Um 1819 (?).
Mit Karl Wolfgang und August von Heygendorff
Mit Karl Wolfgang und August von Heygendorff
Mein Vater [Generalmajor v. Heygendorff] theilte mir mit, daß Goethe ihn und seinen Bruder in Begleitung ihres gemeinsamen Hofmeisters öfters habe zu sich kommen lassen, und auf die Erzählungen über das Thun und Treiben der Knaben öfters gesagt habe: ›Das ist recht! Das ist brav!‹
1819, Mitte Januar.
Mit Ernst von Schiller
Mit Ernst von Schiller
Mit Friedrich von Müller
»Gebet, gebet, gebet zum ersten, zweiten und dritten!« rief Goethe bei Besprechung der neuen Finanzeinrichtung aus.
1819, 1. Februar.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 24. Februar.
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
1819, 7. März.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 16. (?) März.
Mit Julie von Egloffstein u.a.
Mit Julie von Egloffstein u.a.
Anfangs drehte sich die Unterhaltung um die Begebenheiten des Tags – es wurden einige Worte über das Concert gesagt – dann erzählte Goethe, welchen herrlichen Schatz alter Brochuren aus dem sechzehnten Jahrhundert er in Jena aufgefunden hätte, die von der Bluthochzeit und mehreren interessanten Begebenheiten aus früherer Zeit handelten und mit den allerwunderlichsten Holzschnitten verziert seien und damals statt Zeitungen gedient hätten. Natürlich drang sich mir hier der Wunsch auf, zu erfahren, seit wann eigentlich die Zeitungen eingeführt und eine bestimmte Ordnung und Form darin beobachtet würde, und wie es die Menschen vordem gehalten hätten, und Goethe befriedigte ihn auf alle Weise. Er erzählte mir nämlich, wie die Kaufleute mit ihren Speculationen stets die politischen Ereignisse als Hebel oder Hemmketten betrachtet und sich deshalb untereinander in Briefen Nachricht darüber ertheilt hätten. Diese Briefe seien zu weiterer Mittheilung späterhin gedruckt worden, aber lange Zeit sei hingegangen, ehe man auf den Einfall gekommen wäre, eine fortlaufende Reihe von Tagesblättern einzusetzen und damit auch ohne besondere Erscheinungen oder Erlebnisse in der politischen Welt fortzufahren. – Dieser Gegenstand leitete uns dann weiter zurück in die entferntesten Zeiten der erwachenden Cultur zu der Erfindung der Schrift überhaupt, und ich warf Goethe die Frage auf, wie Homer seine Werke eigentlich geschrieben habe.
»Diese Frage, mein liebes Engelchen!« sagte er, »kann nur durch weitläufige Erzählungen beantwortet, oder vielmehr verneint werden.« Nun setzte er uns auseinander, daß Homer aller Vermuthung nach gar nicht existirt und folglich gar nicht geschrieben habe. Die Welt sei geneigt in allem die Persönlichkeit zu lieben, und deshalb schreibe sie einem einzigen so große Gabe zu, wahrscheinlich aber hätten mehrere aufeinanderfolgende Dichter jene Gesänge zustande gebracht – und durch mündliche Überlieferung weiter befördert, bis dann endlich einer auf den gescheidten Gedanken gekommen sei, sie aneinander zu reihen und zu re(digiren), dem denn auch der größte Ruhm gebühre.
Während diesem Gespräch, das eigentlich mehr zwischen Goethe und mir stattfand, hatten die Übrigen die heitersten Witze untereinander über den jungen [Franz] Nicolovius gemacht, und Goethe nahm sich seines Großneffens endlich mit Lebhaftigkeit an, mich auffordernd, ihn jenen beiden Damen, die sich um ihn stritten – Linchen [Gräfin Egloffstein] und Ottilien nämlich – abspenstig zu machen; er selbst gab mir darauf die besten Anschläge an die Hand, wie ich die Aufmerksamkeit dieses höchst originellen und schweigsamen jungen Menschen aus mich lenken könnte, und forderte zuletzt seinen Sohn auf, sich mit mir zu verbünden, indem ja dem Mephistopheles nichts unmöglich sei, was List und Bosheit verlange. Linchen meinte, ich könne es immerhin versuchen; denn es würde mir nichts helfen, indem noch keiner sie und mich zugleich geliebt habe, als einmal ein Narr. »Ei, Kinder, seht!« – rief Goethe, – »auch ich liebe Euch beide zugleich, und so könnt Ihr Euch denn rühmen, daß Euch nicht nur ein Narr, sondern auch ein gescheidter Mann auf gleiche Weise geliebt.«
1819, 18. März.
Mit Christian Gottfried Nees von Esenbeck
und Friedrich von Müller
Mit Christian Gottfried Nees von Esenbeck
und Friedrich von Müller
1819, 28. März.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 30. März.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1 In Folge der Ermordung Kotzebue's.
1819, 15. April.
Mit Friedrich von Müller
und Julie von Egloffstein
Mit Friedrich von Müller
und Julie von Egloffstein
1819, 18. April.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 10. Mai.
Mit Joseph Green Cogswell
Mit Joseph Green Cogswell
1819, 19. April.
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
»Jedes Ding,« sprach Goethe, »jede Beschäftigung verlangt eine eigene Form, eine Formel, die, das Unwesentliche ausschließend, den Hauptbegriff scharf umgränzt.« Viele empfänden das Richtige, möchten es gern darstellen, könnten aber nicht zur passenden Form gelangen.
Wie anmuthig scherzte der herrliche Mann mit Ulrike [v. Pogwisch], der er gewisser technischer oder Coterie-Wörter Bedeutung anschaulich machen wollte, z.B. Kategorien, caput mortuum. Sie müsse dergleichen verstehen, aber nie selbst aussprechen.
1819, 19. April.
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
[Ergänzung zu Nr. 733. Anfang:]
Abends bei Goethe. Er kritisirte meine Rede und bemerkte, ich habe mich vor zu ausgedehntem Gebrauche der Tropen zu hüten, wohin mein Stil gerade neige. »Es ist unrichtig zu sagen: ein abgeschlossenes Leben fordert. Ein abgeschlossenes Leben ist kein Leben mehr, es ist todt; jenes kann nichts fordern. Die Keuschheit der Tropen, ihre Proprietät ist Hauptmaxime des Stils im westlichen Europa. Außerdem fällt man ins Bodenlose, Verwirrte, Absurde.« Bloß durch strenge Angeschlossenheit der Begriffe am Bilde, wodurch unmittelbare Anschaulichkeit erlangt wird, durch den eigensten keuschesten Gebrauch der Tropen habe er, Goethe, sich die Jugendlichkeit des Stils bewahrt. Man müsse sich von solchen Grundmaximen ganz durchdringen lassen, überhaupt eines Lehrers Ansichten so in Fleisch und Blut aufnehmen, daß man seine Worte nicht zu wiederholen brauche, ja sie ganz vergessen könne und doch immer den rechten Begriff wieder zu construiren, den richtigen Text durch eine entsprechende Maxime zu finiren vermöge.
1819, 24. April.
Gesellschaft bei Goethe
Gesellschaft bei Goethe
Dann sprach er über die Kunst zu sehen. »Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht. Oft sieht man lange Jahre nicht, was reifere Kenntniß und Bildung an dem täglich vor uns liegenden Gegenstande erst gewähren läßt. Nur eine papierne Scheidewand trennt uns öfters von unsern wichtigsten Zielen, wir dürften sie keck einstoßen und es wäre geschehen. Die Erziehung ist nichts anders als die Kunst zu lehren, wie man über eingebildete oder doch leicht besiegbare Schwierigkeiten hinauskommt.«
1819, 25. April.
Mit Friedrich von Müller
und Julie von Egloffstein
Mit Friedrich von Müller
und Julie von Egloffstein
1 Jakob Roux, Maler in Jena
2 Jedenfalls Michel Schuppach.
1819, 25. April.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
Von dem Consul v. Moritz, seiner unendlichen Tüchtigkeit und Gründlichkeit; nie sei er liebenswürdiger, geistreicher, mittheilender gewesen, als in den Stunden des Abschiedes, wenn schon der Postillon geblasen.
1819, 28. April.
Gesellschaft bei Goethe
Gesellschaft bei Goethe
Abends war große Gesellschaft bei Goethe. Er erzählte der Line v. Egloffstein, wie er nur noch bei Gewährung1 seltner, sittlicher oder ästhetischer Trefflichkeit weinen könne, nie mehr aus Mitleid oder aus eigner Noth.
1 Erwähnung?
1819, 6. Mai.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 10. Mai.
Mit Friedrich von Müller, Heinrich Meyer und Joseph Green Cogswell
Mit Friedrich von Müller, Heinrich Meyer und Joseph Green Cogswell
1819, 10. Mai.
Mit Friedrich von Müller, Heinrich Meyer und Joseph Green Cogswell
Mit Friedrich von Müller, Heinrich Meyer und Joseph Green Cogswell
1 zweifellos so, statt Boxwell].
1819, 12. Mai.
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
1819, 7. Juni.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 14. Juni.
Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Meyer
Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Meyer
1 Aug. Guil. Kephalides, Reise durch Italien und Sicilien, Leipzig 1818, 2.
1819, 15. (?) Juni.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 16. Juni.
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
1 Jedenfalls bezieht sich das auf die Baulust einiger weimarischen Persönlichkeiten und die nicht vortheilhaft sich auszeichnenden weimarischen Gebäude.
1819, 18. (?) Juni.
Mit Friedrich von Stein
Mit Friedrich von Stein
1819, 7. August.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 9. August.
Mit Friedrich von Müller
und Julie von Egloffstein
Mit Friedrich von Müller
und Julie von Egloffstein
1819, 9. August.
Mit Julie und Caroline von Egloffstein
Mit Julie und Caroline von Egloffstein
1819, Ende August.
Mit Joseph Green Cogswell
Mit Joseph Green Cogswell
1819, 3. October.
Mit Friedlieb Ferdinand Runge
Mit Friedlieb Ferdinand Runge
Ich hatte die Genugthung, daß Doebereiner mir seinen ganzen Beifall zollte und mir beim Abschied dankte für »die höchst belehrenden Versuche« [über die Wirkung von Giften auf's Katzenauge]. ›Sie sind von der höchsten Wichtigkeit,‹ sagte er, ›und noch heute Abend werde ich Goethe davon erzählen‹ ..... Schon am andern Tage nachmittags stand Doebereiner unter meinem Fenster und rief zu mir hinauf: ›Ich habe nicht lange Zeit, aber ich komme in einer für Sie wichtigen Angelegenheit. Ich war bei Goethe, sprach ihn gestern und sprach ihn jetzt. Er will Sie durchaus kennen lernen und Ihre Versuche selbst sehen. Gehen Sie hin; morgen Nachmittag erwartet er Sie. Versäumen Sie es ja nicht; eine solche Gelegenheit kommt alle hundert Jahre nur einmal vor.‹
Ich kann nicht läugnen, daß nach diesen Worten ein ganz eignes Beben mein junges Wesen durchrieselte. Ich kannte bis dahin von Goethe's Leistungen nur weniges, aber seinen »Faust« wußte ich auswendig, und dieses war übergenug, den unschätzbaren Werth des Wunsches dieses Mannes zu würdigen, der sich herabließ, einem unbedeutenden Studenten mit seiner Katze unterm Arm Audienz zu geben. Und so war es denn auch buchstäblich. Als ich nachmittags im entliehenen schwarzen Frack (damals eine Seltenheit in Jena) mit einem, auf gleiche Weise angeschafften Philisterhut und meiner Katze unterm Arm über den Marktplatz schritt, wurde ein allgemeiner Aufstand. Die Burschen, die gruppenweise herumstanden, kehrten auf den Ruf »Dr. Gift!« sich plötzlich gegen mich und vertraten mir in meinem höchst abenteuerlichen Aufzuge den Weg. »Laßt mich zufrieden!« sagte ich mit einem Ernste, wie er mir in späteren Jahren nie wieder gelungen ist zu zeigen, »ich habe einen wichtigen Gang, ich gehe zu Goethe.« Man ließ mich gehen, ohne auch nur einen schlechten Witz mir nachzurufen. Ich verdankte dieß theils der allgemeinen Beliebtheit, der ich mich als lustiger Bursch erfreute, theils aber auch dem Spitznamen »Dr. Gift«, weil man wußte, daß ich immer in Giftpflanzen wühlte und eifrig bestrebt war, etwas Nützliches zu leisten. Ein eifriges Streben wird, wenn es auch lächerliche Seiten darbietet, selten verhöhnt. Der »Dr. Gift« war also eigentlich kein Spitzname, sondern ein Ehrentitel für mich. Zu meinem Glücke wußte ich gar nicht, daß Goethe Wirklicher Geheimer Staatsminister war und hatte auch, obgleich man mir gesagt hatte, ich müßte ihn »Excellenz« nennen, gar keinen Begriff von dem, was man Hofzwang oder Etiquette nennt. Ich trat also, nachdem ich mich dem Kammerdiener zu erkennen gegeben, mit größter Ungezwungenheit ins Empfangszimmer ein, in welchem bald darauf auch Goethe erschien.
Wie unser Willkommen gewesen, kann ich nicht sagen. Die schöne, hohe, mächtige Gestalt trat mir mit einem so überwältigenden Eindruck entgegen, daß ich ihm zitternd die Katze hinreichte, gleichsam als wollte ich mich damit vertheidigen. ›Ach so!‹ sagte er: ›das ist also der künftige Schrecken der Giftmischer? Zeigen Sie doch!‹ Ich bog nun den Katzenkopf so, daß die Tageslichtbeleuchtung beide Augen gleichmäßig traf, und mit Erstaunen bemerkte Goethe den Unterschied an beiden Augen: neben der schmalen Spalte in dem einen Auge fiel das große, runde Sehloch in dem andern umsomehr auf, da vermöge einer etwas starken Gabe fast die ganze Regenbogenhaut sich zurückgezogen hatte und unsichtbar war. ›Womit haben Sie diese Wirkung hervorgebracht?‹ fragte Goethe. »Mit Bilsenkraut, Excellenz! Ich habe den unvermischten Saft des zerstampften Krautes ins Auge gebracht, darum ist die Wirkung so stark.« ›Doebereiner hat mir gesagt‹, bemerkte Goethe, ›daß die Arten der Gattung Belladonna und Datura auf ganz gleiche Weise wirken, wie die von Hyoscyamus, und daß Sie gefunden haben, der das Auge so sehr verändernde Stoff befinde sich in allen Theilen der Pflanze von der Wurzel bis zur Blüthe, Frucht und Samen. Wie verhält es sich mit anderen Pflanzen, besonders solchen, die eine verwandtschaftliche Gestalt haben?‹ – »Ein mir befreundeter Arzt, Dr. Karl Heise, hat, veranlaßt durch die auffallende Wirkung der genannten Pflanzen, eine sehr umfassende Arbeit unternommen und durchgeführt, und dadurch bewiesen, daß nur die Pflanzen der oben genannten Gattungen eine den Augenstern erweiternde Kraft besitzen. Alle andern Pflanzen, deren er unzählige in ihrer Einwirkung auf's Katzenauge versuchte zeigten sich völlig wirkungslos, ausgenommen einige, die aber das Gegentheil bewirkten, nämlich eine Verengerung oder Verkleinerung des Sehlochs; z.B. Aconitum.« – ›Ei!‹ sagte Goethe, ›da könnte man ja auch auf diese Weise das ächte Gegenmittel gegen die schädlichen Wirkungen der Tollkirsche u.s.w. entdecken. Versuchen Sie dieß doch einmal, und lassen Sie von den beiden entgegengesetzt wirkenden Pflanzen nach einander oder gleichzeitig etwas auf's Katzenauge einwirken, und beobachten Sie den Erfolg. Die Sache hat ihre Schwierigkeiten, aber Sie werden sie schon überwinden. Nun sagen Sie mir aber, wie sind Sie auf diese eigenthümliche Art von organischer Chemie gekommen?‹
Die Frage hatte mir schon Doebereiner vorgelegt, aber ich war nicht dazu gekommen, sie ihm ausführlich zu beantworten. Es war mir daher angenehm, es hier bei Goethe zu thun, da ich voraussetzen konnte, sie würde seine regste Theilnahme und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Ich begann nun meine Erzählung.
»Im Jahre 1810 wurde ich, ein Pfarrerssohn vom Lande bei Hamburg, nach Lübeck gesandt und in die Rathsapotheke in die Lehre gethan. Es war eine kriegerisch bewegte Zeit, und Napo leon bereitete seinen Einfall in Rußland vor. Alle irgend Wehrfähigen wurden unter die Fahnen gerufen, und bei der Widerwilligkeit, unter dem Wütherich zu dienen, wurde es immer schwerer, sich einen Stellvertreter zu erkaufen. Durch Empfehlung meines Oheims hatte ich Zutritt in einige vornehme Familien erhalten, und der Sohn von einer derselben wurde bald mein Freund. Eines Abends kam er in größter Bestürzung in die Apotheke und klagte mir sein Leid, daß er übermorgen sich stellen und, da er ohne alle körperliche Fehler sei, wahrscheinlich Soldat werden müsse. ›Ich möchte mir die Hand verstümmeln, um nicht in diesen schändlichen Krieg zu ziehen,‹ seufzte er. Das ist nicht nöthig, bemerkte ich; vertrauen Sie mir, ich glaube imstande zu sein, sie auf ganz kurze Zeit so zu verstümmeln, daß man Sie ohne weiteres laufen läßt. ›Was wollen Sie denn mit mir vornehmen?‹ – Ich mache Sie blind auf vierundzwanzig Stunden. – ›Wie wollen Sie das anfangen?‹ – Hören Sie mich! Vor etwa acht Wochen hatte ich nach ärztlicher Vor schrift eine Arznei zu bereiten, wo eingekochter Bilsenkrautsaft in Wasser aufzulösen war. Es geschah dieß in einer Reibschale, und aus Unvorsichtigkeit spritzte mir ein Tropfen der Auflösung ins Auge. Ich empfand keinen Schmerz und bemerkte anfangs keine Veränderung, bis endlich ein Jucken und Flimmern im Auge mich zum Spiegel trieb. Wie groß war mein Erstaunen, als ich die eingetretene Veränderung meines Auges sah! Die Regenbogenhaut war fast gänzlich verschwunden, und das Auge sah genau so aus, wie das eines Menschen, der am schwarzen Staar leidet. Auch die Sehkraft war ungemein geschwächt, was ich erst bemerkte, als ich das gesunde Auge schloß. Ich weiß nicht, wie es zuging, daß mich dieser mißliche Zustand meines Auges nicht ängstlich machte. Er hielt mehrere Tage an. Endlich kam aber die Sehkraft wieder und mit ihr die naturgemäße Ausbreitung der Regenbogenhaut, sodaß nun beide Augensterne wieder gleiche Größe hatten und alles wieder in den vorigen Zustand zurückgekehrt war. Sehen Sie! eine solche Krankheit will ich Ihnen aus beiden Augen hervorbringen, und es müßte wunderbar zugehen, wenn Sie nicht schon nach oberflächlicher Besichtigung als unbrauchbar zum Dienst entlassen würden. – Nach einigen leicht beseitigten Einwürfen entschloß sich mein Freund zu dieser, damals gewiß sehr verzeihlichen Betrügerei und rettete dadurch sein Leben; denn von allen, die aus Lübeck mit nach Rußland geschleppt wurden, sind nur wenige wiedergekehrt. Seine zeitweilige Blindheit dauerte etwa sechsunddreißig Stunden, sie verging schmerzlos und hinterließ auch nicht die geringsten Folgen.
Nachdem Goethe mir seine größte Zufriedenheit sowol über die Erzählung des durch scheinbaren schwarzen Staar Geretteten, wie auch über das andere ausgesprochen, übergab er mir noch eine Schachtel mit Kaffeebohnen, die ein Grieche ihm als etwas ganz Vorzügliches gesandt. ›Auch diese können Sie zu Ihren Untersuchungen brauchen,‹ sagte Goethe. Er hatte recht; denn bald darauf entdeckte ich darin das, wegen seines großen Stickstoffgehaltes so berühmt gewordene Coffein.
Nun entließ er mich. Ohne recht zu wissen wie, war ich zur Thüre hinaus und die Treppe hinunter, als Goethe mir noch nachrief: ›Sie vergessen Ihren Famulus!‹ und der Diener mir den kleinen Kater in den Arm legte, der während unserer Unterredung ruhig auf dem Sopha gesessen hatte.«
1819, 14. October
Mit Friedrich von Müller u.a.
Mit Friedrich von Müller u.a.
1819, 31. October.
Mit Friedrich von Müller
Mit Friedrich von Müller
1819, 21. September.
Mit Bernhard von Beskow
Mit Bernhard von Beskow
1819, 14. November.
Mit Charlotte von Schiller
Mit Charlotte von Schiller
a.
[Inhaltsangaben von Gesprächen:] Patriotismus – Sinn dafür – Individualität – doch so sehr deutsch.
Die Ehe – die drei Weiber im ›Meister‹, welche gar nicht dafür taugen.
b.
»Es war nie meine Art, gegen Institute zu eifern; das schien mir stets Überhebung, und es mag sein, daß ich zu früh höflich wurde. Kurz, es war nicht meine Art; ich habe deshalb immer nur ein entferntes Ende der Stange leise berührt.«
c.
»Sie fragen, ob ich mit ausgebildeter Absicht –? Ich desavouire mich nicht gerne ganz: mit ausgebildeter Absicht? Nein! Ohne sie? Nein! Ich habe nie mehr gewollt, als anregen; wenn der Schriftsteller mehr will, so kommen die Sachen an die Regierungskanzlei, und er verliert nicht nur die Äpfel, sondern den Korb dazu.«
d.
»Die Romantik? Wer sich befähigt und berufen fühlt, der möge das Ungewöhnliche erfinden und ungewöhnlich färben; es wird manchen herausheben aus seinem gedrückten Zustande. Nur verbinde sich nicht die Prätension mit dieser Willkühr! Die freie Kunst darf nie an andere Prätensionen machen. Darin lag das Fehlerhafte der sogenannten Romantiker, besonders Tieck's, der für romantische Possen eine Anstellung bei der Nation haben möchte. Wir sind der Nation gegenüber alle Dilettanten, die kein Entréegeld verlangen dürfen. Dies Unromantische der Romantik hat sie sehr zurückgebracht.«
e.
»In Karlsbad hat einmal einer von mir gesagt: ich sei ein gesetzter Dichter; er wollte damit ausdrücken: ich bliebe beim Dich ten doch nebenher ein bürgerlich vernünftiger Mann. Der eine hielt das für Lob, der andere für Tadel; ich kann nichts darüber sagen; denn es ist dies eben mein Ich, worüber andern das Urtheil zusteht. Wenn ich für mich nicht recht zu haben dächte, so wäre ich anders, wenigstens ein wenig anders; denn seine Ursprünglichkeit ändert jedermann sehr wenig.«
f.
»Ob ich viel auf Änderung ausgegangen sei? Nein! nur auf Bildung. Jede Farbe kann zu einer gefälligen Darstellung gebildet werden; ich bin niemals roth gewesen, wie Lord Byron; mein Colorit von Hause aus war immer sanfterer Art, etwa ein artiges Blau. Ich hätte mich zerstört, wäre mir das Bestreben geworden, durchaus roth zu sein.«
g.
»Ob ich nicht zu weit gegangen sei mit der Art, mich zurückzuziehen, mit der abweisenden Lebensart, was man in einer Art auch Bildung nennen dürfe? Ob ich nicht eben dadurch manches verletzt, oder gar zerstört habe? Das kann wohl sein! Wo es soviel Unzureichendes giebt, wie in dieser Welt, wird nichts ohne Opfer erreicht: man hat nur die Wahl zwischen großen und kleinen. Ich that nur, wie ich konnte, und da ich immer sah, daß die geringsten Erfolge und die größten Nachtheile da entstanden, wo der Mensch sich selbst überbot und verlor, so drängte ich oft gewaltsam alles darauf hin, mich selbst vor dem tausendfachen Zudrange der Welt und deren Anmuthung zu retten. Da ich nun einmal zur ganzen Nation sprach, so hoffte ich dadurch im ganzen mehr zu retten, als wenn ich dem einzelnen stets zuwillen gewesen wäre. Jede Bildung ist ein Gefängniß, an dessen Eisengitter Vorübergehende Ärgerniß nehmen, an dessen Mauern sie sich stoßen können; der Sichbildende, darin Eingesperrte, stößt sich selbst, aber das Resultat ist eine wirklich gewonnene Freiheit. Bei einem gewissenhaften Schriftsteller der Nation leiden die nächsten Umgebungen am meisten, sie leiden für den etwaigen Gewinn der Nation; man opfert auch hier das Kleinere für das Größere. Ich habe oft den Privatmann beneidet, daß er seinen Umgebungen alle Opfer, alle Hingebungen widmen kann, daß er seine Bildung stündlich zeigen darf; er sieht den Lohn nahe, er wird immer schnell bezahlt, wenn auch nur durch sich selbst. Ich habe die Größe mit Mühe erlernet, die Größe: in weiten National- oder Epochenkreisen das Genüge für meine Wirksamkeit zu suchen, oft in Symptomen zu erkennen, wo der nächste Freund mir die Zurechnung versagt, sie für Eitelkeit ausgegeben hatte. Allerdings gehören meine Briefe in diesen Gedankenkreis. Wolf hat mir's vorgeworfen, Schiller, daß ich sie karg abspeiste. Wer sich in Briefen hingeben will, – der Glückliche! – der giebt die Sammlung auf, welche dem Nationalschriftsteller nöthig ist. Das Wort an den einzelnen mag erleichtern und schön sein, aber der Nachdruck, wenn es still in uns ausgetragen ist, wie das Kind der Mutter, die Peripherie desselben, die es am öffentlichen Orte gewinnen kann, geht verloren.«
h.
»Sie werfen mir den Schluß des ›Meister‹ vor, nennen die Einhüllung in den geheimen Bund und das Dahingehörige wohlfeil und einen Mangel der Lösung im vollen Sonnenscheine. Lieber Freund! Erst haben Sie ein Hochwichtiges darin gefunden, daß eitel Mesalliancen zum Vorschein kommen und die mittlere Welt sich in die höhere eindränge, und nun vermissen Sie für ein solches Buch den vollen Sonnenschein! Ein solcher hätte erschreckend beleidigt; die Seele des Buchs aber ist eine höfliche Andeutung; mehr lag nicht in meinem Charakter und in meiner Fähigkeit, und das Zusammengehn dieser beiden macht allein eine wohlthätige Romanerscheinung. Überbietet mein eins oder das andere, so entsteht die Gewaltsamkeit, und der poetische Eindruck wird durch die Entrüstung zerstört, welche dadurch bei einer großen Classe von Lesern hervorgerufen wird. Darin versehen es diese begabten jungen Franzosen, und es überhebt sich ihrer deshalb sogar unser unschöpferischer Pendant. Wünschen darf man zu einem Buche, aber man muß nicht zum Wegwünschen genöthigt sein, aus welchem Wort das Verwünschen entstanden ist. Der Roman soll erscheinen, wie die Landschaft erscheint, ohne Leidenschaft; auch in jener verbergen sich dunkle Partien. Daß man für jenen geheimnißvollen Bund etwas Leichteres, Gefälligeres, oder, wie Sie sich aus drückten, Natürlicheres habe erfinden können, glaube ich wohl; es lag eben nichts solches in meiner schaffenden Kraft zur Hand; es bot sich mir jenes, und dem Schöpfer einer so breiten Welt muß man zutrauen, daß er, alle Rücksichten erwägend, passender wählt, als der besuchende Leser. Freilich sieht der Leser oft glücklicher: er ist frei, betrachtet ein Bild unbefangen – aber, Freund! wenn man sich darauf einlassen will, so wird am Ende alle Neigung, aller Muth zum Hervorbringen verleidet. Haben wir eine eigene Welt gemacht, so muß es uns doch auch fürs erste zustehn, die Gesetze darin zu machen; wer soviel anderes über ein Buch weiß, der sollte sich nicht über dem Buch ausgeben, sondern selbst ein anderes schreiben. Die eigensinnig fordernde Kritik hab' ich mir stets vom Leibe gehalten; wer mich nicht mag, dem kann ich nichts geben, mit dem ist es bald ein klares Verhältniß. Wer mich aber durchaus anders will, als ich bin, der versucht es, mich unter freundlichen Worten zu erwürgen; der ist mein schlimmster Feind, weil er spricht, als ob er mein Freund wäre. Und diese weichliche Freundesfeindschaft quält manchen armen Autor bei uns zu Tode. Ein ähnliches Verhältniß ward es zwischen mir und den Herren V. Schlegel sammt deren Kreuzfahrerheere: sie spannen mich ein mit Lob und Litanei, die mir nicht zukamen, und mit freundlicher Bußauflegung, die mir ebenfalls nicht zukam; sie wollten mich mir selbst entwenden. Ich wäre in dieser lobesamen Kritik erstickt, hätte ich nicht plötzlich beide Arme gebraucht. – Endlich aber, um das Thema zu erledigen, war damals die Zeit der geheimen Bündnisse: alles war darauf gestellt; so gerieth es einem denn auch wohl in den Roman als etwas, was ganz in Herkommen und Ordnung sei.«
1 Der ganze Absatz von g. steht nicht entgegen
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