Eilftes Kapitel
Das Knabenalter ist, glaub ich, darum weniger liebenswürdig als die Kindheit, weil es ein mittler, halber Zustand ist. Das Kindische klebt ihnen noch an, sie noch am Kindischen, allein sie haben mit der ersten Beschränktheit die liebevolle Behaglichkeit verloren, ihr Sinn steht vorwärts, sie sehen den Jüngling, den Mann vor sich, und weit auch ihr Weg dahin geht, eilt die Einbildung voraus, ihre Wünsche überfliegen ihren Kreis, sie ahmen nach, sie stellen vor, was sie nicht sein können noch sollen. Ebenso ist‘s mit dem innern Zustand ihres Körpers, ebenso mit ihrer Gestalt. Und so wurd‘s auch mit dem Theater unsrer jungen Freunde. Je länger sie spielten, je mehr Mühe sie sich gaben, wie sie nach und nach hie und da etwas aufhaschten, wurd ihr Spiel immer langweiliger, das Drollige ihrer ersten Unbefangenheit fiel weg, wo sie oft die Stücke, ohne es zu wissen, herrlich parodierten, es ward eine steife, einbildische Mittelmäßigkeit draus, die um desto fataler war, weil sie sich‘s selbst sagen konnten und oft gar von ihren Zuschauern hörten, daß sie sich um vieles gebessert hätten. Den größten Verderb brachte eine Gesellschaft Komödianten, die zu der Zeit in ihrer Stadt anlangte, unter sie. Die deutsche Bühne war damals in ebender Krise; man warf die Kinderschuhe weg, ehe sie ausgetreten waren, und mußte indes barfuß laufen. Unter diesen Schauspielern war zwar manches Natürliche und Gute, das unter der Last von Affektation, angenommenen Grimassen und Eigendünkel erstickt; und wie alles Unwahre am leichtesten nachgeahmt werden kann, so wie es am stärksten in die Augen fällt, so hatten unsere Liebhaber gar bald diese Krähen der fremden Federn berupft, um sich selbst damit auszustaffieren. Tritt, Stellung, Ton wurden unmerklich nachgeahmt, und sie machten sich allerseits wohl hinterher eine Ehre draus, wenn jemand ihrer Zuschauer so fein war zu finden, daß sie akkurat wie dieser oder jener Schauspieler anzusehen seien.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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