1815, 8. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 10. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Sonntag den 10. abends bei Goethe. Feuerwerk in der Schwimmschule auf dem Main. Meine erste Kunstliebhaberei war Rubens in der Düsseldorfer Gallerie. Ich lese den Ardinghello. Gespräch über Heinse; Zügellosigkeit des Genies; über Stil; Wieland gerühmt. Ich äußere wieder den Wunsch, den Winter in Weimar zuzubringen, um mir bei meinen schriftstellerischen Versuchen Rath zu holen. Er räth abermals ab. Seine Heiden machen es ihm, der er doch selbst ein Heide sei, oft zu arg; das sei nichts für mich; ich würde bloß auf ihn reducirt sein, das sei zu wenig, weil er mich nicht oft genug in freier, vertraulicher Ruhe sehen könne. Er zeigt mir das Werklein, es ist schon fingerdick angewachsen, er hat dem Herzog schon davon geschrieben. Ich frage nach dem Titel, ob: Von Kunst und Bildung am Rhein; er meint: Von Kunst und Alterthum im südwestlichen Deutschland! Ich will gern den Rhein genannt haben, es ist bezeichnender, charakteristischer. Ja, meint er, da müsse auch der Meyer [Main?] nicht vergessen werden u.s.w. Er wünscht noch Zusätze zu meinem Entwurf. Goethe sagt, er habe sich oft gefragt, warum er sich mit so vielerlei Dingen abgegeben? Habe doch so entschiedene Anlage und Neigung zum Dichten, warum er nicht allein dabei geblieben? warum er sich auch in die Wissenschaften gewagt, und es ihm keine Ruhe gelassen, selbst in Italien nicht. Ich meinte, er habe seinem Zeitalter die Schuld und Buße bezahlen müssen; er stimmt ein.
1815, 11. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Begegnet mir Goethe in der Fahrgasse, maulaffend. Er nimmt mich mit, wir gehen in das Münster, ins Conklave u.s.w. Der üble geringe Eindruck des Gebäudes in der Jugend wird ihm begreiflich. Wir wandern durch die Messe am Main; alle Landschaften werden bedacht, die ihre Produkte und Waaren hieher senden. Freude, daß die Welt, das Leben für Bedürfnisse sich immer gleich bleiben. Ein Trost für die Seelenwanderer. Wir kamen endlich zum Krahnen. Goethe fragte nach allen Kisten und Fässern, was darin sei; wandte sich an einen jungen Schiffer, der war von Linz, sprach ganz kölnisch; wir wanderten unter die Bäume, wo der Wein gelegt zu werden pflegt, und dann nach Hause.
Es kommt die Rede auf die Zeichnungen von Cornelius, Overbeck und andern bei Wenner, die ich sehen soll, da fehle an allen etwas. Im jetzigen Zustand der Kunst sei bei vielem Verdienst und Vorzügen große Verkehrtheit; die Bilder von Maler Friedrich können eben so gut auf den Kopf gesehen wer den. Goethes Wuth gegen dergleichen; wie er sie ehemals ausgelassen, mit Zerschlagen der Bilder an der Tischecke, Zerschießen der Bücher u.s.w.; er habe sich da nicht erwehren können, mit einem Ingrimm zu rufen: das soll nicht aufkommen! und so habe er irgend eine Handlung daran üben müssen, um seinen Muth zu kühlen. Ich erinnere an Jakobi, Woldemar u.s.w. Goethe: »Ja deßwegen haben die Hamburger, die Reimarus und Consorten, mich nie leiden können, immer nur gesagt, ich sei ein scharfsinniger Mensch, habe dann und wann gute Einfälle.« Der Reimarus'sche Theetisch sei im Privatisiren ein Stichwort der Weimarer Heiden. Ich bemerke, es seien in Frankfurt viele Kunstsammlungen, mehr als ich gedacht, und bei so viel Leben, Handel und Bewegung ließe sich da wohl auch eine schöne Wirksamkeit für uns denken. Goethe meinte dagegen, wir müßten durchaus nach Köln, auch ließe sich in solchen Dingen allein mit einer monarchischen Regierung was rechtes ausrichten.
Er zeigt mir seine Ansicht der altdeutschen Kunst und Behandlung derselben, in einem Beispiel an der Darbringung im Tempel von Eyck. Hier ist die Tradition Unterlage, wirkt gleichsam als Folie, in dem Gemüthlichen, Natürlichen und Vernünftigen, welches alles mit der höchsten Fertigkeit und Talent in Nachahmung der Natur und Behandlung der Farbe verbunden ist. Das Bild befriedigt die Forderung des Natürlichen, Gemüthlichen, Vernünftigen; die Tradition tritt zurück und dient als bloße Folie.
1815, 13. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 15. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Morgens war ich noch mit Goethe bei Serrand. Im Herausfahren war er dankbar dafür, daß ich ihn dahin geführt habe. Er sagte: so einzelne bedeutende Werke sind einem auf einmal mehr, als sonst hundert andere; es war ihm das liebste und lehrreichste in Frankfurt. In Hobbema, in Paul Veronese, in Rubens erscheint die Selbständigkeit der Kunst; wo der Kunst der Gegenstand gleichgültig, sie rein absolut wird, der Gegenstand nur der Träger ist, da ist die höchste Höhe; das erscheint auch im Wouvermann bei Brentano. Schon oft war dies Princip zwischen uns zur Sprache gekommen, zuerst und am auffallendsten am 7. draußen auf der Mühle; nachmittags als von der Beschreibung der Reise der drei Könige von Hemmelink die Rede war. Sie sei nicht recht; man müsse sie nicht mit der Verkündigung, sondern mit den drei Königen anfangen, welche auf den Bergen den Stern beobachten, und die andern Darstellungen episodisch mitnehmen. Sonst sei die ganze Art meiner Beschreibung gut, nur würde er sie nicht so machen, weil er eine ganz andere Ansicht der Kunst habe. Auf meine Frage, worin diese Verschiedenheit bestehe? wollte er anfangs nicht heraus. Es sei eine Antinomie der Vorstellungsart, da helfe alles nichts, sich darüber zu verstehen wäre vergebens. Wir hingen am Gegenstand, und müssen daran hängen, das sei recht, das gehöre zur ganzen Ansicht, aber es sei nicht das Höchste. Der Spielmann sei noch irgend anders begraben. Ich erwiderte, daß ich nicht begriffen, was er meine; ich glaube sehr, daß es einen Punkt gebe, worin wir zusammen kämen, und brauche das Gleichniß von einem Spitzbogen oder Parabel; einerseits setzte ich den Gegenstand, die Bedeutung, andererseits die Form, die Regel, das freie Spiel der Kunst, mit dem Gegenstand. Ich finde das Höchste nur in der Vereinigung von beiden; in Raphael zum Beispiel und in den schönsten antiken Werken. Er mußte sich damit zufrieden stellen, wollte aber nicht recht zugeben, daß es mir Ernst sei. Wir kamen wieder auf den Pantheismus, ich brachte es darauf mit einigen Neckereien, wegen dem Abstrahiren vom Gegenstand, und so waren wir bald im allgemeinen. Er sagte mir, in Beziehung auf meine Arbeiten, auf mein Treiben und Vorhaben, es gehe mir wie dem Seebeck; wir säßen im Fegefeuer, und dächten nicht, daß uns nur eine papierene Wand vom Himmel trenne. Hätten wir nur den Muth, diese durchzuschlagen, so wäre uns geholfen. Im vorigen Jahr hatte er mir gesagt, er hätte Freunde, die treffliche Arbeiten machten, er selbst hätte ihnen Vorschub gethan, ihnen seine Hefte gegeben u.s.w., aber sie könnten nie zur Ausführung kommen, da wäre immer etwas woran es fehle, sie würden nie fertig; das schien er diesmal zu verschiedenenmalen auch von Seebeck zu sagen. Merkwürdige Erfahrung, sagt Goethe, habe er gemacht an den Zeichnungen bei Wenner; keine behage ihm, und da sei doch der Gegenstand nicht Schuld, denn sie seien aus allen Zeiten. Er habe sich gefragt und gefunden, der Grund liege darin, daß sie alle nicht unmittelbar aus erster Quelle entstanden seien.Mit Sulpiz Boisserée
Goethe hatte der Frau Willemer ein Blatt des Gingko biloba als Sinnbild der Freundschaft aus der Stadt geschickt. Man weiß nicht, ob es eins ist, das sich in zwei Theile theilt, oder zwei, die sich in eins verbinden.
1815, 16. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 16. September.
Abends bei Willemers
Abends bei Willemers
Abends singt Marianne Willemer mit ganz besonderem Affekt und Rührung: »der Gott und die Bajadere«. Dann: »kennst du das Land« und mehreres andere, ausdrucksvoller als ich es je von ihr gehört. Die kleine Frau bemerkte, und Goethe bestätigte, daß die Zeit während der Musik unendlich langsam gehe; die größten Compositionen drängten sich in einen kurzen Zeitraum zusammen, und scheine einem bei dem größten Interesse, eine lange Zeit verflossen. Nach Tisch liest Goethe den Siebenschläfer, den Todtentanz, das Sonett: »Am jüngsten Tag, wenn die Posaunen schallen.«
1815, 17. September.
Bei von Willemers
Bei von Willemers
Die lustige Stimmung setzte sich auch beim Abendessen fort, die Frauen brachten allerlei Späße vor, wozu die Gegenwart des Herrn Mieg Anlaß gab; es waren meist Erinnerungen ihrer italienischen Reise. Dann wurde, weil wir auf der Mühle waren, viel Scherz getrieben mit der Anspielung auf die Müllerin, und auf den Müllersknecht: an dem ist nichts zu verderben. Man bat Goethe wegen Herrn Mieg darum, noch etwas zu lesen, und die kleine Müllerin schmückte sich mit ihrem Turban und einem türkischen Shawl, den Goethe ihr geschenkt hatte. Es wurde viel gelesen, auch viele Liebesgedichte an Jussuph und Suleika. Der Todtentanz wurde gesagt und anderes. Willemer schlief ein und wurde darum gefoppt. Wir blieben deßhalb desto länger zusammen, bis ein Uhr. Es war eine schöne Mondscheinnacht. Goethe will mich in seinem Zimmer noch bei sich behalten; wir schwatzen, dann fällt ihm ein, mir den Versuch mit den farbigen Schatten zu zeigen, wir treten mit einem Wachslicht auf den Balkon und werden am Fenster durch die kleine Frau belauscht.
1 Irrig.
1815, 18. September.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Nachmittags fuhr ich mit Goethe durch den Wald nach Darmstadt, schöne Lichter spielen an den Baumstämmen und auf dem Rasen. Wir kamen von dem Gesang der Willemer auf Musik, auf Mozart zu sprechen. Dann las er mir ein Lied eines Freiwilligen, sehr hübsch, naiv und ironisch zugleich, durch eine gewisse Selbstgefälligkeit. Es kommt in die neue Ausgabe, hinter »Vanitas Vanitatum« zu stehen.
1815, 19. September.
Mit Sulpiz Boisserée und Georg Moller
Mit Sulpiz Boisserée und Georg Moller
Beim Nachtessen war Primavesi, er sprach abgeschmacktes Zeug über Dekorationen, rühmte seinen Mondschein mit künstlichem Mond, und will auch eine künstliche Sonne auf's Theater bringen: eine Glaskugel mit altem Rheinwein gefüllt, weil keine gefärbte Flüssigkeit so prächtig, klar u.s.w. sei. Ironie half nichts gegen ihn. Goethe erzählte von Mondschein in Rom, ohne allen Mond, in einer sehr schönen Dekoration. Man wählt dazu Architektur mit krausem mannigfaltig verziertem Umriß, ganz dunkel auf dem Himmel abgeschnitten, davor eine Mauer und niedrige Gebäulichkeiten ganz hell wie von Mondschein beleuchtet.
1 Jedenfalls den 18.
1815, 20. September.
Mit Sulpiz Boisserée und Anton Thibaut
Mit Sulpiz Boisserée und Anton Thibaut
Dann kamen wir auf den »Faust« die Fortsetzung desselben. Über Goethes Werke überhaupt. Meisters Wanderungen. Novellen. Auf die bestimmte Zahl der verschiedenen möglichen Liebesverwicklungen. Ich brachte das Gespräch auf seine Naturansichten, auf die versprochene Formenlehre. Die Metamorphose ist in Allem, auch in den Thieren. Der Kopf ist nichts anderes, wie ein Wirbelbein. Diesen Gedanken hat ihm Oken gestohlen, als er denselben abends bei Fromanns aussprach, und ihn auf der Stelle in einer schon in der Druckerei befindlichen Abhandlung oder Programm eingerückt. – Goethe sprach den Wunsch aus: jetzt, da wir einmal auf dem Weg sind, sollten wir nur sofort nach München und Italien fahren. Wir kamen zu Mittag nach Heidelberg.
Thibaut bekennt, daß er Unrecht gehabt in Vertheidigung von Görres, im vorigen Jahr. Goethe erwidert uns darauf: »Ja, lehrt mich die Welt nicht kennen. Ich habe gleich, als der Enthusiasmus los ging, den Fluch des Bischofs Arnulphus über alles deutsche politische Gerede ausgesprochen, und mir dadurch die Qual vom Halse gehalten. Wie sie mir nur davon anfingen, hub ich gleich an: ich verfluche euch u.s.w. Da waren sie bald still und ließen mich ungeschoren.«
1 Mittwoch war der 20.
1815, 21. September.
Mittag bei Sulpiz Boisserée
Mittag bei Sulpiz Boisserée
1 Donnerstag war der 21.
1815, 23. (?) September.
Mittag bei Sulpiz Boisserée
Mittag bei Sulpiz Boisserée
1815, 29. September.
Bei Boisserées Gemäldesammlung
Bei Boisserées Gemäldesammlung
[In S. Boisserée's Tagebuch steht am 29. September: »Ankunft des Herzoges von Weimar. Die Thurm risse werden in Goethes Zimmer aufgehängt.«]
1815, letztes Drittel im September.
Mit Georg Friedrich Kreuzer
Mit Georg Friedrich Kreuzer
1815, letztes Drittel im September.
Mit Wilhelm Grimm
Mit Wilhelm Grimm
1815, letztes Drittel im September.
Mit Louis [Ludwig] Grimm
Mit Louis [Ludwig] Grimm
1815, 1. October.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 2. October.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
1815, 3. October.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Alte Erinnerungen: wie oft Goethe den Pfad durch die Gerbermühle gegangen nach Offenbach zur Schönemann. Liebesgeschichte. Seine Lieder an Lilli. Braut und Bräutigam. Wie sie allmählich von einander entfernt worden durch einen Dritten, ohne es selbst zu wissen. Religionsverhältnisse waren erster Anlaß, sie ist reformirt, er lutherisch. Sie sind unglücklich, wie die Kinder, die ein Leid haben, und es sich wechselseitig klagen und nicht wissen warum. Dorville, ein Pfarrer, ist im Spiel. Sie hat ihm den größten Theil ihrer höhern Bildung zu danken. Vorher Gleichgültigkeit gegen die Welt, wie es sich bei Mädchen in einem reichen Kaufmannshaus, die alle Tage von Gesellschaft umgeben sind von frühester Jugend her, leicht einfinden muß, wenn sie nicht selbst flach und leer sind. – Er spricht von seiner Verlegenheit wegen dieser Geliebten, die Lebensbeschreibung fortzusetzen; ich suche sie ihm auszureden. Vor vierzig Jahren reiste er auch nach Karlsruhe; er werde da Jung Stilling wieder sehen, dem er seitdem nicht begegnete. Die Schönemann müßte auch da sein. – Lebensbeschreibung, Composition. – Ich erinnere an sein Gedicht von der Schöpfung, das er dieser Tage gemacht hat, worin nur ein Gedanke verkehrt war, und die ganze Composition gestört und verdorben hat. Er fand's nachher und warf ihn heraus. Er hatte mir versprochen, dies als ein merkwürdiges Beispiel ausführlich vorzulegen, wie es bei der Composition oft auf ein einzelnes Wort ankomme. Doch nun wollte er den falschen Vers nicht sagen, sondern hielt sich im Allgemeinen. Das Gedicht ist sehr dunkel und metaphysisch. Nach der Handlung der Schöpfung fühlt sich Gott zum erstenmal einsam! – Dies gibt mir dann Anlaß von seinen Naturansichten zu reden, und von seinem Vorhaben ein Naturgedicht zu schreiben. Er verwirft es jetzt. Man ist zu sehr gebunden. Besser einzelne Gedanken, wie die Gedichte des Divan, die man nach her in ein Ganzes ordnet. Ich muntere ihn dazu auf. Er geht darauf ein, und sagt: »Ja, einen Anlaß muß man doch zu Allem haben, und so wollen wir von Heidelberg gleich zwei Buch Baseler Papier mitnehmen, darauf schreibe ich so gerne, die lassen wir in einzelne Blätter schneiden.« Ich bitte mir aus, sie ihm schenken zu dürfen. Er erzählt mir von seiner philosophischen Entwicklung. Philosophisches Denken; ohne eigentliches philosophisches System. Spinoza hat zuerst großen und immer bleibenden Einfluß auf ihn geübt. Dann Baco's kleines Traktätchen, de Idolis; Eidôleis, von den Trugbildern und Gespenstern. Aller Irrthum in der Welt komme von solchen Eidôleis (ich glaube, er nimmt deren zwölf hauptsächliche an). Diese Ansicht half Goethe sehr, sagte ihm ganz besonders zu. Überall suchte er nun nach dem Eidolon, wenn er irgend Widersprüche fand, oder Verstockung der Menschen gegen die Wahrheit, und immer war ein Eidol da. War ihm etwas widerwärtig, stieß man gegen die allgemeine Meinung, so dachte er bald, das wird wieder ein Eidol sein, und kümmerte sich nicht weiter. So reiste er nach Italien; da besonders wurde er immer von philosophischen Gedanken verfolgt, und kam er auf die Idee der Metamorphose. Als er nachher Schiller in Jena sah, theilte er ihm diese Ansicht der Dinge mit, da rief Schiller gleich: Ei, das ist eine Idee! Goethe mit seiner naiven Sinnlichkeit sagte immer, ich weiß nicht, was eine Idee ist, ich sehe es wirklich in allen Pflanzen u.s.w. Nun wollte er sich doch auch mit der Sprache und dem System dieser Männer bekannt machen, so kam er durch Schiller an die Kantische Philosophie, die er sich von Reinhold in Privatstunden vortragen ließ u.s.w.
Ich erzählte dagegen von unserer philosophischen Bildung, überhaupt von unserer Bildung durch Schlegel; unsere Geschichte wieder von einer andern Seite, von der literarischen. Von der Architektur; meine Ansicht der Geschichte der christlichen Architektur von den ältesten Zeiten. Mosaik. Liturgie etc. etc. Dann breche ich ab oder bleibe stehen, weil ich mein Geheimniß nicht verrathen will, sondern verspreche nur, daß es sich schön und sehr einfach machen wird. So sind wir dann an den Wünschen für die Zukunft angelangt. Goethe meint, von Frankfurt aus müsse man immer den Rhein auf- und abwärts fahren und so sein Wesen treiben.
Wir kamen nach Karlsruhe. Mittags-Essen auf dem Zimmer. Vertraulichkeiten. Unwillkürliche Eröffnung von einem Herzensverhältniß von meiner Seite. Nachher gehen wir zum alten Jung Stilling; werden von der Frau nicht erkannt, und von ihm kalt aufgenommen. Er muß morgen mit Elberfeldern nach Baden fahren. Anstalten zum Thee sind gemacht, wir werden nur von der Frau dazu eingeladen, diese ist nun die theilnehmendere. Er stichelt auf den Geheimerath. Goethe auf den Bischof; der Alte wirft sein schwarzes Käppchen weg, Goethe zwingt's ihm wieder auf. Dann müssen wir in die Studierstube, wo noch alle Geburtstagskränze und Geschenke: kleine schlechte Zeichnungen, Kupferstiche, Porträte von Minister Stein, Kaiser Alexander, Lavater u.s.w., alles durcheinander lag. Goethe, der so herzlich und jugendlich wie möglich, war tief gekränkt durch diesen Empfang; am meisten aber durch die Äußerung Jungs: »Ei, die Vorsehung führt uns schon wieder zusammen!«
1815, 4. October.
In Karlsruhe mit mehreren
In Karlsruhe mit mehreren
Hebel mahnte nun an den Besuch im Naturaliencabinet. Goethe lud mich freundlich zum Mitgehen ein: indem man in allen Gebieten der Natur immer wieder Neues und Erbauendes und Förderndes erblicke. So wanderten wir denn dahin: Goethe, Hebel, Gmelin, Boeckmann der Physiker, Weinbrenner und ich; unterwegs stießen noch Haldenwang und der Landschafter Hofmaler Kuntz zu uns. Am Eingang zum Naturaliencabinet fand sich noch eine der merkwürdigen Karlsruher Gestalten ein, der Hofmaler Iwan, ein Kalmücke, der vom Kaiser von Rußland der Markgräfin Amalie als Leibeigner geschenkt worden, hier natürlich der Freiheit und seinem Hange gemäß der Erziehung zum Zeichner genossen, als solcher in Italien und Deutschland sich einen recht hübschen Namen erworben hatte, halb deutsch, halb kalmückisch sich kleidete, gewöhnlich gutmüthig und jovial, aber wenn der Wein ihn belebte, was ihm häufig geschah, ein schroffer Geradeaus voll kaustischer Kritik und unsauberer Witze. Sein Auftreten verrieth einen solchen Zustand. Goethe... schien nicht sehr angenehm berührt durch dieses Zusammentreffen und erwiederte die überherzliche Begrüßung mit zugemessen majestätischer Höflichkeit. Wir alle besorgten eine Störung unseres Genusses durch den Aufgeregten, da kam glücklicherweise ein Hoflakai außer Athem mit dem Bescheide, daß er augenblicklich zum Großherzog kommen solle. Mit einpaar gesunden Flüchen machte sich der Vierschrötige auf den Weg und versprach sein baldiges Eintreffen im Naturaliencabinet. »Ausgestopft müßte er sich dort gut ausnehmen,« bemerkte Goethe lächelnd zu Gmelin.
– – – – – – – – – – – – – – – –
Sie [Goethe und Gmelin] standen vor der Gruppe der verfänglichsten Muscheln. Lachend hielt Gmelin eine davon hoch empor, nannte Goethen ihren Namen lateinisch, entwickelte lateinisch ihre Aehnlichkeit mit menschlichen Theilen und stellte darüber sehr erbauliche Betrachtungen an. Goethe hörte ihn behaglich an, lächelte wie Jupiter, wenn Frau Venus ihn streichelt, deutete auf eine andere Muschel und pries deren noch anschaulichere Ähnlichkeiten ebenfalls lateinisch, mit heiterer Emphase, wobei er freilich hin und wieder den rechten Ausdruck erst suchen mußte ..... Die beiden kamen an andere Gegenstände, Gmelin war wieder rein wissenschaftlich geworden, Goethe hatte ein andres Gesicht angezogen, beide sprachen unwillkührlich wieder deutsch. Die Beschauung und die Reflexionen dauerten noch ziemlich lange; endlich kam man zum Schluß. Goethe lud sehr freundlich zum Nachmittag in das physikalische Cabinet ein, wo Herr Hofrath Boeckmann einige interessante Experimente zu machen, die Güte haben würde.
1815, 4. October
Bei Karl Christian Emelin
Bei Karl Christian Emelin
1815, 5. October.
Mit Boisserée,
Mit Boisserée,
Dazwischen sagte er dann wohl einen heitern Vers. So kamen wir müde, gereizt, halb ahndungsvoll, halb schläfrig, im schönsten Sternenlicht, bei scharfer Kälte nach Heidelberg.
1815, 6. October.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Freitag den 6. morgens will Goethe plötzlich fort, er sagte mir: »Ich mache mein Testament.« Wir bereden ihn mit großer Mühe, noch einen Tag auszuruhen, und übermorgen zu reisen. Die Jagemann hat ihn mit den andern Damen gedrängt, er soll nach Mannheim kommen, zu Tableaux und Attituden. Er fürchtet den Herzog. Er ist sehr angegriffen, hat nicht gut geschlafen, muß flüchten. Er gibt mir einen Theil seiner Gedichte zum lesen für Melchior und Bertram.
1815, 7. October.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Im Wagen erholt sich der Alte allmählich. Die Sicherheit nicht mehr vom Herzog oder der Jagemann erreicht zu werden, beruhigt ihn sichtbar. Gespräch darüber. Deutsche Politik, Verhältnisse; die Forderungen des Adels und der Bürger hält er nicht für gefährlich. Ständische Verfassung; es sei keine Umwälzung zu befürchten, wenn nur die Fürsten halbwegs ihren Vortheil kennen, und einigermaßen den gerechten Wünschen entgegen kommen wollten. Die heftigen Volksmänner seien nichts weniger als beliebt. Aristokratismus im eigentlichen Sinne sei das einzige und rechte. Er spricht seine Freude darüber aus, daß ich mich in nichts verwickelt habe, trotz der vielen Lockungen und Gelegenheiten.
Goethe hat immer eine Scheu vor allen politischen Dingen gehabt. War auch einmal in einer Art Verschwörung durch seinen Herrn, damals, als man die Übermacht Friedrichs des Großen fürchtete. Es bestand eine geheime Verbindung bei dem alten Fürsten von Dessau; der Kronprinz von Preußen war darin. Nachher wurde dieselbe Veranlassung zum Fürstenbund, obwohl es anfangs gegen Preußen ging. Herr von Dohm erhielt noch vor einiger Zeit, zur Geschichte des Fürstenbundes, Aufschlüsse hierüber von Goethe.
Neukatholiken. Spottgedicht auf sie. Kinderspiel. Messe. Katholiken und Protestanten friedlich durcheinander in einer Stadt. Auf einem Speicher hing ein Seil, das mußte statt der Glocke dienen, daran zogen sie um die Wette und schrieen: bim bam. Und so wiederholten sie ohne Schonen die sämmtlichen heiligen Funktionen.1 Soll in die neue Ausgabe der Gedichte kommen; ich billigte es, er schien noch Zweifel zu haben.
Abends in Neckarelz. Kaltes Zimmer. Goethe war munter, vergaß die Kälte, indem er mir von seinen orientalischen Liebesgedichten vorlas. Wir schliefen in einer Stube. Es ist ihm lieb, daß ich bei ihm bin, er hatte wirklich eine Krankheit befürchtet.
1 »Pfaffenspiel.«
1815, 8. October.
Mit Sulpiz Boisserée
Mit Sulpiz Boisserée
Noth, die der Herzog mit der Familie Jagemann hat. Die Schwester derselben, Frau von Dankelmann, mit ihren Kindern ist ihm auch auf dem Hals. Den Dankelmann hat man in Eisen ach einsperren müssen. Nun hat der Herzog, außer seinen eigenen Kindern, zugleich noch für diese zu sorgen, im Ganzen für acht. Gutes Benehmen des herzoglichen Hauses gegen die Jagemann und diese Kinder. Der Erbprinz besucht sie und spielt mit diesen kleinen Geschwistern. Doch ist die unvermeidliche Spannung eines solchen Verhältnisses fühlbar. Großfürstin Maria; Lob derselben; edle Weise sich zu beschäftigen. Goethe steht sehr gut mit ihr; Meyer ist ihr Vertrauter. Sie hat ihre Freude an der Kunst; ist sehr zart, nicht glücklich.
Die Großfürstin Catharina ist ganz anders; durchaus politisch in Allem. Sie sagte in Wiesbaden noch: die Kunst mache ihr keinen Eindruck, hätte kein Interesse für sie; am meisten noch die Architektur, weil man da eine Menge Menschen beschäftigen, und dem Staat Glanz und Würde geben könne. In Buchen begegneten wir Herrn v. Türk von Yverdun mit Familie und mehreren Kindern, wahrscheinlich auch Zöglingen, einen ganzen Schweizer Postwagen voll, neun oder zehn Personen. Er hatte in der Schweiz ein Erziehungshaus und wird nun von Preußen als Oberschulrath nach Frankfurt a. d. O. berufen.
Goethes Klagelieder über das heutige Erziehungswesen. Versuchen, Tasten und Wandern nach der wahren Erziehungsart! Liebesgeschichten wechselseitig. Deutsche mögen gern die naiven, ruhigen, nicht die leidenschaftlichen Frauen. In Hardtheim Mittagessen. Ein junges, frisches Mädchen bedient uns, ist nicht schön, hat aber verliebte Augen. Der Alte sieht sie immer an. Kuß. – Abends im Dunkel nach Würzburg. Im Pfälzischen Hof Verwirrung mit der Türk'schen Familie; man sondert uns wieder von ihr. Große gewaltige Räume, wie eine Abtei. Es ist das alte Schönborn'sche Haus.
1815, November (?).
Mir Friedrich August Koethe
Mir Friedrich August Koethe
Ich bemerke gleich, daß Goethe für den Fall, daß sein Bild noch den ersten Band zieren soll, (er meinte: »Ei, ei! In so vornehmer Gesellschaft!«) sehr empfohlen hat, ein kleines Bild, das im vorigen Jahr der Maler Rabe (in Berlin) in seinem Hause gemalt, zu dem Kupfer zu nehmen.
Zwischen 1812 und 1815.
Weihnachtsfeier bei Georg Wilhelm Lorsbach
Weihnachtsfeier bei Georg Wilhelm Lorsbach
»Eva, verziehen sei dir! es haben ja Söhne der Weisheit
Rein geplündert den Baum, welchen der Vater gepflanzt.«Freudiges Händeklatschen, Lachen und Scherze ertönten allseits bei diesen witzigen Versen und verschönerten den ganzen Abend bis in die späte Nacht.
a.
b.
»Die Neigung zu einer Sache, das ist ja eben der Sinn dafür.«
c.
»Es giebt zwei Welten: wenn die eine zürnt, so fragt die andere nichts danach.« –
1 Die Datirung der Äußerungen a und b vom 15. Juli und vom 21. August 1815 ist falsch, dafern sie in Gegenwart von Riemer gefallen sein sollen; deshalb sind sie allgemein unter 1815 in Frage gestellt.
1815 (?).
Mit Carl Ludwig von Knebel
Mit Carl Ludwig von Knebel
1815 (?).
Mit Beate Lortzing, geb. Elsermann
Mit Beate Lortzing, geb. Elsermann
1815 (?).
Über Dur und Moll
Über Dur und Moll
1815 oder 1816.
Bei Aufführung von »Des Epimenides Erwachen«
Bei Aufführung von »Des Epimenides Erwachen«
Für die Ausstattung hinsichtlich der Decoration, Maschinerie und Costüme war das Möglichste gethan. Neu Uniformen hatte man für die Armeen der Preußen, Russen und Engländer machen lassen .... Goethe überwachte das Ganze mit unermüdlichem Eifer und war bei den Proben äußerst sorgsam, besonders was die Gruppirung betraf. Alle Augenblicke donnerte er ein »Halt!« den Darstellenden zu; dann hieß es: »Madame Eberwein, gut!« – »Madame Unzelmann mehr vor!« – »Herr Wolff! den Kopf mehr lauernd nach rechts gebogen! sonst gut!« – »Herr Oels, sehr gut!« – »Der Darauffolgende schlecht!« und nun begann die Auseinandersetzung. Es war eine Eigenheit Goethes, den Schauspieler, mit dem er unzufrieden war, niemals bei seinem Namen zu nennen; man konnte dies nun nehmen, wie man wollte: als Rücksicht oder Kränkung.
– – – – – – – – – – – – – – – –
Bei dem Siegerzug trat zuerst Blücher mit der preußischen Armee auf, dann Schwarzenberg an der Spitze der Österreicher, dann Wittgenstein mit den Russen und endlich kam Wellington mit den Engländern. Jede dieser Armeen bestand außer den Feldmarschällen und einigen Adjutanten aus zehn Mann Statisten ..... Das Ganze war nach unsern Verhältnissen würdig in Scene gesetzt und machte sich gut. Goethes Ausspruch über Comparserie war: »Die Wirklichkeit, die aus Hunderttausenden besteht, kann auf einem so engen Raume, wie die Bühne bietet, doch nicht verkörpert werden; ob man da zehn oder hundert Mann erscheinen läßt, bleibt sich gleich; man möge sich die andern dazu denken!«
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