„Nun ich hier als Altmeister sitz',
Rufen sie mich aus auf Straßen und Gassen,
Zu haben bin ich wie der alte Fritz
Auf Pfeifenköpfen und Tassen".
So ist es schon allen Großen gegangen. Die guten Leute, die ihren Goethe, ihren alten Fritzen verehren, indem sie aus einem Pfeifenkopf mit ihrem Bildnis schmauchen, das sind brave, biedere Seelen; man drückt ihnen kräftig die Hand, läßt sich auch eins stopfen, auch in einen Goethekopf, versteht sich, und plauscht in seligen Feierabendstunden ein Liebes von ihrem Hausgott. Diesen Schlages findet man sie auch im Goethekult. Weniger tiefes Verständnis, aber um so mehr aufrichtige Liebe. Das ist ein idyllischer Kult und weiter nicht geschichtsbewegend . Daneben aber laufen "die lauten, leeren Schwärmer, die etwas Großes scheinen möchten, indem sie sich als Versteher der Größe aufspielen", ,, Mitesser der Unsterblichkeit" wie sie Gutzkow im Phönix tituliert. Für die von heute hat man die Namen „Goethe- Gecken" und „Goethe- Snob" gefunden. Sie können und die ersten ihres Geschlechts, im Anfang des 19. Jahrhunderts, haben es gekonnt) Geschichte machen. Der Goethekult jener Jahre hat mit dazu beigetragen, die goethefeindliche Strömung, damit die jungdeutsche Goetheverehrung und alle folgende Entwicklung hervorzurufen.
Es kann uns nicht darauf ankommen, eine vollständige Darstellung der Entstehung und des wirklichen Wertes des Goethekults zu geben, sondern uns liegt hier naturgemäß lediglich daran, ihn in seinen Übertreibungen und Auswüchsen kennen zu lernen, um den späteren Hass verständlich zu machen.
Der Erklärungen für die Entstehung eines Goethekults gibt es Tausende. In Goethes weitgeräumigen Gebäuden findet jeder sein Eckchen und glaubt von da aus das Ganze auszukeimen und einzurichten. In Goethe finden sich alle wieder, und viele glauben dann gar zu leicht, so wäre Goethe wie er ihnen an einer Stelle, in einem Augenblick wesensverwandt erschienen ist. In quinta essentia ist das der Werdeprozeß des Goethekults; historisch leitet er sich bekanntlich aus der älteren Romantik der Schlegel, Schleiermacher, Schelling, Dorothea und Caroline her, von der Gruppe der romantischen Kritiker. Der Goethekult rekrutiert sich zu einem großen Teil aus schöngeistigen Gelehrten, und Hand in Hand mit ihm geht das Heer der Goethekommentare. Es ist mehr ein Reden über Goethe als ein Fühlen in Goethe. Es bildeten sich, zumal in Berlin, Gesellschaften, Zirkel, Theetische, deren ganzes Sagen und Tun sich nach des großen Dichters Sinne richten wollte. Schöne und geistvolle Frauen halfen mit Lebhaftigkeit die Kreise zusammenhalten. Im ,, Salon", von der „Gesellschaft" wurde Goethe ausgelegt, gelesen, gesungen und besungen. Die Berliner Blätter unterstützten das mit Eifer , mehr und mehr treten die Werke hinter die Person des Verfassers zurück, und dieser Personenkult wird mit „einer gewissen aufdringlichen Absichtlichkeit" betrieben. „Es lag Methode in diesem oft überspannten Preisen eines Heroen, der den ,korrekten Denkern' (,Hofräte' hat sie Börne genannt) gegen Schiller vernachlässigt erschien'. Seltsamste Überspannungen begegnen uns.
„Man ließ Preisausschreibungen ergehen für das beste Gedicht auf den „Alten in Weimar", und ganz Berlin beteiligte sich daran. Festessen, besonders zu Goethes Geburtstag, wurden veranstaltet, wo das arme Festopfer dann umredet und umdichtet wurde. Karl Schall, Laubes Lehrer, einem in Berlin beliebten Tafelrcdner, wird folgende Leistung nachgesagt: auf Goethe:
„Doch ihm wird hier getoastet und gesungen,
Aus voller Brust Potenz,
Und was da tönt, von Lieb und Lust durchdrungen,
Tönt seiner Exzellenz!"
Als das Publikum solcher Literaturfrevel wird die sogenannte „Mittwochsgesellschaft" 3 ) angeführt, eben eine jener Gesellschaften, die „als ihren Heros" Goethe feierten . Gutzkow beschreibt sie gehässig: „Eine literarische Gesellschaft, deren unaufhörlicher Refrain Saufen und Fressen ist. Wo man nur von ihr Etwas vernimmt, hören wir auch nicht bloß Flaschenkorke springen, Gläser zerschlagen, sondern gewöhnlich Schüsseln und Teller klappern.
So ein Gelegenheitsreimist fabriziert z. B. folgende Unsterblichkeit:
„Göth' aus Deinen Liedern keimet
Unsre Dichtung Wort für Wort,
Und was immer Du gereimet,
Pflanzt in unserm Sand sich fort.
Bleibt's nicht kräftig, ist's doch zierlich;
Nimm Dich unser ferner an!
Sind wir auch nicht mehr natürlich,
Lieben doch Dich Mann für Mann!"
Von einem Geheimrat Schulz wird uns nachstehendes Geburtstagsgedicht überliefert :
„Ich wollt, ich war ein Fisch,
So wohlig und frisch
Und ganz ohne Gräten,
So war ich für Goethen
Gebraten am Tisch
Ein köstlicher Fisch".
Es war ein „Despotismus des Ruhms, eine Religion Schiller und Goethe ". Nicht anders kann man die Verirrung beurteilen, als es Gutzkow tat: ,. Die Anbetung brachte die Nachbetung, die Nachbetung die Mittelmäßigkeit , die Mittelmäßigkeit den Plunder' ' . Von einem witzigen Gelehrten, der einige Zeit in Weimar zugebracht hatte, erzählt 0. L. Wolff im Phönix lustig, er pflegte zu sagen: „Wenn Goethe niest, so schreit ganz Weimar Prosit". So war es, da er noch lebte. Nach seinem Tode kamen Briefwechsel, Gespräche, Erinnerungen, alles dessen man von und über Goethe habhaft wurde, an die Öffentlichkeit und wurde wie Reliquien verehrt. ,,Das weimarische Literatur-Erinnerungswesen" nahm überhand. „Es kam Goethen ein Wettstreit der Huldigung entgegen, von dem man nur wünschen möchte, daß derselbe weniger exklusiv gewesen wäre. Die Verketzerungen solcher, die etwas seltener im Tempel erschienen, um anzubeten, regte den Unmut derer auf, die öfter kamen ". Keine Kirche konnte orthodoxer sein als der Goethekult. Die historische Folge war aber, daß jene hingingen , „die Fahnen der in Süddeutschland aufgesteckten unmittelbaren Rebellion gegen Goethe zu vermehren, ob auch sonst die von W. Menzel dabei gerührte Trommel ihren Ohren wehe tat". Ohne gerade ihnen zuerst die Torheiten des Kults vorzuwerfen, seien einige Priester der Goethepropaganda genannt: Karl Schall, Zelter, Friedrich Förster, Gans, Gentz, die größte Mehrzahl der damals bekannten Gelehrten und Diplomatennamen. In Berlin war der Mittelpunkt Varnhagen von Ense und seine Gattin, die Rahel. Wenn wir diesem vielberedeten, vielgepriesenen und vielgescholtenen Manne als einem typischen Vertreter einen Augenblick lang etwas fester ins Auge sehen, so erkennen wir, daß dieser einflußreiche diplomatische Außenseiter mit schöngeistiger Gebärde in seiner literarischen Stimmung derartig von Goethe beherrscht war, daß er gar nicht mehr anders konnte als so zu denken wie Goethe ihm vorgedacht hatte. Jede Kritik erstarb unter diesem Erlebnis, Goethe war der Unsterbliche, das stand fest, und so konnte nur Unsterbliches von ihm geschaffen werden. Sein Wort war päpstliche Unfehlbarkeit, schlechthin Heilsbotschaft. Er hörte auf ein Mensch zu sein. Je älter Goethe wurde, um so höher stieg er in die Verklärung, um so tiefer beugten sich die Gläubigen. Varnhagen bekam allmählich ganz die Maske des Alten in Weimar. Stolz trug er den Titel „Statthalter Goethes auf Erden", wie ihn Heine, meines Erachtens mit verhaltener Ironie, apostrophiert hatte. Er trat so auf wie der Ministerdichter, reserviert hofmännisch, er sprach wie er, gelassen und kalt, er schrieb wie er. ,,Es ist ein gutes Stück Goethe in diesem Charakter. Wie jener, abgeschlossen und leidenschaftslos", so schildert ihn Beurmann in seinen „Vertrauten Briefen über Preußens Hauptstadt" Form ist ihm alles. Aber nicht in dem tiefen Sinne aller Kunst als die aus dem Leben geschöpfte, Leben gebende Form, sondern als Geste: Förmlichkeit mehr denn Form. Varnhagen war „zu sehr und zu wenig der Geheimrat" . Als schöngeistiger Staatsmann, als ein Mann des Kompromisses, als der objektive Allesversteher und Allesversöhner fühlt er eine innere Verwandtschaft zu dem Weimarer Weisen. Goethe im Nachdruck ist nun eben nicht mehr Goethe, Varnhagen zahlt mit Münzen, „die ein anderer geprägt" und wird so ,.. . en im mot ni chair ni poisson". Die historische Entwicklung des goetheschen Schaffens ist für Varnhagen nur eine Steigerung des Wortes klassisch.
„Er ist der Gatte Rahels", so beginnt Laube seinen Aufsatz über Varnhagen von Ense ; und das wird wohl auch der Refrain jeder Betrachtung dieses vielgeschäftigten Mannes bleiben. Er ist der Gatte Rahels.
„Sie lebten und schwärmten in Goethe" , das ist der gleiche Lebensgehalt der beiden so ungleichen Menschen und ihres Kreises. Daß viel gesellschaftliche Pose dabei war, steht nicht im Zweifel. Die ergötzliche Anekdote in Laubes drittem Reisennovellenband mag wohl dem Leben abgelauscht sein.
„Den angepriesenen Briefwechsel schon gelesen, Herr Bruder Hofrat, zwischen Schiller und Goethe?"
„Ach ja, was meinen der Herr Hofrat dazu ?"
„Unter uns gesagt — "
„Weeß es Gott, Bruder Hofrat, wenn mer alle unsere Briefe hätten drucken — "
„Hätten drucken lassen wollen, hab ich nicht recht, hochgeschätzter Herr Bruder — "
„Die Welt hätte andere Dinge zu heere gekriegt, als — als -"
„Sub sigillo, Herr Bruder, als diese Lappalien —". Auch Heuchler waren in dieser Kirche wie in allen; die aber die Sakramente austeilten, waren Gläubige von Herzen.
Fremd und sonderbar wirkt die Zeremonie jeder Kultgemeinschaft auf den Andersgläubigen. Ein Jungdeutscher, der in diese Kreise unbedingter Goetheheiligung hineinkam, selbst wenn er, wie Laube, doch immerhin etwas dafür mitbrachte, verwundert sich, daß diese Menschen sich einen „Schriftsteller zu ihrem Gott machen, welcher den ungestümen Leidenschaften so wenig schmeichelt, daß sie in Wilhelm Meister schwelgen, der den feinsten, scheinbar unbedeutendsten Beziehungen des Lebens nachgeht, daß sie zu einer Zeit an diesem stillen Romane ihr Herz und ihren Enthusiasmus laben, wo das Vaterland im fürchterlichsten Kriegsdonner bebte, wo sie mit allen übrigen diesem bedrohten Vaterlande ihre regste Teilnahme, ihre lebendigsten Wünsche widmeten". „Jeder Mensch ist ein neuer Mensch", wieviel mehr noch jede Generation eine neue Generation.
Um auch von dem Heer der Kommentatoren ein Bild zu bekommen, greifen wir die beiden von den Jungdeutschen viel besprochenen C. Fr. Göschel und K. E. Schubarth heraus. Sie sind wie die anderen und die anderen sind wie sie. Jener repräsentiert die Gattung, die „Göthen überall das Christliche vindizieren " will, dieser charakterisiert uns die Gruppe, die Goethes Werke kommentiert mit der Steigerung: genial, klassisch, heilig.
Göschel in seinen drei Teilen „Unterhaltungen zur Schilderung Göthescher Dicht- und Denkweise" sucht Parallelen auf zwischen Goethe und der Bibel. Dieses Unterfangen, an sich ja höchst erfreulich und z. B. später von Viktor Hehn gut besorgt, darf nur nicht, eben wie bei Göschel, dahin ausarten, schlechthin alles, auch das der Bibel Allentfernteste, bei Goethe als Bekenntnis frömmster Christlichkeit auszulegen.
Im Vorwort lesen wir den typischen Satz: „Jede Auslegung ist ein Zeugnis von der innerlichen Gemeinschaft der Menschen untereinander". Göschel fühlt sich wie Goethe, ergo muß Goethe so sein wie Göschel. Um jedenPreis muß Goethe ein frommer Christ sein. „Er hat wohl auch nach Menschen wie sie seyn sollten, gesucht ; es haben sich aber keine gefunden. Darum nimmt er mit den Sündern vorlieb, zu denen er sich ohnehin auch zählt". Das Fundament für das Lied „Offene Tafel" „ist das Evangelium selbst, und es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß der bibelfeste Dichter einmal die königliche Hochzeit und das große Abendmahl, Matth. 22,2 — 14.
Luc. 14, 12 —24, aber auch zweytens die Ladung zum Weinberge an Alle, welche glauben und folgen wollen, Matth. 21, 31. 32 vor Augen gehabt hat". Zu Goethes Vers:
„Vor Jenem droben steht gebückt,
der helfen lehrt und Hülfe schickt!"
heißt es: ,,Aber es ist wirklich so. Dergleichen religiöse Apercü's und Impromtü's sind unwillkürlich: es kann sich ihrer niemand erwehren: sie bestehen auch mit einem gottlosen, unchristlichen Leben. — Aber sie beweisen zugleich, daß es mit einem solchen gottlosen Menschen doch noch nicht gar aus ist".
Aller Weisheit Anfang und Ende ist die Bibel. „Aus dieser Quelle müssen wir alle schöpfen, und Goethe hat es auch nicht unterlassen, die Bibel erklärt er als die Grundlage seiner gesamten Bildung . Wenn wir dann noch Goethen mit dem „viel Größeren, nämlich Salomo selbst ..." verglichen finden, so setzen uns die kräftigen Flüche der Jungdeutschen gegen eine solche Behandlung Goethes nicht mehr in Erstaunen.
Für K. E. Schubarth, den typischen Vertreter der anderen Gruppe, sehen wir uns „Zur Beurtheilung Goethes" und „Über Goethes Faust" an. Das erste, eine magere Studentenarbeit, wuchs sich bis 1820 zu einem zweibändigen Werke des gleichen Titels aus. Daß der Verfasser Goethen seine Arbeiten zuschickte, daß er sogar bei dem greisen Dichter ein freundliches Entgegenkommen fand, hat ihm bei seinen Beurteilern eine gewisse, uns höchst verwunderliche Ehrenachtung eingetragen.
Beide Bücher legen den starken Nachdruck auf die späten und spätesten Werke des Dichters. So z. B. ist „Die natürliche Tochter" „ein ungeheures Schauspiel, wo eine ganze Welt in heimlichem Hader langsam zum schrecklichen Aufruhr greift ..." Ein Urteil für alle. Der Gipfel aller Goetheschen Lebensleistung ist die ,,Pandora". Sie nennt Schubarth „die Allgabe des Goetheschen Vermögens". Wenn andere ihm den Faust als Goethes größten Wurf gepriesen haben, so kann er sich ,,. . nicht entschließen, dieser Ansicht unbedingt beizutreten. Ich halte den Faust wohl für ein höchst vorzügliches, sehr ausgezeichnetes Werk Goethes, aber nicht für das Hauptwerk, den Gipfel, die Krone seiner Poesie". Ein Weihrauchkesselschwingen und Litaneiengeklingel um Goethe, den ganz Alten. Mit wortseligen, endlosen Satzgirlanden wird der Dichtergreis umkränzt, auch hier wird dem Gottgewordenen eine Kirche gebaut, man liest aus seinen Werken Glaubenssätze, man betet zu ihm wie der Mohammedaner zur aufgehenden Sonne. Als ein Opfer wird das Buch dem Gotte von seinem Priester zu Füßen gelegt.
Knechtische Wortanbetung und sklavischer Kult der Persönlichkeit in Goethegemeinden, ,,alexandrinische Kommentare . . . gelehrten Philistertums" trugen dazu bei, den Boden zu bereiten für die Giftpflanze des Goethehasses, waren aber gleichzeitig ein fruchtbarer Dünger für einen neuen Boden, in dem eine gesunde Saat keimte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen