Achtes Kapitel
G'nug, das Theater blieb aufgeschlagen, und da es nun die hübsche Frühlingszeit war und man ohne Feuer bestehen konnte, lag Wilhelm seine Frei- und Spielstunden in der Kammer und ließ die Puppen wacker durcheinanderspielen. Oft lud er seine Geschwister und Kameraden hinauf, öfter aber noch war er allein. Seine Einbildungskraft und seine Lebhaftigkeit brüteten über der kleinen Welt, die so gar bald eine andere Gestalt gewinnen mußte. Er hatte kaum das erste Stück, wozu das Theater und die Akteurs geschaffen und gestempelt waren, etlichemal aufgeführet, als es ihm keine Freude mehr machte. Er hatte unter den Büchern seines Vaters die "Teutsche Schaubühne" und verschiedene italienisch-teutsche Opern gefunden, in die er sich sehr vertiefte und jedesmal gleich vorne die Personen überrechnete und das Stück aufführte. Da mußte nun König Saul in seinem schwarzen Samtkleide den Chaumigrem, Cato und Darius spielen, wobei zu bemerken ist, daß die Stücke niemals ganz, sondern meistenteils nur die fünften Akte, wo's an ein Totstechen ging, aufgeführet wurden. Es konnte auch nicht fehlen, daß ihn die Oper mit ihren mannigfaltigen Veränderungen und Abenteuren mehr anzog. Er fand darin stürmische Meere, Götter, die in Wolken herabkommen, und, was ihn vorzüglich glücklich machte, Blitz und Donner. Er half sich da mit Pappe, Farbe und Papier, wußte gar trefflich Nacht zu machen, der Blitz war fürchterlich anzusehen, nur der Donner gelang nicht immer, doch das hatte so viel nicht zu sagen. Auch fand sich in den Opern mehr Gelegenheit, seinen David und Goliath anzubringen, welches im regelmäßigen Drama gar nicht angehen wollte. Er fühlte täglich mehr Anhänglichkeit für das enge Plätzchen, wo er so mannigfaltige Freude genoß, und ich kann nicht unbemerkt lassen, daß der Geruch, den die Puppen aus der Speisekammer an sich gezogen hatten, nicht wenig dazu beitrug. Das Theater war nun in ziemlicher Vollkommenheit, und daß er von Jugend auf ein Geschick gehabt hatte, mit dem Zirkel ein bißchen umzugehen und Pappe auszuschneiden und zu illuminieren, kam ihm jetzt wohl zustatten, und nun tat's ihm um desto weher, daß ihn gar oft seine Personen an Ausführung großer Sachen hinderten. Seine Schwestern, die er ihre Puppen aus- und einkleiden sah, erregten in ihm den Gedanken, seinen Helden auch bewegliche Kleider nach und nach zu verschaffen. Man trennte ihnen also die Läppchen vom Leibe, setzte sie, so gut man konnte, zusammen, sparte sich etwas Geld, kaufte sich neues Band und Flintern, bettelte sich manches Stück Taft zusammen und schaffte sich nach und nach eine neue Theatergarderobe, wo besonders die Reifröcke für die Damen nicht vergessen waren. Er war wirklich nun für das größte Stück versehen, und man hätte denken sollen, es würde nun erst recht an ein Spielen gehen, aber es ging ihm, wie's den Kindern öfters zu gehen pflegt, sie fassen weite Plane, machen große Anstalten, auch wohl einige Versuche, und es bleibt alles zusammen liegen. Mit Wilhelmen war's vollkommen so, die größte Freude lag bei ihm nur in der Erfindung und in der Einbildungskraft; dies oder jenes Stück interessierte ihn um irgendeiner Szene willen, er ließ gleich wieder ein neu Kleid dazu machen. Über diese Wirtschaft waren die Kleidungsstücke, die sie ursprünglich anhatten, in Unordnung geraten und verschleppt worden, daß also nicht einmal das erste Stück mehr gut aufgeführt werden konnte. Die Großmutter hütete aus Alter und Schwächlichkeit das Bette, niemand im Haus gab weiter Achtung drauf, so daß in kurzer Zeit das Theater in große Unordnung geriet. Wilhelm überließ sich seiner Phantasie, probierte und bereitete ewig, ohne was zustande zu bringen, baute tausend Luftschlösser und spürte nicht, daß er noch keinen Grund zum ersten gelegt hatte.
Eckermann: Gespräche mit Goethe
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen