die Majestät kaum anders als im Schlepp- und Prachtmantel denken kann, daß das Hohe des Standes, das Edle der Tat nur in pausbäckiger Repräsentation dem Menschen sichtbar und nachahmbar wird und daß man sie nicht fühlen machen kann, daß das Große und Erhabene nur das Reinste und Wahrste des Natürlichen ist, und daß sich's eben drum weder vorzeigen noch nachahmen läßt.
Wie glücklich pries daher Wilhelm in seinem Herzen den Komödianten, den er im Besitz so mancher majestätischer Kleider, in steter Übung eines edeln Betragens sah, dessen Seele einen Spiegel des Herrlichsten und Prächtigsten, was die Welt je an Gesinnungen und Leidenschaften hergebracht, darstellte. Er dachte sich dessen häusliches Leben als eine Reihe von würdigen Handlungen und Beschäftigungen, davon die Erscheinung auf dem Theater nur die äußerste Spitze, nur wie der Blick des Silbers sei, das, vom Läuterfeuer lange umgetrieben, aus farbiger Regenbogenschönheit endlich blinkend vor den Augen des Arbeiters in einem Korne daliegt.
Anfänglich machte es ihn stutzen, wenn er bei seiner Geliebten war und durch den glücklichen Nebel, der ihn umhüllte, nebenaus auf Tische, Stühle und Boden sah; die Trümmern eines augenblicklichen, leichten, falschen Putzes lagen wie das glänzende Kleid eines Fisches, den man abgeschuppt hat, zerstreut in rascher Unordnung durcheinander. Die Werkzeuge menschlicher Reinlichkeit, Kämme, Seife, Tücher, Pomaden waren mit den Spuren ihrer Bestimmung gleichfalls unversteckt; Bücher und Schuhe, alte Wäsche und italienische Blumen, Etuis, Haarnadeln, Schminkbüchschen und Bänder, Musik und Strohhüte, keines verschmähte die Nachbarschaft des andern, alle waren durch ein gemeinschaftliches Element von Puder und Staub vereinigt. Doch da Wilhelm meist nicht wußte, wo er war, wenn er sie sah, da alles ihr gehörte, sie berührt hatte, ward ihm alles lieb und sogar fühlte er endlich in dieser unordentlichen, verworrnen Wirtschaft einen Reiz, der ihm niemals in seiner staatischen Prunkordnung das Herz geöffnet hatte. Es war ihm, wenn er hier ihre Schnürbrust wegnahm, um zum Klavier zu kommen, dort ihre Röcke aufs Bett legte, um sich zu setzen, wenn sie selbst mit unbefangner Freimütigkeit manches Natürliche, das Fremde sonst so sehr gegeneinander zu verheimlichen pflegen, vor ihm nicht zu verstecken suchte, es war ihm, sag ich, als wenn er ihr näher wäre, als wenn eine Gemeinschaft zwischen ihnen sich mit unsichtbaren Banden befestigte.
Schwerer zu verdauen war die Aufführung der übrigen Schauspieler, die er manchmal bei ihr antraf und durch sie kennenlernte. Geschäftig im Müßiggange, machten sie gewöhnlich von den äußersten Kleinigkeiten großes Aufhebens, was für Kleider sie anziehen, von welcher Seite sie herauskommen wollten, wie lange das Stück spielen würde, Klagen über die Ungerechtigkeiten des Direkteurs, der ihre Talente verkenne, daß der seine Rolle gestern nicht gewußt habe, daß jenes Stück nicht zu spielen sei, daß das teutsche Theater täglich sich verbeßre und der Komödiant immer mehr geehrt werde. Das waren die theatralische Diskurse. Im gemeinen Leben kamen die Kaffeehäuser und Weingärten, Spiel, irgendein Kamerad wegen Schulden im Gefängnis, was irgendein Akteur bei einer andern Truppe monatlich hat, ein Streit zwischen ein paar bissigen Weibern, darüber die Gesellschaft in zwei Parteien fiel, und dergleichen Dinge mehr vor. Der Schluß war immer das Publikum und seine Aufmerksamkeit und Zufriedenheit und der große, wichtige Einfluß des Theaters auf die Bildung einer Nation und der Welt.
Wilhelm wußte nicht, wie er das zurechtelegen sollte, er kam nicht zustande, sich einen deutlichen Begriff von diesen Widersprüchen zu bilden, da ihm seine Liebe zum übrigen Nachsinnen wenig Zeit ließ.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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