Einleitendes
Aus Briefen, wenige Zeit vor der Abreise, an Meyer nach Florenz und Stäfa geschrieben. Weimar den 28 April 1797.
Bisher habe ich immer, wenn ich ungeduldig werden wollte, Sie, mein wertester Freund, mir zum Muster vorgestellt: denn Ihre Lage, obgleich mitten unter den herrlichsten Kunstwerken, gewährte Ihnen doch keine Mitteilung und gemeinschaftlichen Genuß, wodurch alles was unser ist doch erst zum Leben kommt; dagegen ich, obgleich abgeschnitten von dem so sehr gewünschten Anschauen der bildenden Künste, doch in einem fortdauernden Austausch der Ideen lebte, und in vielen Sachen die mich interessierten weiter kam.
Nun aber gesteh' ich Ihnen gern, daß meine Unruhe und mein Unmut auf einen hohen Grad zunimmt, da nicht allein alle Wege nach Italien für den Augenblick versperrt, sondern auch die Aussichten auf die nächste Zeit äußerst schlimm sind.
In Wien hat man alle Fremden ausgeboten; Graf Fries, mit dem ich früher zu reisen hoffte, geht selbst erst im September zurück; der Weg von da auf Triest ist für jetzt auch versperrt und für die Zukunft wie die übrigen verheert und unangenehm. In dem obern Italien selbst, wie muß es da nicht aussehen! wenn außer den kriegführenden Heeren auch noch zwei Parteien gegen einander kämpfen. Und selbst nach einem Frieden, wie unsicher und zerrüttet muß es eine lange Zeit in einem Lande
bleiben, wo keine Polizei ist, noch sein wird! Einige Personen die jetzt über Mailand heraus sind, können nicht genug erzählen, wie gequält und gehindert man überall wegen der Pässe ist, wie man aufgehalten und herumgeschleppt wird und was man sonst für Not des Fortkommens und übrigen Lebens zu erdulden hat.
Sie können leicht denken, daß unter diesen Umständen mich alles, was einigen Anteil an mir nimmt, von einer Reise abmahnt; und ob ich gleich recht gut weiß, daß man bei allen einigermaßen gewagten Unternehmungen auf die Negativen nicht achten soll, so ist doch der Fall von der Art, daß man selbst durch einiges Nachdenken das Unrätliche einer solchen Expedition sehr leicht einsehen kann. Dieses alles zusammen drängt mir beinahe den Entschluß ab: diesen Sommer, und vielleicht das ganze Jahr, an eine solche Reise nicht weiter zu denken. Ich schreibe Ihnen dieses sogleich, um auf alle Fälle mich noch mit Ihnen darüber schriftlich unterhalten zu können. Denn was ich Ihnen raten soll weiß ich wahrlich nicht. So sehr Sie mir auf allen Seiten fehlen, und so sehr ich durch Ihre Abwesenheit von allem Genuß der bildenden Kunst getrennt bin, so möchte ich doch Sie nicht gern sobald von der Nahrung Ihres Talentes, die Sie künftig in Deutschland wieder ganz vermissen werden, getrennt wissen. Wenn mein Plan durch die äußern Umstände zum Scheitern gebracht wird, so wünschte ich doch den Ihrigen vollendet zu sehen.
Ich habe mir wieder eine eigne Welt gemacht, und das große Interesse, das ich an der epischen Dichtung gefaßt habe, wird mich schon eine Zeit lang hinhalten. Mein Gedicht Herrmann und Dorothea ist fertig; es besteht aus zweitausend Hexametern und ist in neun Gesänge geteilt, und ich sehe darin wenigstens einen Teil meiner Wünsche erfüllt. Meine hiesigen und benachbarten Freunde sind wohl damit zufrieden, und es kommt hauptsächlich nun darauf an: ob es auch vor Ihnen die Probe aushält. Denn die höchste Instanz von der es gerichtet werden kann ist die, vor welche der Menschenmaler seine Kompositionen bringt, und es wird die Frage sein, ob Sie unter dem modernen Costume die wahren echten Menschenproportionen und Gliederformen anerkennen werden.
Der Gegenstand selbst ist äußerst glücklich, ein Sujet wie man es in seinem Leben nicht zweimal findet; wie denn überhaupt die Gegenstände zu wahren Kunstwerken seltner gefunden werden als man denkt, deswegen auch die Alten beständig sich nur in einem gewissen Kreis bewegen.
In der Lage in der ich mich befinde, habe ich mir zugeschworen, an nichts mehr Teil zu nehmen als an dem, was ich so in meiner Gewalt habe wie ein Gedicht; wo man weiß, daß man zuletzt nur sich zu tadeln oder zu loben hat; an einem Werke an dem man, wenn der Plan einmal gut ist, nicht das Schicksal des Penelopeischen Schleiers erlebt. Denn leider in allen übrigen irdischen Dingen lösen einem die Menschen gewöhnlich wieder auf was man mit großer Sorgfalt gewoben hat, und das Leben gleicht jener beschwerlichen Art zu wallfahrten, wo man drei Schritte vor und zwei zurücktun muß. Kommen Sie zurück, so wünschte ich, Sie könnten sich auf jene Weise zuschwören, daß Sie nur innerhalb einer bestimmten Fläche, ja ich möchte wohl sagen, innerhalb eines Rahmens, wo Sie ganz Herr und Meister sind, Ihre Kunst ausüben wollen. Zwar ist, ich gestehe es, ein solcher Entschluß sehr illiberal und nur Verzweiflung kann einen dazu bringen; es ist aber doch immer besser, ein für allemal zu entsagen, als immer einmal einen um den andern Tag rasend zu werden.
Vorstehendes war schon vor einigen Tagen geschrieben, nicht im besten Humor, als auf einmal die Friedensnachricht von Frankfurt kam. Wir erwarten zwar noch die Bestätigung, und von den Bedingungen und Umständen ist uns noch nichts bekannt, ich will aber diesen Brief nicht aufhalten, damit Sie doch wieder etwas von mir vernehmen, und Eingeschlossenes, das man mir an Sie gegeben hat, nicht liegen bleibe. Leben Sie wohl und lassen Sie mich bald wieder von sich hören. In weniger Zeit muß sich nun vieles aufklären, und ich hoffe, der Wunsch, uns in Italien zuerst wieder zu sehen, soll uns doch noch endlich gewährt werden.
Weimar am 8 Mai 1797.
Am 28 April schrieb ich Ihnen einen Brief voll übler Laune, die Friedensnachrichten, die in dem Augenblick dazu kamen, rektifizierten den Inhalt. Seit der Zeit habe ich mir vorgesetzt, so sicher als ein Mensch sich etwas vorsetzen kann:
Daß ich Anfangs Juli nach Frankfurt abreise, um mit meiner Mutter noch mancherlei zu arrangieren, und daß ich alsdann, von da aus, nach Italien gehen will, um Sie aufzusuchen.
Ich darf Sie also wohl bitten in jenen Gegenden zu verweilen und, wenn Sie nicht tätig sein können, inzwischen zu vegetieren. Sollten Sie aber Ihrer Gesundheit wegen nach der Schweiz zurück gehen wollen, so schreiben Sie mir, wo ich Sie treffe. Ich kann rechnen, daß Sie diesen Brief Ende Mais erhalten; antworten Sie mir aber nur unter dem Einschluß von Frau Rat Goethe nach Frankfurt am Main, so finde ich Ihren Brief gewiß, und werde mich darnach richten. In der Zwischenzeit erfahren wir die Verhältnisse des obern Italiens und sehen uns mit Zufriedenheit, wo es auch sei, wieder. Ich wiederhole nur kürzlich, daß es mir ganz gleich ist, in welche Gegend ich mich von Frankfurt aus hinbewege, wenn ich nur erfahre, wo ich Sie am nächsten treffen kann. Leben Sie recht wohl! Mir geht alles recht gut, so daß ich nach dem erklärten Frieden hoffen kann, Sie auch auf einem befriedigten, obgleich sehr zerrütteten Boden wieder zu sehen.
Jena, den 6 Juni 1797.
Ihren Brief vom 13 Mai habe ich gestern erhalten, woraus ich sehe, daß die Posten zwar noch nicht mit der alten Schnelligkeit, doch aber wieder ihren Gang gehen, und das macht mir Mut Ihnen gleich wieder zu schreiben.
Seitdem ich die Nachricht erhielt, daß Sie sich nicht wohl befinden, bin ich unruhiger als jemals; denn
ich kenne Ihre Natur, die sich kaum anders als in der vaterländischen Luft wieder herstellt. Sie haben
indessen noch zwei Briefe von mir erhalten, einen vom 28 April und einen vom 8 Mai, möchten Sie doch
auf den letzten diejenige Entschließung ergriffen haben die zu Ihrem Besten dient. Ihre Antwort, die ich
nach dem jetzigen Lauf der Posten in Frankfurt gewiß finden kann, wird meine Wege leiten. Selbst mit
vielem Vergnügen würde ich Sie in Ihrem Vaterland aufsuchen und an dem Züricher See einige Zeit mit
Ihnen verleben. Möge doch das Gute, das Ihnen aus unserm freundschaftlichen Verhältnis entspringen
kann, Sie einigermaßen schadlos halten für die Leiden, die Sie in der Zwischenzeit ausgestanden
haben und die auch auf mich, in der Ferne, den unangenehmsten Einfluß hatten; denn noch niemals bin ich von einer solchen Ungewißheit hin und her gezerrt worden; noch niemals haben meine Plane und
Entschließungen so von Woche zu Woche variiert. Ich ward des besten Lebensgenusses unter Freunden
und nahe Verbundnen nicht froh, indes ich Sie einsam wußte und mir einen Weg nach dem andern
abgeschnitten sah.
Nun mag denn Ihr nächster Brief entscheiden, und ich will mich darein finden und ergeben was er auch ausspricht. Wo wir auch zusammenkommen, wird es eine unendliche Freude sein. Die Ausbildung die uns indessen geworden ist, wird sich durch Mitteilung auf das schönste vermehren.
Schiller lebt in seinem neuen Garten recht heiter und tätig; er hat zu seinem Wallenstein sehr große
Vorarbeiten gemacht. Wenn die alten Dichter ganz bekannte Mythen, und noch dazu teilweise, in ihren
Dramen vortrugen, so hat ein neuerer Dichter, wie die Sachen stehen, immer den Nachteil, daß er erst
die Exposition, die doch eigentlich nicht allein aufs Faktum, sondern auf die ganze Breite der Existenz,
und auf Stimmung geht, mit vortragen muß. Schiller hat deswegen einen sehr guten Gedanken gehabt,
daß er ein kleines Stück die Wallensteiner als Exposition vorausschickt, wo die Masse der Armee,
gleichsam wie das Chor der Alten, sich mit Gewalt und Gewicht darstellt, weil am Ende des Hauptstücks
doch alles darauf ankommt: daß die Masse nicht mehr bei ihm bleibt, sobald er die Formel des Diensts
verändert. Es ist in einer viel pesantern und also für die Kunst bedeutendern Manier als die Geschichte
von Dumouriez.
Höchst verlangend bin ich auch Ihre Ideen über das Darstellbare und Darzustellende zu vernehmen. Alles Glück eines Kunstwerks beruht auf dem prägnanten Stoff den es darzustellen unternimmt. Nun ist der ewige Irrtum, daß man bald etwas Bedeutendes, bald etwas Hübsches, Gutes und Gott weiß was alles, sich unterschiebt, wenn man doch einmal was machen will und muß.
Wir haben auch in diesen Tagen Gelegenheit gehabt manches abzuhandeln über das was in irgend einer prosodischen Form geht und nicht geht. Es ist wirklich beinahe magisch, daß etwas, was in dem einen Sylbenmaße noch ganz gut und charakteristisch ist, in einem andern leer und unerträglich scheint. Doch eben so magisch sind ja die abwechselnden Tänze auf einer Redoute, wo Stimmung, Bewegung und alles durch das Nachfolgende gleich aufgehoben wird.
Da man meine ganze Operation von Ihrer Antwort auf meinen Brief vom 8 Mai abhängt, so will ich nicht
wieder schreiben, als bis ich diese erhalten habe, und Ihnen nachher gleich antworten wo ich bin und wie
ich gehe. Sollten Sie auch auf diesen noch irgend etwas zu vermelden haben, so schicken Sie es nur auf
Frankfurt an meine Mutter, wo ich schon das Weitere besorgen will.
Weimar, den 7 Juli 1797.
Sein Sie mir bestens auf vaterländischem Grund und Boden gegrüßt! Ihr Brief vom 26 Juni, den ich heut' erhalte, hat mir eine große Last vom Herzen gewälzt. Zwar konnt' ich hoffen, daß Sie auf meinen Brief vom 8 Mai gleich zurückkehren würden; allein bei meiner Liebe zu Ihnen, bei meiner Sorge für Ihre Gesundheit, bei dem Gefühl des Wertes den ich auf unser einziges Verhältnis lege, war mir die Lage der Sache äußerst schmerzlich, und mein durch die Lähmung unsers Plans ohnehin schon sehr gekränktes Gemüt ward nun durch die Nachricht von Ihrem Zustande noch mehr angegriffen. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich, trotz der Umstände, nicht früher gegangen sei, Sie aufzusuchen; ich stellte mir Ihr einsames Verhältnis und ihre Empfindungen recht lebhaft vor, und arbeitete ohne Trieb und Behaglichkeit bloß um mich zu zerstreuen. Nun geht eine neue Epoche an, in welcher alles eine bessere Gestalt gewinnen wird. Aus unserm eigentlichen Unternehmen mag nun werden was will, sorgen Sie einzig für Ihre Gesundheit und ordnen Sie das Gesammelte nach Lust und Belieben. Alles was Sie tun ist gut, denn alles hat einen Bezug auf ein Ganzes.
Ihr Brief hat mich noch in Weimar getroffen, wohin mir meine Mutter ihn schickte. Der Herzog ist schon einige Monate abwesend, er will mich vor meiner Abreise noch über manches sprechen und ich erwarte ihn. Indessen habe ich alles geordnet und bin so los und ledig als jemals. Ich gehe sodann nach Frankfurt mit den Meinigen, um sie meiner Mutter vorzustellen, und nach einem kurzen Aufenthalte sende ich jene zurück und komme Sie am schönen See zu treffen. Welch eine angenehme Empfindung ist es mir, Sie bis auf jenen glücklichen Augenblick wohl aufgehoben und in einem verbesserten Zustande zu wissen!
Schreiben Sie nach dem Empfang dieses nur nach Frankfurt. Von mir erhalten Sie nun alle acht Tage
Nachricht. Zum Willkomm auf deutschem Grund und Boden sende ich Ihnen etwas über die Hälfte
meines neuen Gedichts. Möge Ihnen die Aura die Ihnen daraus entgegenweht angenehm und
erquicklich sein. Weiter sage ich nichts. Da wir nun glücklicherweise wieder so viel näher gebracht
worden, so sind nun unsere ersten Schritte bestimmt; und sind wir nur einmal erst wieder zusammen, so
wollen wir fest an einander halten und unsere Wege weiter zusammen fortführen. Leben Sie
tausendmal wohl!
Weimar, den 14 Juli 1797.
Seitdem ich Sie wieder in Ihr Vaterland gerettet weiß, sind meine Gedanken nun hauptsächlich darauf gerichtet: daß wir wechselseitig mit demjenigen bekannt werden was jeder bisher einzeln für sich getan hat. Sie haben durch Anschauung und Betrachtung ein unendliches Feld kennen gelernt, und ich habe indessen von meiner Seite, durch Nachdenken und Gespräch über Theorie und Methode, mich weiter auszubilden nicht versäumt, so daß wir nun entweder unmittelbar mit unsern Arbeiten zusammentreffen, oder uns wenigstens sehr leicht werden erklären und vereinigen können.
Ich schicke Ihnen hier einen Aufsatz, worin, nach einigem Allgemeinen, über Laokoon gehandelt ist. Die Veranlassung zu diesem Aufsatze sage ich hernach. Schiller ist mit der Methode und dem Sinn desselben zufrieden; es ist nun die Frage: ob Sie mit dem Stoff einig sind? ob Sie glauben, daß ich das Kunstwerk richtig gefaßt und den eigentlichen Lebenspunkt des Dargestellten wahrhaft angegeben habe? Auf alle Fälle können wir uns künftig vereinigen: teils dieses Kunstwerk, teils andere in einer gewissen Folge dergestalt zu behandeln, daß wir, nach unserm altern Schema, eine vollständige Entwickelung von der ersten poetischen Konzeption des Werks, bis auf die letzte mechanische Ausführung zu liefern suchen und dadurch uns und Andern mannichfaltig nutzen.
Hofrat Hirt ist hier, der in Berlin eine Existenz nach seinen Wünschen hat und sich auch bei uns ganz behaglich befindet. Seine Gegenwart hat uns sehr angenehm unterhalten, indem er bei der großen Masse von Erfahrung die ihm zu Gebote steht, beinah alles in Anregung bringt was in der Kunst interessant ist, und dadurch einen Zirkel von Freunden derselben, selbst durch Widerspruch, belebt. Er kommunizierte uns einen kleinen Aufsatz über Laokoon, den Sie vielleicht schon früher kennen und der das Verdienst hat, daß er den Kunstwerken auch das Charakteristische und Leidenschaftliche als Stoff vindiziert, welches durch den Mißverstand des Begriffs von Schönheit und göttlicher Ruhe allzusehr verdrängt worden war. Schillern, der auch seit einigen Tagen hier ist, hatte von dieser Seite gedachter Aufsatz besonders gefallen, indem er selbst jetzt über Tragödie denkt und arbeitet, wo eben diese Punkte zur Sprache kommen. Um mich nun eben hierüber am freisten und vollständigsten zu erklären, und zu weiteren Gesprächen Gelegenheit zu geben, so wie auch besonders in Rücksicht unserer nächsten gemeinschaftlichen Arbeiten, schrieb ich die Blätter, die ich Ihnen nun zur Prüfung überschicke. Sorgen Sie vor allen Dingen für Ihre Gesundheit in der vaterländischen Luft und strengen sich, besonders durch Schreiben, ja nicht an. Disponieren Sie sich Ihr Schema im Ganzen und rangieren Sie die Schätze Ihrer Kollektaneen und Ihres Gedächtnisses; warten Sie alsdann bis wir wieder zusammenkommen, da Sie die Bequemlichkeit des Diktierens haben werden, indem ich einen Schreiber mitbringe, wodurch das Mechanische der Arbeit, welches für eine nicht ganz gesunde Person drückend ist, sehr erleichtert, ja gewissermaßen weggehoben wird.
Unser Herzog scheint sich auf seiner Reise zu gefallen, denn er läßt uns eine Woche nach der andern warten. Doch beunruhigt mich seine verspätete Ankunft, die ich erwarten muß, gegenwärtig nicht, indem ich Sie in Sicherheit weiß. Ich hoffe, Sie haben meinen Brief vom 7ten mit dem Anfange des Gedichtes richtig erhalten, und ich will es nunmehr so einrichten, daß ich alle Wochen etwas an Sie absende. Schreiben Sie mir, wenn es auch nur wenig ist, unter der Adresse meiner Mutter nach Frankfurt. Ich hoffe Ihnen bald meine Abreise von hier und meine Ankunft dort melden zu können und wünsche, daß Sie sich recht bald erholen möchten und daß ich die Freude habe, Sie, wo nicht völlig hergestellt, doch in einem recht leidlichen Zustande wieder zu finden. Leben Sie recht wohl, wertester Freund! Wie freue ich mich auf den Augenblick in welchem ich Sie wiedersehen werde, um durch ein vereintes Leben uns für die bisherige Vereinzelung entschädigt zu sehen!
Schiller und die Hausfreunde grüßen, alles freut sich Ihrer Nähe und Besserung. Heut über acht Tage will ich verschiedene Gedichte beilegen. Wir haben uns vereinigt in den diesjährigen Almanach mehrere Balladen zu geben und uns bei dieser Arbeit über Stoff und Behandlung dieser Dichtungsart selbst aufzuklären; ich hoffe, es sollen sich gute Resultate zeigen. Humboldts werden nun auch von Dresden nach Wien abgehen. Gerning, der noch immerfort bei jedem Anlaß Verse macht, ist über Regensburg eben dahin abgegangen. Beide Partien denken von jener Seite nach Italien vorzurücken; die Folge wird lehren wie weit sie kommen.
Die Herzogin Mutter ist nach Kissingen. Wieland lebt in Osmanstedt mit dem notdürftigen Selbstbetruge. Fräulein von Imhof entwickelt ein recht schönes poetisches Talent, sie hat einige allerliebste Sachen zum Almanach gegeben. Wir erwarten in diesen Tagen den jungen Stein von Breslau, der sich im Weltwesen recht schön ausbildet. Und so hätten Sie denn auch einige Nachricht von dem Personal das einen Teil des Weimarischen Kreises ausmacht. Bei Ihrer jetzt größeren Nähe scheint es mir, als ob man Ihnen auch hiervon etwas sagen könne und müsse. Knebel ist nach Bayreuth gegangen; er macht Miene in jenen Gegenden zu bleiben, nur fürchte ich, er wird nichts mehr am alten Platze finden; besonders ist Nürnberg, das er liebt, in dem jetzigen Augenblick ein trauriger Aufenthalt. Nochmals ein herzliches Lebewohl.
Weimar, den 21 Juli 1797.
Diesmal schicke ich Ihnen, damit Sie doch ja auch recht nordisch empfangen werden, ein paar Balladen, bei denen ich wohl nicht zu sagen brauche, daß die erste von Schillern, die zweite von mir ist. Sie werden daraus sehen, daß wir, indem wir Ton und Stimmung dieser Dichtart beizubehalten suchen, die Stoffe würdiger und mannichfaltiger zu wählen besorgt sind; nächstens erhalten Sie noch mehr dergleichen.
Die Note von Böttiger über die zusammenschnürenden Schlangen ist meiner Hypothese über Laokoon sehr günstig; er hatte, als er sie schrieb, meine Abhandlung nicht gelesen. Schiller war diese acht Tage bei mir, ziemlich gesund und sehr munter und tätig; Ihrer ist, ich darf wohl sagen, in jeder Stunde gedacht worden.
Unsere Freundin Amelie hat sich auch in der Dichtkunst wundersam ausgebildet und sehr artige Sachen gemacht, die mit einiger Nachhülfe recht gut erscheinen werden. Man merkt ihren Produktionen sehr deutlich die soliden Einsichten in eine andere Kunst an, und wenn sie in beiden fortfährt, so kann sie auf einen bedeutenden Grad gelangen.
Briefwechsel Schiller und Goethe
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