
Am 29. Januar 1797 berichtet Goethe an
Schiller, daß er einige bedeutende Kontrakte
zustande gebracht habe: „Erstlich habe ich
Dem. Jagemann für den hiesigen Hof und
das Theater gewonnen; sie ist als Hofsängerin
angenommen und wird in den Opern manchmal singen, wodurch denn unsere Bühne ein
ganz neues Leben erhält." In dieser Voraussicht ihrer Künstlerschaft hatte sich Goethe
nicht getäuscht Dem. Jagemann, 1777 als Tochter des Bibliothekars der Herzogin Anna
Amalia geboren, war sechs Jahre lang am
Mannheimer Nationaltheater ausgebildet worden, bevor sie nach Weimar kam. Ihr Kontrakt verpflichtete sie, erste und zweite Singrollen zu übernehmen, aber auch Rollen im
Schauspiel, „welche für sie schicklich gefunden
werden". Ihre Tätigkeit als Schauspielerin
wurde nach dem Tode von Christiane Becker
immer ausgedehnter. Ihre große Bedeutung
als Künstlerin wurde stets anerkannt, noch ein Jahrzehnt nach dem gewaltsamen Abbruch
seiner Direktion charakterisiert Goethe sie in einem Gespräch mit Eckermann: „Ich mag
auf sie gewirkt haben, allein meine eigentliche Schülerin ist sie nicht. Sie war auf den
Brettern wie geboren und gleich in allem sicher und entschieden, gewandt und fertig
wie die Ente auf dem Wasser. Sie bedurfte
meiner Lehre nicht, sie tat instinktmäßig das
Rechte, vielleicht ohne es selber zu wissen,"
Das Gefühl ihrer künstlerischen Unentbehrlichkeit, mehr aber noch das Vertrauen auf
den Einfluß, den sie durch ihre intimen Beziehungen zum Herzog ausübte, verführten
sie gar bald dazu, eine Ausnahmestellung zu beanspruchen, die sie dann auch ununterbrochen behauptet hat. Als Geliebte des
Herzogs, der ihr nach einigen Jahren den
Namen Frau v. Heygendorf verlieh, hat sie hinter den Kulissen, sowie außerhalb des
Theaters alle Intrigen gegen Goethe geleitet.
Was nach den Theatergesetzen jedem Mitgliede verboten war, das Gastieren an auswärtigen Bühnen, das mußte ihr ohne weiteres
zugestanden werden. Und auch für ihren
Günstling, den Bassisten Stromeyer, wußte
sie diese gegen Goethes ausdrücklichen Willen
verstoßende Ausnahme durchzusetzen. All die
vielfachen Konflikte wurden immer noch beigelegt durch die Klugheit Christianens, Goethes
Gattin, dieses noch immer allzuwenig gewürdigten guten Genius' des Goetheschen Hauses.
Aber auf die Dauer war eine Katastrophe nicht zu vermeiden. Nach Schillers frühem
Tode führte Goethe die Theatergeschäfte ohne
das hinreißende Ungestüm seines Freundes.
Er war nicht mehr so mit ganzer Seele dabei und konnte nun über Kränkungen sich
nicht mehr mit der Freude an der Theaterarbeit hinwegsetzen. Die schöne Jagemann
aber wollte für sich und ihre Günstlinge die
Alleinherrschaft am Theater und Goethe stand
ihr im Wege. Sie intrigierte heimlich und
benutzte, wenn es nötig erschien, auch ihre
Macht über den Herzog. Es ist bekannt, daß
die Aufführung ,, Der Hund des Aubry" Goethe
zur Niederlegung seiner Direktion veranlaßt
hat. Aber das war wohl nur der Tropfen,
der den Eimer überfließen ließ. Schon im
Jahre 1808 bestand, durch die Jagemann herbeigeführt, der Bruch zwischen dem Theaterleiter Goethe und dem Herzog, veranlaßt
durch einen Vorgang, der kaum minder unerhört war, als die Hundekomödie. Der
Tenorist Morhard hatte sich ärztlich bescheinigen lassen, daß er am 5. November in der
Oper ,,Sargino" von Paer wegen Heiserkeit
nicht singen könne. Caroline Jagemann wollte
aber die Oper durchaus haben. Ist auch die
Aeußerung, die ihr zugeschrieben wird, „wenn der Hund Morhard nicht sprechen kann, so
soll er bellen", nicht sicher beglaubigt, so
zeigt es doch, selbst wenn die Aeußerung erfunden ist, was man ihrer Herrschsucht zutraute. Tatsache ist, daß die Jagemann sich
bei dem Herzog, dem Vater ihrer Kinder,
beschwert hat, und daß dieser, ohne die Theaterdirektion zu benachrichtigen, Morhard mit Hausarrest bestrafte. Goethe aber wurde angewiesen, dafür zu sorgen, daß Morhard
innerhalb vierzehn Tagen die Grenzen des
Herzogtums überschritten habe. Goethe setzte es zwar durch, daß diese Frist bis zum 1. Januar verlängert wurde, erkannte aber im
übrigen seine Machtlosigkeit und ersuchte den
Herzog in einem Briefe vom 10. November,
ihn von einem Geschäfte zu entbinden, das
seinen sonst so wünschenswerten und dankenswerten Zustand zur Hölle mache. Der Konflikt wurde nach langen Verhandlungen noch
leidlich beigelegt — natürlich nur äußerlich.
Maßgebend für das Einlenken des Herzogs
dürfte der Umstand gewesen sein, daß überall in der auswärtigen Presse für Goethe
Partei genommen wurde. Anfangs hatte der
Herzog erklärt, er wolle mit Goethe als Leiter
des Theaters nur zu tun haben, wenn dieser sich ,,in ein vernünftiges, natürliches und den
hergebrachten Dienstgewohnheiten anpassendes Arrangement" fügen wolle — es ist, als ob man die Jagemann sprechen hört, die ihrem
herzoglichem Freunde zu verstehen gibt, daß
Goethe doch im Dienste des Herzogs stehe. Es ,,sind beim Theater Dinge vorgekommen,
die viel geringer abgegangen wären, wenn
du dagewesen wärest" — schreibt Goethe
am 7. November an seine Gattin Christiane.
Diese ist es nach dem Zeugnis Riemers auch
gewesen, die eine durchgreifende Kur für
die Theaterhändel angeregt hat: die Trennung der Oper vom Schauspiel. Goethe hat
die Notwendigkeit dieser Zweiteilung in einem
langen Gutachten begründet. Durch Vermittlung Voigts wurde der Herzog dafür gewonnen
und fortan leitete Goethe mit Genast als Regisseur das Schauspiel, während Carolinens
Anhänger Becker die Regie über die Oper
erhielt. Sehr wesentlich zu dieser verhältnismäßig glücklichen Lösung hat die tapfere
Herzogin Luise beigetragen, wie aus einem
Briefe von P. A. Wolff ersichtlich wird: ,,Wie
denn nun Goethes Gegner das Heft ganz in Händen zu haben glaubten und sich über
seinen Sturz schon laut zu freuen anfingen, trat unsere regierende Herzogin hervor, wie
Karl Moor unter die Räuber, und befahl,
daß Goethe jede seiner Bedingungen erfüllt werden sollte, und ihn selbst ersuchte sie mündlich, die Direktion zu behalten."
So war sachlich scheinbar alles wieder
geglättet, aber es standen sich doch nicht nur die Verhältnisse, sondern vor allem die
Menschen gegenüber. Schon das nächste
Jahr brachte Goethe einen Konflikt mit Stromeyer, der dank der Machtfülle Carolinens
Sieger blieb. Im Jahre 1814 wurde Graf
Edling in die Theaterkommission berufen,
18 16 erschien diese Kommission als ,, Hoftheater-Intendanz", im Jahre darauf wurde
Goethes Sohn Mitglied dieser Intendanz. All
das war doch aber nur Aufputz, der über
unhaltbare Zustände hinwegtäuschen sollte. Goethe stand der Despotin Jagemann und
ihrem Anhang im Wege. Das empfand Goethe
und wohl nur um seinen Gegnern nicht als feige zu erscheinen, blieb er im Theateramte.
Sein Interesse an den Theaterdingen war
sehr gering und der Ueberdruß groß. Und
da er nicht freiwillig gehen wollte, so zwangen
ihn seine Gegner dazu. Der Hergang ist bekannt. Goethe hatte sich geweigert, den
Schauspieler Karsten mit seinem Hunde in dem Stück „Hund des Aubry" gastieren zu
lassen. Er hatte diese Entweihung der Weimarer Bühne durch ein Hundegastspiel einfach abgelehnt mit dem Hinweis: ,, Schon in unsren Theatergesetzen steht, daß kein Hund
auf die Bühne kommen darf." Aber die Jagemann und Obermarschall Graf Edling gewannen den Herzog, der ein großer Hundeliebhaber war, für die Aufführung. Am
12. April 1817, während Goethe in Jena war,
ist ,,Der Hund des Aubry" im Weimarer
Hoftheater aufgeführt worden. Goethe erbat
sofort seine Entlassung und erhielt sie bereits
am 13. April in einem offiziellen Schreiben
des Herzogs. Diesem Aktenstück hat der
Herzog noch die Worte beigefügt: ,,Ich
komme gern hierin Deinen Wünschen entgegen, dankend für das viele Gute, was Du
bei diesen sehr verworrenen und ermüdenden
Geschäften geleistet hast, bittend, Interesse an der Kunstseite desselben zu behalten,
und hoffend, daß der verminderte Verdruß
Deine Gesundheit und Lebensjahre vermehren soll."
Das war das Ende der mehr als ein Vierteljahrhundert umspannenden Theaterleitung Goethes. Er hat das Theater nicht wieder
betreten; tief erschüttert aber hat ihn der
Theaterbrand am 21. März 1825: „Der Schauplatz meiner fast dreißigjährigen liebevollen
Mühe liegt in Schutt und Trümmern!" Er
kümmerte sich wohl um die Pläne zum Neubau des Theaters und machte Reformvorschläge: es solle fortan auch Sonntags gespielt werden. Aber im übrigen hielt er sich
fern und führte die Mauer um sein Dasein
noch ein paar Schuh höher. Hatte er doch
seinem vertrauten Riemer gleich nach seinem
Scheiden aus der Direktion eingestanden:
„Wohl dem, der sich loslösen kann von einem
Fuhrwerk, das bergab stürzt. Ich kann's
und will fort von einem Wege, auf welchem
die rechte Höhe unerreichbar ist — bei dem
Theater besonders deshalb, weil den jetzigen
Schauspielern überhaupt das Leben und die
Kunst, der Ernst und die tüchtige Auffassungsgabe mangeln. Es ist ein weibisch
Volk und ein Weiberregiment ihnen das Zuträglichste."
Diese Worte in einem Augenblicke berechtigter Verbitterung gesprochen, verurteilen das Ganze um der Schuld Einzelner
willen. Aber daß sie gesprochen werden konnten nach einem Vierteljahrhundert Goethescher Theaterarbeit beweißt doch, mit welchen
Schwierigkeiten selbst ein Goethe auf diesem
Gebiete zu kämpfen gehabt hat. Und um
so höher und dankenswerter erscheint darum, was Goethe trotzdem geleistet hat: die Erziehung der Schauspieler zu der Sprache der
Klassiker, die Hebung des Schauspielerstandes
und des Publikumgeschmackes und endlich
die Bildung eines literarischen Repertoires.
Goethe auf meiner Seite
Ende
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