Rechtsanwalts-Eingaben [Heckel gegen Heckel]
[Frankfurt, 16. Oktober 1771]
Wohl- und Hochedelgeborne, Gestrenge, Fest und Hochgelahrte, Wohlfürsichtige und Wohlweise, sonders Großgünstige, Hochgeehrteste und Hochgebietende Herren Stadt Schultheiß und Schöffen! Da ich durch ein den 30. September ergangenes und den 4. Oktober mir publiziertes venerierliches Resolutum des jüngern Herrn Bürgermeisters Wohlgeb. angewiesen worden, in Ansehung eines solennen Zeugen-Verhörs, in Sachen gegen meinen Vater Joh. Georg Heckel, innerhalb 14 Tagen das Behörige bei Euwren Wohl- und Hochedelgebornen, Gestrengen und Herrlichkeiten vorzukehren, und mir nunmehro Beweis zu führen obliegt, daß besagter mein Vatter den 1. April a. c. als am Tage meiner öffentlichen Eheverlöbnis freiwillig deklariert habe, wie er mir gleich nach meiner Kopulation alles in allem, das Haus und sämtliche Nahrung und Gewerbe ganz allein übergeben und sein Leben bei mir in Ruhe zubringen wolle; so überreiche zu dessen schuldigst gehorsamster Befolgung in der Anlage sub Lit. A. bis I. inkl. eine Abschrift des verhandelten ProtocolliDer Bürgermeister-Audienz. sowohl, als auch sub. Lit. K. kurzgefaßte nötige Beweis-Articul, mit der dringendsten Bitte, Hochdieselbe geruhen Großgünstig, die eben daselbst benennte Zeugen, servato juris ordine, Hochgeneigtest darüber abhören zu lassen. Der ich mit gebührender Ehrfurcht allstets harre Euer Wohl- und Hochedelgebornen, Gestrengen und Herrlichkeiten untertänig gehorsamster Joh. Friedr. Heckel. Concepit J. W. Goethe Lizentiat.
[Frankfurt, 3. Februar 1772]
Wohl- und Hochede4.lgeborne, Gestrenge, Fest und Hochgelahrte, Wohlfürsichtige und Hochweise, sonders Großgünstig Hochgeehrtest und Hochgebietende Herren Stadt Schultheiß und Schöffen! Wenn großsprecherischer Eigendünkel das Urteil eines weisen Richters bestimmen, und die gehässigste Grobheit eine wohlbegründete Wahrheit umstoßen könnte, so würde durch die letzte gegen mich eingereichte Schrift meine Sache unwiederbringlich vernichtet worden sein. Es ist schwer zu glauben, daß Parteien sich öfter unterstehen sollten, Ew. Wohl- und Hochedelgebornen Gestreng und Herrlichkeit solches Papier vorzulegen, das unverschämteste Unwahrheit, aufgebrachtester Haß, ausgelassenste Schmähsucht um die Wette zur abscheulichsten Mißgeburt gebildet haben. Mein aufgehetzter Vatter läßt sich nun leider! so weit herunter, daß er in bemeldter Schrift kein einziges Faktum richtig erzählt, sondern jedes nach einem gewissen willkürlichen, zu Beweisen voraus erwählten Satz zugeschnitten wird.
Die lieblosesten Schilderungen meines Charakters und meiner Handlungen müssen dienen, den Beweis zu stärken, der denn endlich in solchen unziemlichen Ausdrücken geführt wird, daß der Ton der ganzen Schrift dem Ton eines zanksüchtigen aufgebrachten Weibs gleicht, deren erhitztes Gehirn, unfähig mit Vernunft und Gründen zu streiten, sich in Schimpfworten erschöpft und, weil sich ihr kein so großer Reichtum darbietet, als sie zur Fortsetzung ihres Grimms braucht, sich in Schimpfworten wiederholt und wiederholt, dem Teilnehmer zum empfindlichsten Verdruß und denen Zuschauern anfangs zum Gelächter und bald zum Ekel. So deutlich auch das alles aus dem bloßen Durchlesen gedachten Exhibiti einem einsichtsvollen Herrn Richter in die Augen fallen muß, so klar es ist, daß er dieselbe nur zur Verwirrung und Verzögerung einer unwidersprechlichen, dem Ende unaufhaltsam sich nahenden Sache quer hereingeschoben, will doch der Rechtsgang eine Beantwortung von meiner Seite verlangen.
Zu Befolgung also eines hochvenerierlichen Schöffen Decreti d. d. 27. Dez. a. p. und nicht in der Intention, mich auf einige Weise einzulassen und seinem Vorbringen nur den geringsten Schein zuzugestehen, lege ich hiermit Ew. Wohl- und Hochedelgebornen Gestreng und Herrlichkeit diese Gegenschrift vor, die seine summarische erzwungene Klage ein vor allemal abfertigen, durch das einfachste Mittel, durch eine wahre Geschichts Erzählung nämlich, Rechtmäßigkeit der bisherigen Handlungen sowohl als auch der verhandelten Sache dartun und das Ganze Hochdero gerechtesten Dezision mit dem ergebensten Zutrauen submittieren wird.
Der Inhalt gegenseitigen Scripti, das übrigens auf keinem Blatte sich selbst besteht, sondern, wie es notwendig allem falschen Vorbringen gehen muß, ungleich und unordentlich ist, zerfällt am natürlichsten in zwei Teile.
Der erste, dazu ich die drei vorderste Paragraphen rechne, enthält eine schiefe, halbe und falsche Erzählung des Anfangs und Fortgangs unserer Sozietät, wie auch der Ursachen des Prozesses. Es sei mir genug die Wahrheit dagegen zu setzen.
Mein Vatter, der als ein der Porcellaine Arbeit gänzlich unerfahrner Glasermeister das ganze Werk durch fremde Leute unter seiner Aufsicht geführt hatte, dankte Gott, wie seine Kinder heranwuchsen, die mit selbst ständigem Fleiß und Treue einem mittelmäßigen Werk aufzuhelfen gesinnet waren. Mein älterer Bruder starb, auf dem die Besorgung einige Zeit gelegen, und nun mußte mich mein Vatter in ao. 1755 aus der Porcellaine-Fabrique zu St. Cloud, woselbst ich nächst zwei Jahre gearbeitet, zurückrufen und in dieses sein Gewerb ziehen; wie mag er vorgeben, er habe mich anweisen wollen. Ich war nunmehro der einzige Sohn, des Gewerbs wohl kundig, als worauf ich mich vorzüglich gelegt, meinem Vatter daher unentbehrlich; was folgte natürlicher, als daß er mich in eine ihme so vorteilhafte Sozietät aufnahm; denn wo eine wahre Gleichheit herauskommen soll, gibt einer alle das Geld, wenn der andere alle Arbeit tut. Hier war's nicht so, mein war die ganze Mühe, und die Angabe am Porcellaine Hof, worauf wie bekannt ein großes Kapital haftet, ist noch darzu mütterliches Vermögen.
Unsere Sozietät fing sich 1763 an, und wir fanden für gut, daß zugleich das Verhältnis meiner und meiner Geschwister nach des Vatters Ableben bei Zeiten bestimmt würde, um alle Verwirrung in einem so großen Wesen zu verhindern und die, bei nicht klarem Nachlaß, beiden Teilen so gefährliche Herausgabs Zänkereien einstimmig abzuschneiden. Zu diesem Ende setzten wir ein Instrument auf, wie es zu vorliegendem verwickeltem Spezial Fall dienlich war, welches unter eine General Definition zu zwängen man sich in gegenseitiger Schrift viele vergebene Mühe gibt. Die ersten Worte gedachten Instruments sind folgende: »Nachdem ich Endesunterzeichneter Joh. Georg Heckel, Burger und Glasermeister, meinen Sohn Joh. Friedr. dermalen zu meiner Porcellaine Fabrique in Sozietät auf und angenommen etc.« Es setzt also schon eine Sozietät voraus, die auch ohne dasselbe bestünde, und wird nur bei Gelegenheit schriftliches Zeugnis derselben. Was braucht's Distinktion zwischen Kommunion und Sozietät, da mein Vatter mit eigener Unterschrift lange attestiert hat, daß es wahre Sozietät seie, wie denn im 5ten §. ausdrücklich wiederholt wird: »Gleich wie nun der in Zukunft aus unserer Sozietät entspringende Gewinn etc.«, wodurch sich die ganze Handlung aufs deutlichste bestimmt.
Zu der übrigen in dem Instrument enthaltenen Teilungs Verfügung war nun freilich meiner Geschwister und mein eigener Konsens nötig, weil ein großer Teil (und jetzo beinah alles) des wahren vorhandenen Vermögens aus mütterlichem besteht, auch die Summe, für welche ich nach seinem Tod den Porcellaine Hof übernehmen sollte, sehr groß und die Sache nicht so vorteilhaft für mich war, als vorgegeben werden will. Wir schnitten, wie oben schon gemeldt, mit einem Vergleich durch, weil bei bewandten Umständen im Weg Rechtens keine Auskunft gewesen wäre.
Unsere Sozietät dauerte zwei und ein Viertel Jahr, während welcher Zeit mein Vatter Ausgabe und Einnahme allein bestritte, ich aber das Werk mit allem Eifer und Zufriedenheit desselben fortsetzte, und nur Samstags in seiner Gegenwart Ausgabe und Einnahme aufschrieb. Am Ende bemerkte ich in den Büchern große Unrichtigkeiten. Mein Vatter konnte nicht Rechnung tun, und ich aus kindlicher Ehrfurcht verlangte sie nicht, übersahe dieses mir so höchstnachteilige Verfahren, und da er mir, um die Verwirrung nicht zu vermehren, nunmehro Ausgab und Einnahm übergab, so nahm ich mit seiner Bewilligung und Unterschrift hier und da Geld auf, um das verschleuderte zu ersetzen. Auf diese Art besorgte ich alles, Bücher und Nahrung, bis 1770.
Die schweren Interessen fingen an uns zu drücken, und wir waren auf Mittel bedacht, uns von dem völligen Untergang zu retten. Eine vorteilhafte Heurat kam in Vorschlag, mein Vatter, der an der Fabrique, verschuldet wie sie war, nichts mehr zu verlieren hatte, kam mit mir überein, mir das ganze Wesen eigentümlich noch bei seinem Leben zu überlassen, und übergab mirs. Das ist der Hauptpunkt, indem dadurch die Sozietät aufgehoben, ich allein in Besitz gesetzt, dabei unsere Konvention, wie es nach seinem Tod gehalten werden solle, auf das festeste bekräftiget wird, da der vornehmste Teil, von dem die übrigen nur Folgen sind, schon bei seinem Leben zur Würklichkeit gebracht worden.
Dieses zu beweisen legte mir ein ansehnlicher Herr Richter erster Instanz auf. Es nicht zu diesem Beweis kommen zu lassen und wo möglich die ganze Sache zu verdrehen, arbeitet das letzte Exhibitum vergebens. Der Beweis ist geführt, die unverfälschtesten glaubwürdigsten Zeugen haben den ganzen Umgang meiner Probatorialien bestätiget, und ich sehe dem gerechtesten richterlichen Ausspruch mit der angenehmsten Hoffnung entgegen; besonders da er §. 3. (zwar bei Gelegenheit eines falschen Anbringens) selbst eingesteht, worüber bisher so weitläufig gestritten worden.
Der Mantel der Unwahrheit ist überall durchlöchert; je mehr man auf einer Seite ihn zur Bedeckung ausspannt, desto mehr läßt er auf der andern unverhofft alle Blöße sehen. Er sagt: ich habe die ihm auf den Fall, wenn er mich zum Eigentümer der Fabrique erklären würde, ausbedungene Kostgelder ganze Monate freventlich entzogen. Vom Wert und Unwert der Beschuldigung fürs erste nichts gesprochen, gesteht er dadurch unversehens ein, daß der Fall sich würklich ereignet, daß er mir alles zum Eigentum übergeben. Wäre das nicht geschehen, wie hätte er Kostgelder verlangen, wie hätte ich sie versagen können? Dürfte er mir zum Vorwurf machen, etwas geweigert zu haben, was ich nicht schuldig gewesen wäre?
So wahr aber die Sache ist, worauf sich die Beschuldigung gründet, so falsch ist diese selbst. Er hat
lange Zeit mit mir über Tisch gegessen, bis er Streit anfing, sich vom Tisch trennte und es zum Prozeß
kam. Damals war seine Kasse stärker als die meinige; die unter dem Titul Sparbüchse aus der Sozietät
verschleppte Gelder, das aus dem verzapften Stück Wein Gelöste setzte ihn in guten Stand den Prozeß
abzuwarten, mittlerweile ich, bei diesen gewerblosen Zeiten, die ganze Schuldenlast bestreiten und
mich wenden und drehen mußte, um ein ehrlicher Mann zu bleiben. Wie konnte oder sollte ich bei so
bewandten Umständen das Feuer schüren, woran ich gebraten wurde? Doch das ist alles gehoben, ich
prästiere ihm nunmehro alimenta, und wie gern will ich Zeit seines Lebens für seine Erhaltung sorgen,
wenn er durch Hochobrigkeitlichen Ausspruch gegenwärtig zur Ruhe gewiesen werden muß.
Nicht die geringste Beantwortung verdient zuletzt der Vorwurf, ich habe meine Sache schlecht geführt, da doch das ganze auf mir gelegen, da ich zuerst die Fabrique in den Stand gesetzt, in dem sie ist, da von mir alle Verbesserungen an Ofen und allen anderen Einrichtungen, da alle Formen vor mir gemacht worden, und der ganze Verfall des Gewerbs nur durch meines Vatters unglückselige Zänkereien, die sich zu den schlechten Zeiten gesellet, beschleunigt worden. Ist nun der mit so vielem Jauchzen gefundene Grund nichts als ein zugefrorenes Wasser, so muß das darauf errichtete Gebäude durch das geringste Frühlingslüftgen in ein baldiges Grab versinken. Ein Glück für den Werkmeister, er hat sich eben keine Ehren Säule gestiftet.
Die schönen Stücke dieses edlen Ganzen machen den zweiten Teil aus, den ich vom 4ten §. bis zu Ende nehme, und dessen Hauptinhalt folgender ist. Herr Theiß, meines Vatters erster Sachwalter, wird der Unwissenheit und daher entspringender schlechter Einleitung des Prozesses, ein ansehnlicher erster Herr Richter aber Unachtsamkeit und unaufrichtiger Absichten beschuldigt, Beides damit das bisher Verhandelte umgestoßen und ihm Raum gelassen werde, einen neuen imaginairen Klaggrund anmaßlich zu fundieren; darauf er denn in den Tag hinein sagt, ich habe mich gewalttätiger Weise in Besitz gesetzt, das Zeugenverhör cavalierement traktiert, und endlich, Gott weiß wie, auf eine Spolien Klage springt, eines nach dem andern. Der gute Prokurator muß sich bei seiner Ehrlichkeit viel leiden.
Mein Vatter, sein Duz Bruder, der wohl überzeugt war, eine Sozietät mit mir eingegangen und ein Instrument aufgerichtet zu haben, woraus sie sich unwidersprechlich erweisen ließe, schickte ihn in die Audienz, er soll den Sozietäts Kontrakt herausschaffen, und der Prokurator geht und klagt. Wäre er ein Advokat gewesen, würde er meinem Vatter mit weisem Rat an Händen gegangen sein. Wer wird dem Richter die Wahrheit sagen, wer wird sich ins unabsehliche Petitorium einlassen.
Das Instrument kommt zum Vorschein, ich beziehe mich darauf, was die Sozietät betrifft, vornehmlich aber auf das Versprechen meines Vatters bei meiner Verlöbnis, er wolle mir alles in allem zum Eigentum übergeben. Theiß verlangt zwar den Kontrakt zu zerreißen, das Instrument, in so fern es Dispos. part. inter liberos wäre, zu annullieren. Ein weiser Herr Richter, der sieht, daß es hierauf gar nicht ankommt, legt mir auf, die Übergabe der ganzen Nahrung zu erweisen. Ich schlage das Zeugen Verhör vor; nun sieht mein Vatter, was er zu erwarten hat, und in unüberlegter Angst ist ihm nichts zu heilig, das er nicht antasten sollte.
Mit dem Prokurator mag umgegangen werden, wie's will, das ist nicht meine Sache, und wenn besagte Schrift nicht ein Haar mehr vorbringt, als der Prokurator schon getan hat, wenn ihre beglaubte tiefe Rechtsgelehrsamkeit großsprechende, flache, kompendiarische Schulweisheit ist, wenn statt dem praktischen Geist, der in ihr herrschen sollte, die gemeinsten Grundsätze einer unverdauten Prozeß Lehre hier und da aufgeflickt erscheinen, und sie dabei andern Unwissenheit und Dummheit vorwerfen will, sie ist mit einem Nasenrümpfen genug abgefertiget. Wenn sie aber in ihrem Dünkel die geheiligte Person eines Richters angreift, einen ehrwürdigsten Ältesten unserer Stadt unaufrichtiger Absichten, einen erfahrnen Herrn Burgermeister Unwissenheit, Unachtsamkeit, schlechter Aufsicht auf sein Amt beschuldigt (vid. § 4 gegen das Ende): so ruft das laut nach exemplarischer Bestrafung, deren Außenbleiben jeder mutwilligen Bosheit die Vorsteher des Volks aussetzt. Brauch ich weiter zu gehen? Ergibt es sich nicht von selbst, daß der, der sich gegen den Richter solcher Unanständigkeiten erfrecht, gegen die Partei unbändig sein müsse.
Nachdem sich die verhüllte tiefe Rechtsgelehrsamkeit lange Zeit in Geburtsschmerzen gekrümmt, springen ein paar lächerliche Mäuse von Kompendien-Definitionen hervor und zeugen von ihrer Mutter. Sie mögen laufen! Denn über das, daß gar die Frage nicht ist, ob angegebenes Instrument Sozietäts Kontrakt, Dispositio Part. inter liberos, Vergleich oder, welches das Wahrste, alles drei in einem sei, ich mich auch von Anfang gleich nur wegen der Sozietät, die mit klaren Worten drinnen steht, darauf bezogen, hingegen weit mehr als verlangt zu erweisen mich erboten und nun würklich erwiesen habe; so bleibt es eine praktische begründete Wahrheit, daß die Handlungen der Menschen sich nicht nach steifen Definitionen und Distinktionen fügen, daher das Richter Amt, die Beurteilung so mannigfaltiger Sachen nach einfachen Gesetzen, so schwer ist, nur dem erfahrnen Alter zu bekleiden geziemt und deswegen, so ehrwürdig es ist, so sicher für allem nasweisen Überwitz sein sollte.
Nachdem nun also erwiesen worden, was nicht zu erweisen war, und nicht einmal das, was man sich
zu erweisen vorgesetzet hatte, wird das im Vorbescheide so bedeutend befundene Zeugen Verhör en
bagatelle traktiert, das Versprechen meines Vatters bei meiner Verlöbnis, das nicht geleugnet werden
kann, als nichts bedeutender Gesellschafts Diskurs weggeworfen. Nur der durfte so reden, der die
Gesellschaft von ihrer schlechtsten Seite kennt, wenn sie einen aus Langerweile zusammengelaufenen
Haufen bedeutet, wo nichts oder nichts Bedeutendes oder nichts Würdiges geredet und gehandelt wird,
das freilich Interessenten zur ewigen Schande gereichen wird, wenn es protokolliert werden sollte; kann
aber mein Vatter, [als] ernsthafter alter Mann, Hausvatter und Herr, die bestimmteste Zusage bei dem
Verlöbnis seines Sohns, der ernsthaftesten Handlung, woran das ganze zeitliche Glück eines
Menschen hängt, für einen Diskurs in den Wind ausgeben? Was soll bedeutend, was soll beweisend
sein, wenn es dasjenige nicht ist, was ein Vatter, bei der Verlobung seines Sohnes von seinem Beitrag
zum künftigen Unterhalt des neuen Paars auf solennes Fragen, in Gegenwart würdiger zu dieser
Handlung erbetener Zeugen, gegen einer Mutter Erklärungen, worin die Mitgift ihrer Tochter bestehen
solle, mit reiflicher Überlegung antwortet und befestiget. Er vergißt sich, und mir ist leid, daß ich darauf
deuten muß.
Sollte es, da nunmehr der Zeugen Beweis geführt, mein Titel des Eigentums am Porcellaine Hof so deutlich erwiesen worden, sollte es im geringsten nötig sein, gegen den Vorwurf einer eigenmächtigen gewalttätigen Besitznehmung etwas anzuführen? Ich bin müde zu wiederholen, daß mein Vatter mir alles bei meiner Verheuratung übergibt, daß ich als Eigentümer mich betrage, das eingebrachte meiner Frau in die Fabrique wende, daß er damit eine Zeitlang wohl zufrieden ist, zu mir an Tisch geht, endlich auf einmal aus Grille oder Gott weiß warum Händel sucht, sich vom Tisch trennt, einen verdrießlichen Prozeß anfängt, inzwischen aber im Hause sowohl ruhig wohnen bleibt, als auch der Garten Produkten sich zu seiner Haushaltung ohngehindert bedient. Und nun eine Spolien Klage! Wie abenteuerlich dieses Remedium juris, von dem man einmal gehört, es sei favorabler als das Petitorium, hereingeschleppet wird, schlägt jedem so in die Augen, daß ich gleich unverständig handelte, wenn ich Einem einsichtsvollen Herrn Richter die Sonnenklare Unzulässigkeit dieses Einfalls erst weitläufig dartun wollte.
So liegt denn auch die Nichtigkeit des Restitutionsgesuchs am Tag. Aus welchem Grunde soll es statt finden? Wegen der Unwissenheit des Procuratoris, wegen unrechtmäßigem Verfahren in erster Instanz. Es ist oben schon gezeigt, daß der Prokurator eigentlich nur in der Chicane nicht genug bewandert gewesen; und daß kein einzig neues Argument außer dem erzwungenen Spolio in belobter Schrift vorgetragen worden, ist aus ihrer Zusammenhaltung mit dem bei den Actis befindlichen Protokoll gar leicht zu ersehen. Woher also nur der geringste Schein einer justae causae der Prätorischen Klausel? Der Rabe schilt die Dohle schwarz, und ich kann die Entscheidung getrost Einer hochrichterlichen Einsicht überlassen. Ferner zeugen die verwegene Beschuldigungen eines ansehnlichen ersten Herrn Richters von einer sehr schlimmen Sache; ihr Ungrund bestimmt zugleich ihre Strafbarkeit und den Wert der bisherigen Verhandlungen.
Um nun zuletzt auch nicht von ferne gegenseitiges Scriptum nachzuahmen, das in übertriebenen Deklamationen locos communes anhäuft, mit leeren Exklamationen den Mond anbellt, will ich die Himmelschreiende Ungerechtigkeit meines Vatters nicht weitläufig anklagen, der einem einzigen Sohn die einzige Art sein Brot zu verdienen aus den Händen reißen und wer weiß welchem Fremden zuwerfen will; sondern es gelanget nur schließlich an Ew. Wohl- und Hochedelgebornen Gestreng und Herrlichkeit mein so billig als gerechtes Bitten: Hochdieselben geruhen, meinen Vatter vors erste mit der nur zur Verzögerung hereingeschobenen Spolien Klage und nichtigem Restitutions Gesuch zurückzuweisen, dann, bei in dem Vorbescheid mir auferlegtem, nunmehro rechtlich geführten Beweis, großgünstig in der Sache weiter fortzufahren, mich in meinem Eigentum gerechtest zu bestätigen, meinen Vatter zur Erstattung der Prozeß Kosten anzuhalten und das künftige Verhältnis zwischen mir und demselben ein vor allemal Hochrichterlich zu bestimmen, und dadurch einer
höchst zerrütteten Familie die Ruhe, das Mittel der Erholung, wiederzugeben. Als worüber ich mit schuldigster Ehrfurcht verharre Ew. Wohl- und Hochedelgebornen Gestreng und Herrlichkeit untertänig gehorsamster Joh. Friedr. Heckel. Cpt JW Goethe Lizentiat.
[Frankfurt, 30. März 1772]
Wohl- und Hochedelgeborne, Gestrenge, Fest und Hochgelahrte, Wohlfürsichtige und Hochweise, sonders Großgünstig Hochgeehrtest und Hochgebietende Herren Stadt Schultheiß und Schöffen! Hat meine letzte Schrift gegenteiliges Restitutions Gesuch und Spolien Klage eingerissen, so bleibt mir nur weniges noch zu erinnern. Ob sie es habe, überlasse ich getrost Hochderoselben richterlichem Ausspruch. Der Zorn meines Vatters ist jetzt zu Schaum und Geifer gestiegen; er wiederholt sich und wiederholt sich, wie in dem ersten Exhibito. Außer einer einzigen neuen Beschuldigung ists immer dasselbe. Wie glücklich bin ich, auch diese durch meines Vatters eigenhändige Unterschrift widerlegen zu können.
Angebogener Brief in Originali sub Signo , den ich mir retenta apud acta copia gehorsamst wieder zurückerbitte, mag denn von meiner liederlichen und schändlichen Aufführung in St. Cloud, von der Ursache, die meine Eltern bewogen, mich zurückzuberufen, ein Zeugnis ablegen: »Lieber und letzter Sohn!« (Gegenteil, der so gern Dokumente verändert, wird hier vielleicht auch eine Auskunft wissen, liederlich und nichtswürdig dafür einzuschieben). Nachdem sie (die Mutter) mir meines Bruders Tod gemeldet, fährt sie fort: »Er hat dich, seinen Bruder, dem Vatter auf sein Gewissen empfohlen, dich an seinen Platz in die Fabrique zu setzen, worüber er ihm die Hand hat geben müssen und alle Umstehende zu Zeugen genommen.« Weiter: »Wir verhoffen, du wirst dich gleich aufmachen und deinen betrübten Eltern zu Hülf kommen und nicht lang im Jammer stecken lassen; so weißt du wohl, wie elend es ist, mit den Gesellen allein sein, und dein Vater sehr schwächlich ist und nicht mehr nachgehen kann, in keiner Arbeit; so bitten wir dich« ... »Der Herr wird dir das Geleite geben« ... »Joh. Georg Heckel«: eben die Hand, die nun die Schändlichkeit und Liederlichkeit meiner damaligen Aufführung attestiert. Nun auf! Interpretiert, radiert, die dunkeln Stellen erklärt, geleugnet!
Und so sind alle seine Beschuldigungen und all seine Gründe! Aber was will auch ein Mensch
anfangen, der bezeugte Geschichte, Dokumente und Akten gegen sich hat; er muß en gros wegleugnen
oder sich gefangen geben. Hätte er zum Exempel ein einziges Faktum meiner Geschichts Erzählung
falsch befunden, wie geschwind würde er damit hervorgetriumphiert sein; so da er jede einzelne Tat
stehen lassen muß, bricht er's weislich überm Knie ab, und schimpft auf das ganze. Auch ist es nur die
Sicherheit ungestraft durchzugehen, die ihn so trotzig macht. Wie fein krümmet er sich zu halb leugnen,
denn halb widerrufen, denn Abbitte der Übereilung oder Bosheit (sei's was es will), mit der er sich an das
Ansehen eines würdigen Herrn Burgermeisters gewagt. Hier stehe die Stelle seiner Schrift, damit auch
der geringste Argwohn niederer Calumnie weggewendet werde: Restitut.-Gesuch etc. §. 4. gegen das
Ende: »Meinem Sohn wird einen augenscheinlich unrichtigen Klag Grund auszuführen verstattet.« Wer
verstattet? Doch der Herr Burgermeister? Und wenn der Klag Grund augenscheinlich unrichtig ist, so
muß derselbe entweder nicht sehen, oder – wer unterstünde sich das zu sagen, was gleich darauf folgt:
»Mein Prokurator wird nach der bekannten Rechtsregel »id, quod deest advocatis seu procuratoribus, judex suppleat« im Gegenteil nicht aufrichtige Wege gewiesen.« Der Judex soll also supplieren; er tut's hier nicht, sondern weist den Prokurator – Ich mag's nicht ausschreiben, so wenig man sich den Mund auch nur mit nachgesagten Lästerungen verunreinigen mag. Hier wendet er sich wurmartig, weil ihm die gerechteste Ahndung über dem Kopf hängt; gegen einen harmlosen, unbewehrten Sohn wird er immer wütender.
Eben das Register von Schimpfwörtern, was die vorige Schrift charakterisiert, paradiert auch in dieser, nur mit ein paar neuen gewichtigern gekrönt, über die man sonst mit Leuten, die völlig bei Sinnen sind, nur seines guten Namens wegen Injurien Prozesse anfangen muß. Impertinenz und Nichtswürdigkeit klingen überall in der Schrift vor; doch wer kann's ihm übel nehmen, diese Ideen sind einmal dem Gegenteil so homogen, so innig mit seinem Wesen vereiniget, sind in seinem Ausdruck so Hülfswörter geworden, daß er, wenn er auch wollte, ohne dieselbe keinen Gedanken denken, keine Beiwörter finden, keinem Period Schwung und Rotundität geben kann. Und dieser Mann führt nun den Gegenteil in die Schule, lehrt auf allen Seiten, belehrt, weist zurecht, führt zu Gemüte auf allen Seiten, da er doch nicht einmal einsieht, wie viel schlimmer nur seine Sache wird, wenn der Unterschied zwischen Kommunion und Sozietät so groß ist, da geschrieben steht: Ich habe meinen Sohn in Sozietät auf und angenommen.
Der deutlich zu verstehen gibt, er habe keinen Zweifel seine Sache zu gewinnen, wenn ihm vergönnt würde, die Dokumente, worauf alles ankommt, zu seinem Vorteil zu verändern und das geschehene ungeschehen zu machen, da ließ sich mit einer ungerechten Sache noch Prozeß führen; der nicht begreifen kann, wie man einen bereits durch Zeugen geführten Beweis einer Spolien Klage entgegen setzen darf, wenn aus der schon bei der Hand seienden Aussage, wie aus einem ohnwidersprechlichen Dokumente im Augenblick darzutun ist, daß keine Spolien im allerentferntsten Sinne hier vorkommen können; der, da er doch einige philosophische Terminologie auswendig gelernt, das einfache bekannte, aber so wahre Sprüchelgen nicht geachtet oder vergessen hat: individuorum non dantur definitiones; der nie eine Definition gemacht, noch überdacht hat, was darzu gehöre, denn von Genus und Species ist bald was gepfiffen, und dann doch überall Definitionen und Distinktionen, deren Wert auch darnach zu berechnen ist, daß sein Blick mit alledem überall nur Finsternis und Verwirrung entdeckt: was ist von so einem Gegner zu hoffen? Ihn überzeugen? Mein Glück ist, daß es hier nicht darauf ankommt. Blindgebornen zum Gesichte zu verhelfen gehören übermenschliche Kräfte, und Rasende in Schranken zu halten ist eine Polizei Sache.
Derowegen ich nun Ew. Wohl- und Hochedelgebornen Gestreng und Herrlichkeit gerechtesten Ausspruch die ganze Sache mit Ehrfurchtsvoller Resignation anheim stelle, mein Petitum, wie es die vorige Schrift darleget, wiederholend und aber und abermal bittend: Hochdieselben geruhen diesen unseligen Streit großgünstig fordersamst zu beenden und einer durch die vergessenste Wut eines Vatters äußerst zerrütteten Familie Ruhe und Sicherheit wiederzuschenken; Als worüber etc. Ewr etc. untertänig gehorsamster Joh. Fried. Heckel. Concepit J W Goethe Lizentiat.
Briefwechsel Schiller und Goethe
Briefwechsel Schiller und Goethe
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