> Gedichte und Zitate für alle: Oskar Kanehl-Der junge Goethe im Urteile des jungen Deutschland- Karl Gutzkow. (10)

2019-11-22

Oskar Kanehl-Der junge Goethe im Urteile des jungen Deutschland- Karl Gutzkow. (10)



Karl Gutzkow. 

In dem Maße, wie sich die Forschung dem jungen Deutschland mehr zugewendet hat, hat sich auch die Erkenntnis gesteigert, daß seine bedeutendste literarische Erscheinung Karl Gutzkow ist. Sein hundertster Geburtstag (17. März 1911) ließ eine große Anzahl Charakteristiken, Verteidigungen, Rettungen entstehen, die wohl zumeist darin übereinstimmen, daß dieser Mann „als der stärkste Typus der geistigen Richtung" erscheint, ,,die wir das junge Deutschland nennen" .

Was für ein Mensch ist er? Von Haus aus so etwas fontanisch, ein rührendes Gefühl für die Poesie des Kleinlebens mit einem starken Zug zum Geistigen, so etwas einnehmend Liebes von Altberlinertum, das aber die Zeit in Skeptizismus wandelt. Wohl hat einer jener Charakteristiker recht, wenn er meint, es „kämpften zwei Gewalten in ihm: ein immer wiederkehrender Drang, die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, und die heftige Neigung, mit den nächstliegenden Mitteln auf die Nächsten zu wirken"; nur ist die zweite Gewalt falsch benannt: es ist nicht eine „heftige Neigung", sondernder Zug seiner Zeit, von dem, wie der Kritiker selbst sagt, „keine bedeutende Natur im Vormärz unberührt blieb". Gerade das macht diesen Zwiespalt zu einem tragischen. Gutzkow wird ein Skeptiker, leidenschaftlich im Kampf, im Protest, schöpferisch im Programm. Er gesteht selbst: „Auf dem Wege der politischen Exaltation wurd' ich mit der schönen Literatur bekannt". Wie alle eigentlichen Jungdeutschen kommt er von der Kritik. Nicht ein Schaffen treibt ihn zur Literatur, sondern ein Zerstören. Nicht die Schönheit selbst ruft ihn, sondern ihr Fluch, verkannt zu sein. Nicht schaffendes Friedenswerk, sondern vernichtendes Kriegswerk ist sein Tun. Aber auch der blutige Kampf ist nur die Sehnsucht nach dem besseren Frieden, Kampf gegen das Häßliche ist latente Anbetung des Schönen. Dichter war von den Jungdeutschen keiner, aber Kämpfer der Wahrheit, Sucher der Schönheit waren sie sämtlich. Gutzkow vom allerreinsten Trieb. Nicht schweigender Künstler, sondern redender Verteidiger der Kunst. Einer, der ein Beispiel gibt. „Ich hatte alles, um Priester, Volkslehrer, Jugendlehrer, vielleicht noch Größeres zu werden; nichts, um ein Dichter. Ich hatte nie daran gedacht, ich war nie Egoist, sondern schuf nur, um zu wirken; ich hätte müssen Baumeister, Staatsmenn werden. An der Kritik erst lernt ich mich konzentrieren, an dem, was schlecht gemacht wurde, sah ich, wie es sein mußte." Man denkt an Lessing ; man hat auch neuerdings vielleicht nicht mit Unrecht an Ibsen erinnert: Einsame Arbeiter, nüchterne Wahrheitsmenschen, schöpferisch im Widerstreit sind alle drei, so groß im einzelnen die Unterschiede sein mögen.

Auch Gutzkow, wie in viel stärkerem Maße äußerlich dann Laube, wird Dramatiker durch Schauspielereinfluß; Erlebnis ist dennoch der Hauptboden seiner Konzeptionen. Mit Recht darf er in dem jüngst mitgeteilten biographisch äußerst wichtigen Briefe an O.L.B. Wolff  behaupten: ,,Alle meine Schriften sind Stadien meiner innern Gährungen." Es nimmt nicht Wunder, daß es gerade die produktiven Menschen jener Epoche vornehmlich zum Drama zog, ihie Epoche war ja eine dramatische. Eine tiefe geistige Natur, von allen Jungdeutschen der größte Eigener, der stärkste Einzelmensch, der ausgeprägteste Charakter. Wie begegnete ihm Goethe im Laufe seines Lebensganges ? Mit ihm selber werden wir sagen: Er ,,hat seinen Entwicklungsgang vor den Augen des Publikums durchgemacht. Er wuchs aus gleichsam sichtbar zutage liegenden Wurzeln und arbeitete sich allmählich aus Stimmungen des Gemüts und der Parteinahme zur Objektivität heraus."

Ein kleiner Springinsfeld, der seine Nase überall da mit Vorliebe hineinsteckt, wo sie nichts zu suchen hat, bekommt er schon den ,Faust' in die Finger. „Die Töpfe und Kessel, der Blasebalg, der Rührlöffel und die Meerkatzen" in der Hexenküche, ,,so schauderhaft Natürliches so rein der eigenen unmittelbarsten Gegenwart und dem Selbsterlebnis nur zu oft Angehöriges gedruckt zu lesen", bereitete ihm eine „trunkene Freude" und sind der Lohn für seine Naseweisheit. Nicht „bockfüßig und hörnermäßig" genug kann es hergehen. Nach dem Muster der Puppenspiele in der Mittelstraße wird sogar „mit Goethes Faust eine dramatische Darstellung versucht". Herrlicher Jugendtorheit Spiel mit der Weisheit, des Reinen ungeblendeter Blick in die Sonne. — Vom Schulkatheder wird dem Wißbegierigen deutsche Literatur „nicht nach sondern aus Franz Horn" gelehrt, ein Unterricht der dem Wissensnimmersatt noch mehr zum „geistigen hinter die Schule gehen" trieb, als er es ohnehin schon tat. Da, in den gestohlenen Stunden, wurde neben Schiller und Jean Paul Goethe um so begeisterter gelesen. Als er durch die Gönnerschaft der Familie Minter dann Besitzer einer Bibliothek wird, um die ihn „ein Privatdozent hätte beneiden können" , verschlingt er natürlich, wessen er habhaft werden kann. „Die Jugend hat in geistigen Dingen einen wahren Straußenmagen. Sie verdaut alles durcheinander' ' . Der große Brite . . . . , Goethe und Jean Paul" sind Gutzkows Heroen. „Jean Paul wies auf Herder hin, und auch dessen Werke wurden erworben". Solche Goetheverehrung erfährt zunächst einen jähen Abschluß, als 1828 Menzels „Deutsche Literatur" erschien. „Das blendende Buch wurde von dem Siebzehnjährigen sofort käuflich erworben und verschlungen". „Der erste Eindruck war für ein Jugendgemüt überwältigend". Im Jahre 1831 beginnt Gutzkows eigene literarische Tätigkeit. Das „Forum" zeigt deutlich Börnes und Menzels Einfluß.

„Die Gerechtigkeit . . war die erste Muse, der ich diente. Noch eine zweite meiner besonderen Musen war der Enthusiasmus. Dabei hat sich hingebender, treuer, bewunderungserfüllter wohl selten ein junger schriftstellerischer Anhänger einem älteren angeschlossen, als ich mich damals Menzeln. Ich war ganz jener junge Schüler des Ersten Teils vom ,, Faust", der zu Mephisto „gewallfahrtet kam in heiliger Scheu". Wacker werden für den Stuttgarter Literaturdiktator Lanzen eingelegt. Nicht über Einzelurteile in Menzels „Literatur" solle man zetern, sondern den jugendlichen Hauch einer neuen Zeit verspüren, die jugendfrische Leidenschaft eines kraftbewußten erwachenden Jahrhunderts. Gutzkow in seiner Jugendlichkeit, die stets den stärksten Gegenwartssinn hat, stimmt begeistert dem Bruche seines Meisters mit der Vergangenheit zu. Mit der Vergangenheit ist auch Goethe abgetan.  „Ratlos noch über die Wahl, die in jenem Konflikt gegen oder für den Dichter des Faust, Götz, Egmont, Werther getroffen werden sollte, hielt sich der junge Literaturadept an die wenigstens für ihn bezaubernde Wirkung der W. Menzelschen Begründung seines kritischliterarischen Urteils durch die Interessen der Nation im großen und ganzen". Die leise Proteststimme dagegen scheut sich auch im Angesichte Menzels nicht hervorzutreten. Daß bei Menzel „hinter Goethe uns sogar eine Hure winkt" ist Gutzkow zu weit gegangen. Deshalb spricht er auch offen aus, daß das Buch „nur ein Opfer auf dem Altar der Mode und des Zeitgeschmacks" ist und „vergehen wird, wie so vieles Andere vergangen ist". Sonst aber faßte „die jugendliche Hingebung alles nach den Gesichtspunkten ihres Führers", des „dämonischen Polyhistors", Wolfgang Menzels.

Der auf Zelters Betrieb gerade damals blühende Gothekultus, „halb dem großen Genius, halb dem Minister geltend", bestärkte den jungen Literaten nur noch „unentwegter zu dem damals patriotisch, deutsch und natürlich urteilenden Manne" zu stehen. Dem Berliner Goethekultus der Varnhagens, der Mittwochsgesellschaft, ist er auch später absichtlich ferngeblieben.

Gutzkow tritt mit Menzel in persönliche Beziehung. „Das Herz des Jünglings marktet und dingt nicht. Ist es für eine Frage, für einen Charakter einmal gewonnen, was kann die Liebe wankend machen ! Mittelstraßen werden erst in späteren Jahren gefunden". Dort in Stuttgart, unter den Augen seines Papstes und Brotherrn, bleibt es naturgemäß dabei, daß „mit Goethe den Deutschen nur ein Name gestorben sei, an den sie jetzt nichts mehr als eine schuldige Pietät kette, daß er der Dichter des achtzehnten Jahrhunderts gewesen und ein neuer und immer schönerer Frühling im Garten der Poesie bevorstehe". Neben dem Goethe aber, den er mit Menzels Augen sah, bildet sich mehr unter Börnes Auspizien ein eigener Goethe heran, der auch immer stärker gegen jenen verteidigt wird. Auf der Reise mit Laube (1833) ist Goethe der Gegenstand häufiger Diskussionen, die bei dem Leipziger Besuch (1834) ihre Fortsetzung finden. Aus Rücksicht auf Menzel wird von einer Mitarbeit an Laubes „Eleganter Zeitung", in der „Goethe als sittlicher Befreier der Deutschen verherrlicht"  wurde, Abstand genommen. Von seiner Reise mit Laube teilt er seinem Gönner mit (21. III. 34), sie wären „über einige Personalitäten" in Streit geraten, darunter auch Goethe. Aber immer stärker ringt er sich zu einer eigenen Anschauung des großen Dichters durch. Noch versucht er sich aus dem Zwiespalt herauszufinden. „Im Allgemeinen", schreibt er an Menzel, „werden Sie mehr mißverstanden als angegriffen und widerlegt. Diese Leute glauben, Sie wollten z. B. Goethe aus der Deutschen Literatur hinauswerfen, da Ihrem Buche doch nur ein negativ polemisches Interesse zugrunde liegt, und zu einer positiven Darstellung Ihre Verfahrungsweise ganz anders sein wird." Der Schüler ist über seinen Lehrer hinausgewachsen, glaubt es aber selber noch nicht recht. Aber immer deutlicher wird Menzels Bild von Goethe als Karikatur erkannt und muß nun einem eigenen, gerechteren, selbstgeschaffenen weichen. „Die Opposition schwitzte mir aus den Poren heraus" (27. Nov. 34 an Schlesier). Sobald Gutzkow unabhängig ist, sobald seine Feder ihre Unabhängigkeit in einem eigenen Organ findet, spricht sich auch seine unabhängige Stellung Goethe gegenüber aus. Der „Phönix" exemplifiziert „die moralischen Prinzipien der Menzelschen Geschichte" an ihrem Urteil über Goethe. Des Lehrers bester Schüler ist des Lehrers stärkster Überwinder. Er verteidigt Goethe gegen die Ungerechtigkeit, ihn mit jeder seiner „Figuren selbst zu identifizieren", ihn „für alle Charaktere seiner Gedichte verantwortlich zu machen und jede seiner Reflexionen aus dem Spiegel seines Wesens herzuleiten" . Aber auch hier wird die Gerechtigkeit nicht mißbraucht. In der „großen politischen St. Georgszeit und kritischen Drachenperiode" war Menzel „der wahrhafte Landsknecht und Condottieie des Feldzugs." Menzel, zu schwach für das hohe Glück eines Lehrers, sich von seinem Schüler überflügelt zu sehen, war gereizt und versteifte sich immer mehr auf seine Einseitigkeit, die dadurch verbohrt wurde und ihn zum Denunzianten machte. Er tat seinen Judasschritt. Die Gegner formulierten ihre Gegnerschaft nun um so prägnanter . Menzels Einzelurteile werden jetzt mit scharfer, aber durchaus treffender Kritik beleuchtet. Vor allem wehrt er sich dagegen, den ganzen Goethe mit dem alten herabzusetzen. Menzel hat „kaum begonnen, und ist schon beim zweiten Teil des Faust, er fängt Goethes Laufbahn von hinten an, und wird im dreiundachtzigjährigen Greise zeigen, was der fünfundzwanzigjährige Jüngling war". Nie werde er dagegen einreden , , wenn man sich durch die vornehme Physiognomie der Goetheschen Poesie beleidigt fühlt", denn was er „am stärksten hasse" sei „die Aristokratie". Auf jeden Fall aber bleibt es verkehrt, wenn Menzel „den zweiten Teil des Faust analysiert, um den Dichter des Götz und Clavigo zu verstehen". Man werde dahin übereinkommen: „Er übertrieb, er war gemein, er brauchte schlechte Mittel". Trotz seiner verständlichen Verbitterung verschweigt Gutzkow auch hier nicht Menzels Verdienst. Später dann, als Gutzkow, nun ein berühmter Schriftsteller, seine Lebenserinnerungen schrieb, erhält Menzel die schöne Würdigung: ,,An die Stelle der sich selbst bespiegelnden ästhetischen Ruhe setzte er die Schönheit einer stürmischen Bewegung; für Entsagung verlangte er Aufopferung, für das gnädige Vergeben z. B. eines Thoas in der Iphigenie wollte er die Wahrheit der Leidenschaft, die Rache, den Zorn". Mit bewundernswürdiger Objektivität und achtenswertem Scharfsinn betont er die Notwendigkeit des Menzelschen Werkes als einer unerläßlichen Stufe empor zu einem reineren Verständnis des großen Dichters. Besuche in Weimar, bei Bettinen, trugen dazu bei , noch vorhandene Unebenheiten seiner eigenen Stellung zu Goethe abzuschleifen, so daß sein, wenn auch von manchen Zwistigkeiten so traurig geplagtes Alter ihn wenigstens in aufrichtiger Verehrung des Meisters von Weimar hielt.

Der äußere Verlauf seines Bekanntwerdens mit Goethe, sehen wir, war nicht gerade dazu angetan, Gutzkow zu einem natürlichen Jünger Goethes zu stempeln. Mit Goetheanern hatte er, wie die meisten anderen Jungdeutschen, keinen nachwirkenden Verkehr. Seine Stellung zu Goethe ist keine angelernte, anerzogene, sondern sie ist eine errungene, auf eigenen Wegen gefundene, im Lager der Anti-Goetheancr und im Kampf gegen die Goethevergötterung gefestigte und gereifte.

Bedarf es eines Beleges, daß Gutzkow überhaupt nicht nur die allerhöchste Achtung vor Goethe, sondern hingehendste Liebe zu ihm besaß, so lese man in dem Artikel „Deutschlands Gegenwart" der Vermischten Schriften das Bekenntnis: ..Ich bin mit meinen tiefsten Stimmungen in den deutschen Boden verwachsen und wenn ich mir die Liebe denke, wie sie allein mich beglücken würde, so denke ich an den Rhein, den Niederwald, den Blick nach Bingen hinüber, ruhend in einem Weingarten des Johannisberges. Ich schwelge und träume über Heidelberg, die Pfalzebene, über Schwabenland und die bayerischen Hochgebirge. An dies alles denke ich, wenn ich an Goethe und alles das denke, was in der Walhalla einst die innersten, heiligsten Gemächer bewohnen wird."

„In Deutschland kann man gewiß sein, daß das Tiefste und Herrlichste mißverstanden und entstellt wird, ebenso wie sich immer wieder Naturen finden, die dem Außerordentlichen sich mit unbegrenzter Liebe zuwenden und das Tiefste immer noch tiefer ergründen wollen, als es entweder ist oder sich selber vorkommt. So ward Goethe mit barbarischem Hasse verfolgt, während Schubarth in ihm vergeht und Göschel die Bibel zerschneidet und sie blattweise in Goethes Werken als Papierzeichen, um eine Conkordanz herzustellen, hineinlegt". Weder bei ,,den Zeloten, welche Schiller und Goethe verdammen", welche meinen, ,, Goethe, Schiller, Herder, Hegel, alle müßten nur nachdem beurteilt werden, was sie über die Emanzipation denken", ist Gutzkow zu finden, noch bei jenen lächerlichen Enthusiasten, die anbetend stehen vor jeder ,, Stelle in Weimarischen Landen . . . wo einmal Goethe gestanden, gedichtet, geniest hatte". Jene mit ihrer „Verachtung Goethes, ihren ungerechten Maßstäben und bürgerlichen Selbstgenügsamkeit" zählen in der „Naturgeschichte der deutschen Kamele" unter die Rubrik „moralische Kamele": sie lesen Goethe nicht, weil sie glauben, er werde ihre Sitten verderben, und nennen alles frivol, was nichts ist, als der Gebrauch einer Kraft, welche die Natur uns spendet". Diese sind „Todte", die „ihre Todten begraben!"

Wo immer Gutzkow ausgesprochenen Goetheanern begegnete, haben sie ihn abgestoßen: der Arzt A.Clemens, der Goethen „einen bis ins Komische ausartenden Kultus widmete", Rahel, die „unartikulierten Töne" ausstieß, als ihr Goethe nur nahte, Uhland, der sogar in Erinnerung an Goethe den Straßburger Münster zittern fühlte, die ganze „Mittwochsgesellschaft", deren Mitglieder „in gleichmäßiger Verehrung wetteiferten". „Man treibe die Begeisterung für den Genius nicht zu weit", mahnt er. „Alte verrostete Maschinen, verjährte Mißbräuche, konsequente Systeme der Lobhuldelei, Cliquengeist sind Dinge, an die man nur Unbefangenheit und Natürlichkeit heranbringen muß, um sie in ihrer Blöße und Lächerlichkeit aufzudecken". Den „Sklaven" Goethes, die ihren „Flügelmann" nach Weimar schicken, daß er „dem greisen Pontifex die Generalbeichte Berlins" bringe, hält er vor „Achtung verdienter Männer ist eine sehr löbliche Tugend und darf solche der Jugend nicht genug gepredigt werden, aber auf dem, was dieser oder jener einmal gesagt hat, und nur einmal irgendwo hat fallen lassen, gleich einen Marmortempel eines ewigen Ruhmes bauen zu wollen, ist im gelindesten Sinne unersprießlich. (??????), und durch die bequeme Methode des Hände in den Schoß Legens und zu Priestern des Quietismus weihen zu wollen, ist feig entweder oder schwach, oder mißverstandene Einsicht in die Harmonie des Weltregimentes". Gegen die „RabbinenWeisheit der Entsagung und Selbstkasteiung" hatte Gutzkow, wie er noch in seinen „Rückblicken" sagt, früher schon „in Heinrich Heines Unterscheidung zwischen den beiden Lebensprinzipien, dem Nazarertum und dem Hellenismus, einen seiner Lichtblicke gefunden". Ihm erschien eben .„auf dem literarischen Gebiet alles Unselbständigkeit, Nachahmung, affektierte, in Berlin durch besondere Gesellschaften geförderte Vergötterung unserer klassischen Periode". Nicht, daß er gegen die Verehrung Goethes überhaupt Front machen will, sondern: „Dies ist das traurige in dieser Affektation, daß sie sich immer nur an Goethe's Greisenalter anklammert, an seine vornehme, wohltätige Ruhe, an diese Nüchternheit, welche an Goethe's Alter für die Nation einen so betrübenden Anblick gegeben hat". Herr Carus, dessen Buch er in dieser Phönixkritik  bespricht, hätte „sich mehr an die erste als an die zweite Periode Goethe's" halten sollen, dann könnte seine Goethemanie ,,im Stande sein, Interesse einzuflößen". ,,Noch darüber weinen, daß der dreiundachtzigjährige Goethe viel zu früh für die Literatur gestorben sei", ist ihm des Guten zu viel. ,, Schon der Fanatismus der Wahrheit ist ein Irrtum an ihr" ; damit setzt er sich über die Narren in Goethe ebenso hinweg wie über die Antigoethe-Narren.

Ist Gutzkows Feindschaft gegen den Goethekult im Grunde nur eine Feindschaft gegen den Kult„der späteren Zeit von Goethes Selbstüberlegung", so ist ein gegen Goethe selbst vorhandener Haß nur ein Haß gegen den Goethe der „zweiten Periode", in Wahrheit die Liebe zum jungen Dichter, wie bei Börne. „Die öffentliche, der Zeit widerstrebende Meinung" sieht er von Goethe beherrscht, die literarische Gegenwartsproduktion von ihm beeinflußt. Erregt wettert er gegen diese Unzeitgemäßheit, „die goethisierende Ruhe und seine Hinneigung zum „Zuständlichen" und „Bezüglichen", diesem Mundt- Kühne-, Laube-, Varnhagenschen Zeuge, das man „Berliner Gefrorenes" nennen sollte". „Dies  Gewäsch kam erst mit der schändlichen Eitelkeit des Wilhelm Meister und der widerwärtigen Vornehmigkeit des in diesem Punkte unausstehlichen Goethe auf. In Berlin fror daraus ordentlich eine ästhetische Theorie zusammen". Das sei „mehr Reflexion als Poesie". Dem Schriftsteller H. König, dessen Roman „Williams Dichten und Trachten" ihm zur Recension vorliegt, macht er zum Vorwurf, daß sein Werk „mehr an die Wahlverwandtschaften und den Meister, als an den jungen Werther" erinnere. Statt der „klassischen Langweiligkeit" des „Berliner Gefrorenen" empfiehlt er ihm „Wahrheit und Natur". „Wenn Laube Goethen nachahmen will, warum ahmt er ihm erst durch die dritte Hand, durch die Vermittlung des Herrn Varnhagen von Ense und der Memoiren des Freiherrn von S. A. nach ?" Einen Gegensatz zu „Goethes Klassizität" glaubt Gutzkow einzunehmen, wenn er sich und den zeitgenössischen Poeten einschärft: „Nichts objektiv darstellen, was wir nicht subjektiv aus uns selbst geboren haben",und erkennt doch damit den Hergang Goethescher wie aller wahrhaft künstlerischen Konzeptionen. Gegenwartsdichtungen dürfe man nicht mit demselben Auge messen, „das sich an der schönen allseitig geregelten klassischen Literatur ergötzt", sonst erkenne man natürlich nur einen literarischen Nachkommen und nicht die Hoffnungen eines Frühjahrs.

„Wir haben unser Siegle gehabt, einen ideellen Louis XIV., eine Periode der poetischen Offenbarung, Alexandriner, Sentenzen, und eine Unsterblichkeit, welche von den Zeitumständen begünstigt wurde." Das ist vorbei. Am Grabe Goethes stand „die Apathie". „Goethe war einem Teil seiner Zeitgenossen längst gestorben; er hatte sie durch sein langes Leben ermüdet." Je mehr „über die Größe der alten Epoche" an Briefwechseln, Monographieen und Charakterschilderungen erschien, um so mehr verblaßte ihr Glanz. „Das Kleinste, Unbedeutendste aus dem Leben hoher Genien hervorgekramt zu sehen, verstärkt nur die Abneigung.

Die abgeklärte Ruhe der Goetheschen Spätwerke stieß Gutzkow ab, der ,,zu goethisch gewordene" zweite Faustteil , „jene Romane Goethe's mit ihrer didaktischen Tendenz, ihren Bildung suchenden Kaufmannssöhnen, mit ihren Tagebuch-Schriftstellerinnen, und einseitiges Kopfweh habender Ottilien . ., wo „der Roman die Blendlaterne des Ideenschmuggels" ist, dazu „jene Manier langer schmachtenden Perioden; die „spiegelglatte, wie man zu sagen pflegt, jonisch helle Darstellung"; das mag „eine göttliche Gestalt" schaffen, aber „eine Gestalt mit trauernd hohlen Augen." Goethe hat ein „kaltes Herz", seine Poesie ist „eine Abstraktion von allen Gegenständen der sinnlichen und geistigen Welt." „Die geistreiche Behandlungsart mit ihrem beliebigen Gegenstande in eine glückliche Harmonie zu bringen, soll Aufgabe des Künstlers sein, und man klatscht, wenn sich beide Seiten des poetischen Verhältnisses zur spiegelhellen Klarheit ausgleichen." „Nun," meint Gutzkow, da ist gerade die Poesie so weit gekommen, daß sie wie Indische Fakiers nur Bram zu sprechen hat, um schon etwas geschaffen zu haben." Sein Lebensspruch lautet: „Alles Große ist die Frucht der Begeisterung." Fragt er sich nach der „poetischen Physiognomie" Goethes, so kommt er in dem Phönix-Aufsatze „Görres über Goethe" zu dem Schluß: „sie ist das Menschlich-Schwache, das Weiblich-Schöne." Auch hier leuchtet mehr der Haß gegen den alten, vornehmen, politisch indifferent gewordenen Minister durch, als die wirkliche Absicht, ein objektives Bild von Goethe, dem Dichter, zu geben. Ebenso ist die Charakteristik Goethes zu beurteilen, die bei der Gegenüberstellung mit Schiller im Schillerfestspruch vom 9. 10. 1859 entsteht.

Wie Börne hatte es Gutzkow mit Erregung angesehen, wie da, wo die Zeit am dringendsten und lautesten nach einem führenden Manne rief, ihr größter Lebender, sich resigniert zurückzog und sich nur um so tiefer in seine eigene Welt einspann. Verächtlich hat auch er deshalb noch in seinen Lebenserinnerungen niedergeschrieben : „Eckermann berichtet Goethen, der das Theater nicht mehr besuchte, . . und schrieb dann auf, Exzellenz hätten geäußert, das von ihm gelesene Stück behandle den Gegensatz zwischen Adel und Volk, woraus sich — merkt auf, ihr Hunderte von Leipziger Genossenschaftsmitgliedern ! — woraus sich, so urteilte Goethe — kein allgemein menschliches Interesse ergäbe.'" Das war eben „der alte Herr, der nicht im Zusammenhang der Ereignisse stand." Auf diesem Grunde stehend, ist Gutzkow auch der, der seinen Zeitgenossen Börne am besten verstand. Seine Darstellung von ,, Börnes Leben," das kann man nicht leugnen, ist eine beträchtliche, auch heute noch nicht zu übergehende Leistung. ,, Diejenigen Herren der literarischen Vergangenheit," sagt er da, „welche in die neue Gegenwart noch hinein lebten, konnten sich in dem Wesen derselben nicht zurecht finden, und Goethe zeigte sogar unverhohlen, daß ihm das Studium der Gall'schen Schädellehre mehr Interesse gewähre, als die Neuerungen unsres öffentlichen Geistes seit dem Sieg über Napoleon." Es „mußte gegen diese idealische Welt eine Reaktion stattfinden, die um so gewaltiger war, als sie mit den Stürmen der politischen Erlebnisse selbst heraufzog." Wenn er auch die Kritik der Goetheschen Tag- und Jahreshefte „nicht frei. . von offenbaren Ungerechtigkeiten" hält, so erkennt er doch:

„Börne hat sich bei dieser Bilderstürmeiei nie von dem Fanatismus fortreißen lassen, den Wolfgang Menzel zur Schau trug. Börne empfand die vornehme Eccellenza Goethes schmerzlich genug, er geißelte die aristokratische Ruhe dieses Überglücklichen mit mehr als bloß kaltem Spott, er geißelte sie mit glühendem Zorn und nicht verhaltener tiefster Erbitterung; über die Gesinnung ging er aber kaum hinaus, sich anmaßend, dasjenige was er verderblich nannte, auch stümperhaft zu nennen." Ja, hinter diesem Feuer Booleschen Hasses fühlt Gutzkow die aufrichtige Liebe, in der sich der Verzweifelte betrogen sieht. Gebeugt steht Gutzkow vor der seltenen „hohen Gerechtigkeit" Börnes, „die immer noch bewundern kann, wo sie auch nicht mehr zu lieben vermag." So entsteht, unter Börnes Einfluß, die Devise von Gutzkows Phönix : „Da Goethe gern als Devise und Partheiparole genommen wird, so erkläre ich für dies Literaturblatt, daß in seinem Pantheon Goethe's Büste den Ehrenplatz behauptet, daß sie aber mit einem schwarzen Flor umhüllt ist, wie das Brustbild Mirabeau's im Convente verhangen wurde, als man den eisernen Schrank und des großen Redners Verrath entdeckte". Man muß Goethe lieben, aber nicht öffentlich. Der weitaus überwiegende Teil der lobenden Urteile über Goethe, die wir aus Gutzkows Feder haben, bezieht sich in unzweideutiger Klarheit auf den jungen Goethe.

Der individuelle Stil des jungen wird dem „Kunststyle" des alten vorgezogen. Goethes Briefwechsel mit Auguste von Stolberg gibt willkommene Gelegenheit, das zu erkennen und auszusprechen. Die Sammlung ist ..leicht die älteste und individuellste, die wir von Göthe besitzen. Keine der vielen Reliquien, die wir von Goethe besitzen, ist so persönlich, so menschlich, so unmaskiert. Göthe gibt sich der Schwester der Stollberge, die er nie gesehen hat und nur durch die Äußerungen der Brüder kennen lernte, mit jener zärtlichen Schwärmerei hin, die über die edlen Geister der siebziger Jahre eine so wunderbare Verklärung ausströmte." Nichts Gemachtes ist in den Briefen, ganz unmittelbar quillt alles aus der Seele. Sie „sehen wie die Toilette aus, mit der man aus dem Bette schlüpft. Goethe schreibt Gustchen, wie er geht und steht, was er eben thut und was er vor einer Viertelstunde that ; alles in jener kurzen Frankfurter Weise, die seinen frühsten Dichtungen einen besonderen Reiz giebt." Die ganze Art jener Zeit spiegelt sich für Gutzkow in jenen Briefen. Mit der natürlichsten Unbefangenheit, ungeschminkt wie die Dinge sind, spricht man von ihnen, mit rührender Liebe an den Einzelheiten hangend, Herz zu Herzen. Und das ist Gutzkows Art, oder — möchte es zum wenigsten sein. Es ist ihm schmerzlich, wie nach der Unterbrechung von 1782 der Briefwechsel fortgesetzt wird. Auguste, nach vierzig Jahren, knüpft ihn wieder an. „Der Brief ist rührend durch seine Veranlassung." Und Goethe? — Er „riß sich auch hier wie immer los". Seine „.Antwort ist Göthisch. Ruhig und kalt", abweisend, im Stil der „Wahlverwandtschaften und späteren prosaischen Leistungen", „der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag." Voll Mitleid mit Augusten und schmerzlich berührt von dem Wechsel der Zeiten ruft Gutzkow aus: „Welch ungeheure Umwälzungen im Glauben und Empfinden der Menschen liegen zwischen jenem Anfang und diesem Ende! Wie hat sich Alles so verändert; wie ist Alles so kalt, finster, lieblos geworden! Wie entfremdet sind sich die Menschen; wie mißtrauisch sind die Verhältnisse!" und schließt für die Gegenwart die mahnende Frage an: „Sollte nicht eine schöne Folge der Veröffentlichung von Zuständen, in welchen unsere großen Geister in alten Tagen gelebt haben, auch die werden, daß wir ihrer Liebe und ihrer Hingebung nachahmen und inniger, zutraulicher aneinanderrücken, duldsamer uns tragen, traulicher uns genießen?"

Durch den ganzen Jahrgang 1835 des Phönix hallt es wie ein nimmer endendes, bei jeder Wiederkehr lauter tönendes Echo: Prometheus! „Wo ist Prometheus? Wo ist der Gott in Euch, der Euch zu Boden wirft, daß Ihr Thränen der Verzweiflung weint? Wo ist der Schmerz, daß wir schier nichts wissen können ? Wo hängen Eure Harfen ? Göthe hatte die Welt überwunden ; er hatte mit Äschylus gesprochen, Menschengeschick bezwungen. Er hatte die Ewigkeit. Göthe konnte Vieles geben, und hatte doch noch Alles hinter sich", so richtet er sich an die schwäbischen Lyriker. „Ihr? Dem Bettler habt ihr seine Lumpen gestohlen, euern Glauben dem Taufschein, euern Sitten der Gewöhnung, euere Grundsätze dem Herkommen, euere eigene Poesie der Poesie der anderen! Was habt ihr? Abendsonnenspaziergänge, Stimmungen, Sommerfäden! Wo ist euer Ringen zum Neuen ? " „Die älteren Goetheschen Lieder", sie sind eine echte Lyrik, sie stellt er den Sängern seiner Tage als höchstes Vorbild hin. „Uhland . . wurzelte tief in den Anschauungen von Kunst und Leben." Ihn muß man loben. Ein frei und individuell gestaltendes Talent, das „an Goethes bestes Teil" wiederanknüpfte. „Goethes bestes Teil", wo er auch den Werther, den Götz, den Faust schuf. „Tieck behauptet, daß man sich Göthe n abwende, aber Göthe war ein Mann durch und durch; reell, sicher, taktfest, ein Feind der blauen Blume. Göthe läßt schon seinen Werther im Abendrothe auch von Blumen und Blüten reden, aber so, daß er wie ein halber Linne die verschiedenen Gattungen der Gräser mit bewunderndem Auge prüft; Tieck falschmünzt Göthe'n zu einem Romantiker." Fast zur Karikatur ist hier die Tendenz der Zuneigung zum jungen Goethe sichtbar geworden. Wo er ins reale Leben hineingreift, wo er aus der Natur heraus die Natur wiedergibt, da wird er vorbildlich. In der berüchtigten Vorrede zu Schleiermachers „Vertrauten Briefen über die Lucinde", wo er statt der leeren Konvention der Ehe eine freie Liebe fordert, erinnert Gutzkow auch an den Werther:

,, Es ist keine Träumerei, wovon wir sprechen . . . Wir haben Vorbilder, welche das Außerordentliche erklären . . . Erinnert Euch der sentimentalen Periode! . . Man glaubte anders zu lieben, als je geliebt worden ist. Man hielt Werther, Siegwart, Lotten und Ciaren von Hoheneichen für die Märtyrer einer Religion, welche zum ersten Mal verkündigt wurde." Die Werthernatur seiner eigenen Zeit erkennt dieser Sturm- und Drangpoet des 19. Jahrhunderts: „Eine ähnliche Bewegung ist im Anzüge . . Das Lächerliche wird sich verflüchtigen. Der Rest wird die Genialität der Liebe sein." Die Jugend schwärmt, auch wenn sie später Lessing heißt. Auch für ihn wird es eine Periode gegeben haben, „wo er noch nicht kalt, logisch und spöttisch war, wo er auch geweint hätte, wenn Werthers Lotte sich auf ihren Ellenbogen gestützt, mit thränenvollem Auge gen Himmel gesehen und ihre Hand auf die Seinige legend ausgerufen hätte: — Klopstock!"

Die urwüchsige, nicht Regel und Gesetz kennende Derbheit und Kraft ist es, die ihn zum Götz zieht. Er kennt alle drei Fassungen; die älteste gewinnt ihn am meisten. Am 11. Oktober 1833 schreibt er an Menzel: „Ich bin über Goethes Götz', den wir jetzt dreifach besitzen, her. Die älteste Fassung ist sehr respektabel, es ist noch Kraft und Drang darin, Götzens Frau nimmt Gleichnisse vom Urinlassen her, und die Vorwürfe, die Götz dem Fürsten macht, sind noch nicht so verflüchtigt wie später. Im dramatisieren Götz werden die Fürsten Tyrannen genannt, um sie als Ausnahme zu bezeichnen. Solche kleine Abänderungen finden sich bei dem Meister, der sich selbst beschränkte, mehr und lassen tiefe Blicke in den alldurchdrungenen Alldurchdringer Göthe (wie er im Musenalmanach genannt wird) thun. Man wird mit einem Geiste vertraut, wenn man ihn dreimal über demselben Gegenstand antrifft." Über den Götz weiß er des Lobes kein Ende. Wie die Funken, die beim Schlage des wuchtigen Schmiedehammers vom Ambos springen, so  „sprüht der poetische Genius, wenn er das Drama als erste Offenbarung seines Schaffens wählt. — So Goethe im Götz."

Beim Faust sehen wir den gleichen Hergang. Im Fragment ist er Gutzkow am liebsten. Wenn er den Faust von Nikolaus Lenau liest , so denkt er „zuerst an Göthe's fragmentarischen Faust des ersten Theiles, in welchem die Morgenröthe des neuen Jahrhunderts waltet." Ganz ähnlich heißt es schon in der Phönixkritik: „In Göthe's Faust, in jenem fragmentarischen Faust, der noch frei ist von den Versifikationen einer philologischen Koketterie, im Faust des ersten Theiles leuchtet die Morgenröthe des neuen Jahrhunderts." Der Lenausche fällt daneben völlig ab. Mephistopheles ist da „ein grämlicher Gesell, der himmel- oder vielmehr höllenweit von Göthe's Auffassung entfernt ist, der sich nur darauf beschränkt, seinen Meister zu verspotten und zu äffen. Er ist blos Dämon, nicht wie Göthes Mephistopheles zugleich ein Blick in's Innere der menschlichen Natur, kein Repräsentant einer originellen Weltansicht." Auch Seydelmanns schauspielerische Darstellung des Mephisto ist ihm zu flach. „Daß Mephisto mit Faust wie die Katze mit der Maus spielt, ist nicht unwahr; aber wenn Teufel spielen, muß es doch für uns Menschen immer ein höllischer Ernst sein." Neben dem „Ironisch-Satirischen" sieht Gutzkow das „Diabolische". Mephisto ist kein „satanischer Bonmotist," sondern ein „ganzer Teufel." Auch die allgemeine Auffassung des Gretchen will er vertieft haben. Sie ist kein „Himmel von Unschuld" und nur „durch Zufall Schuldige", sondern sie soll den „naiven Übergang aus der Unschuld in die Sünde darstellen." Wir finden auch hier wieder das Bemühen, individuellstes Leben, blutvollste Menschlichkeit in den Gestalten von Goethes Jugenddichtung lobend herauszukehren. „Goethe hat die Wahrheit in unserer Literatur emanzipiert, er hat die Wirklichkeit gedichtet."

Und diese jugendfrische Gesundheit teilt der Götz- und Faustdichter auch mit seinen Mitlebenden, denen sich der Jungdeutsche Gutzkow gleichermaßen verwandt fühlt. Gegen die Systematik der ., Hallischen Jahrbücher" macht er geltend, daß er selbst nur denken konnte „mit konkreten Unterlagen, in der Weise, wie . . Lessing, Herder philosophierten." Was sagt er von den anderen Stürmern und Drängern ? ,.Gäbe man . . Dramen von Klinger und Lenz, es würde dafür ganz am Verständniß, am Publikum wie an Schauspielern fehlen." Aber „Der Dialog! Diese Sprache! Diese Sentenzen und Grübeleien!" Für Lenz interessiert er sich insbesondere : Er denkt an eine Dramatisierung seines Lebens; er ersucht Büchner, für seine Zeitschrift ,. Erinnerungen an Lenz" zu bringen. Auch Schiller muß sich eine Teilung seines Lebens gefallen lassen: „lieben wir doch mehr den in tyrannos sich erhebenden jungen Adler . . als den späteren Hofrat." Wie als eine Heilung der Zeit, in die er hineingewachsen ist, die ,,an fertigen Gedanken, an strikter Logik, an einer objektiven Wissenschaftlichkeit" leidet, ruft er jene Jugend des achtzehnten Jahrhunderts an. Der Reiz ihrer Dichtungen „ist der frische Quell des Schaffens, die göttliche Unmittelbarkeit."

In den Werken verstreute Bemerkungen, ,,bei Gelegenheit" getan, Randglossen und Zufallsäußerungen in Kritiken und Zeitungsartikeln, wie das die vorangehenden Urteile sind, herausgelesen und zusammengestellt, geben in ihrem bunten Mosaik dennoch bei unserm Autor ein verblüffend klares Bild seiner Geistesrichtung, so daß ein offenes Bekenntnis, das sich eigens auf unsern Gegenstand erstreckte, uns keine wesentliche Verschiebung des Konturs erwarten läßt. Das Jahr 1835 bringt uns von Gutzkow „Über Goethe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte." Mit Entschiedenheit muß hier ein neueres Urteil über die „merkwürdige Schrift" bekämpft werden: „Über Goethe lehrt" sie „wenig Neues. In Allgemeinheiten befangen, fällt Gutzkow, um nur ja originell und selbständig zu sein, die erstaunlichsten Fehlurteile über den Dichter, seinen Stil, seine Sprache." „Das Bedürfnis, eine neue Welt anzufangen, Goethe und alle früheren Größen als 'überwunden' anzusehen, das ist das herrschende." Mit dem Maßstab von heute darf nicht das Gestern und Ehegestern gemessen werden. An seiner Zeit gemessen verdient das Buch mit vollem Recht das Lob das ihm Laube in seiner Literaturgeschichte angedeihen läßt. Es sei eifrig und mit Erfolg bestrebt, „sich aus dem polemischen Gewirr über Goethe zu höherer Betrachtung des Dichters auszufinden ." Prüfen wir selbst.

Es setzt ein mit dem Programm: ,.Der Glanz der alten Zeit hatte mit der Kritik geendet, die Hoffnung einer neuen mußte mit der Kritik wieder anfangen. Sie griff einen Namen an, der die klassische Periode durch sein Genie und die romantische durch seinen Ruhm beherrscht hatte, und den die Götter in die äußerste Zeit hinausstellen wollten als Grenzstein, in welcher das Alte enden, aber auch das Neue beginnen mußte. Dies war Goethe." Der harte Kampf gegen den Olympier, „der vor Alter und vor Genüge des Lebens sich schon halb in Stein verwandelt hatte", war „grob" und „.grausam", aber berechtigt. Man schoß übers Ziel hinaus, die Gegenwart hätte Goethen „die Bürgerkrone verweigern" dürfen, aber ihm nicht „den poetischen Lorbeerkranz entreißen". Menzel wird von neuem in der Stärke und Schwäche seiner Einseitigkeit gekennzeichnet. Dann geht der Verfasser zur Betrachtung Goethes selber über. „Die Halbheit der Goetheschen Helden, Clavigo, Egmont, diese zwischen raschen, ehrgeizigen, immer feurigen Entschlüssen und dem Gefühl einer plötzlich versiegenden Kraft schwankenden Rohre," wird als Feinheit eines Dichters empfunden, „der keine Trauerspiele für Gladiatoren schreiben wollte." Die Ehre und der Stolz in den Goetheschen Gestalten wird als besonderes Lob herausgearbeitet. „Werther erduldet die Zurücksetzung in der Residenz mit Ingrimm, aus Stolz über seinen bürgerlichen Namen ; er verachtet die Aristokratie und flieht aufs Land." Mit auffallender Ausführlichkeit verweilt der Verfasser bei der Goetheschen Jugendzeit. Was uns bei einem Forscher wie Viktor Helm ganz neu erscheint, die Erklärung des ganz eigenen Wertes der Frühwerke Goethes aus seiner bürgerlichen Herkunft, wird bei Gutzkow mit aller Ausführlichkeit zugrunde gelegt. „Aus der Beschränkung kleiner Kreise spann sich Goethes poetischer Faden hervor, aus dem Rocken an der schnurrenden häuslichen Spindel, aus dem Leib der behäbig sich schmiegenden Katze, aus deutschen Elementen, wie sie sich im Götz, im Faust, im Egmont zu so meisterhaften und unsern Herzen magnetisierenden Geweben zusammenfügen." „Jeder Anfang in Goethe war harmlos und vom Nächsten ausgehend. Goethes poetische Entwicklung war ein träumerisches Ausspinnen seiner häuslichen Zustände, seiner primitiven Eindrücke, über die Vorurteile, Gesetze, Sitten hinweg, bis in die Alpenregionen des freien Gedankens und der dichterischen Wahrheit." „Im Häuslichen liegt die genetische Grundlage der Goetheschen Dichtungsweise." In durchaus eigener, lichtbringender Weise wird das im Einzelnen ausgeführt.

„Goethes heimische Sprache ist kurz, abgerissen, ohne Verbindungen, durchaus das lebhafte Produkt eines in der Familie auf festem Fuße gebildeten Willens. Der Ton ist naiv befehlend, herzlich bis zur Vertraulichkeit und immer in hastigem Lauf wie im Dialog. Das meiste in dem, was gesagt wird, soll sich gleichsam von selbst verstehen; man sieht die Ungeduld, daß man nicht schon von selbst wahrnimmt, was der Mund zu sagen sich erst so weitläufig in Bewegung setzen muß. Dann hilft sich die Lebhaftigkeit, um die Auseinandersetzung zu vermeiden, mit Sprichwörtern, die das Gespräch immer objektiv, im Zusammenhange mit der gesunden Vernunft und mit dem, was gar nicht anders sein kann und was ja jedermann gleich einsehen müsse, zu erhalten suchen. . . Die Wendungen sind körnig, die Verbindungen abgerissen. Partikeln finden sich in Fülle . . . die Weitläufigkeit der persönlichen Fürwörter wird vermieden" usw., usw., fast wissenschaftliche Feststellungen über den Stil des jungen Goethe, und dazu die originelle Auffassung, daß er diese Sprache z. B. im Götz, nicht vom Mittelalter oder vom Volke zu entlehnen brauchte", sondern sie in „seiner eigenen Natur" fand. — „Der freie Göttersohn des Himmels" erscheint ihm der junge Goethe. Er „schreitet stolz durch eine Welt, die ihm Spielzeug ist. Titanenideen ergreifen sein Hirn, während er durch die Wälder und Berge streift. Die Sprache wirft den Reim von sich, seine Einfälle sind erhaben, wahnsinnig, humoristisch, bis sich an dem Versuche, einen Prometheus zu dichten, endlich die wogende und schäumende Welle bricht." Prometheus „konnte ein Titanendrama werden, das auf Deutschland vielleicht gräßlicher gewirkt hätte als Werthers Leiden ; aber", meint Gutzkow, „wir hätten mit ihm vielleicht den Dichter verloren . . ." In dem „Weihegebet" „zum Andenken Erwins von Steinbach". Goethes „erstem prosaischen Versuch" fühlt er „die Sprache der Rezitation, dem echten Schauspieler willkommener, als die Schillersche" vorgezeichnet. Die Genialität des jugendlichen Dichters erkennt er in „dessen Harmlosigkeit". „Während Klopstock, Voß, Ramler, Wieland, Herder in ihren einmal angeschlagenen Tönen eine ausdauernde Hartnäckigkeit besaßen, die sie zuletzt, fast möchte man sagen, zu ihren eigenen Plagiatoren machte, hielt sich Goethe niemals an das, was aus ihm eine Schule hätte machen können oder eine Religion, deren erster Priester er etwa hätte sein können." Was Vorgänger als Zeichen der Schwäche ausspielten, wird Gutzkow zum Argument höchster Genialität. — Er lobt die satirische Neigung des früh von seiner Größe durchdrungenen Dichters. Seine kleinen Versuche im Singspiel: Claudine von Villabella etc.  „nehmen freilich keine hohen Anflüge, sind. .aber doch gewandt angelegt und im einzeln allerliebst ausgeführt. Die Singspiele waren von der Musik inspiriert. Sie . .warf ihn ohne weiteres in den Vers hinein." Das bewirkt das Selbstverständliche seiner lyrischen Gedichte. Ihnen scheint „die Melodie wie von selbst vorzuklingen." In ihnen ist „ alles erlebt, empfunden, von des Tages Ordnung angegeben." „Nach Petrarka gab es keine Lyrik, die so viel Wahrheit als Dichtung bot wie Goethes." „Meist durch individuelle Erlebnisse angeschlagen", klingen sie ,,auf alles an- wendbar im Volkston fort." — Sie werden wahrhafte Volkslieder. . . ihr Verfasser wird vergessen. Und nun gibt Gutzkow eine Entwicklung der Goetheschen Lyrik, wie sie heute nicht viel anders lauten würde: „Unbefangen und heiter sind Goethes lyrische Erstlinge. Sie adoptieren die poetische Sprache der Zeit, den Schäferton, wo sich Amor zu Dämon schleicht und dieser, sanft die Flöte blasend, Doliris aus ihren Träumen weckt. Lima etc. . . Hier ist alles klein, zart, frisch, heilig durch die Veranlassung; man nascht, man tanzt mit den Amoretten, der Ernst wird vertändelt ..."

Unmöglich können die Einzelheiten hier ihre Wiederholung finden. Treffende Worte findet Gutzkow zur Charakteristik einzelner Gedichte, bis zu Goethes „spätesten lyrischen Erzeugnissen, . . trunknen Orientsliedern, „mit welchen Anakreon sich die greise Stirn umwindet. Sie bahnten den Übergang zur weisheitsvollen Gnome, zahmen Xenie, zum ernsten und scherzenden Spruchgedicht." Seine persönliche Vorliebe für die früheren Gedichte verleugnet er keineswegs. „Bei den späteren läßt uns der Dichter manchmal etwas unverstanden und sogar mit unbehaglichen Resultaten enden." „Das Allgemeine, Identische, das Schöne an sich, das in allen diesen Antiken ausgedrückt war, zündet den poetischen Genius nicht so sehr als das Individuelle, Einzelne, Charakteristische." Das findet Gutzkow beim jungen Goethe in allerhöchstem Maße und sieht in ihm sein eigenes Kunstideal wieder. „Kein schöpferischer Geist nimmt zuerst eine Idee, um sich nachher die ihr entsprechenden Personen zu suchen", sondern „alles natürliche Dichten und Denken entspringt aus dem Einzelnen und Individuellen, sowie auch nichts den Dichter so ergreifen wird, als was ihn überrascht, die Nuance." Begeistert wird deshalb dem Goetheschen Prinzipe eines Gelegenheitsdichtens zugestimmt, allein mit scharfer Sonderung von der ,, Zufälligkeit" der ..durch Goethes gesellschaftliche Stellung in Weimar veranlaßten Allegorien und Festspiele": ..All das Zeug ist langweilig. Aber die genialische Benutzung einer zufälligen Veranlassung im Clavigo z. B.. das sind reine künstlerische Konzeptionen . . . Am Schleppkleide der Gelegenheit, wie sie eine Zeitung, ein fliegend Blatt, ein altes Buch angibt, zieht der Dichter den Triumph der Erde nach sich." Ist nicht hiermit der Kern einer Goetheschen wie aller wahren Konzeption erfaßt ?

Das Schöne wie es der junge Goethe sah, nicht als ein „Absolutes, das nach eigenen Gesetzen konstruiert, regelrecht gefügt, kalt und stumm wie Narziß sich an seinen eigenen Reizen weidete, sondern Sehnsucht, die den Arm verlangend ausstreckt nach einem anderen Auge, in dem sie sich spiegeln, einem anderen Munde, aus dem sie sich selbst verstehen kann", das Schöne als „Leben, Mitteilung, Aufforderung" — das schafft den Genius. ,,Hier wird sich auch Goethe den Jahrhunderten erhalten." In begeistertem Nacherleben verfolgt Gutzkow eine aufsteigende Linie Goethescher Schöpferkraft bis zum Faust, von dessen beiden Hauptgestalten, Faust und Mephistopheles, er, an ein bekanntes Wort des Meisters knüpfend, sagt, Goethe zeichne in ihnen „zwei sich wechselseitig aufhebende Richtungen; einerseits den Drang, das Innere der Dinge zu erkennen, und andererseits das drängende Innere der Dinge selbst, das sich im Offenbaren und Äußeren, in der Erscheinung zu begreifen sucht. Kern und Schale, beide treibt dieselbe Neigung. Sie weichen eine dem andern, nur hier das Offenbare, dort das Verborgene zu sehen . ."

Die ungleich stärkere innere Teilnahme, mit der Gutzkow Goethes Jugendleben und -werke interpretiert, die ungleich größere Ausführlichkeit, mit der ihn seine Liebe gerade bei dieser Periode verweilen läßt, das offenbar bessere Verständnis, das er ihr entgegenbringt, läßt uns nicht im Zweifel, daß Gutzkow in seinem Innern zwei Goethe kennt und daß er in dem jüngeren der beiden die Quellen für einen neuen, das neunzehnte Jahrhundert befrachtenden Literaturstrom sieht. Aber selbst diesem naheliegenden Schlusse kommt er uns zuvor, indem er auf die Doppelseitigkeit seines Goethebildes deutlich selber weist. Der „aufsteigenden" Bewegung bei Goethe folgte die ,, absteigende." ,,Alle konkreten Anschauungen verflüchtigten in formlosen Verallgemeinerungen, das Handgreiflichste verhüllte sich in mystizierende Nebelflöre und das, was sich kristallinisch gebildet hatte, zerschmolz in vage Flüssigkeiten." .-Die Unmittelbarkeit" geht ihm schon seit ,, seiner mittleren Zeit" verloren. „Früheres und späteres Leben" riß „immer gähnender auseinander. Er fühlte die klaffende Wunde und suchte Heilung an der Natur und an zufälligen Studien, an hunderterlei Abwechselungen, in die er sich stürzte um das Steuerruder seiner selbst nicht zu verlieren. Er verlor es nicht, aber eine große Veränderung war mit ihm vorgegangen." Eine genaue Grenze gibt Gutzkow nicht an, aber er erkennt den „Widerspruch beider Perioden" „in den Begebnissen der Rheinreise vom Jahre 1792": „Vor zwanzig Jahren, mit welchen Gemütsstimmungen hatte der Dichter damals den Rhein besucht; wie gewann er die Gemüter, als ihm die frischesten Balladen im Herzen schlugen und er sie in Koblenz und Tempelfort aus seiner Schreibtafel vor den Freunden selbst rezitierte." — „Alles das war nun naturgemäß und für das Auge der anders Entwickelten dahin! Goethe hatte die Schule Italiens durchgemacht. Und sie war, wenn auch vielleicht nicht für den Dichter selbst, so aber für sein Volk und dessen literarische

Entwicklung unheilvoll. . . Jene schreiende Dissonanz verwirrte zuerst die Kunst selbst, erzeugte jene Haarspaltungen der ästhetischen Tendenzen und künstlerischen Theorome, die sich besonders in Goethes und Schillers Briefwechsel in einem fortwährenden Zirkel bewegen, lähmte darauf die schöpferische Produktivität unseres größten Dichters, der in seiner so unruhigen Zeit, um nicht mit fortgerissen zu werden, sich entschließen mußte, sich in sich zurückzuziehen und in sich den Dichter nur zu einem Teile seines Menschen zu machen." Mit Bedauern sieht Gutzkow noch jetzt die Spuren dieser Dissonanz. Für ihn, den konsequentesten und deshalb stärksten Jungdeutschen, ist ,,die neue Zeit gekommen, und wieder knüpft sie an Goethe an. An den Goethe des achtzehnten Jahr hundert«, an den Goethe im Wendepunkte des Jahrhunderts." In einer Reihe von Leit- und Programmsätzen spricht er das Ziel dieser neuen Zeit aus und erklärt dann: ,, durch diese Gedankenverbindungen, die Goethe mit angehören", und zwar mit Ausschließlichkeit dem jungen Goethe entstammen, ,, zählt derselben zum neunzehnten Jahrhundert. Ich wüßte auch nicht, worauf man in Zeiten einer allgemeinen Begriffsverwirrung anders zurückkommen will als auf die Natur, die Gesundheit, die Freiheit, den besten Humor und auf das, was niemand machen, geben, nachahmen kann, das Genie." An den „unsterblichen Teile Goethes" knüpft das junge Deutschland an. „In einer Zeit, die von politischen Stürmen sich beruhigen und auf eine friedliche Weise die philosophischen Resultate derselben auf die Literatur anwenden will, ist von Vorbildern keines so beherzigenswert, wie Goethes. Wenn sich die jüngere Generation an seinen Werken bildet, so konnten sie kein Mittel finden, das so sonnig die Nebel des Augenblicks zerteilte, kein Fahrzeug, das sie über die wogenden Fluten widersprechender Begriffe so sicher hinüberführte ... In der Geschichte der Kunst wird sein Name sich wie eine goldhaltige Ader fortziehen und sich mit leuchtenden Metallkörnern an die Wurzeln jener Bäume hängen, die jetzt gepflanzt, noch schüchtern und unhaltbar vom Winde schwanken, dereinst mit weit ausgreifenden Ästen sich auch entfalten und nicht bloß zeigen werden, daß sie von grünem Holze sind, sondern auch erquickenden Schatten werfen können." Was wir am Schlüsse des Aufsatzes über Börne als des Verzweifelten geistiges Testament an die Nachwelt ausgaben, hat in Gutzkow den vollstreckenden Erben gefunden: „Wir emanzipieren uns von der Sitte und Tradition und schaffen uns neu aus unserm Herzeblut heraus . . . Hier noch Zerrissenheit, dort schon keimende Objektivität. Und so ist es zuletzt gekommen, daß wir Goethe und die Freiheit mit einem und demselben Herzen lieben."




Epigramme, Sprüche, Xenien

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