Viertes Buch
Achtes Kapitel
Wilhelm trat eben dazu, als dieser Streit heftig werden wollte, und da ihm die ganze Sache höchst verdrüßlich wurde, so bat er Herrn Melina, er möchte doch, ohne sich zu erhitzen und Persönlichkeiten dreinzumischen, suchen, was möglich wäre, von dem Gelde zu retten, und die allgemeine Verlegenheit, in der sie sich befänden, nicht noch vermehren. "Ich überlasse Ihnen", fuhr er fort, "die ganze Angelegenheit, denn ich bin nicht imstande mehr, ein Wort drüber zu denken oder zu sagen, noch meinen Vorteil im geringsten dabei zu wahren. Ich bitte Sie, Madame", sagte er, "bedenken Sie doch auch, wieviel ich verliere, seien Sie genügsam und billig und vermehren nicht die Hindernisse." Madame de Retti fing an, ihn mit glatten Worten anzureden; allein Melina sorgte davor, daß er sich bald auf die Seite machte.
Wilhelm ging, um sich zu zerstreuen, auf die Promenade, seinen Herrn von C. aufzusuchen, den er aber nicht fand. Die übrigen Offiziere, die er mehr oder weniger kannte, sahen ihn mit großen Augen an, versammelten sich um ihn und ließen ihn wieder stehen, so daß er etwas Besonders in ihrem Betragen zwar fühlte, aber nicht bemerkte. Er fragte nach dem Herrn von C. Man sagte ihm mit einer besonderen Art, daß er krank sei. Wilhelm entschloß sich, ihn zu besuchen, wurde aber, als er vor die Türe kam, abgewiesen. Man sagte ihm, der Herr schlafe, seine Krankheit habe aber nicht sonderlich viel zu bedeuten. Er ging eine Zeitlang spazieren; doch war ihm dies nicht genug. Er wünschte eine teilnehmende Seele zu finden, mit der er sich unterhalten könnte; es blieb ihm nichts übrig, als zu Frau von S. zu gehen, die selbst und besonders eine ihrer Schwestern wohltätig für ihn war; allein auch diese fand er nicht zu Hause und ging mit Widerwillen nach seiner Herberge. Dort sah er Herrn Melina sehr vergnügt, der ihm die Einleitung erzählte, die er gemacht, und wie er hoffte, durch Nachgiebigkeit einen Vergleich zustande zu bringen, damit die Sache wenigstens nicht zur Klage käme und sie den besten Teil davon erretteten. Wilhelm war ungeduldig und versicherte, daß er weiter nichts von diesem Handel hören wollte. Er wandte sich darauf zu Madame Melina und sagte:
"Ich möchte wissen, was meinem Freunde C. fehlet, ich höre, daß er krank ist, und hoffe, es wird von keiner Bedeutung sein." – "Eben", versetzte sie, "wollte ich fragen, ob Sie ihn nicht besucht haben; wir hören, daß er sich duellieret hat, und zwar soll es um Ihrentwillen geschehen sein." – "Wie!" rief Wilhelm ganz bestürzt, "wie ist das möglich." – "Es sollen einige", versetzte sie, "schon lange über den Vorzug eifersüchtig sein, den er in dem Hause der Frau von S. genießt. Sie suchen allerlei hervor, um ihm zu schaden und ihn verdrüßlich zu machen. Neuerlich haben sie sich über seinen genauen Umgang mit dem Komödianten aufgehalten und es für unschicklich geachtet, daß er Sie in die Gesellschaft der Dame gebracht. Er ist darüber heftig geworden, und in einem Zweikampfe, der auf diesen Handel folgte, hat er seinen Gegner zwar scharf verwundet, ist aber selbst nicht heil davongekommen."
Die kalten Worte der Madame Melina waren tausend Dolchstiche in sein Herz. Er verbarg seine Empfindungen, so gut er konnte, eilte auf sein Zimmer, wo er seinem Verdrusse, Schmerzen und Klagen freien Lauf ließ.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
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