Etwa dreiundsechzig Jahre alt, mittlerer, eher kleiner Statur, von feiner Körper- und Gesichtsbildung, lebhaft in Bewegungen und Betragen, im Gespräch schnell, rauh, eher mitunter grob; in mehr als einem Sinne einseitig und beschränkt; als Brite starr, als Individuum eigensinnig, als Geistlicher streng, als Gelehrter pedantisch. Rechtschaffenheit, Eifer für das Gute und dessen unmittelbares Wirken sieht überall durch das Unangenehme jener Eigenschaften, wird auch balanciert durch große Welt-, Menschen- und Bücherkenntnis, durch Liberalität eines vornehmen, durch Aisance eines reichen Mannes. So heftig er auch spricht und weder allgemeine noch besondere Verhältnisse schont, so hört er doch sehr genau auf alles, was gesprochen wird, es sei für oder gegen ihn; gibt bald nach, wenn man ihm widerspricht; widerspricht, wenn ihm ein Argument nicht gefällt, das man ihm zugunsten aufstellt; läßt bald einen Satz fallen, bald faßt er einen andern an, indem er ein paar Hauptideen gerade durchsetzt. So scheinen sich auch bei ihm sehr viele Worte fixiert zu haben: er will nur gelten lassen, was das klare Bewußtsein des Verstandes anerkennen mag, und doch läßt sich im Streite bemerken, daß er viel zarterer Ansichten fähig ist, als er sich selbst gesteht. Übrigens scheint sein Betragen nachlässig, aber angenehm, höflich und zuvorkommend. So ists ungefähr, wie ich diesen merkwürdigen Mann, für und gegen den ich so viel gehört, in einer Abendstunde gesehen habe.
Jena, den 10. Juni 1797
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Autobiografisches: Testamente, Reden, Persönlichkeiten
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