verwitweten Herzogin zu Sachsen-Weimar und Eisenach gebornen Herzogin von Braunschweig und Lüneburg
Wenn das Leben der Großen dieser Welt, so lange es ihnen von Gott gegönnt ist, dem übrigen Menschengeschlecht als ein Beispiel vorleuchten soll, damit Standhaftigkeit im Unglück und teilnehmendes Wirken im Glück immer allgemeiner werde, so ist die Betrachtung eines bedeutenden vergangenen Lebens von gleich großer Wichtigkeit, indem eine kurzgefaßte Übersicht der Tugenden und Taten einem jeden zur
Nacheiferung als eine große und unschätzbare Gabe überliefert werden kann.
Der Lebenslauf der Fürstin, deren Andenken wir heute
feiern, verdient mit und vor vielen andern sich dem Gedächtnis einzuprägen, besonders derjenigen, die früher unter ihrer Regierung und später unter ihren immerfort landesmütterlichen Einflüssen manches Guten teilhaft geworden und ihre Huld, ihre Freundlichkeit persönlich zu erfahren das Glück
hatten.
Entsprossen aus einem Hause, das von den frühesten Voreltern an bedeutende, würdige und tapfere Ahnherren zählt; Nichte eines Königs, des größten Mannes seiner Zeit; von
Jugend auf umgeben von Geschwistern und Verwandten,
denen Großheit eigen war, die kaum ein ander Bestreben kannten als ein solches, das ruhmvoll und auch der Zukunft
bewundernswürdig wäre; in der Mitte eines regen, sich in manchem Sinn weiter bildenden Hofes, einer Vaterstadt, welche sich durch mancherlei Anstalten zur Kultur der Kunst
und Wissenschaft auszeichnete, ward sie bald gewahr, daß
auch in ihr ein solcher Keim liege, und freute sich der Ausbildung, die ihr durch die trefflichsten Männer, welche späterhin in der Kirche und im Reich der Gelehrsamkeit glänzten,
gegeben wurde.
Von dort wurde sie früh hinweg gerufen zur Verbindung
mit einem jungen Fürsten, der mit ihr zugleich in ein heiteres Leben einzutreten, seiner selbst und der Vorteile des Glücks zu genießen begann. Ein Sohn entsprang aus dieser Vereinigung, auf den sich alle Freuden und Hoffnungen versammelten; aber der Vater sollte sich wenig an ihm und an dem
zweiten gar nicht erfreuen, der erst nach seinem Tode das
Licht der Welt erblickte.
Vormünderin von Unmündigen, selbst noch minderjährig,
fühlte sie sich bei dem einbrechenden Siebenjährigen Kriege
in einer bedenklichen Lage. Als Reichsfürstin verpflichtet, auf
derjenigen Seite zu stehen, die sich gegen ihren großen Oheim
erklärt hatte, durch die Nähe der Kriegswirkungen selbst gedrängt, fand sie eine Beruhigung in dem Besuch des großen
heerführenden Königs. Ihre Provinzen erfuhren viel Ungemach, doch kein Verderben erdrückte sie.
Endlich zeigte sich der erwünschte Frieden, und ihre ersten Sorgen waren die einer zwiefachen Mutter, für das Land und
für ihre Söhne. Sie ermüdete nicht, mit Geduld und Milde
das Gute und Nützliche zu befördern, selbst wo es nicht etwa
gleich Grund fassen wollte. Sie erhielt und nährte ihr Volk
bei anhaltender furchtbarer Hungersnot. Gerechtigkeit und
freier Edelmut bezeichneten alle ihre Regentenbeschlüsse und
Anordnungen.
Ebenso war im Innern ihre herzlichste Sorge auf die Söhne
gewendet. Vortreffliche verdienstvolle Lehrer wurden angestellt, wodurch sie zu einer Versammlung vorzüglicher Männer den Anlaß gab und alles dasjenige begründete, was
später für dieses besondere Land, ja für das ganze deutsche Vaterland so lebhaft und bedeutend wirkte.
Alles Gefällige, was das Leben zieren kann, suchte sie sogleich nach dem gegebenen Maß um sich zu versammeln, und
sie war im Begriff, mit Freude und Zutrauen das gewissenhaft Verwaltete ihrem Durchlauchtigsten Sohne zu übergeben, als das unerwartete Unglück des weimarischen Schloßbrandes die gehoffte Freude in Trauer und Sorgen verwandelte. Aber auch hier zeigte sie den eingebornen Geist: denn
unter großen Vorbereitungen zu Milderung so wie zu Benutzung der Folgen dieses Unglücks übergab sie ruhm und
ehrenvoll ihrem zur Volljährigkeit erwachsenen Erstgebornen die Regierung seiner väterlichen Staaten und trat eine
sorgenfreiere Abteilung des Lebens an.
Ihre Regentschaft brachte dem Lande mannigfaltiges Glück,
ja das Unglück selbst gab Anlaß zu Verbesserungen. Wer
dazu fähig war, nahm sie an. Gerechtigkeit, Staatswirtschaft, Polizei befestigten, entwickelten, bestätigten sich. Ein
ganz anderer Geist war über Hof und Stadt gekommen. Bedeutende Fremde von Stande, Gelehrte, Künstler wirkten
besuchend oder bleibend. Der Gebrauch einer großen Bibliothek wurde freigegeben, ein gutes Theater unterhalten und
die neue Generation zur Ausbildung des Geistes veranlaßt. Man untersuchte den Zustand der Akademie Jena. Der Fürstin Freigebigkeit machte die vorgeschlagenen Einrichtungen
möglich, und so wurde diese Anstalt befestigt und weiterer Verbesserung fähig gemacht.
Mit welcher freudigen Empfindung mußte sie nun unter den
Händen ihres unermüdeten Sohnes, selbst über Hoffnung und
Erwartung, alle ihre früheren Wünsche erfüllt sehen, umso
mehr, als nach und nach aus der glücklichsten Eheverbindung
eine würdige frohe Nachkommenschaft sich entwickelte.
Das ruhige Bewußtsein, ihre Pflicht getan, das, was ihr oblag,
geleistet zu haben, begleitete sie zu einem stillen, mit Neigung gewählten Privatleben, wo sie sich, von Kunst und
Wissenschaft so wie von der schönen Natur ihres ländlichen Aufenthalts umgeben, glücklich fühlte. Sie gefiel sich im
Umgang geistreicher Personen und freute sich, Verhältnisse
dieser Art anzuknüpfen, zu erhalten und nützlich zu machen;
ja, es ist kein bedeutender Name von Weimar ausgegangen,
der nicht in ihrem Kreise früher oder später gewirkt hätte. So bereitete sie sich vor zu einer Reise jenseits der Alpen, um
für ihre Gesundheit Bewegung und ein milderes Klima zu
nutzen: denn kurz vorher erfuhr sie einen Anfall, der das Ende ihrer Tage herbeizurufen schien. Aber einen höhern
Genuß hoffte sie von dem Anschauen dessen, was sie in den
Künsten so lange geahnet hatte, besonders von der Musik, von der sie sich früher gründlich zu unterrichten wußte, eine neue Erweiterung der Lebensansichten durch die Bekanntschaft edler und gebildeter Menschen, die jene glücklichen
Gegenden als Einheimische und Fremde verherrlichten und
jede Stunde des Umgangs zu einem merkwürdigen Zeitmoment erhöhten.
Manche Freude erwartete sie nach ihrer Zurückkunft, als
sie, mit mancherlei Schätzen der Kunst und der Erfahrung
geschmückt, ihre häusliche Schwelle betrat. Die Vermählung 1804
ihres blühenden Enkels mit einer unvergleichlichen Prinzessin, die erwünschten ehelichen Folgen gaben zu Festen Anlaß, wobei sie sich des mit rastlosem Eifer, tiefem Kunstsinn und wählendem Geschmack wieder aufgerichteten und
ausgeschmückten Schlosses erfreuen konnte und uns hoffen
ließ, daß, zum Ersatz für so manches frühe Leiden und Entbehren, ihr Leben sich in ein langes und ruhiges Alter verlieren würde.
Aber es war von dem alles Lenkenden anders vorgesehen.
Hatte sie während dieses gezeichneten Lebensganges manches
Ungemach tief empfunden, vor Jahren den Verlust zweier
tapferen Brüder, die auf Heereszügen ihren Tod fanden,
eines dritten, der, sich für andere aufopfernd, von den Fluten
verschlungen ward, eines geliebten entfernten Sohnes, später
eines verehrten, als Gast bei ihr einkehrenden Bruders und
eines hoffnungsvollen lieblichen Urenkels, so hatte sie sich mit inwohnender Kraft immer wieder zu fassen und den
Lebensfaden wieder zu ergreifen gewußt. Aber in diesen
letzten Zeiten, da der unbarmherzige Krieg, nachdem er unser so lange geschont, uns endlich und sie ergriff, da sie, um eine herzlich geliebte Jugend aus dem wilden Drange
zu retten, ihre Wohnung verließ, eingedenk jener Stunden, als die Flamme sie aus ihren Zimmern und Sälen verdrängte, nun bei diesen Gefahren und Beschwerden der
Reise, bei dem Unglück, das sich über ein hohes verwandtes, über ihr eigenes Haus verbreitete, bei dem Tode
des letzten einzig geliebten und verehrten Bruders, in dem Augenblick, da sie alle ihre auf den festesten Besitz, auf wohl erworbenen Familienruhm gebauten jugendlichen
Hoffnungen, Erwartungen von jener Seite verschwinden sah — da scheint ihr Herz nicht länger gehalten und ihr mutiger
Geist gegen den Andrang irdischer Kräfte das Übergewicht
verloren zu haben. Doch blieb sie noch immer sich selbst
gleich, im Äußern ruhig, gefällig, anmutig, teilnehmend und
mitteilend, und niemand aus ihrer Umgebung konnte fürchten, sie so geschwind aufgelöst zu sehen. Sie zauderte, sich für krank zu erklären; ihre Krankheit war kein Leiden, sie schied aus der Gesellschaft der Ihrigen, wie sie gelebt hatte. Ihr Tod, ihr Verlust sollte nur schmerzen als notwendig,
unvermeidlich, nicht durch zufällige, bängliche, angstvolle
Nebenumstände.
Und wem von uns ist in gegenwärtigen Augenblicken, wo die Erinnerung vergangener Übel, zu der Furcht vor zukünftigen gesellt, gar manches Gemüt beängstigt, nicht ein solches Bild standhaft ruhiger Ergebung tröstlich und aufrichtend! Wer von uns darf sagen: „Meine Leiden waren so groß als die ihrigen!“ Und wenn jemand eine solche traurige Vergleichung anstellen könnte, so würde er sich an einem so erhabenen Beispiele gestärkt und erquickt fühlen.
Ja! — wir kehren zu unserer ersten Betrachtung zurück —
das ist der Vorzug edler Naturen, daß ihr Hinscheiden in höhere Regionen segnend wirkt wie ihr Verweilen auf der Erde; daß sie uns von dorther, gleich Sternen, entgegen leuchten, als Richtpunkte, wohin wir unsern Lauf bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu richten haben;
daß diejenigen, zu denen wir uns als zu Wohlwollenden und
Hülfreichen im Leben hinwendeten, nun die sehnsuchtsvollen
Blicke nach sich ziehen als Vollendete, Selige.
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Goethe auf meiner Seite
Testamente, Reden, Persönlichkeiten
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