Auch für die Schülerscene bildet das Jahr 1772, die Beteiligung an den Frankfurter Gelehrten Anzeigen, die breite Grundlage. Sie gehört also zugleich mit der Wagnerscene in engeren Zusammenhang mit den satirischen Dichtungen der Jahre 1773 und 1774.
Man ist bei keiner Scene in größerer Unklarheit über die Zeit der Entstehung gewesen als bei ihr. Schon Luden, in dem bekannten Gespräch mit Goethe, glaubt, sie sei wegen ihrer unmittelbaren Anschauung des akademischen Lebens und Treibens in Goethes Universitätsjahre zu setzen. Neuerdings hat Seuffert sie gar, besonders durch den Charakter ihres ersten Teiles verführt, der Leipziger Zeit des Dichters zugewiesen. Was zu dieser Annahme nicht recht passen will, wird dann nach bekannter Methode für später an- und eingeflickt erklärt. Die Scene bietet aber gerade für die Leipziger Zeit den geringsten Anhalt. Der Student, wie er hier auftritt, geht in seinem wissenschaftlichen Streben, neben der Medizin vor allem die Natur des Alls zu erfassen, auf die Straßburger Zeit zurück. Der Dichter sagt es zum Überfluß auch selbst. Für den derben Angriff auf das Professorentum und für den feinen, ironischen Spott auf die Universitätsweisheit boten ihm aber das Kampfjahr 1772 und die daraus erwachsenen neuen Beziehungen eine reichere Fülle von Stoff als ihm zugleich auf einer weniger hohen Entwicklungsstufe seine Studentenjahre hätten bieten können. Darum stehen auch Wagner- und Schülerscene innerlich in engstem Zusammenhang. In beiden wird gegen die beschränkte Schulweisheit und ihre starre Methode, die allem wahren Leben feind sind, angekämpft; in der einen ist es Faust selbst, der mit heftigem, aber edlem Unwillen gegen jene geistlose Auffassung der Wissenschaft loszieht; in der andren der Teufel. Da herrscht natürlich ein andrer Ton; der Schalk ists, der in lustiger Maskerade, erst mit derbem, dann mit feinem Scherze, den Professor des 18. Jahrhunderts durch den Ton und Inhalt seiner Worte aufs ergötzlichste verhöhnt. Erst zuletzt wird auch dem Teufel sein Recht. Die Maske fällt, der Versucher steht da. Natürlich ist nicht an eine Verhöhnung Fausts zu denken, weil er ja auch Professor ist. Denn über seinen Standpunkt sind wir ja durch die unmittelbar vorhergehende Wagnerscene völlig im klaren.
Die beiden Scenen sind also die wichtigsten Bruchstücke der akademischen Satire, der ursprünglich, da durch sie der Hintergrund zu Fausts Streben gegeben war, ein breiterer Raum und eine größere Bedeutung zugedacht war wie in der späteren Ausführung.
Endlich hätte schon die Thatsache, daß Mephistopheles in unserer Scene auftritt, davor warnen müssen, sie einer allzufrühen Zeit zuzuweisen. Wie ausgezeichnet ist er gleich hier bei seinem ersten Auftreten charakterisiert! Scherz und Ironie sind seine Waffen; überlegener Verstand ist ihm gegeben, mit dem er die menschlichen Verkehrtheiten durchschaut und von Verachtung des Menschen erfüllt, nur das Schlechte in ihm aufregt, um ihn zu seinen Zwecken zu benutzen. Wie ganz und gar hält sich dabei der Weltkluge in der Sphäre der Wirklichkeit! Welch ein Gegensatz zu Fausts mächtigem Gefühl, das alle menschliche Beschränkung zu durchbrechen sucht. Völlig klar ist außerdem schon hier ausgesprochen, was der Teufel will. Der Schluß der Schülerscene, wo er die Maske für uns ablegt, gibt uns einen Anhalt dafür, wie er zu Faust gesprochen hätte, wenn eine solche Scene im ältesten Faust ausgeführt worden wäre. Seine Forderung heißt: hinaus ins Leben! allerdings zu einem Leben in des Teufels Sinne, das den Menschen ins Verderben bringe; allein der Boden, auf den ihn der Teufel weist, ist doch derselbe, auf dem dem Menschen allein auch höchstes Glück und schließliche Erlösung beschieden sind. Damit ist uns zugleich ein Ausblick eröffnet auf die ursprüngliche Art der Verbindung zwischen Teufel und Erdgeist. Daß sie in Verbindung standen, ist bekannt, geht aus der Dichtung selbst hervor. So wie später Gott und Teufel einander gegenüber stehen und mit einander zusammenhängen, so anfangs Erdgeist und Teufel. Der erstere war von dem Dichter als Geist des Lebens der Erde in jedem Sinne, auch im höchsten des thätigen Lebens gedacht. Faust hatte aber den ganzen ungeheuren Umfang seines Wesens noch nicht zu fassen vermocht. Mephistopheles ist nun auch ein Geist des Lebens, also auch im Erdgeist mit einbegriffen, wie Gutes und Böses, Tod und Leben, Zerstören und Erschaffen in seinem Wesen sind, wie ja auch der Teufel in der Schöpfung Gottes enthalten ist. Das Leben aber, zu dem der Teufel verführt, gründet sich allein auf das Ausleben des Schlechten und Gemeinen, das in jedem Menschen wohnt, auf diesem Weg sucht er ihn zu verderben; er ist darum natürlich der Feind jeder Erhebung, jedes Aufschwungs und jeder Begeisterung und hat gerade seine Freude, dem gestürzten Titanen seine ganze Schwäche und Ohnmacht zu zeigen, jede Erhebung zu verkümmern und das Schlechte im Menschen zu stärken. Der kalte, gefühllose Verstand ist ihm gegeben, dessen Hauch das warme Gefühl im Herzen erstarren macht; er ist also mit andren Worten der Widersacher, der im Innern des Menschen wohnt, sein Gefühl erstickt, dem Trieb der Erhebung entgegenwirkt, indem er höhnend auf das Unmögliche weist, und ihn endlich dahin bringt, sich trotzig beim Gemeinen, Niedrigen, Schlechten zu beruhigen, es allein in sich zu nähren. Alles das glaubt der Teufel eben am besten im Strudel des Lebens erreichen zu können. Innerhalb des Wirklichen herrscht der Teufel, im Reich der Idee hat er keine Macht. Bei Faust war für ihn der Augenblick gekommen, da er vom Erdgeist verschmäht war, an seiner Kraft, der Gottheit sich zu nähern verzweifelte, sein Geist, der nur noch die Ohnmacht und Schwäche des menschlichen Geistes empfand, dem teuflischen glich und so ihn von selbst anzog. Den Versuch, Erdgeist und Teufel in dieser Weise mit einander in Verbindung zu bringen, hat der Dichter bekanntlich später—aber erst zur Zeit der dritten Beschäftigung mit Faust—aufgegeben, offenbar weil sich keine allgemein faßliche Form dafür bot, und er ist mit richtigem Gefühl auf die uralte, zum Allgemeingut gewordene Anschauung zurückgegangen, nach der Gott und Teufel es sind, die mit einander und gegen einander auf das Leben des Menschen einwirken.
Die Scene ist also jedenfalls nicht außer allem Zusammenhang gedichtet, sondern läßt uns überall die Fäden erkennen, die sie mit den übrigen Teilen des Gedichtes verbindet; sie kann nur zu einer Zeit entstanden sein, wo dem Dichter bereits das Wesen des Erdgeistes und sein Verhältnis zum Teufel klar vor der Seele stand. Man wird darum schon aus diesem Grunde von allzufrühen Ansätzen absehen müssen. Vor 1773 ist die Schülerscene in keinem Falle gedichtet; es entsteht nun auch hier wieder die Frage, wie bei der Wagnerscene, ob 1773 oder 1774. Denn über 1774 hinauszugehen, haben wir keine Veranlassung. Eine bestimmte Entscheidung wird sich aber auch hier nicht treffen lassen. Wenn die Vermutung richtig ist, Bahrdt habe im ersten Teil der Scene zum Bilde des Professors gestanden, so wird dadurch ebenfalls nur bestätigt, was aus dem übrigen hervorgeht, sie sei 1773 oder 1774 entstanden. Eine scharf begrenzte Zeit wie beim ersten Monolog hebt sich also nicht heraus. Auch die Sprache gibt keinen sicheren Anhalt; Nachlässigkeiten beweisen, daß auch hier die Feile fehlte; Vergl. noch V. 263: Sieht all so trocken ringsum aus. V. 336 f. von aller Erden, von allem Himmel und all Natur,——V. 316 bekleiben; auch in den Biblischen Fragen d.j.G. 2. 232 unten und im Satyros a.a.O. 3. 493
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen