Der erste Aufblick nach einer schwer überstandenen Krankheit ins Leben erregte mir die angenehmste aller Empfindungen: eine allgemeine Teilnahme kam mir entgegen, und ich fühlte das höchste Glück, sogleich heiter und gut gestimmt das mir Gegönnte vollkommen zu verehren. Die Sorgfalt meiner nächsten Umgebung wußte ich schon während der Krankheit würdig zu schätzen, da mir die Fähigkeit, das Gegenwärtige zu beachten, niemals genommen war. Hieran schloß sich die deutlich ausgesprochene Neigung meiner hohen Gönner und sämtlicher Mitbürger, daß ich wirklich einiger Mäßigung brauchte, um hievon nicht allzu lebhaft gerührt zu werden; und so empfing ich denn nach und nach bescheiden auch von außen ebensolche Zeugnisse, daß man meiner gedenke, daß man meinem Dasein einigen Wert beilege. Und hier ist Bedürfnis, ja Schuldigkeit, auszusprechen, verehrend und traulich dankbar zu erwidern, wenn vom Thron bis zur Hütte mir unschätzbare, würdige, liebevolle Zeugnisse begegneten. Freunde, nach langem Schweigen, belebten das Verhältnis aufs neue; gar manche Schriftzüge erinnerten mich an würdige vorige Zeiten und Verhältnisse; ja was von der größten Bedeutung zu sein scheint: Personen, die einigen Widerwillen gegen mich hegten — denn wie manchen Freund verletzt man nicht in dem so verworrenen als flüchtigen Leben, das uns zwischen Pflicht und Leichtsinn, zwischen Zerstreuung und Sorge, zwischen Beschäftigung und Zeitverderb hin und her bewegt — wandten sich wieder zu mir, die alte Neigung trat hervor, das Gefühl des Zusammenseins auf Erden und des daraus entspringenden Glücks behielt die Oberhand, und ich sehe die schönsten Verhältnisse wiederhergestellt, deren Entbehrung mir oft empfindlich fiel. Gar manches hiebei, was die Persönlichkeiten zu nahe berührt, geziemt sich zu verschweigen, anderes aber darf wohl freudig dankbar anerkannt werden.
Ich vernahm von freundlichen Gastmahlen, bei welchen man festlich dem Äskulap einen Hahn geopfert; von andern, mehr zufällig durch eingegangene Nachricht von meiner Wiedergenesung erregten fröhlichen Augenblicken. Herzliche Lieder, geistreich poetische Darstellungen erquickten mich, und auch an sinnlicher Labung wollte man es mir nicht fehlen lassen. Die Früchte ferner Gegenden gelangten zu mir und erneuerten die Empfindungen einer frischen Kindheit.
Und so sollte mir denn auch ein anderer gemütlicher Kunstgenuß bereitet sein. Das hiesige Theater, welches unter einer neuen Regie sich einer neuen Epoche zu erfreuen hat, wollte diese Hoffnungen sogleich beleben durch die Aufführung des ,Tasso‘, welche mit einem sinnig-herzlichen Bezug auf meine Zustände begann und ganz wie in vorigen Zeiten glückte, wobei sich denn das Publikum sowohl dem Verfasser als den Schauspielern günstig erweisen konnte.
Die Anmeldung des wohlgelungenen Unternehmens unmittelbar nach der Aufführung war liebenswürdig überraschend und dem Wiedergenesenden die anmutigste Erscheinung.
Kurz darauf kam mir Lord Byrons , Werner zuerst in die Hände; ich sah vor Augen, was mir schon angekündigt war: der Dichter ohnegleichen widmete mir eins seiner vorzüglichsten Werke, und einer solchen Auszeichnung find ich mich nur dadurch wert, daß seit vielen Jahren eins meiner angenehmsten Geschäfte ist, das Verdienst eines so außerordentlichen Mitlebenden treulich und gründlich zu schätzen und seinen Gang zu verfolgen, wie ich ihm denn seit seinem ,English Bards and Scotch Reviewers‘ anhaltend Gesellschaft geleistet.
Auch im Wissenschaftlichen erhielt ich die schönsten Zeugnisse des Andenkens und Teilnehmens mit Aufforderung zur Teilnahme. Unter dem Vorsitz des Herrn Grafen Kaspar Sternberg verlieh mir die Gesellschaft des Prager Museums den Charakter eines Ehrenmitglieds und knüpfte mich noch mehr an eine Anstalt, der ich von ihren ersten Anfängen an zugetan gewesen und aus wahrhafter Neigung zu ihrem würdigen Stifter und Beförderer manche Früchte meiner böhmischen Naturstudien gewidmet hatte.
Zu gleicher Zeit kommt mir vom Rheinstrom her neue Freude: zwei Männer, deren geregelte Tätigkeit ihrer umfassenden richtigen Ansicht gleich ist, wovon ich den einen als ältern verbündeten Freund, den andern als glücklich neu erworbenen wohl ansprechen darf, die Herren Nees von Esenbeck und von Martius, vereinigen sich, mir eine bedeutende, von hoher Hand in fernen Gegenden gewonnene Pflanze zuzuschreiben und meinem Namen dadurch in dem sich immer weiter ausdehnenden Naturkreise, worin ich mich nach meiner Art lebenslänglich bewege, ein ehrenvolles Denkmal aufzustellen.
Ganz unvorbereitet sodann ereignet sich folgendes: ein deutscher Naturforscher, Herr Professor Schwägrichen, gelangt nach Edinburgh und bringt die Nachricht von meiner Genesung; die dortige Gesellschaft der Wissenschaften zeichnet meinen Namen als eines einstimmig gewählten auswärtigen Mitgliedes sogleich in ihr Buch ein, und ich erwarte mit Bescheidenheit das Diplom, unterzeichnet von der Hand eines von mir so studierten als von der Welt anerkannten Schriftstellers.
Alles dieses und gar manches andere regt mich zur Prüfung auf, wie ich so große Beweise von entschiedener Teilnahme nur einigermaßen dankbar erwidern könne. Ich beantworte mir diese Frage auf das einfachste: auf eben die Weise, wie ich sie gewonnen habe, durch eine ernste, treue, redliche Wirkung nach außen, die sowohl meinem Vaterland als dem Ausland zugute käme. Überzeugt bin ich, daß dieser schöne Zweck sich durch einen friedlichen Betrieb am sichersten erreichen lasse, worauf denn mein Augenmerk vorzüglich gerichtet bleiben wird.
Da es scheint, daß aus diesem schweren leiblichen Kampfe mich der Allwaltende hat mit genügsamen Geistes- und Gemütskräften wieder hervorgehen lassen, so ist es meine Pflicht, an sorgfältige Verwendung derselben fortwährend zu denken. Unterdessen darf ich, bis mir vielleicht etwas Größeres gelingt, meinen entfernten Freunden, die sich mit mir unter- halten mögen, sowohl die auf , Kunst und Altertum als auf wissenschaftliche Gegenstände bezüglichen Hefte zutraulich empfehlen, in welchen ich so wie bisher, wo nicht nach entschiedener Ordnung, doch immer nach dem jedesmaligen Interesse von meinen Beschäftigungen aufrichtig frohe Rechenschaft zu geben hoffe.
Goethe auf meiner Seite
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Autobiografisches: Testamente, Reden, Persönlichkeiten
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