> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Aus einer Reise in die Schweiz über Frankfurt, Heidelberg..... Italiänische Zeitungen (3)

2019-11-30

J.W.v.Goethe: Aus einer Reise in die Schweiz über Frankfurt, Heidelberg..... Italiänische Zeitungen (3)

Italiänische Zeitungen 

Es liegen verschiedene italiänische Zeitungen vor mir, über deren Charakter und Inhalt ich einiges zu sagen gedenke.

Die auswärtigen Nachrichten sämtlich sind aus fremden Zeitungen übersetzt, ich bemerke also nur das Eigne der inländischen.

L'Osservatore Triestino No. 58. 21 Juli 1797. Ein sehr gut geschriebener Brief über die Besitznehmung von Cherso vom 10 Juli. Dann einiges von Zara. Die Anhänge sind wie unsere Beilagen und Wochenblätter.

Gazzetta Universale No. 58. 22 Juli 1797. Florenz. Ein nachdrückliches Gesetz wegen Meldung des Ankommens, Bleibens und Abgehens der Fremden, im Florentinischen publiziert.

Notizie Universali No. 60. 28 Juli 1797. Roveredo. Ein Artikel aus Östreich macht auf die große bewaffnete Stärke des Kaisers aufmerksam.

Il Corriere Milanese. No. 59. 24 Juli 1797. Die italiänischen Angelegenheiten werden im republikanischen Sinne, aber mit großer Mäßigung, Feinheit und rhetorischer Stellung vorgetragen; es fällt einem dabei der Leidener Luzac ein. 

In einer Buchhändler-Nachricht ist ein Werk: Memorie Storiche del Professore Gio. Battista Rottondo nativo di Monza, nel Milanese, scritte da lui medesimo, angekündigt. Wahrscheinlich eine romanhafte Komposition, durch welche man, so viel sich aus der Anzeige erraten läßt, den Revolutionisten in Italien Mäßigkeit raten will.

Giornale Degli Uomini Liberi. Bergamo. 18 Juli 1797. No. 5 Lebhaft demokratisch, welches sich in der Bergamasken-Manier sehr lustig ausnimmt; denn wer lacht nicht wenn er liest: Non si dee defraudare il Popolo Sovrano Bergamasco di dargli notizia etc.

Für den Platz aber und für die Absicht scheint das Blatt sehr zweckmäßig zu sein, indem es hauptsächlich die Angelegenheiten der Stadt und des Bezirks behandelt. No. 6. Die Aufhebung eines Klosters durch die Mehrheit der Mönchsstimmen wird begehrt, die aristokratische Partei verlangt unanimia.

Die Sprachwendungen haben etwas Originales und der ganze Ausdruck ist lebhaft, treu, naiv, so daß man den Harlekin im besten Sinne zu hören glaubt. 

Il Patriota Bergamasco No. 17. 18 Juli 1797. Ein Kompliment an die Bergamasker, daß ihre Nationalgarden bei dem großen Föderationsfest sich so ganz besonders ausgenommen haben: I Segni da esse manifestati di patriotismo e di giocondita attrassero la comune meraviglia, e loro meritarono il vanto de' piu energici republicani. Wenn man diese Stelle gehörig übersetzt, so wünschte man die Bergamasker bei dieser Gelegenheit mit ihrer giocondità gesehen zu haben. Den Nachrichten aus dem Kirchenstaat sucht man, durch Worte die Schwabacher gedruckt sind, eine komische Tournure zu geben. Ein Brief des Generals Buonaparte an den Astronomen Cagnoli in Verona, der bei den Unruhen viel gelitten und verloren hatte, soll den Gemütern Beruhigung einflößen, da dem Manne Ersatz und Sicherheit versprochen wird.

No. 18 ist sehr merkwürdig; der Patriot beklagt sich daß nach der Revolution noch keine Revolution sei und daß gerade alles noch seinen alten aristokratischen Gang gehen wolle. Natürlicher Weise hat, wie überall, die liebe Gewohnheit nach den ersten lebhaften Bewegungen wieder ihr Recht behauptet und alles sucht sich wieder auf die Füße zu stellen; worüber sich denn der gute Patriot gar sehr beklagt.

Den 9 August.

Das allgemeine Gespräch und Interesse ist heute die Feier des morgenden Tages, die in Wetzlar begangen werden soll; man erzählt Wunderdinge davon. Zwanzig Generale sollen derselben beiwohnen, von allen Regimentern sollen Truppen dazu gesammelt werden, militärische Evolutionen sollen geschehen; Gerüste sind aufgerichtet und was dergleichen mehr ist. Indessen fürchten die Einwohner bei dieser Gelegenheit böse Szenen; mehrere haben sich entfernt; man will heute Abend schon kanonieren gehört haben.

Bei alle dem lebt man hier in vollkommener Sicherheit und jeder treibt sein Handwerk eben als wenn nichts gewesen wäre; man hält den Frieden für gewiß und schmeichelt sich, daß der Kongreß hier sein werde, ob man gleich nicht weiß wo man die Gesandten unterbringen will. Wenn alles ruhig bleibt, so wird die nächste Messe über die Maßen voll und glänzend werden; es sind schon viele Quartiere bestellt und die Gastwirte und andere Einwohner setzen unerhörte Preise auf ihre Zimmer.

Was mich betrifft, so sehe ich nur immer mehr ein daß jeder nur sein Handwerk ernsthaft treiben und das übrige alles lustig nehmen soll. Ein paar Verse die ich zu machen habe interessieren mich jetzt mehr als viel wichtigere Dinge, auf die mir kein Einfluß gestattet ist, und wenn ein jeder das Gleiche tut, so wird es in der Stadt und im Hause wohl stehen. Die wenigen Tage die ich hier bin hat mich die Betrachtung so mancher Gegenstände schon sehr vergnügt und unterhalten, und ich habe für die nächste Zeit noch genug vor mir. 

Ich will hernach unsern guten Meyer, der am Zürichersee angekommen ist, aufsuchen und, ehe ich meinen Rückweg antrete, noch irgend eine kleine Tour mit ihm machen. Nach Italien habe ich keine Lust, ich mag die Raupen und Chrysaliden der Freiheit nicht beobachten; weit lieber möchte ich die ausgekrochenen französischen Schmetterlinge sehen.

Gestern war ich bei Herrn von Schwarzkopf, der mit seiner jungen Frau auf einem Bethmannischen Gute wohnt; es liegt sehr angenehm eine starke halbe Stunde von der Stadt vor dem Eschenheimer Tore auf einer sanften Anhöhe, von der man vorwärts die Stadt und den ganzen Grund worin sie liegt und hinterwärts den Nitagrund bis an das Gebirg übersieht. Das Gut gehörte ehemals der Familie der von Riese und ist wegen der Steinbrüche bekannt, die sich in dem Bezirk desselben befinden. Der ganze Hügel besteht aus Basalt und der Feldbau wird in einem Erdreiche getrieben das aus Verwitterung dieser Gebirgsart sich gebildet hat; es ist auf der Höhe ein wenig steinig, aber Früchte und Obstbäume gedeihen vortrefflich. Bethmanns haben viel dazu gekauft und meine Mutter hat ihnen ein schönes Baumstück, das unmittelbar daran stößt, abgelassen. – Die Fruchtbarkeit des herrlichen Grundes um Frankfurt und die Mannichfaltigkeit seiner Erzeugnisse erregt Erstaunen, und an den neuen Zäunen, Staketen und Lusthäusern, die sich weit um die Stadt umher verbreiten, sieht man, wie viel wohlhabende Leute in der letzten Zeit nach größern und kleinern Stücken eines fruchtbaren Bodens gegriffen haben. Das große Feld, worauf nur Gemüse gebaut wird, gewährt in der jetzigen Jahreszeit einen sehr angenehmen und mannichfaltigen Anblick. Überhaupt ist die Lage, wie ich sie an einem schönen Morgen vom Turme wieder gesehen, ganz herrlich und zu einem heitern und sinnlichen Genusse ausgestattet, deswegen sich die Menschen auch so zeitig hier angesiedelt und ausgebreitet haben. 

Merkwürdig war mir die frühe städtische Kultur, da ich gestern las, daß schon 1474 befohlen ward, die Schindeldächer wegzutun, nachdem schon früher die Strohdächer abgeschafft waren. Es läßt sich denken, wie ein solches Beispiel in dreihundert Jahren auf die ganze Gegend gewirkt haben müsse. 
 
Frankfurt, den 14 August. 

Gestern sah ich die Oper Palmira, die im Ganzen genommen sehr gut und anständig gegeben ward. Ich habe aber dabei vorzüglich die Freude gehabt einen Teil ganz vollkommen zu sehen, nämlich die Dekorationen. Sie sind von einem Mailänder Fuentes, der sich gegenwärtig hier befindet. 

Bei der Theater-Architektur ist die große Schwierigkeit, daß man die Grundsätze der echten Baukunst einsehen und von ihnen doch wieder zweckmäßig abweichen soll. Die Baukunst im höhern Sinne soll ein ernstes, hohes, festes Dasein ausdrücken, sie kann sich, ohne schwach zu werden, kaum aufs Anmutige einlassen; aber auf dem Theater soll alles eine anmutige Erscheinung sein. Die theatralische Baukunst muß leicht, geputzt, mannichfaltig sein, und sie soll doch zugleich das Prächtige, Hohe, Edle darstellen. Die Dekorationen sollen überhaupt, besonders die Hintergründe, Tableaux machen. Der Dekorateur muß noch einen Schritt weiter als der Landschaftsmaler tun, der auch die Architektur nach seinem Bedürfnis zu modifizieren weiß.

Die Dekorationen zu Palmira geben Beispiele woraus man die Lehre der Theatermalerei abstrahieren könnte. Es sind sechs Dekorationen die auf einander in zwei Akten folgen, ohne daß eine wieder kommt; sie sind mit sehr kluger Abwechselung und Gradation erfunden. Man sieht ihnen an, daß der Meister alle Moyens der ernsthaften Baukunst kennt; selbst da, wo er baut wie man nicht bauen soll und würde, behält doch alles den Schein der Möglichkeit bei, und alle seine Konstruktionen gründen sich auf den Begriff dessen was im Wirklichen gefordert wird. Seine Zierraten sind sehr reich, aber mit reinem Geschmack angebracht und verteilt; diesen sieht man die große Stukkaturschule an, die sich in Mailand befindet, und die man aus den Kupferstich-Werken des Albertolli kann kennen lernen. Alle Proportionen gehen ins Schlanke, alle Figuren, Statuen, Basreliefs, gemalte Zuschauer gleichfalls; aber die übermäßige Länge und die gewaltsamen Gebärden mancher Figuren sind nicht Manier, sondern die Notwendigkeit und der Geschmack haben sie so gefordert. Das Kolorit ist untadelhaft und die Art zu malen äußerst frei und bestimmt. Alle die perspektivischen Kunststücke, alle die Reize der nach Direktionspunkten gerichteten Massen zeigen sich in diesen Werken; die Teile sind völlig deutlich und klar ohne hart zu sein, und das Ganze hat die lobenswürdigste Haltung. Man sieht die Studien einer großen Schule und die Überlieferungen mehrerer Menschenleben in den unendlichen Details, und man darf wohl sagen, daß diese Kunst hier auf dem höchsten Grade steht; nur schade daß der Mann so kränklich ist, daß man an seinem Leben verzweifelt. Ich will sehen daß ich das, was ich hier nur flüchtig hingeworfen habe, besser zusammenstelle und ausführe.
Briefwechsel Schiller und Goethe


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