Das genannte, hiernächst umständlich zu beschreibende Fest
gilt vor allen Dingen als Zeugnis, wie man damals den jungen
fürstlichen Herrschaften und ihrer Umgebung etwas Heiteres und Reizendes zu veranstalten und zu erweisen gedachte. Sodann bleibt es auch für uns noch merkwürdig, als von dieser Epoche sich die sämtlichen Anlagen auf dem linken Ufer der Ilm, wie sie auch heißen mögen, datieren und herschreiben.
Die Neigung der damaligen Zeit zum Leben, Verweilen und
Genießen in freier Luft ist bekannt, und wie die sich daraus
entwickelnde Leidenschaft, eine Gegend zu verschönern und
als eine Folge von ästhetischen Bildern darzustellen, durch den Park des Herzogs von Dessau angeregt, sich nach und
nach zu verbreiten angefangen habe.
In der Nähe von Weimar war damals nur der mit Bäumen
und Büschen wohl ausgestattete Raum, der Stern genannt,
das einzige, was man jenen Forderungen analog nennen und
wegen Nähe der herrschaftlichen Wohnung als angenehm
geachtetes Lokal schätzen konnte. Es fanden sich daselbst
uralte gradlinige Gänge und Anlagen, hoch in die Luft
sich erhebende stämmige Bäume, daher entspringende mannigfaltige Alleen, breite Plätze zu Versammlung und Unterhaltung.
Begünstigt nun durch heitere trockne Witterung, beschloß man hier zum Namenstag der regierenden Frau Herzogin
ein heiter geschmücktes Fest, welches an die ältern italienischen Wald- und Buschfabeln (Favole boschereccie) geistreich erinnern sollte. Dazu wurde denn auch ein Plan ge- macht und manche Vorbereitung im stillen getroffen. Da
sollte es denn an Nymphen und Faunen, Jägern, Schäfern und Schäferinnen nicht fehlen; glückliche wie verschmähte
Liebe, Eifersüchtelei und Versöhnung war nicht vergessen.
Unglücklicherweise trat nach gewaltsamem Ungewitter eine Wasserflut ein, Wiesen und Stern überschwemmend, wodurch denn jene Anstalten völlig vereitelt wurden. Denn das Dramatische und die Erscheinung der verschiedenen verschränkten Paare war genau auf das Lokal berechnet; daher, um jene Absicht nicht völlig aufzugeben, mußte man auf etwas anders denken.
Damals führte schon von dem Fürstenhause her ein etwas
erhöhter Weg, den die Flut nicht erreichte, an dem linken Ufer der Ilm unter der Höhe weg; man bediente sich aber
desselben nur, um an den schon eingerichteten Felsenplatz,
sodann über die damalige Floßbrücke, welche nachher der sogenannten Naturbrücke Platz machen mußte, in den Stern zu gelangen.
An dem diesseitigen Ufer stand, ein wenig weiter hinauf,
eine von dem Fluß an bis an die Schießhausmauer vorgezogene Wand, wodurch der untere Raum nach der Stadt zu
nebst dem Welschengarten völlig abgeschlossen war. Davor
lag ein wüster, nie betretener Platz, welcher umso weniger
besucht ward, als hier ein Türmchen sich an die Mauer lehnte,
welches, jetzt zwar leer und unbenutzt, doch immer noch
einige Apprehension gab, weil es früher dem Militär zu Aufbewahrung des Pulvers gedient hatte.
Diesen Platz jedoch erreichte das Wasser nicht. Der bisherige
Zustand erlaubte, hier etwas ganz Unerwartetes zu veranstalten; man faßte den Gedanken, die Festlichkeit auf die unmittelbar anstoßende Höhe zu verlegen, dahin, wo hinter
jener Mauer eine Gruppe alter Eschen sich erhob, welche noch
jetzt Bewunderung erregt. Man ebnete unter denselben, welche glücklicherweise ein Oval bildeten, einen anständigen
Platz und baute gleich davor in dem schon damals waltenden und auch lange nachher wirkenden Mönchssinne eine sogenannte Einsiedelei, ein Zimmerchen mäßiger Größe,
welches man eilig mit Stroh überdeckte und mit Moos bekleidete.
Alles dieses kam in drei Tagen und Nächten zustande, ohne daß man weder bei Hofe noch in der Stadt etwas davon vermutet hätte. Der nahgelegene Bauplatz lieferte unserm Werk die Materialien, wegen der Überschwemmung hatte niemand Lust, sich nach dem Stern zu begeben.
Nach jenen mönchischen, unter diesen Umständen die Oberhand gewinnenden Ansichten kleidete sich eine Gesellschaft
geistreicher Freunde in weiße, höchst reinliche Kutten, Kappen und Überwürfe und bereitete sich zum Empfange. Der
Hof war zur gesetzlichen Tagesstunde eingeladen, die Herrschaften kamen jenen untern Weg am Wasser her; die Mönche gingen ihnen bis an den erweiterten Felsenraum entgegen, wo man sich anständig ausbreiten konnte, worauf
denn nachstehendes, von Kammerherrn Siegmund von Sekkendorf gefertigtes Dramolett gesprochen wurde.
Gedachten wohl nicht, uns zu finden am Stern,
Es sei denn, sie hätten im voraus vernommen,
Daß, eben am Tag, wie das Wasser gekommen,
Auch wir mit dem Kloster hieher sind geschwommen.
Zwar ist die Kapelle, der schöne Altar,
Die heiligen Bilder, die Orgel sogar,
Erbärmlich beschädigt, fast alles zerschlagen,
Die Stücke, Gott weiß wohinabwärts getragen;
Doch Keller und Küche, zwar wenig verschlemmt,
Hat auch sich, gottlob, mit uns feste gestemmt,
Als wir, durch brausende Fluten getrieben,
Hier dicht an der Mauer sind stehen geblieben.
P. Provisor Ja, das war fürs Kloster ein großes Glück,
Sonst wären wir wahrlich geschwommen zurück;
Und ist man auch gleich resigniert in Gefahren,
So mag doch der Teufel die Welt so durchfahren.
P. Guardian Ich meines Orts freu mich der Nachbarschaft,
Die uns unsre seltsame Reise verschafft.
Und ist auch das Kloster hier gut etabliert —
P. Küchenmeister
Ja, nur etwas kärglich und enge logiert —
P. Dekorator
Nun, ’s Wasser hat freilich uns viel ruiniert!
P. Florian
Von Mücken und Schnacken ganz rasend geplagt!
P. Küchenmeister
Und vielerlei, was mir noch sonst nicht behagt.
P. Dekorator Ei! Ei! wer wird ewige Klaglieder stimmen!
Sei der Herr zufrieden, nicht weiter zu schwimmen.
P. Florian Der dicke Herr ist der Pater Guardian,
Ein überaus heilig- und stiller Mann,
Den wir, dem löblichen Kloster zum Besten,
Mit allem, was lecker und nährend ist, mästen.
Und dieser hier, Pater Dekorator,
Der all unsern Gärten und Bauwerk steht vor,
Der hat nun beinahe drei Nacht nicht geschlafen,
Um uns hier im Tal ein Paradies zu verschaffen.
Denn wenn der was angreift, so hat er nicht Ruh,
Stopft Tag und Nacht die Löcher mit Heckenwerk zu,
Macht Wiesen zu Felsen und Felsen zu Gänge,
Bald gradaus, bald zickzack die Breit und die Länge.
Sogar auch den Ort, den sonst niemand orniert,
Hat er mit Lavendel und Rosen verziert.
P. Provisor
Ei überhaupt von den Patern hier insgesamt
Ist keiner, der wohl nicht verwaltet sein Amt.
Doch pranget freilich Pater Küchenmeister
Als einer der höchst spekulierendsten Geister,
Weil schwerlich auf Erden eine Speise existiert,
Die er doch nicht wenigstens hätte probiert.
P. Orator Ja, der versteht sich aufs Sieden und Braten,
Der macht rechte Saucen und süße Panaten
Und Torten von Zucker und Cremen mit Wein:
Mit dem ists eine Wollust im Kloster zu sein.
Drum dächt ich, ihr ließt euch drum eben nicht schrecken;
Wenngleich rauhe Felsen unsre Wohnung bedecken
Und eng sind die Zellen und schlecht dies Gewand,
So bergen sie Reize, die nie ihr gekannt.
Laßt ab, zu verschwenden die köstlichen Tage
Mit quirlenden Sinnen und strebender Plage,
Mit schläfrigen Tänzen und schläfrigem Spiel,
In sinnlicher Trägheit und dumpfem Gefühl!
Bekehrt euch von Kolik, von Zahnweh und Flüssen
Und lernet gesünder des Lebens genießen!
Ihr gähnet im Glanze von festlicher Pracht,
Wir schätzen den Tag und benutzen die Nacht;
Ihr schlaft noch beim Aufgang der lieblichen Sonne,
Wir schöpfen und atmen den Morgen mit Wonne;
Ihr taumelt im Hoffen und Wünschen dahin,
Wir lassen uns lieber vom Augenblick ziehn.
Und beichten wir unsere Sünden im Chor,
So sind wir so heilig und ehrlich wie vor.
P. Provisor
Herr Guardian, die Glock hat zwei schon geschlagen.
P. Guardian Gottlob! ich fühlt es schon längstens im Magen.
P. Küchenmeister
Euer Hochwürden, die Speisen sind aufgetragen.
P. Orator Sie rechnens uns allerseits übel nicht an,
Wenn keiner der Paters verweilen nicht kann:
Sie wissen, die Suppe versäumt man nicht gern.
Alle O stünde doch unsre Tafel im Stern!
P. Guardian Doch will jemand ins Refektorium kommen,
So ist er mir und dem Kloster willkommen. Ab.
Auf die einladenden Verbeugungen des Pater Guardian folgten die Herrschaften mit dem Hofe in das kleine Zimmer, wo um eine Tafel, auf einem reinlichen, aber groben Tischtuche, um eine Bierkaltschale eine Anzahl irdener tiefer Teller und Blechlöffel zu sehen waren, so daß man bei der Enge des Raumes und den kümmerlichen Anstalten nicht wußte, was es heißen solle, auch die Frau Oberhofmeisterin, Gräfin Gianini, sonst eine heitere humoristische Dame, ihr Mißbehagen nicht ganz verbergen konnte.
Hierauf sprach
P. Guardian Herr Dekorator, der Platz ist sehr enge,
Und unsre Klausur ist eben nicht strenge:
Ich dächte, wir führten die Damen ins Grüne.
P. Dekorator
Ja, wenn die Sonne so warm nur nicht schiene!
P. Guardian Es wird ja wohl Schatten zu finden sein.
P. Küchenmeister Ich meines Orts esse viel lieber im Frein!
P. Guardian zum P. Dekorator
Es fehlt ihm ja sonst nicht an guten Ideen.
P. Dekorator
Nun, wenn Sies befehlen, so wollen wir sehen. Geht ah.
P. Guardian Es ist ein gar fürtrefflicher Mann.
P. Küchenmeister
Ich zweifle, daß er uns diesmal helfen kann;
Die Plätze sind alle mit Wasser verschlemmt
Und noch nicht peigniert —
P. Orator Sag Er doch: gekämmt!
Daß Er doch sein Frankreich, wo die Küch Er studiert,
Noch immer und ewig im Munde führt!
P. Dekorator kommt wieder
Euer Hochwürden, der Platz ist ersehn;
Wenns Ihnen gefällig ist, wollen wir gehn. Alle ab.
In diesem Augenblicke eröffnete sich die hintere Türe, und es erschien eine gegen den engen Vordergrund abstechende prächtig-heitere Szene. Bei einer vollständigen symphonischen Musik sah man, hoch überwölbt und beschattet von den Ästen des Eschenrundes, eine lange, wohlgeschmückte fürstliche Tafel, welche ohne weiteres schicklich nach herkömmlicher Weise besetzt wurde, da sich denn die eingeladenen übrigen Gäste mit Freuden und glückwünschend einfanden.
Den Mönchen ward die schuldigst angebotene Aufwartung verwehrt und ihnen die sonst gewohnten Plätze bei Tafel angewiesen. Der Tag erzeigte sich vollkommen günstig, die rings umgebende Grüne voll und reich. Ein über Felsen herabstürzender Wasserfall, welcher durch einen kräftigen Zubringer unablässig unterhalten wurde und malerisch genug angelegt war, erteilte dem Ganzen ein frisches romantisches Wesen, welches besonders dadurch erhöht wurde, daß man eine Szene der Art in solcher Nähe, an so wüster Stelle keineswegs hatte vermuten können. Das Ganze war künstlerisch abgeschlossen, alles Gemeine durchaus beseitigt; man fühlte sich so nah und fern vom Hause, daß es fast einem Märchen glich. Genug, der Zustand tat eine durchaus glückliche Wirkung, welche folgereich ward. Man liebte, an den Ort wiederzukehren; der junge Fürst mochte sogar daselbst übernachten, für dessen Bequemlichkeit man die scheinbare Ruine und das simulierte Glockentürmchen einrichtete. Ferner und schließlich aber verdient dieser Lebenspunkt unsre fortdauernde Aufmerksamkeit, indem die sämtlichen Wege an dem Abhange nach Oberweimar zu von hier aus ihren Fortgang gewannen; wobei man die Epoche der übrigen Parkanlagen auf der obern Fläche bis zur Belvederischen Chaussee von diesem glücklich bestandenen Feste an zu rechnen billig befugt ist.
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