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2019-10-02

Woldemar von Biedermann : Gespräche Goethes 1805 -1 (39)


1805



Vor 1805.
Mit Carl Ludwig von Knebel

In den Mittheilungen des Herrn Dr. Vulpius: »Über das Stammbuch von August v. Goethe« (Deutsche Rundschau, 1891, Bd. LXVIII, S. 244) heißt es: »Die Großmutter selbst hat es verstanden, durch einen der sinnigsten Einträge das Stammbuch zu schmücken (S. 164):

Tritten des Wanderers über den Schnee sei ähnlich Dein Leben,

Es bezeichne die Spur, aber beflecke sie nicht.«Da hieraus dem Wortlaute nach leicht der irrthümliche Schluß gezogen werden könnte, das Distichon stamme von Frau Rath selbst, sei daran erinnert, daß Karl Ludwig von Knebel der Verfasser ist. Es steht mit sehr geringer Veränderung in seinem literarischen Nachlaß Band I, S. 95, unter: »Lebensblüthen in Distichen«, und heißt dort:

»Tritten des Wand'rers über den Schnee sei ähnlich mein Leben,

Es bezeichne die Spur, aber beflecke sie nicht.«

Seine Entstehung verdankt es einem heiteren Beisammensein Goethe's, Knebel's und einiger anderer Jenenser Freunde im Hause des botanischen Gartens zu Jena. Während eine lebhafte Unterhaltung die Geister völlig in Anspruch genommen hatte, war draußen der erste Schnee gefallen. Plötzlich bemerkte Goethe das überraschend veränderte Bild, und von dessen Schönheit mächtig ergriffen, schlug er vor, Jeder solle ein Gedicht darauf machen. Knebel trat an das Fenster, blickte eine Zeit lang sinnend hinaus über den Garten, das Thal, zu den Bergen – überall dieselbe blendend weiße, weiche Hülle von frisch gefallenem Schnee. Er nahm ein Blatt Papier zur Hand und schrieb das erwähnte Distichon nieder, und Goethe, der Andere so gern anerkannte, war so entzückt davon, daß er ausrief: »Knebel, für dieses Distichon gäb' ich einen Band meiner Werke hin!«

Die Enkelin Knebel's, der wir das Obige verdanken, schreibt uns dazu: »Diese kleine Episode aus dem Leben meines Großvaters habe ich in meiner Jugend oft und immer genau in derselben Weise erzählen hören, sowohl von meinem Vater als auch besonders anschaulich und lebendig von dem verstorbenen Dr. Theophilus Bayer in Jena, der als Hauslehrer des jüngsten Sohnes K. L. v. Knebel's Jahre lang in dessen Hause lebte und bis zu seinem Tode ein Freund der Familie blieb. Ich kann deshalb für die Wahrheit des Mitgetheilten einstehen.«


1804 oder 1805. 
Über die katholischen Sacramente


Goethe's »Leben« (den zweiten Theil) habe ich [H. Voß] bis zur Hälfte gelesen und mit großem Vergnügen bis auf die Sacramente, in deren allegorischer Darstellung er offenbar dem Zeitgeiste huldigt. Lieber Gott, wie ganz anders habe ich darüber Goethe reden gehört.


1805, 1. Januar. 
Mit Charlotte von Stein


Am Morgen des letzten Neujahrstages, den Schiller erlebte, schreibt Goethe ihm ein Gratulationbillet; als er es aber durchliest, findet er, daß er darin unwillkürlich geschrieben hatte: »der letzte Neujahrstag« statt »erneute« oder »wiedergekehrte« oder dergleichen. Voll Schrecken zerreißt er's und beginnt ein neues. Als er an die ominöse Zeile kommt, kann er sich wiederum nur mit Mühe zurückhalten, etwas vom »letzten« Neujahrstag zu schreiben. So drängte ihn die Ahnung! Denselben Tag besucht er die Frau v. Stein, erzählt ihr, was ihm begegnet sei und äußert: es ahne ihm, daß entweder er oder Schiller in diesem Jahre scheiden werde.


1805, 26. Januar. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Ich wollte, Du hättest Goethe den Abend gesehen, als er Hebel's Gedichte gelesen. Nach neun Uhr abends lud er mich noch ein. »Und wenn Sie im Schlafrock wären,« sagte der Bediente, »Sie sollten nur so zu meinem gnädigen Herrn kommen; er muß Sie noch sprechen.« Als ich kam, sprudelte ein serapiontischer Erguß über die Gedichte, der am andern Morgen um sieben Uhr schon Recension war.


1805, Ende Januar. 
Bei Prinzessin Caroline


Wenn ich [Henriette von Knebel] Dir [Karl von Knebel] nur die Mémoires von Marmontel gleich verschaffen könnte, die wir jetzt .... mit großem Vergnügen zusammen lesen. Wir dürfen sie nicht lange behalten. Marmontel, der von Natur fein jovialisch und gesellig war, sieht den Rousseau ganz in fatalem Licht. Goethe, der die Prinzeß kürzlich besucht hat, sprach hierüber recht gescheidt. Er meint, daß zwar die Freunde, die mit Rousseau in naher Verbindung gestanden hätten, oft übel daran gewesen wären, daß aber Marmontel nicht hoch genug gestanden wäre, um nicht einseitig zu sehen.


1805, Anfang Februar (?). 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Die drei letzten Acte [der Übersetzung des »Othello«] las ich Goethe vor. Am Ende der dritten Scene im dritten Acte rief er mir ein herzlich gemeintes »Bravo!« zu, und da kannst Du [Abeken] leicht denken, daß ich nicht mit kaltem Herzen weiter las. Goethe will es haben, daß ich den »Lear« übersetzen soll und vor einigen Tagen, als ich Deinen Brief empfing, erzählte ich ihm, daß ich von Berlin aus Hilfe erwartete. Bei der Gelegenheit sagte er: es könnten allerdings mehrere an einem Werke übersetzen, nur sei dann nothwendig, daß die einzelnen Theile nicht an einander gereiht, sondern daß sie von einem einzigen redigirt und zur Einheit verbunden würden; wo er denn offenbar recht hat.
1805, Mitte Februar. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Denselbigen Abend kam Stark [Professor der Medicin] aus Jena, (es war am Freitag [den 11. Februar?] Abend) der erklärte, wenn Goethe bis Sonntag früh lebte, so sei Hoffnung da. Aber schon in dieser Nacht hatte die Krankheit umgeschlagen, die Krämpfe hatten nachgelassen, das Fieber war sanfter gewesen und der Geliebte hatte über die Hälfte der Nacht ruhig geschlafen. Um 11 Uhr forderte er mich zu sich, weit er mich in drei Tagen nicht gesehen hatte. Ich war sehr bewegt, als ich zu ihm trat und konnte aller Gewalt ungeachtet, die ich mir anthat, die Thränen nicht zurückhalten. Da sah er mir gar freundlich und herzlich ins Gesicht und reichte mir die Hand und sagte die Worte, die mir durch Mark und Gebein gingen: »Gutes Kind, ich bleibe bei Euch; Ihr müßt nicht mehr weinen.« Da ergriff ich seine Hand und küßte sie wie instinctmäßig zu wiederholten Malen, aber ich konnte keinen Laut sagen .....

Von dem Tage an ist Goethe zusehends besser geworden. Die Nacht vom Sonnabend bis zum Sonntag wachte ich bei ihm, und da hab' ich recht die Fortschritte beobachten können, die er machte. Als er um 12 Uhr zum ersten Mal aufwachte, fragte er mit ängstlicher Stimme: »Hab' ich auch wieder im Schlaf gesprochen?« Wohl mir, daß ich mit gutem Gewissen der Wahrheit gemäß verneinen konnte, was ich jedenfalls gelogen hätte. »Gut!« sagte er nach einer Pause, »das ist wieder ein Schritt zur Besserung.« – Wenn ich ihm dann schmeichelte, so nahm er jedesmal ganz geduldig seine Medicin, aber mit innerer Überwindung. Nun sollte ich ihm aber auch den Leib mit scharfem Spiritus einreiben und, wie der Arzt befohlen hatte, zwei mal des Nachts. Dazu konnte ich ihn nur mit Mühe bringen. Wie ich aber gar nicht ablassen wollte und immer mehr schmeichelte, sagte er endlich ganz ruhig: »Nun denn, im Namen Gottes!« Dann wachte er einmal von einem Traum auf, wo er einem Turniere beigewohnt hatte. Diesen Traum erzählte er mir mit großer Freude, und in dem Augenblicke war er an energischem Ausdruck, an Lebendigkeit, ganz Goethe, trotz seiner Krankheit. Über alles rührte mich seine wirklich väterliche und zärtliche Fürsorge für mich (ob ich mir nun nicht den Kaffee machen wollte – nun nicht ein Glas Wein trinken wollte u.s.w.), wobei er mich dann immer sein gutes Voßchen nannte. Wenn er dann wieder einschlief und sein Gesicht matt beleuchtet wurde, schien er mir immer so leidend auszusehen wie einer, der eben anfängt, sich aus einem unermeßlichen Jammer herauszuarbeiten und noch die Spuren davon in seinen Mienen trägt. Da fielen mir denn die Erzählungen von den fröhlichen Thaten seiner kraftvollen Jugend ein, die ich so manches Mal angehört hatte, und ich konnte nicht umhin, beide Zustände mit ihren schärfsten Contrasten zusammenzuhalten .....

Zwei Tage nach jener Nacht stand er zum ersten Mal wieder auf und aß ein gesottenes Ei. Bald darauf fing er auch wieder an, sich vorlesen zu lassen. Nur hielt hier die Befriedigung schwer: Goethe verlangte launige Sachen, und Du weißt, daß die heutzutage niemand schreibt. Ich brachte ihm Luther's »Tischreden« und las ihm daraus vor. Das ließ er sich gefallen eine Stunde lang. Aber da fing er auch zu wettern und zu fluchen an über die verfluchte Teufelsimagination unseres Reformators, der die ganze sichtbare Welt mit dem Teufel bevölkerte und zum Teufel personificirte. Bei der Gelegenheit hielt er ein schönes Gespräch über die Vorzüge und Nachtheile der Reformation und über die Vorzüge der katholischen und protestantischen Religion.

Ich gab ihm vollkommen recht, wenn er die protestantische Religion beschuldigte, sie hätte dem einzelnen Individuum zu viel zu tragen gegeben. Ehemals konnte eine Gewissenslast durch andere vom Gewissen genommen werden, jetzt muß sie ein belastetes Gewissen selbst tragen und verliert darüber die Kraft, mit sich selber wieder in Harmonie zu kommen. »Die Ohrenbeichte,« sagte er, »hätte dem Menschen nie sollen genommen werden.« Da sprach der Mann ein herrliches wahres Wort aus, wie mir in dem Augenblick recht anschaulich wurde. Ich selbst bin in dem Fall gewesen. Als im vorigen Sommer sich alles vereinigte, mich von Weimar weg nach Würzburg ziehn zu wollen, da fand ich nirgends Trost, so lang ich auf meinem Zimmer war; jedes Mal aber, wenn ich zu Goethe kam und ihm mein ganzes Herz (selbst alle Schwächen meiner Innerlichkeit) wie einem Beichtvater ausschüttete, so ging ich wie mit neuem Muth gekräftigt in meine Einsamkeit zurück, und ich werde ihm diese Wohlthat an mir mein Leblang danken .....Den Tag darauf, nachdem Goethe den Luther genossen hatte, ließ er ihn zur Thür heraustransportiren. – Nun liest Goethe die Cervantischen Novellen, die ihm viel Freude machen.


1805, 24. Februar. 
Abend bei Goethe


Als ich [Voß] gestern Abend Deinen [Abeken's] Brief abbrach, ging ich zu Goethe, wo ich Fernow und Meyer (den Schweizer) fand. Da haben wir dem alten guten Papa aus den französischen, englischen und italienischen Miscellen vorgelesen. Er kam wieder auf seine Krankheit zu reden; da sagte er: »Ich habe da ein Experiment gemacht, das beinahe schlimm abgelaufen wäre.« – Was er am »Othello« bewundert, ist die unendliche Regelmäßigkeit des Plans und die große Wahrheit in den Charakteren der Hauptpersonen. Vom Cassio sagte er: »er ist betrunken, aber nur soweit als sich noch Liebenswürdigkeit mit diesem Zustande verträgt.« Dann, sagte er, hätte es ihm immer Bewunderung abgezwungen, wie es nur möglich gewesen wäre, mit einem so hohen Interesse eine so einfache Begebenheit fünf Acte hindurch auszuspinnen. Shakespeare, sagte er einmal, sei der erste Genius gewesen, den die Natur getragen hätte, und man könne es nicht begreifen, wenn man's nicht selber erlebt hätte.
1805, 1. März. 
Mit Friedrich Wilhelm Riemer 


»Für eine chemische Gesellschaft wäre ein gutes Motto und Emblem die Stelle im Homer von Menelaus und Proteus (Odyssee IV, 450 ff.). Proteus kann für ein Symbol der Natur, Menelaus für ein Symbol der naturforschenden und der naturzwingenden Gesellschaft gelten.«


1805, Anfang März. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Der »Othello« soll nun aufgeführt werden.
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Goethe sagte neulich: er wäre recht froh, daß er mal wieder ein Stück von Shakespeare sehen sollte. Er hat nunmehr meinen »Othello« ganz gelesen und sagte mir, ich hätte in der Übersetzung alle seine Wünsche befriedigt.
1805, März oder April. 
Mit Friedrich Wilhelm Riemer


Ein andermal sagte Goethe: Er hätte den Einfall gehabt, auf die Mineralogen, zu der Zeit, wo sie in allen Gegenden mit Hämmern herumgingen und an die Steine schlugen, ein Bild zeichnen zu lassen, wo ihrer zwei von entgegengesetzten Seiten an einen Fels kämen und daran schlügen; der Felsen spränge und nun erblickten sich die Herren staunend und grimassirend. – Er erzählte dies mit seinem gewöhnlichen humoristischen Tone und der kleinen Andeutung von Gest, die er in solchen Fällen sich erlaubte.

1805, Anfang April. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J. 


Ich habe Goethes »Hermann und Dorothea« in bessere Hexameter umgeschmolzen, wozu ich vierzehn angestrengte Tage gebraucht. Goethe hat mir seinen Beifall gegeben und mich gelobt, daß ich so schonend verfahren und nie dem Charakter Abbruch gethan; er meinte: ich habe ihm, wenige Stellen ausgenommen, nichts hineingebracht, was seinem Geiste fremd wäre. Er hat mir schon andre Sachen aufgegeben, und ich werde auch noch wohl den »Reinecke Fuchs« durchzunehmen bekommen. Nun werde ich all dies noch mit ihm gemeinschaftlich durchgehn, worauf ich mich unsäglich freue.


1805, erste Hälfte des Mai. 
Bei Friedrich Schillers Krankheit und Tod

In der letzten Krankheit Schiller's war Goethe ungemein niedergeschlagen. Ich [Voß] habe ihn einmal in seinem Garten weinend gefunden; aber es waren nur einzelne Thränen, die ihm in den Augen blinkten: sein Geist weinte, nicht seine Augen und in seinen Blicken las ich, daß er etwas Großes, Überirdisches, Unendliches fühlte. Ich erzählte ihm vieles von Schiller, das er mit unnennbarer Fassung anhörte. »Das Schicksal ist unerbittlich und der Mensch wenig!« Das war alles, was er sagte und wenige Augenblicke nachher sprach er von heitern Dingen. Aber als Schiller gestorben war, war eine große Besorgniß, wie man es Goethe beibringen wollte. Niemand hatte den Muth, es ihm zu melden. Meyer war bei Goethe, als draußen die Nachricht eintraf, Schiller sei todt. Meyer wurde hinausgerufen, hatte nicht den Muth, zu Goethe zurückzukehren, sondern ging weg ohne Abschied zu nehmen. Die Einsamkeit, in der sich Goethe befindet, die Verwirrung, die er überall wahrnimmt, das Bestreben, ihm auszuweichen, das ihm nicht entgehen kann – alles dieses läßt ihn wenig Tröstliches erwarten. »Ich merke es,« sagte er endlich, »Schiller muß sehr krank sein,« und ist die übrige Zeit des Abends in sich gekehrt. Er ahnte, was geschehen war; man hörte ihn in der Nacht weinen. Am Morgen sagt er zu einer Freundin [Christiane Vulpius]: »Nicht wahr, Schiller war gestern sehr krank?« Der Nachdruck, den er auf das »sehr« legt, wirkt so heftig auf jene, daß sie sich nicht länger halten kann. Statt ihm zu antworten, fängt sie laut an zu schluchzen. »Er ist todt?« fragt Goethe mit Festigkeit. »Sie haben es selbst ausgesprochen,« antwortet sie. »Er ist todt!« wiederholt Goethe noch einmal und bedeckt sich die Augen mit den Händen. – Um 10 Uhr sehe ich Goethe im Park gehen; ich hatte aber nicht den Muth, ihm zu begegnen. Drei Tage lang bin ich ihm ausgewichen; am vierten paßte ich die Zeit ab, wo er auf die Bibliothek gegangen war. Ich folgte ihm, wünschte ihm einen guten Morgen und fing wohl zehn bibliothekarische Fragen an, bei denen ich so wenig etwas dachte, als Goethe bei seinen Antworten, die er mit sichtbarer Geistesabwesenheit, aber mit der größten scheinbaren Geschäftigkeit mir gab. Er hatte nachher gesagt: es wäre ihm lieb gewesen, daß ich nichts von Schiller gesagt hätte, er wäre schwerlich gefaßt gewesen, mir mit Ruhe darauf erwidern zu können. – Jetzt spricht Goethe sehr selten von Schiller, und wenn er es thut, so sucht er die heitern Seiten ihres schönen Zusammenlebens auf.

[Andere Mittheilungen über die Vorgänge nach Schiller's Tod, wie die von A. Genast – »Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers« – sind nicht als zuverlässig anzusehen. Voß selbst schrieb ähnlich wie hier an Solger am 22. Mai 1805.]


1805, Mitte Mai. 
Mit Anton Genast

[Am Tage nach Schiller's Tod war die Bühne geschlossen gewesen und dies in der darüber erlassenen, wohl von Kirms verfaßten Bekanntmachung durch die traurige Stimmung der Schauspieler begründet worden.]

Einige Zeit darauf führten mich dringende Geschäfte zu ihm [Goethe]; mit Zittern und Zagen trat ich den Weg an. Er emfing mich mit ernster Miene, äußerte aber kein Wort über Schiller's Dahinscheiden. Als ich seine Befehle eingeholt hatte, wollte ich mich entfernen, da rief er: »Noch eins! Sagt dem, der die sonderbare Annonce über den Tod meines Freundes verfaßt hat, er hätte es sollen bleiben lassen. Wenn ein Schiller stirbt, bedarf es dem Publikum gegenüber wegen einer ausgefallenen Theatervorstellung keiner Entschuldigung.«


1805, 18. Mai. 
Mit und über Johann Heinrich Voß d. J.


a.
Nach Schiller's Tode habe ich mit Goethe einen Auftritt erlebt, den ich nie vergessen werde. Er hatte einen kleinen Rückfall von seinem Übel gehabt und ging zum ersten Mal im Park spazieren, wo ich ihm begegnete. An dem Tage hatte er durch Riemer erfahren, daß mein Vater nach Heidelberg gehen würde. Seine Krankheitsschwäche, Schiller's Tod und der Verlust meines Vaters – alles lag schwer auf seinem Gemüth; er fing mit einer Heftigkeit an zu reden, bei der ich vor Entsetzen erstarrte. »Schiller's Verlust,« sagte er unter anderm, und dies mit einer Donnerstimme, »mußte ich ertragen; denn das Schicksal hat ihn mir gebracht; aber die Versetzung nach Heidelberg, das fällt dem Schicksal nicht zur Last, das haben Menschen vollbracht.« Ich vermochte ihm nichts zu antworten, aber nie habe ich einen größern Jammer gefühlt, als in diesem Augenblick. Wir gingen wohl fünf Minuten stumm neben einander. Endlich ergriff er meine Hand mit einer leidenschaftlichen Heftigkeit und drückte und schüttelte sie, wie er es nie gethan.

b.
Abends besuchte ich die Vulpius; die sagte mir, er sei noch auf seinem Zimmer eine Zeit lang bewegt gewesen. Unter anderm hatte er gesagt: »Voß wird seinem Vater nach Heidelberg folgen und auch Riemern wird man über kurz oder lang wegziehn, und dann steh' ich ganz allein.«


1805, Ende Juni. 
Mit Friedrich Heinrich Jacobi


Als Friedrich Heinrich Jacobi im Jahre 1805 nach München reiste, kam er auch durch Weimar und sprach bei Goethen ein, der ihn mit alter Freundschaft empfing und sich traulich mit ihm hinsetzte. Manches alte Thema wurde hervorgerufen und besprochen, wobei schon einigemal Goethe über den Standpunkt und die Meinungen Jacobi's sehr den Kopf schütteln mußte. Als sie aber allein geblieben waren, kam Jacobi mit der vertraulichen Anfrage: Goethe möchte ihm doch nun einmal unter vier Augen offen und wahr bekennen, was er mit seiner »Eugenie« eigentlich gewollt habe. Goethen war es, wie er nachher selbst gestand, als wenn man ihm einen Eimer kalt Wasser übergösse; er sah plötzlich eine nie zu füllende Kluft zwischen sich und jenem, einen Abgrund ewigen Mißverstehens, und dabei war das Begehren so dumm und albern. Doch faßte er sich, und um nur den Freund und den Abend leidlich abzuthun, sagte er begütigend: »Lieber Jacobi, lassen wir das! Das würde uns für heute zu weit führen. Ein andermal, wenn es sich so fügen will.« Und fing sogleich ein anderes Gespräch an.

1805, 21. (?) Juli. 
Mit Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher


a.


Gleich nach meiner Rückkunft [nach Halle] sah ich ihn [Goethe] noch eine Stunde bei Wolf, den Tag darauf ging er nach Lauchstädt. Vorgestern [13. August] war ich auf einem großen Diner mit ihm bei Wolf ..... Er war gleich das erste Mal [21. Juli?] sehr freundlich mit mir, aber freilich in's rechte Sprechen bin ich noch nicht mit ihm gekommen; denn damals war Gall an der Tagesordnung, und neulich waren gar zu viel Menschen da.

b.
Als [bei dem ersten Besuch] Mine Wolf herüberging, ihm zu sagen, ich wäre da, lag er auf dem Bette und las und sagte: »ei, das ist ja ein edler Freund; da muß ich ja gleich kommen.« Und so kam er denn auch bald und nahm mich wie einen alten Bekannten und ich auch so; denn man kann das sehr bald. Worüber ich am liebsten mit ihm spräche, darauf bin ich noch nicht gekommen; er war eben damals von Gall und Schiller voll.


1805, Juli oder August. 
Mit August Carus


Gern hätte ich Ihnen [Böttiger] erzählt, wie Jacobi's wiederholte Unterhaltungen in Leipzig mir in Lauchstädt Goethe's Bekanntschaft zuführten, von dem ich ein ganz anderes Bild mir gemacht hatte, und mit dem ich dort in so lange und mir so interessante Verhandlungen über Ästhetik und Philosophie verflochten wurde, daß wir nicht zu Ende kamen und er mir sogar bei seiner ersten Reise nach Leipzig einen Besuch ankündigte.


1805, Ende Juli bis Anfang August. 
Mit Johann Heinrich Voß d. J.


Ich habe in diesen vierzehn Tagen ein Geschäft eigner Art, das mich ganz beschäftigt und dem ich selbst nur die Augenblicke abstehle, wo ich an Euch [Abeken und Solger] schreibe. Goethe hat mir die Umarbeitung von »Hermann und Dorothea« aufgetragen, und ich darf ändern, wo und wie viel ich will. Dazu hat er mir sein Manuscript gegeben, wo die einzelnen Verse so weit von einander abstehen, daß ich viel dazwischen schreiben kann. Ich war anfangs schüchtern dabei, doch nun habe ich, da er es nicht anders haben will, auch toll hineincorrigirt. »Nicht bloß begangene Sünden,« sagte er, »sondern auch die Unterlassungssünden suchen Sie zu tilgen.« Nun lege ich jeden Hexameter auf die Goldwaage und sehe zu, das Gedicht auch in dieser Hinsicht vollkommen zu machen, ohne daß die naive Sprache und die vollendete Diction dabei einbüßt. Goethe ist jetzt in Lauchstädt; ich geb' ihm alle Wochen Rechenschaft, wie weit ich gekommen bin, und wenn er zurückkommt, da wollen wir das Gedicht noch einmal gemeinschaftlich durchgehen .... Goethe ist mit dem Anfang meiner Arbeit, den er nur gesehen hat, zufrieden und sagte: sie wäre besonnen und mit Eindringung in seinen Sinn gearbeitet, und dies Zeugniß macht mir Muth, unverdrossen fortzufahren.


1805, vor 10. August. 
Über Friedrich Schiller 


Die Schauspielerin Wolf erzählte... einmal,... als sie den »Epilog zu Schiller's Glocke« bei ihm [Goethe] einübte, er bei einem besonders treffenden Worte sie faßte mit den Worten: »Ich kann, ich kann den Menschen nicht vergessen!« sie unterbrach und eine Pause, um sich zu erholen, verlangte.

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