1815
1815, Januar (?).
Bei den Proben der »Zenobia« von Calderon
Bei den Proben der »Zenobia« von Calderon
Bei der Hauptprobe sollte Goethe nochmals in Harnisch gebracht werden. Sein Princip war, diese gleichsam als die erste Vorstellung zu betrachten, darum durfte kein Unberufener während der Handlung auf der Scene stehen, oder auch nur den Kopf aus der Coulisse stecken. Letzteres Verbrechen ließ sich in dieser Probe ein ästhetischer Maschinist mit einem gewaltig dicken Schädel zu schulden kommen. Sogleich donnerte Goethe herauf: »Herr G'nast! Schaffen Sie mir den ungehörigen Kopf aus der ersten Coulisse rechts, der mit unanständiger Neugier sich in den Rahmen meines Bildes drängt.«
1815, 31. Januar.
Über »Zenobia«
Über »Zenobia«
1815, 25. März.
Mit Christian Gottlob von Voigt
Mit Christian Gottlob von Voigt
Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Meyer
und Heinrich Meyer
Ich begab mich heute zu Goethe, um ihm die mir anvertrauten Zeichnungen der Prinzeß Julie [Gräfin Julie von Egloffstein] vorzulegen. Dort traf ich auch den Hofrath Meyer. Zunächst legte ich die Zeichnungen vor, zu welchen der Zauberring [Ritterroman von Fouqué] die Sujets geliefert hatte. Nach einem sorgsamen Überblick äußerte sich Goethe: »Nun, das holde Kind soll höchlich gelobt sein. So viel reine Intention, so liebliche Anordnung, so zierlich nette Ausführung und so viel Freiheit in der Bewegung verrathen ein herrliches Naturell, das auf dem Wege der vollständigsten Ausbildung schon weit genug vorgeschritten ist.« Ja ja, fügte Meyer hinzu, es ist gar erfreulich, ein so hübsches Talent sich aus sich selbst heraus entwickeln zu sehen. Nur Studium der Perspective wäre noch zu wünschen und einige theoretische Aufklärung über Beleuchtung und Schatten. »Das ist's,« sprach Goethe, »aber kein Buch und selbst keine Intuition der Meisterwerke kann diesem Mangel abhelfen; es wäre erforderlich sich mündlich zu verständigen, zwei, drei ihr klar entwickelte Grundbegriffe würden Wunder thun und ihr schnell das Verständniß öffnen, worauf es noch ankommt, um auch die letzte Stufe der künstlerischen Ausbildung noch erklimmen zu können. Doch solche Offenbarung muß der Zufall herbeiführen, er ist ja immer schönen Naturen günstig.« Meyer: Und so muß man auch bei einem so sinnigen Gemüthe nicht viel hofmeistern wollen. Ich möchte wohl sagen, der beste Rath für sie sei, sich ihrer innern Eingebung recht frei zu überlassen. Kenntniß der Anatomie und ganz probefeste Zeichnung von ihr zu fordern, wäre thöricht; aber wundern mag man sich wohl, daß dem ohngeachtet die Proportionen ihrer Figuren und Gruppen auch dem schärfern Blick so wenig Anstoß geben. Goethe: Sehen Sie nur, wie hübsch Bertha und Otto am Bache componirt sind. Dieß zierlich reine Mädchengesicht, diese allerliebste Wendung des Köpfchens und Oberleibs kann nur aus einer reinen Mädchenphantasie entsprungen sein. Wie weit ist sie nicht vorgerückt, seit wir zum letzten Male Proben ihres Talentes sahen. Die Stufe der Flaxmannischen Umrisse hat sie schon glücklich überschritten, und es richtig geahndet, wie jene bedeutsam leeren Räume auszuschütten wären. Sie darf zu jener niedern Stufe nicht wieder zurückkehren wollen und sie kann es auch nicht, so wenig als ein Kind wieder in Mutterleib zurück kann. Auf dem Bilde, wo dem alten Ritter von fern das holde Paar zueilt, hat sie zwar noch à la Flaxmann die mittleren Räume ganz leer gelassen, aber man sieht deutlich, daß sie nur verschmähte, etwas minder mes hinzuzufügen und wohl richtig ahnen mochte, was eigentlich noch hingehöre. Es ist etwas so anmuthig Jungfräuliches in diesen Zeichnungen, so viel Einfachheit und Verachtung überflüssiger Zierrath. Gerade so viel örtliche Unterlage als nöthig war zu individualisiren. Wie sauber sind z.B. das gothische Fenster und die Blätterranken gezeichnet, wo Bertha sich herausbiegt. Ich kenne den Zauberring nicht und werde ihn niemals lesen, denn das ist mir verboten von meinem Obern; aber dieses Bild hat Zauberreiz genug für mich, um es auch ganz isolirt zu verstehen und zu lieben. Sehen Sie den Brief hier unten, wie artig arglos angebracht, und das spähende Mädchenauge verräth doch hinlänglich, was sie so sehnend suche. Welch kräftigen Druckes hat der Bleistift der Zeichnerin dem Auge des Otto gegeben, wie er vor Frau Minnetrost kniet; ei ei, das schöne Kind muß doch auch wohl verliebte Augen schon in anmuthiger Nähe gesehen haben, weil sie dem Jüngling hier so glühende Liebesblicke einhauchen konnte. Wie rein ist die Seele, die sich auf Bertha's betendem Antlitz spiegelt! Aber der Türke hinter ihr ist auch schon ein ganz zahmer Türke geworden.
Ich holte nun auch die mir anvertrauten Landschaftszeichnungen herbei, und es ist schwer auzusprechen, wie viel heitern Genuß sie den beiden Kunstfreunden gewährten. Vorzüglich rühmten sie das ruhige tiefe Gemüth und die innigste Anschauung des äußerlich Bedeutenden, sodann die freie Behandlung schwieriger Gegenstände und die Liebe und reinliche Sorgfalt, mit der auch das kleinste Detail behandelt sei. Goethe: Hier, dieß kleine Blatt, so scheinbar unvollendet, so herausgehoben, wie aus einem größern Ganzen; gleichsam ein Anklang, Probestückchen, es ist fürwahr mir das Erste und Liebste. Macht es denn wohl Friedrich je besser? Meyer: Und noch dazu lange nicht so anmuthig. Goethe: Seht nur doch diesen Faltenwurf an der sitzenden, lesenden weiblichen Figur, diese anmuthige Behandlung des Untertheils; sollte man nicht glauben, unser holdes Kind habe den Andreas del Sarto studirt? Wahrlich! wenn hier nicht das glücklichste Naturell sich ankündet, so giebt es niemals eins. Und wie großartig sind diese Felsenpartien behandelt, jene Linde, wie durchsichtig und üppig! In dieser Müllerin mit dem Kinde ist die individuellste Natur erlauscht und hier der isolirten ländlichen Hütte, die uns so stumm beredt in die freundlich kleine Thür einzutreten ladet, fehlt nur noch rechts etwas, mehr Freiheit des Blicks, etwas mehr Keckheit in der Begrenzung, um ganz vortrefflich zu sein. Sprecht nur, alter Herr (zu Meyer), Ihr hocherleuchteter Kritiker, wo ist denn sonst noch etwas zu tadeln? Was möchte man denn im geringsten anders wünschen. Meyer: Es ist eben alles recht, heiter und lieblich gedacht, und reinlich und zart ausgeführt, wie es einem wohlthun mag, es anzuschauen. Man sieht, ihr Instinct leitet sie ganz richtig und so soll sie ihm nur immer folgen und sich mehr und mehr an Mannichfaltigem versuchen, da sie des Einzelnen schon so Herrin ist. Goethe: Hat denn Scherer jemals so artige Figuren, so runde nette Compositionen gemacht? Was an Rambergen Gutes ist, das sieht man in ihren Zeichnungen wohl hier und da durchblitzen, aber von seinen Fehlern finde ich nichts. Nun mit einem Worte schreiben Sie dem schönen lieben Kinde, es solle gar hoch gelobt sein, und es sei nur dies bitter und streng an ihr zu tadeln, daß sie uns so fern sei und so fern bleiben zu wollen Miene mache.
Aber sogleich gebe ich die freundlichen Zeichnungen nicht zurück, Ihr müßt sie schon einige Tage unter meinem Dache lassen, daß ich sie sehe und wieder sehe und mich recht heimlich ihrer freue.
1815, 24. (?) Mai.
Mit Gustav Schwab, Eduard Müller und Lempp
Mit Gustav Schwab, Eduard Müller und Lempp
a.
Mit guten Empfehlungsschreiben versehen eilten sie zu Goethe. Er empfing sie freundlich; ganz in schwarz gekleidet, stand der schöne Greis nahe an der Schwelle, erkundigte sich nach ihrem Reiseplan, hieß sie sitzen und setzte sich so vertraulich zu ihnen, daß bald alle Scheue verschwand und sie ihm getrost in die dunkelglühenden Augen unter der sparsam weißgelockten Stirn blickten. Er sprach mit ihnen über das Reisen, über Deutschland und über das Theater. Er war selbst im Begriff eine Reise anzutreten, lud aber die jungen Männer ein, wenn der Rückweg sie wieder über Weimar führen sollte, ihn zu besuchen.
b.
In Weimar war es sein [Schwab's] erstes, Goethe zu besuchen und er konnte es nicht wohl ablehnen, auch seine Reisebegleiter zu ihm mitzunehmen. Goethe empfing sie sehr freundlich, bedauerte aber, daß er ihnen nichts Angenehmes erweisen könne, da er im Begriff sei, eine Reise anzutreten; er lud sie aber ein, wenn sie wieder nach Weimar kämen, miteinander oder jeder einzeln, ihn gewiß nicht zu umgehen.
1815, 12. Mai.
Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Karl Friedrich Peucer
Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Karl Friedrich Peucer
Er nahm hiervon Gelegenheit von seinen in der Campagne 1792 und bei Mainz das Jahr darauf bestandenen Gefahren zu erzählen, insbesondere von der famosen Kanonade bei Valmy, wie da die Pferde, gleich Sturm umwogten Fichten, schnaubend hin- und hergeschwankt hätten, und wie ihm insbesondere das zarte Gesichtchen des Standard-Junkers von Bechtolsheim gar seltsam contrastirend erschienen sei. Rechts und links hätten die Kanonenkugeln den Koth der Straße den Pferden zugespritzt; doch das sei alles einerlei und nichts bedeutend, wenn man sich einmal der Gefahr geweiht habe. Die naive Erzählung einer von ihm veranlaßten venetianischen Justizverhandlung (ad laudes), herbeigeführt durch eine Excursion über die Fideicommisse, stach sehr lieblich gegen jene Kriegsscene ab. Goethe hat doch eine ganz eigne Art zu beobachten und zu sehen, Alles gruppirt sich ihm gleich wie von selbst und wird dramatisch. Auch sagte er im vollen Selbstgefühl: »Wenn ich meine Augen ordentlich aufthue, dann sehe ich wohl auch was irgend zu sehen ist.«
Die Erinnerung an seine nahe Abreise nach Wiesbaden entlockte ihm manche hübsche Darstellung seines dortigen geologisirend politischen Lebens. Nassau's Länder und Staaten wurden hoch gepriesen, und von einem reizenden jungen Mädchen [Philippine Lade], der Tochter eines Secretärs bei irgend einem Departement zu Wiesbaden, erzählt, die die höchsten Anlagen zur Declamation und zum theatralischen Spiel besitze. Sie habe ihm den Wassertaucher vordeclamirt, aber mit zu viel Malerei und Gesticulation; darauf habe er sie statt aller Kritik gebeten, es noch einmal zu thun, aber hinter einem Stuhle stehend und dessen Lehne mit beiden Händen festhaltend. Das schöne Kind habe bald Absicht und Wohlthat dieser Bitte empfunden und lebhaft dafür gedankt. Verwechsle man doch nicht, fuhr er fort, epische Darstellung mit lyrischer oder dramatischer.
»Wenn Maria Stuart sich dem bezaubernden Eindruck des Naturgenusses hingibt, ›laßt mich der neuen Freiheit genießen,‹ dann« – rief er aus – »gebraucht Euere Glieder und macht damit, was Ihr wollt und könnt; aber wenn Ihr erzählt oder bloß beschreibt, dann muß das Individuum verschwinden und nur starr und ruhig das Objective sprechen, wiewohl in die Stimme aller mögliche Wechsel und Gewalt gelegt werden mag.«
Solche Anklänge brachten das Gespräch bald auf Julie v. Egloffstein, die Goethe eine incalculable Größe nannte. Er habe ihr, durch den heillosen Lavater in alle Mysterien eingeweiht, bald angesehen, daß sie sehr schön lesen müsse und daher gefürchtet, er werde verlesen sein, wenn er sie höre.
1815, Mai (?).
Über den »Rehbock« von Kotzebue
Über den »Rehbock« von Kotzebue
1815, 14. Juni.
Mit de l'Aspées Schülerinnen
Mit de l'Aspées Schülerinnen
1815, 27. Juli.
Bei Gerhard Kunibert Fochem
Bei Gerhard Kunibert Fochem
1815, 2. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Ich sprach ihm von einer deutschen Gesellschaft für Alterthum und Kunst, wo es auf's Sammeln ankomme, und das Bedürfniß der Gemeinschaft am natürlichsten sei, und wodurch am ersten dergleichen Zusammenwirken zu Stande zu bringen wäre. Aber freilich müßte es geschehen, ohne alle äußere Anstalt von Seiten der Regierung; nur Freiheit und gung bedürfe man, es müsse sich von selbst machen, da sein, ehe davon gesprochen würde.
Goethe ging auf Alles ein, erinnerte mich an das, was er von der englischen Gesellschaft der Naturforscher in der Farbenlehre erzählt hat u.s.w. Von der Farbenlehre waren wir auf den Magnetismus gekommen; ich hatte ihm von Schelver erzählt, von Neefs Bekanntschaft mit Major Meyer, und den Papieren der Frau v. N. »Er hasse dieses Treiben, weil die Menschen es zu weit führen, und doch sicherlich nie dahinter kommen, darum bekümmere er sich auch gar nicht darum, und wolle nichts davon wissen. Er ehre und erkenne die Erfahrung an, damit sei es aber auch abgethan. Es bedürfe, meinte er, fünfzig Jahre, ehe die Farbenlehre anerkannt werden könne, sie sei nur für die jungen, unbefangenen Menschen, mit den andern sei nichts anzufangen; die säßen bis an den Hals in ihrem System, und sei ihnen unbequem, sich einmal auch nur zum Versuch heraus zu bemühen. Darum sei er auch von Herzen grob sen; das gefalle doch wenigstens der Jugend, die dächte: Ei, der Alte weiß doch sonst auch Bescheid und kennt seinen Vortheil, er wird doch nicht ins Blaue hinein schelten und verrückt sein, sondern er muß einen Hinterhalt, Grund und Boden haben, wir wollen das doch näher betrachten und beleuchten. So kommen sie allmählich in die Sache hinein; hätte ich es aber gelinder gemacht, so würden mich die jungen Kerls eben so wenig gehört und gelten gelassen haben. Ich habe mir meine Blockhäuser in die Physik hinein gebaut, so bei der Farbenlehre, so bei der Metamorphose der Pflanzen. Da kann mir keiner vorbei, ohne daß ich darauf schieße; um das Übrige bekümmere ich mich nicht. Jene Lehren habe ich auf Urphänomene gegründet, da bin ich schon zu Hause. Was hätte und müßte man alles herausfördern können, wenn man vierzig bis fünfzig Jahre alles was von außen herkömmt, bei Seite lassen könnte. Was möchte daraus geworden sein, wenn ich mit wenigen Freunden vor dreißig Jahren nach Amerika gegangen wäre und von Kant u.s.w. nichts gehört hätte? Was hat nicht der Winterl (in Pest) in der Chemie geleistet, weil er vierzig Jahre lang Lavoisier und alle neuen Entdeckungen und Fortschritte rein bei Seite gelassen. Erlebt hat er freilich die Anerkennung seines Verdienstes nicht, aber jetzt, da er acht Jahre todt ist, kömmt es allgemein dazu. Es ist eine große Entdeckung von ihm, daß es keine reine Säure, keine Base gebe, sondern daß man eines für das andere setzen könne. Die Chemie rückt jetzt mit großen, gewaltigen Schritten nach durch Berzelius, Strohmeier, Göttling, Döberreiner. Letzterer ein junger Mann in den Dreißigen, in Jena, hat Winterl in seinem Compendium große Ehre erwiesen; das will etwas sagen von einem jungen Mann in den Dreißigen, der kann es durchsetzen.«
Dann kam er auf die verschiedene Begabung der Menschen; wie viele Talente und Genies bleiben durch Verhältnisse unentwickelt und zurückgehalten; wie viel Dummköpfe dagegen wer den durch Verhältnisse, Erziehung und Künstelei in die Höhe auf Catheder u.s.w. gehoben.
Ich meinte, die menschlichen Gaben seien fast in allen Zeiten gleich, aber die Zeiten seien ungleich, und die Menschen unter sich ungleich, und die Verhältnisse. Goethe sagte: ein alter Hofgärtner [J. H. Seidel] in Dresden habe von selbst die Metamorphose der Pflanzen gefunden, und habe ihm dann mit Freuden davon erzählt, wie er gemerkt, daß er auch etwas davon wisse.
Goethe: Wunderliche Bedingtheit des Menschen auf seine Vorstellungsart, wie Kant sehr richtig mit Antinomie der Vorstellungsart ausdrückt; so muß es mir mit Gewalt abgenöthigt werden, wenn ich etwas für vulkanisch halten soll, ich kann nicht aus meinen Neptunismus heraus; das ist mir am auffallendsten gewesen am Laacher See und zu Mennig; sehen Sie, das hat mich so ruhig gelassen, daß ich, wie Abt Spangenberg, hätte sagen mögen: Wir wünschen der lieben Gemeinde unsere Ruhe und unsern Frieden! Da ist mir nun Alles so allmählich erschienen, das Loch mit seinen gelinden Hügeln und Buchenhainen; und warum sollte denn das Wasser nicht auch löcherige Steine machen können, wie die Bimssteine und die Mennigersteine? Daß das Gewässer, ehe es sich gesetzt, zuletzt noch einmal große Bewegung gemacht, wie im ersten Anfang, warum das nicht? Es möchte dem Vulkanismus schwerer fallen, die Mennigersteine als Lava durchzuführen, und vollständig zu erklären, wie sie geflossen und dahin gekommen. Ja, wenn von Vulkanen die Rede, wie bei Nemi in Italien, da bin ich genöthigt, überzeugt und überwältigt, da glaube ich, und wenn ich einmal einen Vulkan anerkenne und vertheidige, dann will es auch was heißen; so in Böhmen, da habe ich bewiesen, wie ich mich eines Vulkans annehmen kann; aber hier hat Hamilton mehr gesehen, als zu sehen war, und dem hat dann der elende Deluc, der gar nichts davon versteht, nachgeschwatzt. Diese Antinomie der Vorstellungsart ist es nun, warum wir Menschen nie auf's Reine kommen können mit einem gewissen Maß von Wissen, sondern immer alte Wahrheiten und Irrthümer, auf eine neue Weise aussprechen; darum wir über viele Dinge uns nie ganz verständlich machen können, und ich daher oft zu mir sagen muß: darüber und darüber kann ich nur mit Gott reden, wie das in der Natur ist, und das; was geht es nun weiter die Welt an. Sie faßt entweder meine Vorstellungsart, oder nicht, und im letztern Falle hilft mir alle Menschheit nichts. Darum, über viele Dinge kann ich nur mit Gott reden.
Dann kamen wir auf die Geschichte von Goethes Ring mit dem Serapiskopf, worunter die Zahl INI steht. Er hatte dem Ring lange nachgestellt, konnte ihn lange nicht haben; im März war er unwohl, ein Freund kömmt: rathen Sie ein Ungeheueres! – »Der jüngste Tag.« – Nein. – »Napoleon ist entflohen.« – Ja! Den andern Tag kam der Ring. Felix omen: Napoleon interiit.
1815, 3. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Es muß nun ein Schema entworfen werden über den Bericht.
Die Gesellschaft kommt wieder zur Sprache, und daß ich ganz besonders seit vorigem Jahr meine Gedanken darauf gerichtet, und ihn in meinem Sinn zum Präsidenten gemacht habe. Gneisenau frug mich früher, warum ich mich immer zurückgehalten? Aus Mangel an Autorität und des wahren Augenblicks. Jetzt ist er da, die Sache macht sich ganz von selbst, es sind natürliche Forderungen. Übertreibungen einerseits, Armuth andererseits.
Der ganze Rhein von Basel herunter muß ins Spiel gezogen werden, das Elsaß, das Straßburger Münster mit seinem erhaltenen Werk und seiner Dotation, dagegen der Kölner Dom ganz verarmt ist.
Goethe will seine Werke neu herausgeben, in zwanzig Bänden. Zwei Bände Gedichte, statt einem. Er spricht über seine Arbeiten. Die italienische Reise; Einseitigkeit; sein Haß gegen das Deutsche; die gothische Architektur; gegen das Klima u.s.w. ist darin ausgesprochen. Er hat vollständige Tagebücher und alle Briefe von den Freunden zurückerhalten, damit einen vollkommenen Kalender mit Rechnungen, Trinkgelder etc. zu Stande gebracht. Sicilien wurde kurz vor ihm von Bartels, der es beschreiben wollte, und andern bereist; Riedesels Buch führte er mit sich, da hatte er nicht die geringste Berichtigung zu machen. Alles ist aus dem Leben, und der Eindruck des Lebens, was er in seinen Briefen niedergelegt hat; das macht sich nun einmal hübsch. Neapel ebenfalls, unendlich heiter. Rom immer mühselig, ernsthaft; dabei nimmt er die Anleitung von Winckelmanns Geschichte immer zur Richtschnur auf seinen Wegen.
Die Reise ist meist ausgearbeitet, aber vorher muß noch der vierte Band von Dichtung und Wahrheit ausgeführt werden, wozu auch viel daliegt; dieser geht, bis der Verfasser nach Weimar kömmt.
Seine neueste Arbeit ist der Divan. Aneignung des Orientalismus; Napoleon, unsere Zeit, bieten reichen Stoff dazu. Timur, Dschengis-Chan, Naturkräften ähnlich, in einem Menschen erscheinend. Die Freiheit der Form ist abgerissen, einzeln; und doch bringt er von den Alten mehr Bildung und Bildlichkeit mit. Das ist gerade das Einzige, was den Orientalen abgeht, die Bilder. Goethe sagt: »In so weit sei er so eitel und übertrieben, zu sagen, daß er darüber stehe, und das Alte und Neue verbinde.«
Er las mir eine sinnreiche Introduction, eine Exposition des ganzen Orientalismus und seines eigenen Verhaltens dazu vor. Dieß letztere zuerst anfangend, von dem Gegensatz der Zeit, und Trost suchend im Orient. Talismane, Amulete, Abraxas, Siegelring der Araber. Hafiz, der Korankundige, wurde zum Eigennamen des Dichters; Goethes Gedicht an ihn vergleicht sich mit ihm, weil er sich die Bibel angeeignet, wie das göttliche Angesicht sich auf das Tuch abgedrückt hat.
Gedicht an Diez, Orientalist in Berlin, Herausgeber des Buchs Kabus, und einer Schrift über die Tulpen, von ihm mit Gold beschrieben.
An alle Orientalisten sollen solche Lobgedichte folgen.
Ich erzählte ihm von Palästina, vom Grab der Maria, von der Verehrung der Mohamedaner dafür. Hadrian ließ die tuen von Adonis und Venus auf die Geburtsstätte Jesu stellen. Goethe bemerkte, bei den Mohamedanern sei Maria die heilige Frau im höhern Paradies; dort auch vier Thiere. Ich meinte, wohl in Bezug auf die vier Flüsse?
Später klagte er über Unredlichkeit der Schlegel und Tiecks. »In den höchsten Dingen versiren und daneben Absichten haben und gemein sein, das ist schändlich. Ach, und wenn Ihr nur wüßtet, wie es zugegangen. Wenn ich mit der italienischen Reise fertig bin, werde ich es ihnen einmal recht klar und grell aufdecken. Komme ich ja dann schon in die letzten achtziger Jahre und in den Anfang der neunziger, wo das ganze Treiben schon begann. Schiller war ein ganz Anderer, er war der letzte Edelmann, möchte man sagen, unter den deutschen Schriftstellern: sans tâche et sans reproche. Im Spinoza können wir es gleich nachschlagen, was es ist bei diesen Herren: es ist der Neid. Diesen und das Böse nennt er die Traurigkeit, und alles Liebe und Gute die Freude. Man müßte nur sagen mit allem Gleichmuth: wir sind betrübt über der Herren ihre Traurigkeit! Zu den Menschen habe ich immer eine wahre Wuth gehabt; im dritten Band findet sich davon schon der Anfang, aber im vierten wird es sich erst recht zeigen.«
»Ich führe,« sagte Goethe weiter, »die Ethik von Spinoza immer bei mir; er hat die Mathematik in die Ethik gebracht, so ich in die Farbenlehre, das heißt: da steht nichts im Hintersatz, was nicht im Vordersatz schon begründet ist.«
Dann kommt er auf den Faust; der erste Theil ist geschlossen mit Gretchens Tod, nun muß es par ricochet noch einmal anfangen; das sei recht schwer, dazu habe jetzt der Maler eine andere Hand, einen andern Pinsel, was er jetzt zu produciren vermöchte, würde nicht mit dem Frühern zusammen gehen. Ich erwiderte: Er dürfe sich keine Skrupel darüber machen, ein anderer vermöchte sich in einen andern zu versetzen, wie viel eher doch der Meister in seine frühern Werke. – Goethe: »ich gebe es gerne zu, Vieles ist auch schon fertig.« – Ich frage nach dem Ende. – Goethe: »das sage ich nicht, darf es nicht sagen, aber es ist auch schon fertig, und sehr gut und grandios gerathen, aus der besten Zeit.« – Ich denke mir, der Teufel behalte Unrecht. – Goethe: »Faust macht im Anfang dem Teufel eine Bedingung, woraus Alles folgt.« – Faust bringt mich dazu, wie ich von Napoleon denke und gedacht habe. Der Mensch, der Gewalt über sich selbst hat und behauptet, leistet das Schwerste und Größte. Das ist in den Geheimnissen so schön ausgesprochen. Es war dann die Rede von den vielen Irrthümern in der Welt – und wieder von den glücklichen Blicken in der Wissenschaft – er sei überzeugt, es lasse sich Alles auf feste Principien bringen, wie die Mathematik.
»Alles ist Metamorphose im Leben, bei den Pflanzen und bei den Thieren, bis zum Menschen und bei diesem auch. Je vollkommener, je weniger Fähigkeit aus einer Form in die andere überzugehen.« – »Ach Gott, es ist Alles so einfach und immer dasselbe, es ist wahrhaftig keine Kunst unser Herrgott zu sein, es gehört nur ein einziger Gedanke dazu, wenn die Schöpfung da ist. Was vorher war, geht mich nichts an. Aber so einfach und so leicht der Gedanke ist, so schwer lassen es sich die Menschen werden, Alles zu zerstückeln. – Ich meine, wie sollte das Zerstückelte auch anders als wieder selbst zerstückeln? Die Thorheit der indischen Büßer, wie sie die Einsiedelei suchen, ist nur ein Beweis, wie die Menschen immer, wenn sie etwas von der Wahrheit gemerkt, dann gleich wieder den irrigen Weg dahin einschlagen, das ist nun so die Welt.«
Das Gespräch fing eigentlich mit der Mineralogie an, wovon er mir Leonhards nächst erscheinendes Werk empfohlen.
Die Geheimnisse, sagte Goethe, habe er zu groß angefangen, wie so Vieles. – Die zwölf Ritter sollten die zwölf Religionen sein, und alles sich nachher absichtlich durcheinander wirren, das Wirkliche als Mährchen und dieß umgekehrt, als die Wirklichkeit erscheinen. Nachmittags: Von der Eitelkeit, Freude am Dasein, am Nichtigen. Goethe: »Es ist kein so großes Übel als gemeinhin daraus gemacht wird; nicht so ernst zu nehmen, daß es erst wichtig wird, wie heut zu Tage geschieht.« – Er will in die Gesellschaft der verrückten Hofräthe aufgenommen werden. Er meint, der Spaß sei ganz allerliebst; das hätte Behrisch ganz ähnlich gesehen. Aber man müsse ihm ein gutes ob ins Diplom geben, ob varietatem scientiarum?
[Die Aufnahme in Dr. Ehrmann's »Orden der verrückten Hofräthe« erfolgte unter Angabe des Grundes, der mit ob angeführt wurde; bei Goethe: ob orientalismum occidentalem.]
1815, 4. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Morgens. Goethe: was er näher kennen möchte, wäre das Verhältniß und der Weg der neuen katholisch gewordenen Protestanten. – Ich meine, die Philosophie der Geschichte der Menschheit (Herder, Müller), die Zeit der Gegenwart, die welthistorische Richtung, haben es gethan. Stolberg ist der Heros unter ihnen. – Goethe: Ja, es sei die Fülle der Menschheit in ihm; das Gemüth des Großen, das Naturell; selbst das Kindermachen, die eigentliche Fülle des Menschlichen (ein Poet sei er gerade deswegen nie gewesen). – Ich: Aber nun sei von der andern Seite das Übel, daß er keine Kritik habe, die Tradition stützen wolle, durch Gelehrsamkeit und Historie. – Goethe: »Ei, das ist gegen alle Überlieferung, diese nimmt man entweder an, und dann gibt man von vorn herein etwas zu, oder man nimmt sie gar nicht an und ist ein rechter kritischer Philister. Auf jenem Mittelweg aber verdirbt man es mit allen; und es ist ein Beweis, daß er von dieser Seite noch nicht einmal mit sich fertig ist. Die Protestanten dagegen fühlen das Leere, und wollen nun einen Mysticismus machen, da ja gerade der Mysticismus entstehen muß. Dummes, absurdes Volk, verstehen ja nicht einmal, wie denn die Messe geworden ist, und es ist gerade als könne man eine Messe machen! So der Schubart [Gotthelf Heinrich von Schubert], der erbärmliche, mit seinem hübschen Talent, hübschen aperçus, spielt nun mit dem Tode, sucht sein Heil in der Verwesung, da er freilich selbst schon halb verwest ist, das heißt, buchstäblich die Schwindsucht hat. Da möchte man des Teufels werden; es ist aber gut, ich lasse sie machen, es geht zu Grunde, und das ist recht.«
Ich: und es ist ihnen mit dem Christenthum, wenn man's beim Licht betrachtet, doch nicht recht ernst, es läuft am Ende doch immer wieder auf alles und eines und eines und alles hinaus. Dagegen ich mir den Dualismus für unentbehrlich halte, daß dem Geist und Leib sein Recht widerfahre, und die Einheit als Ziel und Höchstes immer gefordert, verlangt werde! Wovon hier auf der Erde nicht die Rede sein kann, als wenn Gott selbst kömmt. Sie aber wollen dem Herrn Christus auf die Spur kommen und selbst Christusse machen. Goethe: »Ja, recht, das ist: sie selbst wollen ein kleiner Herr Christus sein; sie ließen den Leib als solchen gelten, würden ihn auch zu ehren wissen.« – Dieß Alles kam zur Sprache, bei Gelegenheit eines neuen dünnen Büchleins: über das Abendmahl, welches in Gießen erschienen, und das ihm der hier badende Verfasser gegeben.
1815, 5. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Morgens.
Goethe klagt, daß er zur Großfürstin von Oldenburg soll: »Sie haben nichts von mir, und ich nichts von ihnen, den Herrschaften.« Ich vergleiche die fürstlichen Personen und die vornehme Welt mit Gewässer, welches um uns herum anschwillt, ein Strom im See werden kann, worauf man schifft und segelt, sich aber auch wieder verlaufen kann. Man muß ihm nicht trauen, ist und bleibt Wasser. – Goethe: »Nun, zu hypochondrisch muß man sie nicht nehmen, aber so als Naturkräfte.« – Goethe speist bei der Großfürstin.
Nachmittags.
Staatsrath Süvern von Berlin kömmt an; Goethe veranlaßt mich, zu ihm zu gehen. Er ist mit dem ganzen kölnischen Schulwesen und Universitätswünschen von amtswegen bekannt. Er sagte unter anderem, Preußens Lage fordere große Festungen und Burgen, auch in geistiger Hinsicht, nicht nur zum Schutz, sondern auch zur Anziehung und dadurch zu allgemeinerer Wirkung.
Abends war ich mit Goethe und Oberbergrath Cramer auf dem Geisberg, es wurde oben gezecht in der Schenke. Der Wirth heißt Hastings; ein schöner, freundlicher, blonder Aufwärter bediente uns. Ein Schwager von Cramer aus Hanau kam nach, das Töchterchen des alten Oberbergraths, etwa sechzehn Jahre alt, führte ihn zu uns, ein ganz einfaches, frisches Kind. Goethe neckte sie mit ihrer großen Pestalozzi'schen Rechenkunst, erzählte uns von der Schule hier, und ließ dem Mädchen keine Ruhe, bis sie sich selbst eine algebraische Aufgabe, aber in Zahlen gab, und die Auflösung machte. Es war eine verwickelte Aufgabe, drei unbekannte Zahlen, von denen nur die Verhältnisse unter sich angegeben waren. Mir wurde ganz schwindelig bei der Auflösung; vorerst war es einmal nicht möglich zu folgen; dann aber die Bestimmtheit, die Förmlichkeit, womit das Kind die trockenen Dinge aussprach, die man sonst nur in den mathematischen Hörsälen zu hören kriegt, und wie sich dieß arme Köpfchen was darauf zu gut that, mit den hohlen Zahlen und Verhältnissen herum zu wirthschaften, wie es gar selbst mit über diese Kunst sprach und vernünftelte, warum es Elementarunterricht genannt werde, da es doch, wie Goethe bemerkte, ganz darüber hinausginge, weil jeder alles selbst finde und erfinde: endlich über Buchstaben-Rechnungen, Gleichungen u.s.w. Das Alles, mit der festen, schulmeisterlichen Haltung, setzte mich wahrhaft in Schrecken. Gewitter am Himmel. Auf dem Rückweg Gespräch über orientalische Poesie. Hafiz ein anderer Voltaire. Ich bedaure die Orientalen, sie haben keine Musik und keine Bilder und nur Schrift zur Verzierung; und die Baukunst ist bloßes Bedürfniß, ein elend Ding, ohne eigentlichen Kunstwerth.
Als wir im Dunkel gegen zehn Uhr nach Hause kamen, klagte Goethe seinen Jammer über dieß Pestalozzi'sche Wesen. Wie das ganz vortrefflich nach seinem ersten Zweck und Bestimmung gewesen, wo Pestalozzi nur die geringe Volksklasse im Sinne gehabt, die armen Menschen, die in einzelnen Hütten in der Schweiz wohnen, und die Kinder nicht in Schulen schicken können. Aber wie es das Verderblichste von der Welt werde, so bald es aus den ersten Elementen hinaus gehe, auf Sprache, Kunst und alles Wissen und Können angewandt werde, welches nothwendig ein Überliefertes voraussetze, und wo man nicht mit unbekannten Größen, leeren Zahlen und Formen zu Werk gehen könne. Und nun gar dazu der Dünkel, den dieses verfluchte Erziehungswesen errege; da sollte ich nur einmal die Dreistigkeit der kleinen Buben hier in der Schule sehen, die vor keinem Fremden erschrecken, sondern ihn in Schrecken setzen! Da falle aller Respekt, alles weg, was die Menschen unter einander zu Menschen macht. »Was wäre denn aus mir geworden,« sagte er, »wenn ich nicht immer genöthigt gewesen wäre, Respect vor andern zu haben. Und diese Menschen mit ihrer Verrücktheit und Wuth, alles auf das einzelne Individuum zu reduciren, und lauter Götter der Selbstständigkeit zu sein; diese wollen ein Volk bilden und den wilden Schaaren widerstehen, wenn diese einmal sich der elementarischen Handhaben des Verstandes bemächtigt haben, welches nun gerade durch Pestalozzi unendlich erleichtert ist. Wo sind da religiöse, wo moralische und philosophische Maximen, die allein schützen könnten?« Er fühlte recht eigentlich einen Drang, mir über alles dieses sein Herz auszuschütten, und ich selbst war von all diesem voll, es sprach mich gleich an, wie eine Meldung des jüngsten Tages, und die Furcht vor den Russen war mir beim Namen Sievers, den Cramer als einen der schärfsten Prüfer und größten Rühmer der hiesigen Schule genannt hatte, in ihrer ganzen Macht aufgestiegen. – So führten wir uns wechselseitig in das Gespräch hinein, und Goethe bat mich wiederholt um Gotteswillen, nicht in die Schule zu gehen, ich würde zu sehr erschrecken. Cramer hatte mir schon vor seiner Rückkehr gesagt, daß ihn das Pestalozzi'sche Wesen außerordentlich interessire und er immer davon spreche. Des Abends erzählte ich ihm, bei Gelegenheit der Russen, noch das Verhältniß von Kaiser Alexander und der Krüdener.
1815, 6. (?) August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 7. (?) August.
Bei Goethe
Bei Goethe
Nachher Gespräch über den Divan. Entstehen. Lob des Weins. Frechheit gegen das Gesetz. Die Perle. – Unwillen über die Deutschen; ihre Neuerungssucht und Zerstreuung. – Gespräch über die bloße Kunst der Poesie, bei dem bloßen Talent der Sprache: wie weit es in dieser bloßen Phraseologie gebracht werden könne; er rühmte den Major Luck, es ist ja auch ein diffuses Wesen in ihm, aber da thut ihm das Sonett Gewalt an, und zwingt ihn zur Einheit. Darum gibt's nicht leicht bessere Sonette als die seinigen, auch in Rücksicht der Gedanken. Ein Spottgedicht hat er gegen die Arndt'sche Dreieinigkeit gemacht, von Wellington, Blücher und unserem Herrgott; aber das nicht als Sonett. Eine Strophe, die er Goethe bloß in einem Briefe mitgetheilt, als geheimes Einschiebsel, nur für Vertraute, ist sehr artig. Es lautet ohngefähr: Gott ist der großen Schrift nicht wert, dieweil er nicht freiwilliger Jäger geworden, das Schießgewehr auf die Schulter genommen hat und in den Landsturm ausgezogen ist. – »Die Einheit des Gedankens, die lebendige Gliederung durch den Gegensatz zur Identität, das ist es, was allen Kunstwerken zu Grunde liegen muß. Das ist, was die Franzosen mechanisch ergriffen haben in ihrem Schauspiel, und was Shakespeare nicht hat, und warum seine Stücke in dieser Hinsicht bei aller Poesie nichts taugen.« Ich sagte, wie seit einigen Jahren ich auf diese innere Gesetzmäßigkeit und poetische Gliederung gekommen, und sehr bald den Dingen ansehe, wo es fehle, es sei immer fast instinktmäßige Forderung bei mir, und mir auch so gleichsam instinktmäßig entstanden, auf dem Weg der Musik. So z.B. innere Nothwendigkeit des Allegro, Adagio und Rondo, das Muthige, Traurige und Freudige. – Sonntag am 6. Abends las mir Goethe wieder einen Theil aus seinem Divan vor, worunter das schönste »Adam und Eva« war, wie der Schöpfer sie macht und seine Freude an ihnen hat. Er legt dem Adam die Eva an die Seite, und möchte dabei stehen bleiben. Ein Bildchen, eine Idylle von der schönsten, reinsten Naivität, und wieder der höchsten Größe; es machte mir den Eindruck wie das beste plastische Werk der Griechen. Dann las er, wie Jesus das Evangelium gebracht und wieder mit zum Himmel genommen hat. Aber was die Jünger, jeder auf seine Art, davon behalten, verstanden und mißverstanden, ist so viel, daß die Menschen genug daran haben für immer zu ihrem Bedarf. – Liebesgedichte. Was ich verlange ist nur wenig; aber für die Geliebte alle Schätze. Ein prachtvolles Stück [im Buch Suleika], worin alle Herrlichkeit und der ganze Handel des Orients vorkömmt; wo alle Elemente, alle Kräfte der Natur und Menschen in Bewegung gesetzt werden, um der Geliebten Geschenke zu bringen; die aber doch nichts sind gegen die Freuden der Liebe. Die Feueranbeter der alten Parsen. Ein solcher stirbt und spricht seine Lehre als Vermächtniß aus. Verehrung der Sonne, durch Ordnung und Reinlichkeit, damit sie sich nicht betrübe den Schmutz und Wüstenei der Menschen und der Erde zu sehen. (Stiftung, eine Gasse zu reinigen, damit die Sonne mit Freuden hinein scheine.) In demselben Bezug, Ackerbau. (Auf ähnliche humane Weise erklärt Goethe sich die Verehrung der Kuh, als nützlichstes Hausthier, und des goldenen Kalbes, und sei also nicht gar so absurd und abgeschmackt, als es aussehe.) Verehrung des Feuers als irdische Sonne. Ich erzähle, wie die Symbolik des Lichts mit so großem Geist in den christlichen Gottesdienst aufgenommen sei; am Charsamstag Symbolik der ganzen Schöpfung, Wasser, Licht u.s.w.
Später waren wir bei Hügel; er erzählte von dem Künstlerleben der italienischen Sängerin, die den Wiener Bankier Natorp geheirathet hat. Der Bankier machte bankerott, die Frau ging wieder auf's Theater, und der größte Triumph ihres Lebens war der Beifall, der ihr hier zum erstenmal wieder gezollt wurde. Aller Reichthum, alle Pracht der Zwischenjahre war ihr nichts dagegen. Ihr Vater war Einnehmer von Monte pietà in Rom gewesen, und kam herunter; ihr großes Talent wurde in einem Concert erkannt, dieß entscheidet sie, um ihrem Vater damit zu helfen, sich gleich bei der Gesellschaft anwerben zu lassen. In Florenz schenkte ihr beim ersten Auftreten ein Musikfreund für sein Billet statt einem Scudo hundert Zechinen, so entzückte sie; das war ihr erstes Glück und so ging es fort; sie blieb immer brav gegen ihre Eltern. Nach ihrem zweiten Auftreten lebte sie nur noch wenige Jahre.
1815, 8. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Er macht mir die Confession, daß ihm die Gedichte auf einmal und ganz in den Sinn kämen, wenn sie recht wären; dann müßte er sie aber gleich aufschreiben, sonst finde er sie nie wieder; darum hüte er sich auf den Spaziergängen etwas auszudenken. Es sei ein Unglück, wenn er es nicht ganz im Gedächtniß behalte, sobald er sich besinnen müßte, würde es nicht wie der gut, auch ändere er selten etwas; ebenso sei es ein Unglück, wenn er Gedichte träume, das sei meist ein verlorenes. Ein italienischer Poet (Petrarca s. Wilken) habe sich aus diesem Grund ein ledernes Wamms machen lassen, worauf er im Bett habe schreiben können. Italienische Reise. Goethes Freude an der Architektur, seine rein persönliche Leidenschaft für Palladio, bis ins grasseste nichts als Palladio und Palladio. Freilich lebt er in Vicenza und Venedig in seinen Werken und Wirksamkeit noch im lebendigen Andenken. Wuth und Haß gegen die sche Architektur; er läßt diese Stelle wegen mir weg, daß ich sehe, welch ein braver Kerl er sei. Die Menschen wie sie aber wären, würden so etwas gleich mißverstehen. Am Ende mache es sich auch in der Composition besser, wenn es wegbleibe; sonst freilich lasse er alles wie es sei, weil die Tagebücher so vollständig seien.
Er führt das Gespräch weiter; was die Verhältnisse mit Fürsten theuer und werth mache, sei das Beständige und Beharrliche darin, wenn einmal ein Vertrauen entstanden; so zwischen ihm und dem Herzog. Durch allen Wechsel der Verhältnisse und Gesinnungen durch habe der Herzog immer denselben gefunden; gesehen, daß er einen braven, ehrlichen Menschen an ihm habe, und so sei der Herzog noch jetzt wie in ihrem Freundschaftsverhältniß; er habe ihm kürzlich einen Brief geschrieben, ein Resultat seiner Lectüre während langer Unpäßlichkeit, ganz wie aus jener Zeit so herzlich. Timurs Winterfeldzug, Parallelstück zu Napoleons Moskowitischem Feldzug. Kriegsrath. Der Winter tritt redend auf gegen Mars; Fluch oder Verheißung; groß, gewaltig. Haß des Kreuzes. Schirin hat ein Kreuz von Bernstein gekauft, ohne es zu kennen; ihr Liebhaber Cosken findet es an ihrer Brust, schilt gegen die westlich nordische Narrheit u.s.w. Zu bitter, hart und einseitig, ich rathe, es zu verwerfen. Goethe: Er wolle es seinem Sohn zum aufheben geben, dem gebe er alle seine Gedichte, die er verwerfe; er habe eine Menge, besonders persönliche und zeitliche. Es sei nicht leicht eine Begebenheit, worüber er sich nicht in einem Gedicht ausgesprochen. So habe er seinen Ärger, Kummer und Verdruß über die Angelegenheiten des Tages, Politik u.s.w. gewöhnlich in einem Gedicht ausgelassen, es sei eine Art Bedürfniß und Herzenserleichterung, Sedes p. Er schaffe sich so die Dinge vom Halse, wenn er sie in ein Gedicht bringe. Sonst habe er dergleichen immer verbrannt; aber sein Sohn verehre alles von ihm mit Pietät, da lasse er ihm den Spaß. Napoleon hat ihm imponirt, er habe den größten Verstand, den je die Welt gesehen. Daru habe ihn präsentirt in demselben Saal der Statthalterei in Erfurt, wo er in seiner Jugend mit Schiller, dem Herzog und dem Coadjutor Dalberg so viele Späße getrieben, und frohe Stunden erlebt. Da sei noch Berthier gewesen und Soult und andere, denen er alle zugleich Audienz gegeben; sie habe mehr als eine Stunde, ja zwei gedauert; er habe immer abwechselnd von Geschäften mit jenen, dann wieder mit ihm gesprochen. (Goethe scheint nicht gemerkt zu haben, ober nicht bemerken wollen, daß dies alles angelegt gewesen, um ihm zu imponiren; wie ich mir's auslege.) Daru habe ihn präsentirt mit dem Bemerken, er habe Mahomet übersetzt, da habe Napoleon gesagt: Mahomet est une mauvaise pièce. Dann habe er es entwickelt, und so richtig, als es nur zu verlangen. Goethe bemerkte: »Ei, er der ein anderer Mahomet war, mußte sich wohl darauf verstehen.« Ich sprach von Ostentation, und wie er den armen Müller bethört. Die Ostentation warf er weg, mit Müller das war ein ander Verhältniß, weil er eben der arme Müller war. Napoleon habe sehr viel und trefflich über Tragödie mit ihm gesprochen, wo der Refrain immer gewesen: qu'en dit Mr. Goethe. Napoleon habe ihn, was doch etwas sagen wolle, zum Lachen gebracht; so daß er sich darob entschuldigen zu müssen geglaubt; wisse nun aber nicht mehr zu sagen, was es denn eigentlich betroffen.
1815, 11. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Dann erzählte er mir von Butte's Zahlenlehre. Herr Butte (derselbe, den die französischen Blätter zum Besten gehabt), war in Wiesbaden am letzten Tag bei ihm gewesen, und hatte ihm sein Weltsystem erklärt. Er sagte: wenn man einmal solch Spiel zugäbe, und zugeben müsse man es doch, so sei das äußerst scharfsinnig und hübsch, unter anderem besonders die Verrückung der Klimate merkwürdig; sie folgten nicht den Zonen, die unsere Mathematik beschrieben, sondern biegen sich ein u.s.w. Die Durchführung ins Einzelne gefiel ihm sehr, nur klagte er, daß der Mann etwas cynisches habe; daß er nicht einmal ein reinliches Manuscript und Karten, sondern beides beschmutzt und befleckt bei sich führe.
Nach acht Uhr sind wir in Mainz in den drei Reichskronen. Unser erster Gang war zu Professor Lehne; er zeigte uns seine Gemäldesammlung. Er besitzt auch römische Alterthümer, schön und klar geordnet, innerer Zusammenhang; das meiste Grabsteine von Kriegsleuten aus den verschiedensten Theilen von Europa. Die römische Herrschaft wirkte hier ganz auf dieselbe Weise, wie die französische.
Goethes Vorliebe für das Römische wurde später ausgesprochen; er habe gewiß schon einmal unter Hadrian gelebt. Alles Römische ziehe ihn unwillkürlich an. Dieser große Verstand, diese Ordnung in allen Dingen, sage ihm zu, das griechische nicht so. Ich sei gewiß auch schon einmal da gewesen im 15. Jahrhundert. Ich lehne es ab und spaße über diesen Wahn, wenigstens müsse es noch früher gewesen sein. Doch sei mir der Gedanke nicht neu, ich habe schon Wallraf im Jahr 1811, als die Helwig in Köln gewesen, damit aufgezogen, daß seine Verliebtheiten in die Stadt und in die Agrippina die Folgen einer alten Liebschaft zu dieser Kaiserin sein müßten, die jetzt auch der Seelenwanderung unbewußt in ihm wieder erwache. Endlich sei mir über mich selbst schon dergleichen Wahn durch den Kopf gefahren, als ich im vorigen Sommer die Geburtsstadt von Eyck besucht und zugleich die meines Vaters, nur zwei Stunden davon. Die Großmutter väterlicher Seite und der Großonkel stammen von Tongern, die Großmutter mütterlicher Seite von Köln; wer könne wissen was da für Blutsverwandtschaft und Zusammenhang mit Meister Eyck und dem Baumeister des Doms sich denken ließe! Ich schäme mich aber dessen, als närrischer, abergläubischer Einbildung, und hätte es noch keinem erzählt; aber als eine Schwachheit gestehe ich es gern und lasse es gelten. »Ja nun,« sagte Goethe, »lobe ich Euch; Ihr seid gescheidter als Ihr wißt. So hat doch Eure Sache Fug und Schick, und durch die Zuziehung der Ahnen kommt es immer noch besser ins klare.« Ich neckte ihn darüber und wir lachten fröhlich über dies geheime Gespräch, das wir am Tisch führten. Professor Lehne holte uns ab in die Gemäldesammlung des Grafen Kesselstädt und zu Kaufmann Memminger, wo wir schöne Rheinlandschaften von Kaspar Schneider sahen. Nachher gingen wir in den Dom, der halb mit Brettern verschlagen war, worin Getreide lag.Nach Tisch spazierten wir nach Zahlbach, der Grabstätte römischer Krieger, wo über dreißig Gräber an einen Hügel angelehnt gefunden wurden, hinter jedem der Aschenkrug. In Zahlbach kehrten wir in einem Weingarten ein. Professor Lehne hielt mir vor, daß es nichts sei mit der gothischen Architektur, daß sie nur die Frucht der verfallenen römischen und griechischen sei. Er sprach überlaut, weil er taub ist, gerade darum hörte ich es geduldig und ruhig an. Preußische Officiere saßen in der nächsten Laube. Goethe hatte seine Freude über den Spaß. Auf dem Rückweg fanden wir eine schlecht gebaute Kirche im Dorfe, ganz neu im byzantinischen Geschmack, von einem französischen Ingenieur; das machte sich nun gut, neben der römischen Wasserleitung und zu dem Gespräch im Weingarten; Goethe neckte mich damit.
Nachher machte ich mit Goethe noch einen Spaziergang die Bleiche herab, nach Hause. Ich erzählte ihm von unserem ersten Bild, von der Großmutter, wie sie allein Freude daran gehabt; von Schlegel und allen ersten Geschichten der Sammlung; antwortete aus seine Frage, warum wir zuerst nach Heidelberg gegangen und erzählte von meiner Reise im Jahre 1808. Vor Schlafengehen betrachteten wir noch leuchtendes Holz, das Goethe aus Wiesbaden mitgebracht hatte.
1815, 12. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 14. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Ich übergab ihm den Entwurf, er soll wo möglich Maximen und Principien aussprechen, für alles was gemacht werden soll etc. Er gab allem seinen Beifall, wir sind überhaupt einig. Nur wegen der Frankfurter Angelegenheiten, Bibliothekbau u. dergl. scheut er sich ins einzelne gezogen zu werden; er hat überhaupt ein großes Vorurtheil gegen den freistädtischen Staat.
Goethe führte mich zu einem steinernen Heiligenhäuschen bei der Mühle, um es zu verehren, weil es, obwohl einfach, so meisterhaft gemacht, und von Basalt wäre. Auf dem Wappen daran ist ein Ring à jour gefaßt. Die Jahreszahl 1508.
1815, 19. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 25. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 28. August.
Geburtstagsfeier in der Gerbermühle
bei Frankfurt
Geburtstagsfeier in der Gerbermühle
bei Frankfurt
Ich legte die heilige Barbara von Eyck mit meinen darunter versteckten Versen in Goethes Schlafzimmer; zur Linken des Bildchens einen schönen Eichenzweig, zur Rechten einen großen Lorbeer, unten, wo beide sich kreuzten, einen gen Kleezweig, dieß faßte das Ganze angenehm ein. Vor Tisch hatte ich ihm auf seinem Zimmer von Glück gewünscht, und gesagt, daß ich ihm was mitgebracht. Ich fand ihn da gerade bei der Denkschrift beschäftigt, wir umarmten uns herzlich, und als ich meine Freude zu erkennen gab, gerade an diesem Tag hier mit ihm zusammen zu sein, sagte er: »Ja es ist recht schön und ominös.« Das kleine Geschenk und den Vers nahm er nun mit Rührung auf; es entfuhr mir die auf mich selbst störend wirkende Entschuldigung: es seien die ersten Verse, die ich gemacht. »Nun,« sagte er, »sie sind gut gedacht, das übrige wird schon kommen.« Dann las er mir seine Denkschrift von Köln vor. Es muthete mich an, wie ein Kapitel aus seinem Leben. Ich solle in diesen Tagen zu ihm heraus kommen, da wolle er mir alles noch einmal rascher in die Feder sagen, man sehe dann am besten, wo es noch fehle. Er wollte nicht, daß ich weggehe; ich blieb den Abend draußen; er las uns von seinen orientalischen Gedichten. Es herrschte eine heitere, freundliche Stimmung in dem kleinen Kreis.
1815, 29. August.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 30. August.
Mit August und Theodor Kestner
Mit August und Theodor Kestner
Der Bediente empfing uns an der Hausthür. Wir baten, dem Herrn Geheimen Rath aufwarten zu dürfen. Der Bediente kehrte zurück mit der Nachricht: »es wird Ihro Excellenz viel Ehre sein.« Durch eine dunkle Treppe wurden wir in seine Wohnstube geführt, die für eine Gartenwohnung sehr groß und lang war. Er kam uns von der entgegengesetzten Seite entgegen und schien im Nebenzimmer sich angekleidet zu haben. Sein Anstand war würdig mit Absicht, aber sein Benehmen sehr freundlich, ja zuvorkommend; er half selbst die Stühle zusammenholen, indem er uns zum Sitzen nöthigte. Vorher fragte er, wer von uns beiden der Dr. Kestner aus Frankfurt sei.Ich machte die Introduction damit, daß ich eines Briefes erwähnte, der mir von Frau von Beaulieu an ihn mitgegeben sei, den ich aber unglücklicherweise verloren habe. Sehr verbindlich erwiderte er darauf, daß ich auch ohne diesen mich eines freundlichen Empfangs habe versichert halten können. Dann richtete ich ihm eine Empfehlung meiner Mutter aus, indem ich mir Hoffnung gemacht, ihn in Wiesbaden anzutreffen. Er fragte nach ihrem Befinden und ob meine Geschwister noch vollzählig wären, indem er freundlich hinzufügte, daß unser seliger Vater ihm unsere sämmtlichen Silhouetten geschickt habe, als wir noch böse Buben gewesen, und daß er uns daher schon alle kenne. Dann kam die Rede auf Silhouetten, und er äußerte [sein Bedauern], daß diese ehemals gangbare Art, sich ein Andenken zu geben, so ganz abgekommen sei; denn es wäre doch ein treuer Schatten des Freundes gewesen.
Nach einem kurzen Gespräch verschiedenen Inhalts nöthigte er uns darauf in den Garten. Beim Hinabsteigen in denselben wurde die Ältlichkeit seiner körperlichen Bewegungen sichtbar. Dieses schien ihm unangenehm; denn er nöthigte uns sehr angelegentlich, als wir zu seinen beiden Seiten ihn aus der Stubenthür begleiteten, die Treppe hinabzugehen, indem er folgen werde.
Der Garten bestand in einem Bosquet, an dem Main gelegen, und hier kamen wir zuerst durch einen Schattengang an einen freien Platz nah am Flusse, wo wir einen Kaufherrn, Herrn Nicolaus Schmidt aus Frankfurt antrafen, den Goethe bewillkommnete und »Du« nannte; er wird ein Jugendbekannter von ihm sein. Hier blieb er einige Augenblicke stehen und wies uns weiter zur Gesellschaft der Damen auf einem andern Platz, die zum Theil zur Willemer'scher Familie gehörten, zum Theil zum Besuch da waren.
Nachdem wir hier vorgestellt waren, kam Goethe uns nach und nahm sich so unserer Unterhaltung an, wie es dem gebührt, der Besuch bekommt. Er war dabei körperlich in einer beständigen Beweglichkeit und Unruhe, aber ohne schnelle Bewegungen. Anfangs theilte dann und wann eine Dame das Gespräch; doch hörte diese bald auf und er ging zwischen uns auf dem, von Bäumen umgebenen Platze, der nach dem Wege zu eine freie Seite hatte, auf und ab, oder, blieb er eine Weile stehn, so wiegte er doch den Oberkörper auf den Füßen und lehnte sich zuweilen an. Die Hände hatte er meistens eingesteckt, entweder in die Tasche seines dunkelblauen Überrocks, der ihm schon wenigstens neun bis zehn Monate gedient hatte, oder in den Busen.
Während Theodor mit einem andern Herrn redend auf und ab ging, wurde mir das Gespräch mit Goethe etwa eine halbe Stunde allein zutheil. Es lenkte sich dieses auf Frau von Beaulieu und ihre Töchter [erster Ehe, Gräfinnen v. Egloffstein], von denen er mit vielem Interesse sprach, aber stets mit voller BeSonnenheit und einer großen Abgemessenheit. Er verbreitete sich mit gerechtem Lobe über das Talent der Comtesse Julie Egloffstein und äußerte, sie leiste alles, was man ohne höhere Leitung eines solchen hübschen Talentes erwarten könne. Ich erwiderte, daß ich die Wohlthätigkeit der Einwirkung eines geschickten Lehrers nicht verkenne, aber daß uns die Höhe der Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts und früher beweise, daß in den wesentlichsten Theilen der Darstellung schon etwas Großes geleistet werden könne ohne völlige Correctheit der Zeichnung, und daß diese ohne die Kraft der Darstellung, die in jener Zeit geherrscht habe, für sich allein nach meinem Ermessen keinen großen Werth habe; ich führte den Masaccio an. Er billigte meine Erhebung jener Kunstepoche, aber wollte, den vorliegenden Fall betreffend, doch nicht davon abgehn, daß mehr Studium in der Zeichnung erforderlich sei, und hörte mit vieler Freundlichkeit, daß es schon länger unter ihre Lieblingsideen gehört habe, in Weimar unter seiner Einwirkung sich in der Kunst zu üben. Ich erzählte, daß sie neuerlich manche Portraits mit großem Glück gemacht habe. Er fragte: »Alle mit Bleistift?« Ich bejahte es, und er rühmte ihre Geschicklichkeit, den Bleistift zu behandeln. Doch kam mir vor, als ob er gewünscht hätte, sie möge auch in andern Manieren Portraits machen.
Als im Gespräch eine Stille eintrat, erwähnte ich Christian Schlosser und meine Freude, ihn seit meinem Leben mit ihm Rom zum ersten Mal wiedergesehen zu haben. Er lobte ihn und seinen beharrlichen Eifer in seinen Wissenschaften und seiner Ausbildung. Ich erwähnte Overbeck's schöne Zeichnung. Auch er lobte die Composition und die große Sauberkeit ihrer Ausführung; ich stimmte ein, doch setzte ich hinzu, daß zwar eine Reminiscenz des Raphael in dem ähnlichen Bilde aus dem Palast Borghese unverkennbar sei1 , aber dennoch in der Composition mehreres Eigenthümliche bleibe. »Kann man denn anders,« erwiderte er, »als in den schönen Gedanken Raphael's fallen?« Er hörte dann mit Interesse von mir, daß ich Overbeck aus seiner früheren Zeit kenne und er mir persönlich den nehmsten Eindruck gemacht habe. Dann fragte er nach seiner Ausbildung und hörte von seinem Geburtsorte Lübeck – wo er bei der brennendsten Begierde zur Kunst eine sehr mittelmäßige Anweisung gehabt – von wo er nach Wien unter Fügner's Leitung gekommen. Dann fragte er, ob nicht ein Verwandter des Overbeck Künstler gewesen; ich sagte ihm, daß sein Vater der bekannte Dichter gewesen, welches ihm neu war. Als ich diesen an einigen kleinen Gedichten bezeichnete, schien er zu glauben, ich wolle ihn herabsetzen und erwähnte mit einem Lobe, welches nicht gar sehr erhebt, die Overbeck'schen Gedichte; er nannte sie »gar brave Gedichte«, welche eine lobenswerthe moralische Tendenz hätten und wies dabei auf die Zeit hin, in welcher sie entstanden. Bei Gelegenheit des Overbeck erzählte ich, daß dieser mir in seinen Briefen aus Wien einen gewissen Pforr als einen sehr talentvollen Freund erwähnt, der gleichfalls das historische Fach zu dem seinigen genommen. Goethe ergriff diesen Namen und lobte sehr einige Zeichnungen von ihm zum »Götz von Berlichingen«, die sehr originell und kräftig und von vieler Erfindung wären. Leider sei dieser junge Mann gestorben. Die Rede kam dann auf Cornelius, von welchem Schlosser eine Zeichnung hat. Auch diesen lobte Goethe, aber mehr schien ihm Pforr am Herzen zu liegen.
An allen diesen drei Künstlern lobte er das Studium der alten Meister und erhob die höhere Leitung, die an ihrer Ausbildung bemerkbar sei. Als hierauf die Rede auf Riepenhausens fiel, die ich als meine Freunde erwähnte, schien er sie gegen die andern herabsetzen zu wollen, und sagte, es sei noch immer das ungewöhnliche Talent, dem kein anderes vorgesetzt werden könne, an ihnen bemerkbar, aber ihre früheren Arbeiten hätten mehr versprochen, als sie nachher erfüllt; es fehle an der Ausbildung nach großen Mustern. Ich konnte leider nicht widersprechen und hob aus allen Kräften ihre ökonomisch beschränkte Lage hervor, die sie stets gedrückt habe, weshalb sie ein großes Stück ihres Lebens schon hätten verlieren sen; bloß ihrer Hände Arbeit hätte sie ernähren müssen, und sie hätten während meines Dortseins die elendesten Aufträge anzunehmen nicht ausschlagen können, da sie niemals so glücklich gewesen wären, eine Pension zu erhalten oder einen Mäcen zu finden. Er hörte mich, wie es schien, mit Theilnahme, aber doch nicht so lebhaft an, daß er ihnen einen Mäcen verschaffen wird.
Während dieser Gespräche machte ich die Bemerkung, wie in unseren Zeiten ein Talent zur bildenden Kunst eine doppelte Hülfe bedürfe, da ein jeder mit der Zeit zu kämpfen habe, welche der Kunst ungünstig zu sein scheine, und berührte das Problem, daß in der guten Zeit, worin die Kunst geblüht habe, selbst mittelmäßige Talente etwas Gutes hervorgebracht hätten, sie mochten wollen oder nicht, als: Lorenzo di Credi und selbst Perugino. »Ja!« antwortete er mit einem Lächeln der Zustimmung, »die Fluth trägt das Schiff, aber wer wird es selbst tragen können? Es ist dergleichen geschehen – die Argonauten haben es selbst getragen – aber nur gar wenigen ist dieses gegeben.«Er fragte nach Sartorius und seiner Frau und hörte mit Theilnahme, daß ihre Gesundheit leide, und gebrauchte mehrere freundliche Ausdrücke bei ihnen. Ich bedauerte, ihm nichts Specielles von ihnen beiden sagen zu können, weil ich erst in der Nacht in Göttingen angekommen und früh weitergereist war.
Der Abschied war, wie andre Leute von Lebensart sich dabei benehmen, mit einigen verbindlichen Äußerungen über die gemachte Bekanntschaft, welchen er noch hinzufügte, daß er den Herrn Doctor noch bei sich zu sehen hoffe, um zu hören, daß ich in Wiesbaden wohl angekommen sei.
1 Wohl lo sposalizio sowie Overbeck's Geschichte Josephs gemeint.
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