> Gedichte und Zitate für alle: Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1804-3 (38)

2019-10-02

Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1804-3 (38)






1804, 10. October.
Mit Johann Heinrich Voß d. J.



Ich werde viel recensiren und es wird mir leicht werden, da ich in vielen Recensionen, z.B. in den mythologischen, Goethes Beistand habe. Noch heute Morgen sagte er zu mir: »Nun kommen die traulichen Winterabende, da wollen wir zusammen lesen und brav recensiren.«


1804, October (?).
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Ich bin gewöhnlich bei Goethe, wenn seine Familie mal verreist ist. Nun war Riemer mit August und der Vulpius nach Oberweimar gefahren, um dort einer Fête beizuwohnen. Goethe schickte also um 5 Uhr zu mir, ob ich nicht zu ihm kommen und den Brunckischen Sophokles mitbringen wollte. Als ich zu ihm kam, fand ich's gar behaglich bei ihm. Er hatte eingeheizt, hatte sich ausgezogen bis auf ein wollen Wämmschen, worin der Mann sich gar prächtig ausnimmt. Nun bot er mir freundlich und liebreich die Hand und schüttelte sie recht treuherzig. »Ja,« sagte er, »die Jugend ist verreist und springt in der Welt herum, nun wollen wir Alten zusammen sein.« (Er weiß nämlich, daß ich der alte Ehrwürdige heiße.) Bis gegen 7 Uhr hin sprachen wir; dann kam Licht und nun fingen wir an griechisch zu lesen. Ich übersetzte ihm erst den langen Chor aus der »Elektra«. Und dann fingen wir an, den »König Ödipus« zu lesen. Ich hatte Deine [Solger's] Übersetzung mitgebracht; daraus hat Goethe mit inniger Freude bis zum ersten Chor mit lauter Stimme declamirt. »Der versteht's!« sagte er einmal, »aber er ist noch glücklicher Anfänger in der Kunst.« Noch dröhnt mir in den Ohren, wie prächtig er den Vers [23 f.]

vorzutauchen strebt bereits
Umsonst ihr Haupt aus Tiefen blut'gen Wogen-
schwalls 

 declamirte, da wünschte ich, daß Dir die Ohren klingen möchten, und wer weiß, ob's nicht geschehen ist... Solche frohe Tage soll ich noch oft erleben. Ich sagt' es ihm selbst einmal, wie es mich glücklich macht, daß er nicht gleichgültig gegen mich ist, und erhielt ein treuherziges »Gutes Kind!« mit Kuß und Händedruck dafür zur Antwort. Ja, er behandelt mich wie einen zärtlich geliebten Sohn. Schon seit lange darf ich unangemeldet zu jeder Tageszeit, so oft ich will, zu ihm auf's Zimmer kommen, was wahrhaftig bei Goethe nichts Geringes ist. Heute Morgen war ich schon vor 7 Uhr bei ihm.
– – – – – – – – – – – – –
Goethe ist jetzt mit der neuen Ausgabe seiner gesammten Werke beschäftigt. Daß er den »Götz von Berlichingen« umgearbeitet hat, wird Dir bekannt sein; er ist jetzt so angeschwollen, daß die Aufführung sechs Stunden währt. Das erste Mal kamen wir halb 12 Uhr aus dem Theater; jetzt wird die Aufführung getheilt: das erste Mal giebt man drei Acte und dann vierzehn Tage darauf die beiden andern. Das zweite Mal indeß wird des Zusammenhangs wegen der dritte Act repetirt, so daß wir diesen in Zukunft am öftersten sehen werden. Wie ist der gute Papa jetzt fröhlich über dieses Stück! Er sagte mir neulich: »Die Narren« (vielleicht auch auf Babo hindeutend) »haben es sich recht angelegen sein lassen, die regellose Form meines alten ›Götz‹ nachzuahmen, als ob ich die mit Bedacht gewählt hätte! Damals verstand ich's nicht besser und schrieb hin, was mir in den Sinn kam.« – Denke Dir, Solger! Wir haben bei dieser Gelegenheit Hoffnung, daß der ganze »Faust« erscheint; Goethe wird ihn jetzt schwerlich als Fragment drucken lassen, besonders da er so manchmal die Empfindung im Herzen nährt, daß man jetzt eilen müsse, bevor die ewige Nacht eintritt.
1804, October. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Die Recension von der »Eugenie« [von Delbrück] ist sehr brav und hat Goethe Freude gemacht. Er sagte mir: »Nur an einigen Stellen hätte der Recensent den Bohrer noch einpaarmal umdrehen müssen, aber er bohrte doch wenigstens jedes Mal in der geraden Richtung.« – Goethe sagte: »Es thut mir wohl, doch jetzt in einem Zeitalter zu leben, wo man gerade das versteht, was ich haben wollte.« Dann fügte er hinzu: »Wenn ich doch eine so gründliche Beurtheilung vor fünfundzwanzig Jahren an meinem ›Götz von Berlichingen‹ und meinem ›Werther‹ erlebt hätte!« Er fand nicht daran Wohlgefallen, daß er war gelobt worden, sondern daß er war gründlich verstanden worden. Dann setzte er aber hinzu: »Wenn nun ein Fremder verstanden hat und zugleich billigt, so ist das natürlich eine doppelte Freude.«

1804, November. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J. 


Manchmal geht es auch (dente Theonino) recht über Böttiger her, oder über Ast's »Crösus«, und da werden denn die guten Leutchen nicht bloß bei den Haaren, sondern auch bei dem Felle gezaust. Dem Böttiger ist er so gram, daß er ihm auch nicht Ein gesundes Haar läßt. Sonst ist Goethe mild und schonend, nur gegen das Capitel Schlecht ist er streng und unerbittlich, recht um zum Ersatze gegen das Gute recht vom Grunde gerecht sein zu können. Du wirst bald in der Literaturzeitung eine heftige Drohung gegen mich vom Dr. Ast lesen für die Recension seines Sophokles. Ich hatte sehr schneidend geantwortet – und gewiß auch treffend; als ich es aber Goethen vorlas, schüttelte er bedächtig den Kopf und sagte: »Ich muß es Ihnen nur gerade heraussagen, Sie sind ein Hitzkopf. Wollen Sie denn mit Gewalt eine Feindschaft fortsetzen, die Ihnen über kurz und lang selbst den Sophokles verleiden wird?« Endlich sagte er: »Überlassen Sie mir die Antwort! Einen Stoß sollen Sie ihm wieder versetzen, aber nicht durch Leidenschaft, sondern durch Ruhe. Glauben Sie mir« – fuhr er fort – »er wird sich mehr ärgern, wenn Sie sich durch Ruhe eine Superiorität über ihn beilegen, als wenn Sie mit gleicher Leidenschaftlichkeit erwiedern. Dieses erwartet er, jenes wird ihn stutzig machen. Dazu« – sagte er endlich – »sind wir Alten ja da, daß wir die Jugend vor Unbesonnenheiten warnen; als wir jung waren, machten wir es selbst nicht besser, aber es hat uns Verdrießlichkeiten zugezogen in zahlloser Menge.« Nun, lieber Abeken, sollst Du dich freuen, wie Goethe den Ast in meinem Namen abgefertigt hat.1Ast will bald in einem philosophischen Gespräche beweisen, daß noch kein Mensch es verstanden habe, die Alten zu übersetzen; er will der neue Messias werden und meinen Vater zum Johannes machen. Über den ungenannten Übersetzer des »Ödipus« soll Ast sehr aufgebracht sein, vermuthlich weil er ihn fürchtet. Da mag sich Solger ein wenig durch Goethes Beifall trösten; denn Goethe sagte neulich, daß er in diesem trotz aller Härten und Unbiegsamkeit, die den beginnenden charakterisirt, doch einen schönen Übersetzer des Sophokles vorausahndete. »Die rauhen Ecken werden sich schon abschleifen, und dann,« sagte er, »haben wir einen Sophokles.«

Ich habe in der vorigen Woche Goethen einen Act aus »Richard III.« metrisch übersetzt gebracht, der ihm viel Freude gemacht hat. Nun hat er mich gebeten den »Othello« für die Bühne zu bearbeiten, wobei er mir helfen will.

1 Darnach bestätigt sich meine Vermuthung, – »Goethes Briefe an Eichstädt« S. 267 f. – daß die »Antwort des Recensenten« im »Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung« von 1804, Nr. 141 von Goethe verfaßt ist.



1804 (?). 
Mit Ludwig Robert 


Als ich einst, ich glaube im Jahr 1804, bei Goethe zu Tisch war, kamen Almanache, der Chamisso-Varnhagensche war auch darunter, und Goethe nahm einen nach dem andern, hielt sie an seine und seiner Frau Ohren und fragte: »Hörst Du was? Ich höre nichts. Nun, wir wollen die Kupfer betrachten, das ist doch das Beste.« Und so legte man die Almanache beiseite.


1804. 
Allgemeines über Goethes Gespräche 


Wenn ich [Voß] sagte, daß Goethe's Gesprächen so viel Allgemeines zugrunde läge, so ist das nicht so zu verstehen, als ob er abstractes Zeug, wie im Athenäum, in Sentenzen spräche; ich meine nur das Ideenreiche dieses so geistreichen Mannes, das aus jeder Hülle und Einkleidung so klar hervorleuchtet. Ich möchte Goethen den populärsten Philosophen nennen, der uns auch bei den geringfügigsten Gegenständen wahre Weisheit in die Seele redet. Seine Weise, die Menschen zu betrachten, ist ganz die eines contemplativen Naturforschers im edleren Sinne des Worts. Kein Mensch ärgert ihn, wenn er einen bestimmten Charakter hat, selbst ein Kotzebue, sogar ein – – [Böttiger?] nicht. Er denkt: so hat ihn einmal der liebe Gott, der von allen Arten etwas giebt, geschaffen, und ist er nicht positiv, so ist er doch negativ zum allgemeinen Heile nothwendig. Freilich, wenn er zum Wohle des Allgemeinen wirken soll, so hat diese Toleranz auch bei ihm ihre Gränzen; wenn ein Klotz im Wege steht, da wird er beiseite geschafft, damit die Bahn frei werde, und je hartnäckiger der Widerstand, je heftiger die Gewalt, ihn fortzuschaffen. Ich habe ihn zornig gesehen über Eseleien und Teufeleien, aber es war der Zorn des Gerechten, ein schneidender, kraftvoller Unwille, nicht zügellose Leidenschaft und Ereiferung. Nie sind Goethe's Forderungen an die einzelnen Menschen unbillig, sie richten sich nach der Fähigkeit jedes Subjectes, aber was einer leisten kann, das fordert er ganz und ungetheilt. So ehrt und schätzt er jedes Talent, jede noch so kleine mechanische Fertigkeit. Aber kein Charakterloser fand. Gnade vor seinen Augen. Die Losung: es ist doch ein guter Mensch! ist ihm unausstehlich. Und wehe dem, der seine Erwartungen und sein Zutrauen durch träges, hartnäckiges Stillstehen, durch Schlaffheit oder gar Scheinsucht statt des reellen Werthes zu täuschen anfängt. Anfangs ist er noch milde und sucht schonend zum Guten zurückzulenken; hilft es nichts, so wird er zornig und wendet sein Antlitz auf ewig.


1804. 
Mit Friedrich Wilhelm Riemer 


»Äschylus und Sophokles führen den Pylades nur stumm ein; Orest und Pylades sind ja Freunde, Eine Seele in zwei Leibern, also was der eine denkt und sagt, thut der andere auch.« –

»Die alte Tragödie bei Äschylus hat Ähnlichkeit mit den alten tragischen Balladen, besonders den schottischen. Vielleicht ließen sich diese auf alte Weise zu Dramen machen.«


1804 (?). 
Über einen Vers in »Hermann und Dorothea«

Einen prosodischen Fehler, einen Vers mit überzähligem Halbfuß, nämlich

Ungerecht bleiben die Männer und die Zeiten der Liebe vergehen 

rügt das Morgenblatt von 1808, Nr. 123, mit Bedauern, daß der Vers unverbessert geblieben, aber – setzen wir hinzu – mit Bewußtsein und Absicht in die letzten Ausgaben mit eingewandert. Ich [Riemer] hatte Goethen bereits aufmerksam darauf gemacht; weit aber der Vers ohne sein proverbialisches Ahnsehn zu verlieren und eine gewisse grata negligentia einzubüßen nicht wohl zu ändern war, ich mich auch erinnerte, daß F. A. Wolf, einmal von diesem Verse sprechend, ihn nicht nur entschuldigt, sondern auch durch Homerische Beispiele erläutert habe, so ließen wir ihn stehen oder hingehen. Nun machte später auch H. Voß, der Sohn, auf ihn aufmerksam, und Goethe soll, wie jener erzählt, gesagt haben: die siebenfüßige Bestie möge als Wahrzeichen stehen bleiben.



Keine Kommentare: