> Gedichte und Zitate für alle: Oskar Kanehl-Der junge Goethe im Urteile des jungen Deutschland- Ludolf Wienbarg. (12)

2019-11-23

Oskar Kanehl-Der junge Goethe im Urteile des jungen Deutschland- Ludolf Wienbarg. (12)



Ludolf Wienbarg. 

Neben Gutzkow, dem stärksten und besten, und Laube, dem in seiner Jugend lautesten, aber durch mannigfache Einflüsse später leicht zu einem Zwitter umgemodelten Vertreter jungdeutscher Geistesrichtung, verdient als Dritter noch Ludolf Wienbarg eine genauere Betrachtung, der bekanntlich den Namen „Junges Deutschland" — nicht zuerst gebraucht, das ist minder wichtig — aber durch die Widmung seines Programmwerkes „Ästhetische Feldzüge" „dem jungen Deutschland" zum Schildnamen und Kampfruf gemacht hat.

Er ist ein Mann, den wir neben Gutzkow stellen können; nur ist er künstlerisch völlig unproduktiv und nur Ästhetiker und Kunstkritiker. Wenn man ihn neuerdings mit Laube in Parallele setzt, so erscheint mir das, besonders auch was die Stellung zu Goethe betrifft, sehr schief. Gewiß fußt auch er auf Goethe und Heine, aber Wienbargs Goethe ist viel ausgeprägter der jungdeutsche, der Gutzkowsche Goethe als der verschwommene Laubes. Und was Heine anlangt, so ist ihm Heine der bedeutendste Gegenwartsdichter ; Heines Kritik, zumal seine Goethekritik, hat auf Wienbarg keinen stärkeren Einfluß gehabt als die Menzels und vor allem Börnes auch. Über Menzel und Börne geht er hinaus, aber er geht auf ihrem Wege.

Aus dem Norden stammend und der Sohn eines Schmiedemeisters ist er eine wetter- und handfeste Sturmnatur, temperamentvoll sich einsetzend für alles wahrhaft Große, von glühendem Zorn gepeitscht, wenn es gegen Lüge und Unwürdigkeit losgeht. Der Erziehung der Burschenschaft entwächst er, mitnehmend was mitnehmenswert ist, Hohlheiten und falschen Putz hinter sich lassend. Auch ein rechter Gegenwartsmensch, wie Gutzkow, und treffend sagt dieser von ihm, er „war bestimmt, die unmittelbare bessere Fortsetzung W. Menzels zu werden." Er „übertraf ihn da durch, daß er einen ästhetischen Takt sich erworben hatte, Goethes Genius zu würdigen, und das Neue, ohne es auch in seinen Auswüchsen zu billigen, doch selbst in diesen noch zu genießen verstand." Die bessere Fortsetzung Menzels, wie ja schließlich Gutzkow auch. Mit ihm zugleich ermangelte er des Einflusses Goetheanischer Kreise. Wienbarg war ein Gelehrter, aber kein Famulus Wagner, sondern ein Faust, der im Leben selbst immer wieder die verjüngende Quelle aller Erkenntnis findet. Nicht trocken Tatsachen weitergebend, sondern, von erlebten Wahrheiten tief überzeugt, hinreißend weiter überzeugend, Demokrat, deutsch, fortschreitend von Piatos Idealen zu Schleiermacher und Fries, wählerisch in seinen ästhetischen Hingebungen durch Goethe." Goethe ist das Hauptelement seiner Geistesverbindung. Goethe liest er, Goethe liebt er, Goethe fordert er; aber nicht im Sinne und in der Art eines Goetheaners, sondern nur, ,,wo ihm der Stern des Ministers nicht des Dichters frühste Jugend und Geniusoffenbarung verschloß." Hier sehen wir ihn in unserem Entwicklungsgange, in dem er neben Gutzkow die markanteste Richtlinie zeichnet.

Zu belegen, daß Wienbarg dem alten Goethe kalt und ablehnend gegenübersteht, können wir uns wohl auf die Hauptzeugnisse beschränken, da sich Gedanken wiederholen, die wir schon bei Börne und Gutzkow gefunden haben. Heinisch klingt: „Goethe ist die Poesie in der Hofkutsche". Im „Programm zur deutschen Revue", „Menzel und die junge Literatur" wird Börne gegen Menzels „Vandalismus und seine Wut gegen Goethe ausgespielt. . .

Man hüte sich, Börnes feurige Angriffe mit der Menzelschen Afterkritik zu verwechseln. Beider Maßstab sieht sich ähnlich, wie dem Schwert die Schneiderelle." Der aus demselben Jahre stammende Band , ; Zur neuesten Literatur" enthält den wichtigen Aufsatz „Goethe und die Welt-Literatur", in dem sich heftige Ausfälle gegen den „abgelebten Greis" und seine ganze Zeit finden. Der „Wilhelm Meister," die ..Wahlverwandtschaften," der zweite Faust, müssen harte Worte erdulden. „Dieser Wilhelm Meister ist dasjenige Geschöpf, das übrig bleibt von einem der größten Sterblichen, wenn ihm die schaffende Seele der Poesie genommen." „Goethe erniedrigt die Poesie, indem er sie zur Begleiterin der Trivialität machte." Das ist die „Schwäche des großen Mannes," ,,das ängstlich wunderliche Abwehrungssystem, das er sich in seinem Alter und seiner Stellung zur Pflicht machte." Erster Faust und zweiter Faust sind krasse Gegensätze. „Goethes Fortsetzung des Faust paßt auf sei- nen früheren Faust wie die Faust aufs Auge, und muß einen, wenn man diesen zweiten Teil durchblättert, jene unendliche Wehmut ergreifen, die das ganz veränderte und entstellte Bild einer Geliebten erregt, wenn man sie nach jahrelangem Zwischenraum wieder sieht." ..Man mag sagen, Goethe hat die moderne Poesie entadelt, weil er ihr den Gehalt der Begeisterung entzog, sie zu ministeriell, zu vornehm, zu behaglich behandelte und das Götterroß vor den Wagen der gemeinen Alltäglichkeit, ja vor den Leichenwagen der gesellschaftlichen Entartung spannte." Mit historischem Blick erkennt Wienbarg, daß „dieses nicht allein neueste Vorwürfe der Bewegungsmänner wie Menzel's und Börne's" sind, ,, sondern bereits alte Vorwürfe der Romantiker, durch Novalis-Hardenberg gegen ihn ausgesprochen." Goethes „Neigung" und „Grundsatz" war, „die Muse nur als Begleiterin, nicht als Leiterin des Lebens" zu nehmen. Das immer wiederkehrende Argument Börnes, es ist eine moderne Zeit angebrochen, und Goethe ist in der alten geblieben, er ist verbraucht und hemmt die Jugend, hat auch in Wienbarg seinen Schüler. Deshalb ruft er, der Aesthetiker, den jungen Dichtern seiner Gegenwart in den „Wanderungen durch den Tierkreis "zu: „Um alles in der Welt keinen Wilhelm (Meister) wieder . . . der ist abgetan. . ." „Wandelt nicht die verfallene, menschenleere Straße einer abgestorbenen Zeit. . . . Greift in die Zeit, greift in euern eigenen Busen . . Greift in die Zeit, haltet euch an das Leben.

 Wenn er in der literarischen Ahnengalerie Umschau hält nach einem, der in die Zeit gegriffen hat, in einen eigenen Busen, in das Leben, so findet er als das schörste Beispiel dafür den „jungen" Goethe. Und er klagt, „daß Goethe nicht ewige Jugend zu Teil wurde ." „Goethe'" dekretiert der Aufsatz „Goethe und die Weltliteratur" „ist der natürlichste Protektor der neuen Literaturbetrachtung. Freilich würde Goethe sich gewaltig sträuben gegen die ihm zugedachte Ehre, sobald wir ihm auch den Einfluß aller Consequenzen aufzubürden gedächten." Er ist später ein anderer geworden und hat sich verleugnet. „Aber Europas Jugend ließ sich nicht irre machen. Durch des ängstlichen Meisters Vertuschung. Sie berief sich von Goethe dem alten auf Goethe den jungen, von dem Minister Goethe auf Goethe — Prometheus."

Für die Lyrik hat dieser Jungdeutsche, sehr bezeichnenderweise, gar keinen Sinn, das hatte er mit den meisten seiner Generationsgenossen gemein. Lyrik ist Sache der Frauen. Wenn der Mann lyrische Gedichte macht, so ist das revolutionäre Lyrik, Wortwerdung des Kampfs und der Zerrüttung, worin Zeit und Herz des Dichters liegen. Ein herrliches Vorbild hierzu sieht er im jungen Goethe. So betrachtet, nennt er Goethes Gedichte „unsterblich." ..Revolutionär war die Lyrik Goethes, als er jung und feurig war." Auch der Roman, auch der „Werther" ist nicht in erster Linie das, was ihn im Tiefsten packt. Im Zusammenhang mit Faust heißt es dennoch über ihn: „Indem sich nun in diesen wildschönen außerordentlichen Dichtungen der Drang nach ausgefüllterer Gegenwart und nach Zusammenhang zwischen Poesie und Leben darthat, nützte sich eben dieses Leben immer mehr ab." Er hatte sich im Werther „abgebrannt", wie Börne sagte. Auch Goethe erhob sich bei seinem ersten jugendlichen Aufbrausen zum Streit gegen die bestehende bürgerliche Gesellschaft, in lyrischer Wut schüttelte er die Ketten der Konvenienz von sich ab und warf sich in die Arme der Natur und der Freiheit. Seine ersten Dramen haben einen durchaus lyrischen Charakter." Ein „lyrisch revolutionärer Schrei der Natur" durchzuckt seine ersten Dichtungen und „bildet die schrillsten Mißlaute mit den Satzungen einer abgelebten Geschichte, mit der Schwäche und Unnatur seines Zeitalters." „Goethes Spott traf nicht allein die Satzungen der Moral, Theologie, Metaphysik, der äußern Konvenienz, sondern auch die Satzungen der Politik, des toten Mechanismus des Staats, den Unsinn der Gesetze," und dazu zitiert Wienbarg die Mephistoworte von dem Gegensatz, in den jede neue Generation zur Tradition geworfen wird. Am wärmsten urteilt er über Götz und Faust. „Das erste Drama von Bedeutung, heißt es in den „Aesthetischen Feldzügen." „das . . aus dem Studium der englischen Bühne, zumal aber aus der Bewunderung des Shakespeare entsprang, war Goethe's Götz von Berlichingen." Er „verdankte seinen Ursprung einem Reflex des damaligen jugendlichen Zeitgeistes am Spiegel der blankgeharnischten Vergangenheit. Goethe schnallte sich den Harnisch des letzten deutschen Ritters um die Brust, und holte mit der eisernen Faust rechts und links einige sausende Quarten aus, freilich ohne Ziel und gleich- sam nur als Kraftproben, um Philistern und Schwächlingen zu zeigen, daß deutsche Kraft und Naivität noch nicht er- loschen sei und Taten fordere. Fand dieses unbestimmte Gefühl den ungeheuersten Anklang in der Jugend des Volkes, so ergibt sich eben aus diesem Beispiel, wie mächtig Dichtungen wirken, welche auf solche historisch nationale Elemente basiert sind, die zugleich einen zeitgeschichtlich nationalen Charakter tragen." So sagt der Kritiker auch den Gegenwartsdramatikern: „Auf diesem Gebiet, wenn irgendwo, wachsen die Lorbeeren des national-historischen Dramatikers unserer Tage." Bei dem ,, Faust" ist Wienbarg ganz Begeisterung. Ihm wird eine besondere Vorlesung in den „Ästhetischen Feldzügen" gewidmet; und hier ist es, wo wir die genaue Grenze von Wienbarg gezogen finden, die jungen und alten Goethe trennt. Mit dem ersten Faust hat Goethe die Höhe seiner Jugend und seines Schaffens erreicht. In dieser Jugend „dichtete er jene unsterblichen Dramen, die wie ein Feuerguß aus seinem Herzen strömten und die Nation mit der ganzen Frische der Genialität, mit dem Zauber der Sympathie ergriffen und in Begeisterung setzten, den lyrischen Werther, den ritterlichen Götz, den Egmont. den Faust," Dinge ,, revolutionärer Natur", in denen der „Contrast mit der politischen und moralischen Ordnung" hervortritt. Goethe „trug die unzufriedene Begeisterung in alle Gebiete des Geistigen und Sittlichen über." Das ist Wienbargs Bild vom Goetheschen Schaffen bis zum Faust. ,, Dieser Faust ist der Wendepunkt des Goetheschen Genies, von dieser höchsten Spitze der Begeisterung und Herzensfülle stieg er plötzlich wieder herunter, und begann die zweite Epoche seines Ruhms, die der ruhigen Plastik, der beschränkten, gegen Stoff gleichgültig sich verhaltenden Kunstdarstellung, welche das Tiefste, Aufregendste, Leidenschaftlichste sorgfältig vermeidet, sich mit der Gegenwart versöhnt und auf deren Niveau die Gestalten der Poesie aufträgt." Es ist unmöglich und zwecklos, alle huldigungsvollen Aussprüche Wienbargs über den ersten Faustteil hier gesammelt wiederzugeben. Sie ziehen sich durch sein ganzes Lebenswerk. ,,Der erhabene Donner des Faust" übertönt alles was sonst noch die Welt durchwogt und durchstürmt. ,, Faust ist ein Werk, das weit über seine Zeit, ja selbst über dem steht, dessen Feder wir es verdanken. Faust war einmal ein Moment in Goetheschem Geiste, Goethe war einmal Faust, nämlich in den großen heiligen Jugendstunden, als der Geist dieser Dichtung über ihn kam."

Das Drama ist diejenige Gattung, in der Wienbarg seine rechte Befriedung künstlerischer Sehnsucht findet. Dieser bei den Jungdeutschen immer wiederkehrende Zug zum Dramatischen erhält hier seinen Programmatiker. Dramatisch faßt Wienbarg schon Goethes Lyrik auf, als Dramatiker im eigentlichen Sinne steht ihm Goethe am höchsten. In einem Kapitel der „Ästhetischen Feldzüge," wo ausführlich vom deutschen Drama gehandelt wird, hat der Dramendichter Goethe den Hauptplatz. Hier liegt der Kern. Schiller und Goethe werden gegenübergestellt. Goethe ist Wienbargen der Erfüller seiner ästhetischen Forderungen, Schiller ihr Gegner. Schiller hat sich „sein ganzes Leben hindurch" in der „ideellen Richtung behauptet. . . Seine Dramen zeigen auf der einen Seite keinen inneren Zusammenhang, keine organische Einheit, keine durchlebte Geschichte von Ansichten und Gemütsstimmungen, auf der anderen Seite nach außen hin keinen Zusammenhang mit den Gemütsstimmungen und Ansichten seiner Zeitgenossen." Dagegen ist „dies der Fall bei Goethe, und diese Wahrnehmung berechtigt uns eher Goethe denn Schiller als Repräsentanten seiner Zeit zu betrachten." Das führt er noch näher aus und findet, „daß Goethe's dramatische Meisterwerke, ebenso wie dessen Romane und Gedichte, mit der Zeit in innigstem Zusammenhang standen, insofern sie eine Idee, eine Stimmung der Zeit die sich vielleicht zuletzt immer ins Abstrakte oder Philisterhafte, oder Lächerliche verlor poetisch, kräftig aussprachen." Goethe wird, und das ist ein neuer Gesichtspunkt, der bei Wienbarg zum erstenmal so als Ausgangspunkt seiner ganzen Beurteilung gesetzt ist, ganz und gar als Vertreter seiner Zeit gefaßt, so daß auch die Schuld von Goethes Entartung nicht ihm, sondern seiner Zeit zugeschoben wird. Alle Werke Goethes „verraten die Zeit ihrer Entstehung." Das ist das eine, und das andere: Man findet „denselben geschichtlichen Charakter" auch „in persönlicher Beziehung": „Goethes Werke und Dramen waren er selbst zu irgend einer Zeit seines Lebens, als Jüngling, Mann, Greis, als Ritter, Weltmann, Verliebter usw." „Und der Schluß ? Das aber ist das Kennzeichen des echten Dramatikers, daß er der Zeit ein Spiegel ist, worin sie sich selbst erkennen mag." „Goethe ist der erste Dramatiker der neueren Zeit."

Unser letztes Wort über Wienbarg sei sein letztes Wort über Goethe: „Spreche ich also das letzte Wort über ihn aus, indem ich mir seinen doppelten Charakter, als Servilen und Liberalen, als Großen und als Kleinen, als Genie und als Weltmann, durch eine Grundrichtung seines Geistes in letzter Instanz zu erklären suche. Goethe trug als Jüngling die ganz neue Zeit, die kommende Weltanschauung in seiner Brust, und was ihn damals im tiefsten Grund bewegte und womit er die Welt und seine Zeitgenossen überraschte, das wird früher oder später die Welt bewegen und Deutschland politisch und moralisch umschatten. Allein Goethe gehört zu denjenigen Charakteren, welchen nicht die unmittelbare Gestaltung der Außenwelt, sondern zunächst die Bildung ihrer eigenen Persönlichkeit von der Natur zum Grundsatz gemacht zu sein scheint." So haben wir noch einmal, was die Stellung Wienbargs zu Goethe ausmacht: auf den Spuren Menzels, Börnes, zum Teil auch Heines, trennt er wie Gutzkow mit aller Schärfe, auf Grund des eigenen historischen Standpunktes der Erklärung der Goetheschen Werke aus ihrer Entstehungszeit heraas, den alten vom jungen Goethe, um über jenen hinweg diesen zum geistigen Vater der Gegenwart zu erheben.




Epigramme, Sprüche, Xenien

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