> Gedichte und Zitate für alle: Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1804-2 (37)

2019-10-02

Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1804-2 (37)






1804, Anfang März.
Mit Friedrich Haide



Als Haide vor der ersten Aufführung des »Tell« von dem, ihm begegnenden Goethe gefragt wurde, wie ihm seine Rolle [des Tell] gefalle, die er fleißig studiren möge, gab er, bei aller Anerkennung der bedeutenden und dankbaren Rolle doch der einschränkenden Bemerkung Raum, daß bei seiner eigentlich sehr sporadischen, nur in kurzen Scenen auftretenden Rolle für den Darsteller keine rechte Gelegenheit, sich zu zeigen, geboten sei; sozusagen kein dankbarer scenischer Abgang; dieß sei für den Schauspieler doch wichtig. Goethe hat diesen Bemerkungen aufmerksam zugehört. Allen Vermuthungen nach ist aber diese Unterredung zu Schiller's Kenntniß gekommen und insofern gewürdigt worden, als einige Tage darauf ein verlängerter Monolog »Durch diese hohle Gasse muß er kommen etc.« Haide zugekommen.


1804, Anfang März (?). 
Beim Theaterdecorationsmaler 

Die erste Darstellung von Schiller's »Wilhelm Tell« sollte in Weimar unter Goethes persönlicher Leitung stattfinden. Der letztere ließ auch die Decorationen dazu größtentheils neu anfertigen. Eines Tages nahm er die schon fertig gewordenen Hintergründe in Augenschein, unter welchen sich auch der, zu der Scene ›Vor Stauffacher's Haus‹ befand. Bei Betrachtung desselben schüttelte Goethe mißbilligend den Kopf und bat den Maler freundlich, ihm einen recht dicken Pinsel zu geben. Ohne ein weiteres Wort tauchte er denselben dann in die Farbe und begann zum Schrecken des Künstlers durch die schöne Schweizerlandschaft mit ihren Höhenperspectiven kräftige Striche zu ziehen. Aber siehe da! bald entwickelten sich statt der fernen kleinen Gipfel unter Goethes Händen gewaltige, ganz nahe Berge und Felsmassen. »Wir dürfen nicht vor der Schweiz stehen,« rief er dabei; »wir wohnen mitten drin.« Der Maler erkannte das als zutreffend und verbesserte seinen Fehler gern im Sinne des Dichters.


1804, Anfang März. 
Über Theatermalerei


Die erste Darstellung von Schiller's »Wilhelm Tell« sollte in Weimar unter Goethe's persönlicher Leitung stattfinden. Der letztere ließ auch die Decorationen dazu größtentheils neu anfertigen. Eines Tages nahm er die schon fertig gewordenen Hintergründe in Augenschein, unter welchen sich auch der zu der Scene »Vor Stauffacher's Haus« befand. Bei Betrachtung desselben schüttelte Goethe mißbilligend den Kopf und bat den Maler freundlich, ihm einen recht dicken Pinsel zu geben. Ohne ein weiteres Wort tauchte er denselben dann in die Farbe und begann zum Schrecken des Künstlers durch die schöne Schweizerlandschaft mit ihren Höhenperspectiven kräftige Striche zu ziehen. Aber siehe da! Bald entwickelten sich statt der fernen kleinen Gipfel unter Goethe's Händen gewaltige, ganz nahe Berge und Felsmassen. »Wir dürfen nicht vor der Schweiz stehen,« rief er dabei, »wir wohnen mitten drin.«

1804, Ende März und Anfang April. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.

a.
Ich bin abermals in Weimar gewesen bei dem Herrlichen und diesmal als Stubengenoß und Vicehofmeister seines August. wenn ich Ihnen [Boie] den Inbegriff dieser zehn Tage andeuten will, so muß ich sagen: ich bin sehr heiter und froh gewesen. Meine Hauptangelegenheit ist zu einem schönen Ende gefördert, und ich habe Goethe diesmal noch mehr genossen als das vorige Mal. Seine Aufnahme war so herzlich, und was er mir in dieser Zeit Liebes erzeigt hat, kann ich nicht beschreiben. Er hat wie ein zärtlicher Vater für mich gesorgt; er sinnt recht darauf, mir einen angenehmen Aufenthalt zu verschaffen. Ich bin auch jetzt schon ganz eingewohnt daselbst; ich habe mir schätzenswerthe Bekanntschaften erworben und habe die Versicherung von Goethe und Schiller, daß mir ihr Haus jederzeit mit herzlicher Liebe offen stehen soll ....Denken Sie! Ich bin Doctor philosophiae geworden und Gott weiß! was sonst noch ..... Wir saßen zu Mittage und hatten eben das letzte verzehrt, als Goethe einen Kuchen beorderte, »weil der Voß noch so hungrig aussähe«. Ich entschuldigte mich, aber es half nichts: der kleine August mußte hinausgehen und kam gleich daraus mit einer großen Schüssel wieder, die er mir auf den Kopf setzte mit dem abgedrungenen Versprechen, daß ich davon essen müßte. Ich versprach es und die Schüssel stand vor mir mit dem Doctordiplom. Mir ward von Vater und Sohn recht herzlich Glück gewünscht; darauf stellte sich bei Goethe die gute Laune ein, und er fing an zu scherzen. »Bis morgen Abend sei Er der Herr Doctor,« sagte er; »dann wollen wir Seine Gesundheit trinken und Ihm den Titel wieder abnehmen, damit Er wieder der gute Voß sei.« Nun bestellte Er zu meiner Doctorfeier eine Flasche von seinem besten Champagner, die ich mit ihm bis zum letzten Tropfen (fast zum Schwindlichtwerden) ausleerte. Nachher gingen wir einige Stunden im Park spazieren, und da war Goethe ganz allerliebst munter. Es ist kein Gegenstand, der seiner Aufmerksamkeit entgeht; in alles bringt er Geist und Leben, und wenn er auch von entlegenen Dingen redet, so nimmt er doch die um ihn her liegenden und wechselnden Gegenstände zu Hülfe, um seine Gedanken in sie einzukleiden. Nie braucht er je ein anderes Gleichniß, als daß von Dingen hergenommen ist, die er gerade vor sich sieht, und man wundert sich oft, wie er aus einem erbärmlichen Stoffe etwas so Herrliches und Herzerhebendes zu bilden wußte. Wenn er dann in Feuer geräth, so wird sein Schritt hastiger, oder wenn er gewisse Gegenstände fixirt, um sie tief zu ergründen, dann steht er auch wohl gar stille und stemmt einen Fuß vor den andern, den Körper rückwärts gebogen. Ihm bei Tische gerade entgegen zu sitzen und in sein feuriges tiefes Auge zu blicken, ist eine wahre Wonne. (Goethe sagt selbst einmal was ähnliches in seinem »Götz«.) Es drückt sich in seinen Zügen bei aller Majestät so viel Güte und Wohlwollen aus. Nie aber ist er angenehmer und liebenswürdiger, als des Abends in seinem Zimmer, wenn er ausgezogen ist und entweder mit dem Rücken gegen den Ofen steht, oder auf dem Sopha sitzt. Ja, da wird es unmöglich, sich ihm nicht hinzugeben. Ob es die Ruhe macht, die abendliche Stille, das Gefühl der Erholung von oft schweren Arbeiten, oder was es ist: dann ist er am heitersten und gesprächigsten, am offensten und herzlichsten. Ja, Goethe kann die Herzlichkeit selbst sein. Dann hat sein manchmal furchterregender Blick auch als Schreckhafte verloren.

Sobald ich in Weimar etwas eingerichtet bin, will er eine Gesellschaft junger Leute um sich versammeln, von solchen, die Lust haben, vorwärts zu schreiten. Da sollen Schriften aus mehreren Fächern und Sprachen gemeinschaftlich gelesen und besprochen werden. Ich weiß schon aus der Erfahrung, wie mit Liebe er so was unternimmt und betreibt. Die Früchte dieser Conversationen sollen denn zugleich auch aus die »Literaturzeitung« verbreitet werden, und wahrlich! das ist ein glücklicher Gedanke; denn Goethe, der zum eigentlichen Recensenten nicht geschaffen ist, giebt doch oft im Gespräche die herrlichsten und treffendsten Urtheile, die durchaus nicht verloren gehen dürfen. Und welche Ubung wird es für uns sein, Winke und umhergestreute Ideen der Art aus Goethes Geiste auffassen zu lernen, und in Aufsätze oder Recensionen sie zu fixieren! Weiß man doch das erst am deutlichsten und klarsten, was man selbst andern mitzutheilen genöthigt wird!

Was sagen Sie zu seiner Recension von meines Vaters Gedichten? Welch ein schöner Gedanke, des Dichters poetisches Leben aus seinen Gedichten zu entwickeln, und welch ein tiefes Studium der Gedichte in dieser Entwickelung! Ein wahres lebendiges Votivgemälde. Fast jedes Wort könnte als Citat ein Lied bekommen. Ungemein schön ist der Übergang von den Herbstliedern zu den religiösen. Ich habe diese Recension recht von Grund aus entstehen sehen. Gewöhnlich des Abends von 8 -10 las ich Goethen die Gedichte vor. Als ich das »Herbstlied« anfangen wollte: »Die Bäume stehn der Frucht entladen«, nahm er mir das Buch aus der Hand und sagte: »Das will ich selber lesen.« Er las es, und gleich darauf »Trost am Grabe«. Die Worte in der Recension, mit denen er diese Lieder bezeichnet, mögen Ihnen die gerührte Stimmung aussprechen, womit er sie las. Einige Stellen habe ich ausgearbeitet, nämlich die über die höheren Stände und den letzten Theil über Sprache, Rhythmik und Mythologie. Versteht sich, daß Goethe nachher revidirte, um den Stil mit dem seinigen gleichförmig zu machen, wo es mir nicht gelungen war. Sonnabend [7. April] hatten wir den »Macbeth«; er ward meisterhaft gegeben, obgleich in seiner ganzen blutigen Gräßlichkeit. Die Hexen waren junge Mädchen, schön von Wuchs und recht artig gekleidet, die Eine sogar zierlich. Es war ein kühner Gedanke von Goethe, das Schreckliche dieser Wesen mehr in die Wirkung, als in die Gestalt zu setzen, und sie that so auch bei weitem größere Wirkung, so wie der Teufel in schöner Gestalt gräßlicher ist (für mich wenigstens), als in der teuflischen. Die Todtenstille unter den Zuschauern war mir manchmal ebenso schrecklich, als das Stück selbst; dann war es, als stünde das ganze Geisterreich geöffnet. Goethe war den Abend außerordentlich fröhlich, (wir saßen noch um halb 12 auf) daß die Vorstellung so geglückt sei; auch Schiller, mit dem ich nach der Vorstellung noch einen Augenblick nach Hause ging.

.... Goethes Zutrauen und seine Liebe zu verlieren, wäre das Schrecklichste, was mir in Weimar begegnen könnte, aber so lange ich bleibe was ich bin und fortfahre zu werden, was ich werden kann, so lange werde ich sein »lieber Sohn« bleiben, wie er mich mehrere Male genannt hat.
b.
Ich muß Dir [Börm] noch ein Stückchen erzählen, das mir den Goethe so unendlich lieb gemacht hat. Als ich zum zweiten Mal bei Goethe war, wurde gerade mein Doctordiplom ausgefertigt und Goethen von Jena aus für mich zugeschickt. Mir verschwieg er's. August mußte nach Belvedere hingehen, um Lorbeer- und Zitronenzweige zu holen. Bei Tisch wußte ich noch nichts davon. Nach dem Essen sagte Goethe zur Vulpius: »Mein Kind! der Voß sieht mir noch so hungrig aus; man sollte doch das Gastrecht nicht verletzen und seinen Freunden wenigstens satt zu essen geben.« Ich entschuldigte mich in demselben lustigen Ton und versicherte, ich sei voll satt. Es half nichts; August mußte hinausgehen und den Nachtisch holen. Er kam wieder mit einer großen Schüssel, die er mir auf den Kopf setzte. Nun mußte ich versprechen, wenigstens noch einen Bissen zu essen, und vor mich hin wurde das Gericht gestellt. Denke Dir mein Erstaunen! Ich sah Goethe an und wußte nichts zu sagen. Nun wurde mir sehr herzlich von Goethe, August und der Vulpius zu meiner neuen Würde gratulirt, Goethe Schloß mich in seine Arme und nannte mich zum ersten Mal seinen »lieben Sohn«, ein schmeichelndes Wort, welches er nachher oft wiederholt hat. Gleich darauf stellte sich seine fröhliche Laune ein. »Es ist gerathen,« sagte er zur Vulpius, »daß wir des neuen Doctors Gesundheit in Champagner trinken.« Sie mußte in den Keller und brachte den Göttertrank; wir hatten schon anderthalb Flaschen getrunken, aber dieser Nektar mußte doch noch hinzu. Wir haben die Flaschen bis auf den letzten Tropfen geleert. Während dieser Operation wurde ich immer Doctor genannt; ich protestirte dagegen. »Nein,« Sagte Goethe, »heut bleibt Er's und morgen auch aus Strafe, daß Er Doctor geworden ist. Morgen Abend haben wir eine kleine Gesellschaft, wo auch der neue Doctor Bode sein wird; da soll der beiden Herren ehrenfeste Gesundheit getrunken und Euch der Doctor wieder abgenommen werden.« Dann drückte er mir freundlich die Hand und sagte: »für uns sollen Sie der gute Voß bleiben.« Unterdeß wirkte der Champagner. Ich ward nicht bloß selig, sondern überselig. Ich habe Goethen nie nach Wunsche danken können, ich hatte es auch nie versucht; jetzt konnte ich's. Als wir aufstanden, war mir der Kopf ein bischen schwerer, als gewöhnlich, vielleicht Goethen auch; denn er war über die Maßen lustig. wir gingen noch ein paar Stunden spazieren und im Park hielt mir Goethe ein Vorlesung über die Naturgeschichte.


1804, März. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Eines Morgens, als ich gerade seinen August im Griechischen unterrichtete, kam Goethe zu uns herauf; er hatte eben die Stelle [in der Recension der Gedichte von Johann Heinrich Voß] niedergeschrieben, wo wir den Dichter im Kampfe gegen ausschließende Meinungen, Macht- und Bannsprüche erblicken, und das Blatt war noch feucht. Mitten im Zimmer blieb er stehen, den rechten Fuß ein wenig vorausgestemmt, und fing an in seinem melodisch kräftigen Baß zu lesen, gegen das Ende immer feuriger und gediegener, und mit dem Worte »Teufel« senkte er das Blatt, guckte mich mit starrem, aber freundlichem Auge an, als wollte er sagen: Hab' ich's recht gemacht?


1804, zwischen 29. März und 8. April. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.

a.
Einmal sprach er von Gott und Unsterblichkeit und war dabei in einer Bewegung, die ich.. nicht beschreiben kann. Aber wol steht mir noch vor Augen, wie er mit dem Leibe rückwärts sich lehnte und sein unbeweglicher, nur auf den Gegenstand, der seine Seele füllte, fixirter Blick von dem Irdischen weggewandt, das Höhere und Unnennbare suchte. Dann ist er mehr als ein Mensch, ein wahrhaft überirdisches Wesen.
b.
Ich habe.. schon die Schauspielergesellschaft erwähnt, die Goethe dann und wann bei sich versammelt und im Declamiren übt. Er liest mit ihnen die ausgesuchtesten Sachen, weil er zugleich die Absicht hat, auf ihre Sittlichkeit zu wirken. Er sagte einmal: »Wenn das wahrhaft Schöne und Gute Eingang gefunden hat, so ist das Schlechte auf ewig verbannt.« Sobald ich in Weimar etwas eingerichtet bin, will Goethe eine ähnliche Gesellschaft junger Leute um sich versammeln, von solchen, die Lust haben, vorwärts zu schreiten. Da sollen Schriften aus mehreren Fächern und Sprachen gemeinschaftlich gelesen und besprochen werden. Ich weiß schon aus Erfahrung, wie mit Liebe er sowas unternimmt und betreibt. Welche Übung wird es für uns sein, Winke und umhergestreute Ideen aus Goethe's Geiste auf fassen zu lernen und in Aufsätze oder Recensionen sie zu fixiren! Weiß man doch das erst am deutlichsten und klarsten, was man selbst andern mitzutheilen genöthigt wird. Ich sagte Goethe einmal auf einem Spaziergange: er möchte mir erlauben, daß ich manchmal Gespräche von ihm, die doch billig dem Publicum wie dem Einzelnen zugehören sollten, in Aufsätze oder Recensionen verarbeiten dürfte. Dieß hatte ihm die erste Veranlassung zu jener Idee gegeben. Das schließe ich daraus, weil er, als er mit Lebhaftigkeit von dieser Gesellschaft sprach, damit schloß, daß auch die Allgemeine Literaturzeitung durch diese Conversation gewinnen müßte.


1804, April (?). 
Bei Caroline von Wolzogen


... bei der Wolzogen. Das ist Dir [Abeken] ein liebenswürdiges Weib. Neulich war ich [H. Voß] dort eingeladen; die Schiller fand ich schon da, dann kam Frau von Stein und Amalia von Imhoff (jetzt Helvig). Gegen acht Uhr kam Schiller und unvermuthet auch Goethe. Was das für eine Freude erregte, glaubst Du nicht. Wir blieben bis 11 Uhr zusammen. Das war ein seliger Abend, und haben wir gelacht bei Tische, wo Schiller aus der »Tausend und einen Nacht« erzählte und Goethe dazu die allerernstesten und zugleich komischsten Anmerkungen machte .... Die Vulpius erzählte mir, daß es Goethe immer so viel Freude machte, wenn er hörte, dieser oder jener habe mich recht lieb.


1804, Anfang April (?). 
Über Lüdens »Charlotte Corday«


Goethe ist nicht mit der Einlage zufrieden .... Er findet die Corday geistlos, matt und nullenartig, auch die Ausarbeitung, nämlich Sprache und Diction, Versbau und Rhythmik etc. äußerst nothdürftig. Er lächelte über die Gutmüthigteit des Verfassers und hat mir obiges Urtheil mit Ruhe und Wohlwollen gegen den Verfasser als Mensch gesagt, sowie er denn nie hastig urtheilt. – Aber Du siehst wohl, daß an keine Aufführung zu denken ist. Ob Goethe ihm antwortet, weiß ich nicht, ich zweifle aber daran; denn dieser Fall ist ihm schon unzählig oft vorgekommen, und Goethe hat sich endlich über Ceremonie und dergleichen weggesetzt. Wenn er eine Spur von Talent in ihm gefunden, so antwortet er gewiß, aber die scheint er nicht gefunden zu haben.



1804, April (?). 
Über Johann Heinrich Voß d. J.


Mein Name, ›der alte Ehrwürdige‹, hat mich auch hierher begleitet und wird mir wohl bleiben, bis ich alt und ehrwürdig werde. Goethe hat, wie mir Riemer sagte, neulich bei Tische gesagt: er käme mir so recht eigentlich nicht zu; denn bei aller Ehrenhaftigkeit trüge ich doch einen nicht geringen Schalk im Hintergrunde.

1804, Ende April. 
Mittag bei Goethe 


When Madame de Stael returned from Berlin, and brought A. W. Schlegel in her train, I [Robinson] dined at Goethe's with Schlegel, Tieck the sculptor, and Riemer. No one else but Madame Goethe was present. I was struck by the contrast between Schlegel and Goethe. Nothing could exceed the repose of Goethe, whereas on Schlegel's part there was an evident striving after pun and point. Of these I recollect nothing but that Böttiger was his butt, whom he compared to Bardolph. From Goethe I remember a word or two of deep significance. He said to Schlegel: »I am glad to hear that your brother means to translate the ›Sakontala‹. I shall rejoice to see that poem as it is, instead of as it is represented by the moral Englishman« [Wilson]. And there was a sarcastic emphasis on the word »moralischen«. He then went on: »Eigentlich aber hasse ich alles Orientalische.« By which, probably, he meant rather that be infinitely preferred the Greek to the Oriental mind. He continued: »I am glad there is something that I hate; for, otherwise, one is in danger of falling in the dull habit of literally finding all things good in their place, – and that is destructive of all true feeling.«

1804, Frühjahr. 
Mit Benjamin Constant de Rebecque 


[Cogswell schreibt 1817 von Göttingen aus einem Freunde:]

When Benjamin Constant, the French littérateur, during his stay at the court of Weimar called upon Goethe, he began in the style of a true Frenchman... to load him with flattery, saying that the world was wondering at the stupendous productions of his genius, that he had secured to himself immortal fame &c. Then Goethe is reported to have turned his large, fiery eyes upon Constant, and to have replied: »I know it, I know all that, I know too that the world regards me as a carpenter, who has built a ship of war, of the first rate, upon a mountain, thousand of miles from the ocean – but the water will rise, my ship will float, ant bear her builder in triumph where human genius never reached before.«


1804, 1. Mai. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J. 


Goethe schickte zu mir: ich solle doch ein wenig zu ihm kommen und den ganzen Abend bei ihm zubringen. Wie fand ich ihn da heiter und liebenswürdig! Er war eben vom Hofe gekommen, hatte aber schon die Staatsuniform abgethan und saß wieder in seinem blauen Überrocke. Ich fand ihn seine Medaillen und Münzen durchmusternd. Ich setzte mich zu ihm und hörte aufmerksam seiner lehrreichen Erklärung. Er besitzt eine treffliche Sammlung, die besonders dann Werth erhält, wenn man sie von ihm beschreiben und dem Gehalt und Inhalt nach entwickeln hört. Goethe war dabei überaus launig und witzig. Einmal sagte er mit halb scherzhaftem, aber doch ernstlich gemeintem Ausdrucke: »Was sind wir doch gegen die Künstler des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts? Wahre Taugenichtse! Was ist unser Jahrhundert gegen dieses kraftvolle!« – Er kam hierauf zu reden von der Peterskirche; sein Gespräch war erhaben wie der Gegenstand. Wie blitzen dem Manne die Augen, wenn ihm ein solcher Gegenstand die Seele füllt! Er erzählte mir die ganze Entstehung derselben; wie man die alte. Basilica Neroni's einzureißen angefangen, der erste kühne Gedanke zu diesem Bau; dann wie sich die Künstler geweigert und gezagt, den Grund zum neuen Gebäude zu legen, bis endlich Michel Angelo es unternommen; dann wie der Bau nachher oft unterbrochen und erst unter fünfzig Baumeistern vollendet werden.

[Nach der fast gleichlautenden Erzählung in Voßens Brief an Solger vom 15. Mai lautete obiger Ausbruch Goethe: »Was sind wir doch gegen jene Künstler dieses kraftvollen Jahrhunderts? Wahre Schufte! wahre Taugenichtse!«]


1804, Mai (?). 
Mit Henry Crabb Robinson


I called on Goethe to see whether I could induce him to act as an mediator between the Duke and the students in the quarrel that threatened an Auszug, or withdrawal, of the best young men of the University. Having listened to my representations, he coolly said: »So is it in these matters of police, in which both parties are right. The students, seeing the matter from their point of view, are perfectly in the right. But then the Duke is equally in the right; he has his own mode of looking at things from his point of view as sovereign.«


1804, Ende Mai (?). 
Bei Falks »Prinzessin mit dem Schweinsrüssel«


Falk .... verfaßte... [für Geiselbrecht's Marionetten] das Lustspiel »Die Prinzessin mit dem Schweinsrüssel«, in welchem die Zunft der Schauspieler und deren Arroganz scharf gegeißelt wurden und hatte die Genugthuung, daß das Publikum das Stück mit allgemeinem Jubel aufnahm; denn es hatten damals die Schauspieler sich eben nicht beliebt zu machen verstanden. Geiselbrecht wollte diese Stimmung benutzen und kündigte die Wiederholung des Stückes .... auf den folgenden Tag an ..... Die Weimarischen Schauspieler, welche sämmtlich der Vorstellung beigewohnt hatten, spieen Feuer und Flammen und ernannten eine Deputation, welche bei der Theaterdirection auf Genugthuung wegen des erlittenen Schimpfes und auf Bestrafung des Übelthäters antragen sollte. Die Deputation verfügte sich noch an demselben Abend zu dem Geheimen Rath v. Goethe, entledigte sich des Auftrags, brachte aber Goethe dadurch in Verlegenheit; denn obwohl er den Schauspielern nicht unrecht geben konnte, sah er doch ein, daß es schwer halten werde, ihnen Genugthuung zu verschaffen. Er versuchte die Klagenden zuerst zu beruhigen, indem er ihnen vorstellte, was aus dem Theater gesprochen werde, dürfe nicht so genau genommen werden; sie wüßten ja selbst, wie Juristen, Ärzte und andere Personen in den Lustspielen dem allgemeinen Gespötte preisgegeben würden und wie es noch niemand eingefallen, darüber Beschwerde zu führen, von Persönlichkeiten aber scheine in der »Prinzessin« nichts vorgekommen zu sein. Die Deputation wollte sich hierbei nicht beruhigen, sondern erwiederte: es sei aber doch der ganze Stand der Schauspieler angegriffen und beschimpft worden, und wie soeben das Theaterpublikum seine große Freude über die Tendenz der Posse laut ausgesprochen, so werde es den folgenden Tag bei der Wiederholung in noch höherem Grade geschehen, und darum wollten sie bitten, daß wenigstens die Wiederholung nicht stattfinde. Goethe entließ die Deputation mit der Versicherung: er wolle überlegen, was sich in der Sache thun lasse, und am folgenden Tage kündigte Geiselbrecht – ein anderes Stück mit der Bemerkung an, daß die Wiederholung der »Prinzessin« untersagt sei.


1804, 12. Juli. 
Mit Charlotte von Stein 


Er [Goethe] kam und blieb zwei Stunden, aber Charlotte war wieder gegen ihn verstimmt. ›Ich fühle, daß es ihm unheimlich ist,‹ schreibt sie an Fritz, und unsre Denkarten sind so auseinandergegangen, daß, ohne es zu wollen, ich ihm alle Augenblicke einmal wehthue. Zum Unglück wurde mir eben »Der Freimüthige« gebracht. Er erwähnte der »Dummheit des Publicums«, das eine solche Schrift lese. Da hatte ich also auch mein Theil. Er wollte es gar nicht sehen, und ich mußte es verdecken.


1804, Mitte Juli. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Neulich fuhr ich mit Goethe und Riemer einmal nach Tiefurt. Da war er unterwegs überaus herzlich. Er sprach von verschiedenen Arbeiten, die er noch vornehmen wolle. »In meinem Alter,« sagte er »kommt man denn doch allmählig auf den Gedanken, daß es mal zu Ende gehen könne.« Sieh, daran hat Goethe früher niemals gedacht; das sieht ihm recht ähnlich. Einandermal sprach er von einem Quidam, der schon sehr bejahrt sei, dessen Mutter aber noch lebte. Da meinte er: das sei gar schön; der Mann müsse sich so viele Jahre, als seine Mutter Vorsprung habe, noch recht sicher vorkommen.


1804, August (?). 
Mit Johann Heinrich Voß d. J. u.a.


Wie war Goethe fröhlich, als ich meine Sachen aus dem Examen so gut beendet hatte, und wie war ich fröhlich, daß er einen solchen Antheil an mir nahm. Dem Mann verdanke ich ja fast ebenso viel, als meinen Eltern: er hat mir ja Muth und Selbstvertrauen in die Seele geflößt und weiß mir durch sein Beispiel immer die Bescheidenheit und ein edles Mißtrauen nahe zu erhalten. – Ich lese jetzt griechisch mit ihm. Neulich lasen wir zusammen drei Stunden nach der Reihe, und Goethe ist jetzt außerordentlich warm für diese Sprache, besonders für den Sophokles. Sobald die ersten Schneeflocken fallen, errichten wir einen literarischen Club, wo Goethe der Meister ist. Goethe sagte mir neulich: »Nur zu hitzig wollen wir nicht beginnen; es ist eine Schande, bei so etwas nicht Tempo halten zu können. Lieber nachher im Eifer gestiegen, als erkaltet.« – Wenn wir jungen Leute um Goethe sind, so gefällt mir das so besonders an ihm, daß er nie wie ein Meister zu den Jüngern, sondern wie ein Freund zum Freunde spricht – eine Humanität, die seine Jünger nur um so fester an ihn kettet, indem er es nicht merken läßt, daß wir Jünger sein sollen.


1804, 5. oder 6. September. 
Mit Christian Gottlob von Voigt


Nach des Herrn Geheimen Raths v. Goethe Zurückkunft habe ich über die Beilage umständlich conferirt. Unsere gemeinsame Meinung war diese: Es ist nicht gerathen, die Allgemeine Literaturzeitung eine entschiedene Meinung in der Politik ergreifen zu lassen, am wenigsten wenn der Fall ist, die schwächere Partei zu ergreifen. Daher ist des Herrn Gentz Plan, der französischen Eitelkeit, Intrigue, Übergewalt etc. durch das Vehicul öffentlicher Blätter entgegenarbeiten zu wollen, für ein gelehrtes Blatt unanwendbar, welches durch Unbefangenheit und Neutralität allein bestehen kann. Meine specielle Meinung war, jenen Gedanken vorausgesetzt, doch etwa erst, wenn man des Herrn Gentz Recension lesen könne, sich zu determiniren.


1804, Ende September (?). 
Mit Johann Heinrich Voß d. J. 


Goethe und Schiller pflichten meinem Urtheile [wegen Richtannahme des Rufs an die Universität Würzburg] vollkommen sei. Ich habe sehr ernsthaft mit beiden die Sache erwogen. Beide sahen, während sie rathgaben, väterlich auf mein Bestes. Goethe sagte am Ende: »Ich wollte Sie gerne auch gegen meine Steigung ziehen lassen, wenn es wahrhaft ein Glück für sie wäre. Jetzt rathe ich Ihnen als Vater und Freund, Ihrer Neigung, die ich anerkenne und heilig achte, zu folgen und hier zu bleiben.«

1804, 2. October. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J. 


Vor acht Tagen habe ich Goethe einige Arbeiten von mir vorgelesen. Er sagte mir manchen einzelnen Einwand. Mehrere Einwendungen habe ich zurückgewiesen, manche mit Dank angenommen und in seiner Anwesenheit geändert, wo er selbst mir z. Th. die Änderung angab. Goethe ist mit einer Recension besonders zufrieden, wie er an Schiller und z. Th. auch mir selber gesagt hat. Großes Vergnügen machte ihm eine Anmerkung: »Bravo!« sagte er, als ich sie vorgelesen hatte, und klopfte mich freundlich auf die Schultern, recht als wenn er im Herzen dachte, ich hätte Dir so viel poetischen Scharfsinn nicht zugetraut; »Bravo!« sagte er also, »wenn die G .... aus ihrem Theeclub kommen, dann wissen sie freilich nicht, daß ein Sturm auch das Meer beruhigen kann.«.

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