Ihre Gegenwart hatte wie in geistigem so in körperlichem
Sinne etwas Reizendes, und sie schien es nicht übel zu nehmen, wenn man auch von dieser Seite nicht unempfindlich war. Wie oft mochte sie Geselligkeit, Wohlwollen, Neigung und
Leidenschaft zusammengeschmolzen haben! Auch sagte sie einst: „Ich habe niemals einem Manne vertraut, der nicht einmal in mich verliebt gewesen wäre.“ Die Bemerkung ist richtig: denn hat, wie in der Liebe geschieht, ein Mann sein Inneres aufgeschlossen und sich hingegeben, so ist das ein Geschenk, das er nicht zurücknehmen kann, und es würde unmöglich sein, ein ehemals geliebtes Wesen zu beschädigen oder ungeschützt zu lassen.
Auch vorlesend und deklamierend wollte Frau von Stael sich Kränze erwerben. Eine Vorlesung der ,Phädra‘, der ich nicht beiwohnen konnte, hatte jedoch einen vorauszusehenden Erfolg: es ward abermals klar, der Deutsche möchte wohl auf ewig dieser beschränkten Form, diesem abgemessenen und
aufgedunsenen Pathos entsagt haben. Den darunter verborgenen hübschen natürlichen Kern mag er lieber entbehren
als ihn aus so vieler nach und nach darum gehüllten Unnatur
gutmütig herausklauben.
Mit Benjamin Constant wurden mir gleichfalls angenehme
belehrende Stunden. Wer sich erinnert, was dieser vorzügliche Mann in den folgenden Zeiten gewirkt und mit welchem
Eifer derselbe ohne Wanken auf dem einmal eingeschlagenen, für recht gehaltenen Wege fortgeschritten, der würde
ahnen können, was in jener Zeit für ein würdiges, noch unentwickeltes Streben in einem solchen Manne gewaltet. In besondern vertraulichen Unterredungen gab er seine Grundsätze und Überzeugungen zu erkennen, welche durchaus ins Sittlich-Politisch-Praktische auf einem philosophischen Wege
gerichtet waren. Auch er verlangte das gleiche von mir, und wenn ihm auch meine Art und Weise, Natur und Kunst anzusehen und zu behandeln, nicht immer deutlich werden
konnte, so war doch die Art, wie er sich dieselbe redlich zuzueignen, um sie seinen Begriffen anzunähern, in seine Sprache zu übersetzen trachtete, mir selbst von dem größten
Nutzen, indem für mich daraus hervorging, was noch Unentwickeltes, Unklares, Unmitteilbares, Unpraktisches in meiner Behandlungsweise liegen dürfte.
Abendlich verweilte er einigemal mit Frau von Stael bei mir. Späterhin langte noch Johannes von Müller an, und
es konnte an höchst bedeutender Unterhaltung nicht fehlen,
da auch der Herzog, mein gnädigster Herr, an solchen engen Abendkreisen teilzunehmen geneigt war. Freilich waren alsdann die wichtigen Ereignisse und Verhängnisse des Augenblicks unaufhaltsam an der Tagesordnung, und um hievon
zu zerstreuen, kam die von mir angelegte, gerade damals leidenschaftlich vermehrte Medaillensammlung aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts glücklich zu
Hülfe, indem die Gesellschaft sich dadurch veranlaßt sah, aus dem Bedenklich-Politischen, aus dem Allgemein-Philosophischen in das Besondere, Historisch-Menschliche hinüberzugehen. Hier war nun Johannes Müller an seiner Stelle, indem er die Geschichte eines jeden mehr oder weniger bedeutenden vor unsern Augen in Erz abgebildeten Mannes vollkommen gegenwärtig hatte und dabei gar manches Biographisch-Erheiternde zur Sprache brachte.
Auch in den folgenden Wochen des ersten Jahres-Viertels fehlte
es nicht an teilnehmenden Fremden. Professor Wolf, der mächtige Philolog, schien sich immer mehr in unserm Kreise zu gefallen und war von Halle diesmal auf kurze Zeit, mich zu besuchen, gekommen. Rehberg, verdienstvoller Maler, den
die Kriegsläufte aus Italien vertrieben hatten, ließ uns preiswürdige Arbeiten sehen, mit denen er sich nach England begeben wollte. Auch vernahmen wir umständlich durch ihn, welchen Unbilden das schöne Land, besonders aber auch Rom, ausgesetzt sei.
Fernows Gegenwart war höchst erfrischend und belehrend,
indem er für Kunst und italienische Sprache viel Anregendes
mitgebracht hatte. Vossens Aufenthalt in Jena war nicht weniger einflußreich; sein gutes Verhältnis zu Hofrat Eichstädt ließ ihn für die Literaturzeitung tätig sein, ob er schon die Absicht, Jena zu verlassen, nicht ganz verbergen
konnte.
Wie schwer es übrigens war, mit den fremden trefflichen Gästen einigermaßen auszudauern, davon gebe ich nur folgendes Beispiel: Frau von Stael hatte eine Aufführung der
, Natürlichen Tochter so gut wie erzwungen; was wollte sie aber bei der wenigen mimischen Bewegung des Stücks aus der ihr völlig unverständlichen Redefülle herausnehmen? Mir
sagte sie, daß ich nicht wohlgetan, diesen Gegenstand zu behandeln; das Buch, das den Stoff dazu hergegeben, werde
nicht geschätzt, und das Original der Heldin, die darin figuriere, in der guten Sozietät nicht geachtet. Als ich nun solche Instanzen scherzhaft abzulehnen Humor genug hatte, versetzte sie: das sei eben der große Fehler von uns deutschen Autoren, daß wir uns nicht ums Publikum bekümmerten.
Ferner verlangte sie dringend ,Das Mädchen von Andros aufführen zu sehen. Ich erinnere mich aber nicht, wie sie dieses antikisierende Maskenwesen mochte aufgenommen
haben.
Goethe auf meiner Seite
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Autobiografisches: Testamente, Reden, Persönlichkeiten
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