Die Scene in Auerbachs Keller muß ebenfalls in den Zusammenhang der akademisch-satirischen Scenen mit einbezogen werden; sie unterscheidet sich jedoch von den beiden im ältesten Faust unmittelbar vorhergehenden, die, wie wir gesehen, den gleichen Zweck haben, Verkehrtheiten der Wissenschaft und ihrer Vertreter zu verspotten. Ein Bild studentischen Lebens und Treibens, wie es sich auf dem Boden der Kneipe abspielt, entrollt sie vor unseren Augen. Die Satire ist aber hier nicht feindselig; keinem Gegner ist sie in den Mund gelegt; sie ergibt sich hier ganz von selbst aus dem dramatisch bewegten Gemälde, das von dem Dichter entworfen ist. Das Leben und Treiben dieser Gesellen spielt sich vor unseren Augen ab. Unsere Scene ist also durchaus dramatisch gehalten und ganz anderer Art als die beiden Kampfdialoge, in denen immer der eine der Unterredner eine sehr untergeordnete Rolle spielte.
Ein weiterer Unterschied ist: wir bewegen uns hier wieder völlig auf dem Boden der Sage, aber der Dichter hat es dabei nicht nötig gehabt, seinem modernen Empfinden Zugeständnisse zu machen. Faust mit seinen teuflischen Kunststücken, der Ort der Handlung, der Verkehr mit Studenten, der Faßritt, alles zusammen gehört der Überlieferung an. Aus diesen überlieferten Elementen hat der Dichter eine ganz eigenartige Scene geschaffen; vielleicht hat auch eine Fassung des Volksschauspiels bereits eine Auerbachscene erhalten, die dann den unmittelbaren Anstoß zu der unseren gegeben hätte. Sie gewährt also ein in jeder Beziehung von den übrigen verschiedenes Bild; die erste Hauptmasse ist mehr lyrisch gehalten; die beiden folgenden Scenen sind polemisch-didaktisch, diese ist dramatisch, wie die Scenen des Götz, im Geiste Shakespeares. Der Anfang ist in Versen; aber eigentümlicher Weise, sobald es nicht mehr die Empfindung ist, die sich im wechselnden Rythmus zum Ausdruck bringt, nicht mehr satirische Polemik, die das Maß der Fastnachtsspiele annimmt, sobald das dramatische Element zum Durchbruch kommt, da tritt nach den ersten wenigen Versen wie von selbst die Prosa hervor, in die sich im Anfang der Frankfurter Zeit der Götz gekleidet hatte, an ihrem Ende der Egmont kleiden sollte. Dieser Übergang aus dem Reimvers in die Prosa ist auch deshalb von Bedeutung, weil wir wohl daraus den Schluß ziehen dürfen, die Auerbachscene sei die erste der Prosascenen im Faust. Denn wäre schon eine solche niedergeschrieben gewesen, so hätte Goethe wohl nicht erst den Versuch gemacht, eine dramatisch so bewegte Scene in Verse zu fassen.
Wir treten mit ihr zugleich in eine neue Sphäre des Dramas; denn wir treffen hier Faust auf der ersten Station seiner Weltfahrt, die er mit Mephistopheles unternimmt. Der Faden der Handlung ist also auch hier weitergesponnen. Mephistopheles hat, wie wir es schon in der Schülerscene aus seinem Verhalten zu dem Studenten entnehmen dürfen, Faust nach dem Scheitern aller seiner hohen Pläne aufgefordert, sich mit ihm in die Welt, in das Leben zu begeben. Die Welt, in die er ihn zuerst führt, ist die, die der junge Dichter aus eigener Erfahrung kannte: zunächst die kleine des studentischen Treibens. Von seinem späteren Standpunkt aus hat er darum nicht mit Unrecht, jene Sphäre, in die er seinen Helden versetzt hatte, eine kümmerliche genannt.
Nach dem ganzen Inhalt der Scene werden wir bei der Frage nach den Entstehungsmotiven mehr auf die Suche nach äußerer als innerer Erfahrung gewiesen, die sich dann mit dem Überlieferten zu einem Ganzen verband; indes selbst hier, wo man es doch am wenigsten erwarten sollte, hat auch das innere Leben des Dichters mitgearbeitet. Im ersten Teil, bis zum Auftreten von Faust und Mephistopheles, will das rohe Treiben der Studenten anfangs nicht recht in Gang kommen; endlich versuchen sies mit Singen: verschiedene Lieder werden angestimmt, keines findet Beifall, bis Frosch das Lied von der Ratte singt, dessen Rundreim vom Chor mitgesungen wird. Hierbei hat nun offenbar der Dichter in der Person Siebels, der, von seiner Geliebten verschmäht und in seinem Ehrgeiz gekränkt, seinem Unmut in Wendungen Shakespearischer Art Luft macht, mit dem Rattenliede, das den unglücklich Liebenden im Bilde der vergifteten Ratte darstellt, deren Schmerzen die Vergifterin lachend zusieht, und in der Art, wie Siebel seine Teilnahme mit jener zu erkennen gibt, seine eigene unglückliche Stimmung in der Zeit seiner Liebe zu Lili verspottet. Diese Annahme wird durch eine Stelle aus einem Briefe an die Gräfin Auguste Stolberg vom 17. September 1775 bestätigt, wo er, wie man schon längst gesehen, das peinigende Gefühl seiner unglücklichen Liebe in ähnlicher Weise vergleicht: »Mir wars in all dem, wie einer Ratte, die Gift gefressen hat, sie läuft in alle Löcher, schlürft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Eßbare, das ihr in Weg kommt, und ihr Inneres glüht vor unauslöschlich verderblichem Feuer.«, Wie hier und im Liede unter dem Bild der Ratte der unglücklich Liebende verborgen ist, so in dem Gedichte Lilis Park, das ähnlicher Stimmung entsprungen ist, unter dem des Bären, der allerdings seine menschliche Natur nicht verleugnen kann. Er ist wirklich vom Zauber der Liebe ergriffen, der aber ähnlich wie Gift auf ihn einwirkt:
Ich arbeite mich ab, und bin ich matt genung,
Dann lieg ich an gekünstelten Kaskaden,
Und kau und wein und wälze halb mich tot,—
Die Geliebte hat aber ihren Scherz mit ihm:
So treibt sies fort mit Spiel und Lachen;
Ha! manchmal läßt sie mir die Thür halboffen stehn,
Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will.
Das Spottlied ist verklungen, Siebel, der die Beziehung zu seinem Zustand wohl herausgefühlt hat, darob verspottet, da treten Faust und Mephistopheles ein. Die Burschen stellen ihre Vermutungen über sie an; dann versuchen sie es, die neu Angekommenen aufzuziehen, und laden sie schließlich zu ihrem Trinkgelage ein. Auch dieser zweite Teil gipfelt in einem Liede, zu dem Mephistopheles aufgefordert wird. Der Teufel, der, wie er vorgibt, aus dem Lande Krugantinos kommt, ist dazu gleich bereit. Er singt das Lied vom Floh, der Günstling am Hofe geworden; alle Höflinge müssen darum seine Eigenheit ertragen, keiner darf sich, was doch sonst jedem erlaubt ist, seiner erwehren. Wir dürfen nun selbst hierbei nach der Beziehung zu dem Leben des Dichters fragen. Am 11. Dezember 1774 hatte ihn Knebel, der Erzieher des Prinzen Konstantin von Weimar besucht und ihn dazu vermocht, sich den beiden Weimarischen Prinzen, die in Frankfurt angekommen waren, vorzustellen; am 13. Dez. folgte er ihnen mit Knebel nach Mainz nach. Seit dieser Zeit sind Goethes Blicke nach Weimar gerichtet; Knebel ist es, durch den er mit dem dortigen Hofe Fühlung zu behalten sucht. In Goethes Vaterhause entspinnt sich aber seit diesem Besuche ein eigentümlicher Streit. Dem Sohn war die Aussicht auf den Hofdienst eröffnet, der Vater wollte davon nichts wissen und gab seine Abneigung durch volkstümliche Redensarten kund; der Sohn blieb ihm aber die Entgegnung nicht schuldig. Daraus entsprangen dem Dichter kleine Dialoge, die diesen Gegensatz behandeln, und von denen er einige in seiner Lebensgeschichte mitgeteilt hat. Zu ihnen gehört z.B. der Reim:
Willst du die Not des Hofes schauen!
Da wo dichs juckt, darfst du nicht krauen!
Der Zusammenhang mit dem Flohlied tritt deutlich zu Tage; es ist offenbar nur ein Niederschlag der kleinen Streitigkeiten, die damals in Goethes Vaterhause an der Tagesordnung waren, da der fürstliche Besuch dem Sohn auf Bahnen, die den Wünschen des Vaters nicht entsprachen, eine lockende Aussicht eröffnete.
Das Flohlied ist der Höhepunkt des zweiten Teils der Scene, in der Mephistopheles eine Hauptrolle spielt, während Faust, der keine Stimme hat, ganz zurücktritt. In dem folgendem Teil tritt dagegen Faust hervor und zwar als der Zauberer der Sage, der unter höllischer Mitwirkung zum ersten Mal seine Zauberkünste versucht. Der Teufel hat mit dem Liede seinen Beitrag zu der Gesellschaft geliefert, Faust thuts, indem er den Wein herbeischafft. Alle Wünsche sind befriedigt, da verrät sich durch Siebels Unvorsichtigkeit der höllische Spuk. Alle wollen über den Zauberer her; allein der verblendet sie so, daß sie sich in ihrem Wahn mit komischen Gebärden einander zuwenden. Faust bricht endlich den Zauber und entfernt sich mit Mephistopheles; einer hat ihn sogar auf einem Faß hinausreiten sehen. In komischer Angst brechen dann auch die Gesellen auf, nicht ohne daß Siebel noch einmal nachsieht, ob nicht doch der Wein noch laufe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen