FERNERES IN BEZUG AUF MEIN VERHÄLTNIS ZU SCHILLER
Jeder Mensch in seiner Beschränktheit muß sich nach und
nach eine Methode bilden, um nur zu leben. Er lernt sich allmählich kennen, auch die Zustände der Außenwelt; er fügt sich darein, setzt sich aber wieder auf sich selbst zurück und formt sich zuletzt Maximen des Betragens, womit er auch ganz gut durchkommt, sich andern mitteilt, von andern
empfängt und, je nachdem er Widerspruch oder Einstimmung erfährt, sich entfernt oder anschließt, und so halten wirs mit uns selbst und mit unsern Freunden. Selten ist es aber, daß Personen gleichsam die Hälften voneinander ausmachen, sich nicht abstoßen, sondern sich anschließen und
einander ergänzen.
Die Schwierigkeit liegt hauptsächlich darin, daß die not- wendigen Lebensmethoden voneinander abweichen und daß
im Dekurs der Zeit niemand den andern übersieht.
Ich besaß die entwickelnde, entfaltende Methode, keineswegs
die zusammenstellende, ordnende; mit den Erscheinungen nebeneinander wußt ich nichts zu machen, hingegen mit ihrer Filiation mich eher zu benehmen.
Nun aber ist zu bedenken, daß ich so wenig als Schiller einer vollendeten Reife genoß, wie sie der Mann wohl wünschen
sollte; deshalb denn zu der Differenz unserer Individualitäten die Gärung sich gesellte, die ein jeder mit sich selbst zu
verarbeiten hatte; weswegen große Liebe und Zutrauen, Bedürfnis und Treue im hohen Grad gefordert wurden, um
ein freundschaftliches Verhältnis ohne Störung immerfort
Zusammenwirken zu lassen.
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Autobiografisches: Testamente, Reden, Persönlichkeiten
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